Gut und Böse sind nicht immer blanke Gegensätze. Je nachdem aus welcher Perspektive man sie betrachtet, erscheinen sie zuweilen als dasselbe.
Weder die Außenwelt noch die Dynamik seiner Seele ist dem Menschen geheuer. Beide Elemente der Wirklichkeit erschrecken ihn durch ein bedrohliches Netzwerk an Kräften. Deren Übermacht fühlt er sich ausgeliefert. Darauf reagiert er mit Angst.
Grundprinzip
Durch die Verengung des Weltbilds auf einen kontrollierten Ausschnitt der Wirklichkeit wird die Angst vor der Ungewissheit des Daseins aus dem Bewusstsein beseitigt. Statt ohne Wenn und Aber in der Welt zu stehen, richtet sich das Ego in einem Ausschnitt persönlicher Sichtweisen ein. Dort kann es glauben, dass es nicht mehr an sich zweifeln muss und über seine Welt verfügen kann. Fühlbare Angst wird von einer Illusion der Sicherheit verdeckt.
Der Angst, abgeleitet von indoeuropäisch angh = eng, folgt der Impuls, in eine schützende Enge zu flüchten. Um die Angst zu mindern, versucht das Ego, ein beruhigendes Weltbild zu schaffen. Beruhigend wirkt ein Weltbild, wenn man es überblicken kann; und wenn es die Illusion vermittelt, man könne die Wirklichkeit so kontrollieren, dass es keinen Grund mehr zum Fürchten gibt. Dazu benutzt das Ego Werkzeuge: Abwehrmechanismen.
Abwehrmechanismen sind psychische Manöver, durch die man ein überschaubares Weltbild aufrechterhält. Was ein überschaubares Weltbild stören könnte, blenden Abwehrmechanismen aus. Dazu gehören Fakten, die man nicht wahrhaben will ebenso wie Gefühle und Handlungsimpulse, vor denen man sich fürchtet.
Die Palette der Abwehrmechanismen ist breit gefächert. Zum Teil gehen sie ineinander über. Oder sie überlappen sich. Obwohl jeder bestimmte Muster bevorzugt, gibt es niemanden, der sich nicht verschiedener bedient.
Abwehr oder Problemlösung
Die Grenzen zwischen Abwehr und Problemlösung sind fließend. Nehmen wir an, Sie langweilen sich. Sie entschließen sich, ins Netz zu gehen und herumzusurfen. Durch Zufall landen Sie auf dieser Seite. Ist das nun eine kreative Lösung des Problems oder wehren Sie durch Ablenkung gefürchtete Impulse ab, die hinter der Langeweile auf Sie warten?
Ob ein Verhalten Abwehr oder kreative Gestaltung ist, ist objektiv kaum zu beurteilen. Das gleiche Verhalten kann mal das eine, mal das andere sein. Entscheiden kann man nur, wenn man die Details der jeweiligen Situation beachtet und das Motiv, das hinter dem Verhalten steckt, erkennt.
Coping-Strategie oder Abwehrmechanismus
Zwischen Coping-Strategien (englisch to cope = bewältigen) und Abwehrmechanismen gibt es Ähnlichkeiten und Unterschiede. Beide dienen der Bewältigung unerwünschter Erlebnisqualitäten.
Während der Abwehrmechanismus ein Grundmuster im Umgang mit alltäglichen Widrigkeiten darstellt, kommt die Coping-Strategie bei konkret belastenden Einzelerlebnissen zum Einsatz. Dabei greift sie oft gleichzeitig auf verschiedene Abwehrmechanismen zurück.
Die Definition der Abwehrmechanismen gehört zu den Konzepten der Psychoanalyse. Den Grundstein legten Sigmund Freud (1915) und seine Tochter Anna (1936). Spätere Vertreter der analytischen und tiefenpsychologischen Schulen haben die ursprünglichen Konzepte ausgebaut (Vaillant 1992, König 1996). Neben der folgenden Liste kann alles als Abwehrmechanismus benannt werden, was der Stabilisierung des Welt- und Selbstbilds bei der Konfrontation mit der Wirklichkeit dient. Als Beispiel sei die Betäubung durch Suchtmittel genannt. Süchtiger Substanzkonsum kann aber auch als chemisch unterstützte Variante der Verdrängung aufgefasst werden.
Abwertung spielt als Abwehrmechanismus eine herausragende Rolle. Dabei werden Aspekte der Realität als bedeutungslos oder unwert betrachtet um das bestehende Welt- und Selbstbild gegen eine Infragestellung durch die abgewerteten Elemente abzuschirmen. In der Fabel vom Fuchs, der die Trauben, die zu hoch für ihn hängen, für sauer erklärt, ist der Mechanismus bildhaft dargestellt.
Abwertung kann sich gegen sämtliche Wirklichkeitsaspekte richten, durch die man sich verunsichert fühlt.
Besonders abträglich ist der Mechanismus, wenn er sich gegen Personen wendet.
Abwertungen ganzer Menschengruppen bringen sich als sexistische, rassistische, konfessionelle oder nationalistische Sichtweisen zum Ausdruck. Wer nicht das gleiche glaubt, wie wir, ist des Teufels.
Die Abwertung von Bezugspersonen kann im Stillen vollzogen werden. Dann dient sie vorrangig dem eigenen Selbstwertgefühl. Sie ist ein pathologischer Heilungsversuch narzisstischer Zweifel.
Eine nützliche Übung
Wer andere abwertet, macht es unbewusst auch mit sich selbst. Achten Sie darauf, wann und warum Sie abwerten. Formulieren Sie stattdessen kreative Kritik; oder erkennen Sie, wodurch Sie sich selbst entwertet fühlen.
Wird Abwertung offensiv ausgetragen, entsteht, was man als Mobbing bezeichnet. Dann dient sie zusätzlich sozialer Konkurrenz.
Selbstabwertung
Ein verbreitetes Übel ist die Selbstabwertung. Abwertende Urteile über sich selbst können verschiedene Funktionen haben:
Bei der Affektisolierung wird die emotionale Reaktion auf ein Ereignis ausgeblendet. Man könnte auch sagen: Das Gefühl wird in Quarantäne geschickt. Somit vermeidet man, sich die emotionale Komponente eigener Handlungsmotive einzugestehen. Man erlebt sich als ausführendes Organ einer nüchternen Notwendigkeit. Man handelt so, als habe man mit den eigenen Gefühlen nichts zu tun.
Die Affektisolierung geht oft mit einer Rationalisierung der eigenen Motive einher; zum Beispiel dem Argument, Prügel führten Kinder auf den rechten Weg. Sie führt jedoch nicht zu einer Befreiung des Verhaltens vom störenden Einfluss ungesteuerter Emotionen. Vielmehr wird man erst recht durch den ausgeblendeten Affekt bestimmt. So steckt hinter Svens Schweigen womöglich der Impuls, Petra durch scheinbare Gleichgültigkeit zu strafen und Richter Besenrein weiß nichts von seinem Neid auf jene, die es sich im Gegensatz zu ihm erlauben, Regeln bei Bedarf zu übertreten.
Bei der altruistischen Abtretung werden eigene Interessen verleugnet. Stattdessen gilt aller Einsatz ähnlichen Interessen anderer, für die sich der Altruist dann um so hemmungsloser einsetzt. Der Anspruch auf die Erfüllung von Bedürfnissen wird abgetreten. Typische Vertreter abgetretener Interessen sind...
Die altruistische Abtretung bietet psychologische Vorteile.
Die altruistische Abtretung ist zum Teil ein sozial nützlicher Abwehrmechanismus. Er lindert Not und festigt Bindung. Sein übermäßiger Einsatz birgt aber Risiken: für Geber und Empfänger. Dem Geber drohen Helfer- und Burn-out-Syndrom. Die Bereitschaft des Empfängers, eigene Tatkraft zu entwickeln, kann untergraben werden. Für den, der sich für andere einsetzt, mag es daher sinnvoll sein, eigene Interessen besser zu beachten. Für den, der sich von Helfern versorgen lässt, gilt es zuweilen zu verzichten.
Widersprüchliche Facetten eines Themas
Altruismus | selbstlose Fürsorge für Schutzbefohlene |
altruistische Abtretung | Verleugnung egozentrischer Interessen, stellvertretender Egoismus |
pseudo-altruistischer Missbrauch | Erzeugung von Abhängigkeiten Beihilfe zur Unselbständigkeit |
Antizipation, also die planende Vorwegnahme kommender Probleme, gilt als reifer Abwehrmechanismus. Bei der Antizipation werden zukünftige Schwierigkeiten im Voraus bedacht und vorbeugende Maßnahmen ergriffen, um die Gefahr zu entschärfen, die der Person oder ihrem Selbstbild durch ein Scheitern an den Problemen droht.
Auch Antizipation kann schaden: wenn man sie übertreibt. Ist man zu sehr mit der Zukunft beschäftigt, verpasst man womöglich die besten Chancen in der Gegenwart.
Aggressive Impulse sind ein Risiko für den Bestand zwischenmenschlicher Beziehungen; und damit der Rolle, die man als Beziehungspartner innehat. Ihr Ausdruck wird oft gefürchtet. Bei der Autoaggression werden solche Impulse vom Gegenüber weg und auf sich selbst gelenkt. So verhindert man, sich unbeliebt zu machen. Gegebenenfalls erntet man sogar Zuwendung und Aufmerksamkeit.
Im autoaggressiven Akt schimmert die Aggression gegen Bezugspersonen durch. Durch die Folgen der Autoaggression werden sie vereinnahmt, angeklagt oder ins Unglück gestürzt; denn der Schutz einer Beziehung durch Wendung der Aggression gegen sich selbst kann tödlich enden.
Vorrangig wird wohlgemerkt nicht immer eine reale Beziehung geschützt, sondern die Rolle, die man spielt... und mit der Rolle das Bild, das man von sich selber hat. Das zeigt Pauls Entscheidung: Indem er sich tötet, beendet er alle realen Beziehungen und doch hält er sie virtuell aufrecht. Im Leben der anderen spielt er von da an eine Rolle, die sie niemals vergessen werden.
Zuweilen vermengen sich autoaggressives und passiv-aggressives Verhalten oder wechseln sich einander ab. Bei beiden Mustern wird der offene Konflikt vermieden.
Es gibt Menschen, die das, was sie für sich selbst halten, so radikal ablehnen, dass sie die Erscheinungsformen ihrer selbst - also ihr relatives Selbst - nicht mehr als Ausdrucksweisen ihrer selbst erkennen. Sie des-identifizieren sich von sich selbst. Meist stecken schwere Selbstwertzweifel und entsprechende Schamgefühle dahinter, deren Erleben durch den Mechanismus abgewehrt wird.
Nachdem Dominik von seinem Vater vor aller Augen lächerlich gemacht worden war, wollte er nicht mehr er selbst sein. Erst erschien er sich selbst als fremd. Dann entwickelte er eine paranoide Psychose.
Nachdem Isabella vom Freund der Mutter missbraucht worden war, schämte sie sich abgrundtief, aus Leib und Gefühl zu bestehen. Beides wollte sie nicht mehr sein, weil sie durch beides ausgeliefert war. Vieles, was sie fortan dachte, hörte sie als Stimme. Heftige Gefühle empfand sie nicht mehr als ihre eigenen. Statt Hass zu empfinden, sah sie hässliche Bilder.
Die Des-Identifikation vom Selbst kann als Abwehrmechanismus postuliert werden, der eine zentrale Rolle bei der Auslösung schizophreniformer Psychosen spielt. Offensichtlich löst Selbstablehnung aber nicht bei jedem typisch psychotische Symptome (Ich-Störungen, Fremdbeeinflussungserlebnisse, paranoides Erleben, Halluzinationen) aus, sondern nur bei entsprechend disponierten Personen. Es ist ein biologischer Cofaktor anzunehmen, der die Bereitschaft des Gehirns bahnt, im Bewusstsein Elemente der Ich-Aktivität als passiv Erlebtes darzustellen.
Zwei Sichtweisen
Vor der Des-Identifikation vom Handlungspotenzial des SelbstIch bin es, der...
danach
Mir geschieht...
Eine neurotische Variante der Des-Identifikation ist im stereotypen Gebrauch des unbestimmten Fürwortes man erkennbar.
Das Man ist eine Gruppe, in der das Individuum nicht mehr zu erkennen ist. Wer statt ich ständig man sagt, tritt dadurch in den Hintergrund. Insofern hat dieses Muster regressive Züge. Es ist ein kommunikatives Manöver durch das sich der Sprecher nur vermindert exponiert. Er ist es ja nicht, der ein Verhalten wählt. Er tut nur, was man eben tut.
Weder die psychotische Des-Identifikation vom relativen Selbst noch die neurotische Des-Identifikation von der persönlichen Verantwortlichkeit ist mit der spirituellen Des-Identifikation zu verwechseln. Bei der psychotischen Form bleibt das absolute Selbst ausgeblendet. Bei der neurotischen versteckt sich das Selbst hinter vermeintlich allgemeingültigen Regeln. Bei der spirituellen wird das absolute Selbst ausdrücklich gesucht.
Beim Dramatisieren werden Sachverhalte, eigenes Erleben und Empfinden oder die Taten anderer mit übermäßig emotionalem Aufwand dargestellt. Wer dramatisiert, gebraucht Superlative... und wiederholt sie gerne.
Häufiges Motiv beim Dramatisieren ist die Furcht, nicht beachtet zu werden. Durch lebhaftes Auftragen will man sich die Aufmerksamkeit des Gegenübers sichern. Auf Dauer passiert jedoch das Gegenteil. Je öfter man dramatisiert, desto schneller ziehen die Zuhörer das meiste vom Drama stillschweigend wieder ab; was man als mangelndes Interesse erlebt und womöglich zum Anlass nimmt, noch dicker aufzutragen.
Im extremen Fall richtet der, der sich beim Bemühen um Aufmerksamkeit aufs Dramatisieren verlässt, den Blick so begierig auf den Effekt seiner Mühe, dass er das Gefühl für die eigene Integrität verliert.
Zuweilen scheint es ihm dann so, als führten seine Impulse, oder gar seine Organe, ein Eigenleben: Ein Arm ist plötzlich "gelähmt", für Stunden war man "blind", rätselhafte Zuckungen schütteln den Körper... und wie sie schwanger werden konnte, ist der Jungfrau unerklärlich. Das nennt man Dissoziation.
Fixierung nennt man das Stehenbleiben auf einer bestimmten Entwicklungsstufe. Dadurch werden Progressionsängste vermieden, also die Angst, an den Herausforderungen einer heranrückenden Lebensphase zu scheitern.
Uwe ist längst in dem Alter, in dem er eine Freundin haben könnte. Er wohnt aber noch zu Hause und spielt abends am Computer. Er sieht keinen Grund, eine eigene Wohnung zu beziehen. Uwe hat noch nie ein Hemd gebügelt. Das regelt seine Mutter.
Die Fixierung auf kindliche Grundmuster führt zur Beibehaltung abhängiger Verhaltensweisen. Der Abhängige spielt die Rolle des braven Kindes oder die des trotzigen. Oder beide Rollenmuster verweben sich zu einem widersprüchlichen Konglomerat. Das kommt z. B. bei der Borderline-Störung vor.
Wer idealisiert, sieht vom Anderen oder einem Sachverhalt nur noch die positive Seite. So ist die Idealisierung ein Teilaspekt der Spaltung. Sie bezweckt, Kritik und Konkurrenzimpulse, die zu Konflikten mit anderen führen könnten, abzuschwächen.
Wenn ich mache, was der Meister sagt...
Menschen neigen dazu, anderen besondere Autorität zuzuordnen. Sobald man glaubt, man habe jemanden gefunden, der zweifelsfrei weiß, was richtig ist, kann man auf das Risiko eigenen Denkens und Entscheidens verzichten. Mit dem glücklichen Gefühl, dass nun alles in Ordnung ist, folgt der Gläubige seinem Meister. Solche Mechanismen sind in Politik und Glaubensdingen weit verbreitet.
Idealisierung ist das bestimmende Abwehrmuster des Idealismus.
Der Idealisierung folgt logischerweise Unterwerfung. Dem Idealen muss man sich kritiklos unterordnen. Da Unterordnung keine Schande mehr ist, wenn der, dem man sich fügt, makellose Eigenschaften hat, verstärken sich beide Abwehrmuster wechselseitig.
Mit Idealisierung und Unterwerfung ist oft die Identifikation mit dem Aggressor vergesellschaftet, denn der beste Schutz vor einer Schlägertruppe besteht darin, ihr beizutreten oder ihr zumindest zu signalisieren, dass man ihre Taten gutheißt. Die Identifikation mit dem Aggressor ist ein häufiger Abwehrmechanismus im Kleinen.
Im Großen spielt die Identifikation mit dem Aggressor bei der Ausbreitung von Weltanschauungen, die Andersdenkenden gegenüber ausgrenzende oder gar feindselige Verhaltensweisen fördern, eine ausschlaggebende Rolle.
Die Feindseligkeit solcher Weltanschauungen geht mit der Neigung ihrer Vertreter Hand in Hand, sie zu idealisieren. Die Aggression politisch Radikaler sowie die politisch-religiöser Gruppen wird durch den Gehorsam verstärkt, die solche Gruppen ihren Mitgliedern abverlangen. Je mehr sich jemand den Idealen der Gruppe unterwirft, desto mehr Idealisierung braucht er, um seine Unterwerfung zu rechtfertigen. Die Aggression, die die Unterwerfung in ihm hervorruft, richtet er nicht gegen den idealisierten Aggressor. Er verschiebt sie auf Gruppenfremde; was viele davon ihrerseits in Versuchung bringt, sich mit dem Aggressor zu identifizieren um sich vor dessen Aggression und der Aggression seiner Gefolgschaft zu schützen.
Bei der Intellektualisierung wird der theoretische (griech.: theorein [θεωρειν] = betrachten) Aspekt eines Sachverhaltes stärker beachtet als der emotionale (lat.: emovere = herausbewegen). Intellektualisierung verhindert, dass man vom Erkannten berührt wird.
Wie viele andere Abwehrmechanismen dient auch die Intellektualisierung der Vermeidung von Konflikten und der Sicherung der Autonomie. Im Grundsatz ist es nützlich, Ereignisse zunächst zu betrachten, sie nüchtern zu bewerten und dann erst zu reagieren. Nicht jede Emotion hat das Zeug, Verhaltensweisen heilsam zu befruchten.
Wohlgemerkt
Betrachtung an sich ist kein Problem, sondern wesentliches Mittel der Erkenntnis. Problematisch ist die bewertende Einordnung des Erkannten in Denkschablonen, die anderenorts weitere Erkenntnis behindern.Betrachtung schafft jedoch Distanz. Wer sich herausbewegt, bewegt sich auf den anderen zu; oder von ihm weg. Der reine Betrachter steht abseits weltlicher Wogen. Übertreibt man das Intellektualisieren daher, begnügt man sich also damit, sich alles bloß zu erklären und einzuordnen statt gefühlvoll mitzuschwingen, wird der Kontakt zum Anderen unlebendig.
Mariannes Hund ist gestorben. Marianne heult sich die Augen aus. Holger hält ihr einen Vortrag über die emotionale Bedeutung von Haustieren für ihre Besitzer.
Das führt genau zum Gegenteil: Konfliktspannung wird aufgestaut. Die vermeintliche Autonomie wird theoretisch. In seinem privaten Weltbild hat der Intellektualisierer alles im Griff. Tatsächlich wird er ständig von verleugneten Emotionen und einer entfremdeten Umwelt bedroht.
Eine Spielart der Intellektualisierung ist das Pathologisieren. Es ist in der Psychiatrie weit verbreitet. Beim Pathologisieren werden problematische Stimmungen, Gefühle und Verhaltensweisen als Krankheitssymptome interpretiert und in theoretische Denkmodelle eingeordnet.
Wie bei allen Abwehrmechanismen hängen Nutzen und Schaden des Pathologisierens von der jeweiligen Situation ab. Bei schwerkranken Menschen ist es oft das Beste, zur übermächtigen Symptomatik Abstand zu schaffen; indem man sie als Krankheit auffasst und damit als behandelbares Objekt. Zur vollständigen Heilung von Ängsten, Depressionen und Zwangserscheinungen ist es in einem zweiten Schritt aber ebenso oft nötig, das Symptom wieder als Ausdruck der eigenen Person zu betrachten; und nicht nur als lästigen Störfaktor, der einfach nur wegsoll.
Bei der Introjektion werden Werte, Normen, Sichtweisen oder Meinungen aus dem Umfeld übernommen.
Damit die Übernahme als Abwehrmechanismus gelten kann, sollten zwei Kriterien erfüllt sein:
Die Übernahme erfolgt unreflektiert, also ohne geistige Auseinandersetzung mit dem Inhalt um ihn gegebenenfalls individuell anzupassen.
Introjektion spielt eine große Rolle bei der Festigung von Gruppenzugehörigkeiten. Viele Kulturen fördern gezielt die Introjektion ihrer Wertvorstellungen durch andere, vor allem durch Kinder. Introjektionsfördernde Maßnahmen gelten als wesentliche Elemente gängiger Erziehung. Auch Subkulturen werden durch Introjektion stabilisiert.
Psychodynamisch ist die Introjektion mit der Identifikation mit dem Aggressor verwandt. Je freiwilliger übernommen wird, desto eher spräche man vom erstgenannten, je unmittelbarer Druck von außen ausgeübt wird, vom zweiten Mechanismus.
Konfluenz (lateinisch com = zusammen und fluere = fließen) mit dem Umfeld dient der Vermeidung gefürchteter Konflikte und zur Abwehr des Unbehagens, das erkennbares Anderssein nach sich ziehen kann.
Mystische Identifikation oder Konfluenz
Bei der mystischen Identifikation wird die Verflochtenheit mit dem Kontext anerkannt. Bei der Konfluenz wird ein Verfließen mit dem Umfeld angestrebt. Das Erste dient der Überschreitung des Ego, das Zweite seiner Festigung. Bei der Konfluenz schützt sich das Ego durch die Tarnkappe der Gleichheit. Bei der mystischen Identifikation verzichtet das Selbst auf den Anspruch, als besonderes Ego zu gelten.
Menschen, die übereifrig Erscheinungsformen, Konventionen und Rituale des Umfelds übernehmen, sichern ihre Zugehörigkeit zum Preis eines abgeschwächten Ausdrucks ihrer Individualität ab.
Hendrik verstand zwar nicht, worum es ging, als aber alle lachten, lachte auch er. Er wollte den Eindruck vermeiden, dass er keine Ahnung vom Thema hatte... und er folglich nicht dazugehörte.
Zwei Tage nachdem sie das Wort implementieren aus dem Mund eines Prominenten gehört hatte, hatte Silvia den Begriff bereits vier Mal verwendet.
Konfluenzphänomene finden sich....
Auch Konfluenz gehört zur normalen Dynamik sozialer Gruppen. Sie ist thematisch eng mit der Introjektion und der Identifikation mit dem Aggressor verwandt. Das Umfeld wird als schützender Rahmen gedeutet, in den man durch optimale Angleichung einzutauchen versucht. Während kognitive Muster bei der Introjektion verinnerlicht werden, mag es bei der Konfluenz bei einer oberflächlichen Anpassung an Erscheinungsformen bleiben. Auch die Identifikation mit dem Aggressor kann tief vollzogen werden oder bloße Taktik sein.
Erst wenn der Impuls zur Anpassung an das Umfeld überwertig wird, ist der Mechanismus pathologisch. Böse Zungen bezeichnen Menschen mit einer Vorliebe für konfluente Muster als Normopathen.
Konversion und Dissoziation sind nicht dasselbe. Oft treten sie aber gemeinsam auf. Bei der Dissoziation werden einzelne Modi der Selbstwahrnehmung oder -steuerung aus dem Zusammenhang des Ich-Bewusstseins abgespalten.
Modi, die dissoziieren können
Konversion bezeichnet den Ausdruck der abgespaltenen Inhalte durch symbolhafte Fehlfunktionen der motorischen, sensiblen oder sensorischen Systeme. Das Symptom drückt dann jenen Bewusstseinsinhalt aus, den der Patient bewusst nicht als Element seiner selbst akzeptiert. Zur klassischen Symptomatik der Konversionsstörung gehören:
Von den Konversionsstörungen sind die Somatisierungsstörungen abzugrenzen. Dabei beeinflusst der psychische Inhalt nicht die Funktion der Willkürmotorik, der Sinnesorgane oder der Oberflächensensibilität, sondern die Funktionen des vegetativen Nervensystems und damit die Funktionen innerer Organe.
Bei der Projektion werden eigene Impulse und Eigenschaften, die man nicht wahrhaben will, anderen zugeschrieben. Projektionen erkennt man oft an der Pauschalität ihrer Urteile.
Was Projektionen begünstigt
Projektionen setzen Distanz voraus: Am leichtesten projiziert man auf das, was man am wenigsten kennt. Projektionen setzen fehlendes Selbstbewusstsein voraus: Am meisten empört man sich über die Laster derer, deren Laster man unerkannt in sich trägt.
Durch Projektion vermindert man Konflikte, die man mit sich selber hat. Das Bild von sich selbst bleibt übersichtlich und widerspruchsfrei. Die Wahrnehmung anderer wird jedoch verzerrt. Da man Impulse, die man nicht wahrhaben will, als schlecht bezeichnet, führt Projektion regelhaft zur Herabsetzung anderer... und begünstigt damit Feindseligkeit.
Der Berg ruft.
Offensichtlicher kann Projektion nicht sein.
Milde Formen der Projektion sind weit verbreitet. Nur durch umfassende Selbsterkenntnis kann man projektive Muster vollends hinter sich lassen. Die Übergänge vom Normalverhalten zur paranoiden Persönlichkeit und zum Verfolgungswahn sind fließend.
Zum Verständnis der Projektiven Identifikation macht es Sinn, sich die Situation eines Säuglings vor Augen zu halten. Ein Säugling ist auf sich gestellt nicht lebensfähig. Seine Existenz setzt die Übernahme wesentlicher Fürsorgefunktionen durch die Mutter voraus. Der Säugling vereinnahmt somit Funktionen, die der Entscheidungshoheit einer anderen Person zugeordnet sind. Man geht davon aus, dass sein Bewusstsein den Hunger und die nährende Brust der Mutter noch nicht zwei unterschiedlichen personalen Einheiten zuordnet. Der Säugling unterscheidet nicht zwischen Ich und Du.
Mit dem Auskeimen des Ich-Bewusstseins in der Frühkindheit beginnt die Psyche, die Unterscheidung zwischen Ich und Du mehr und mehr zu treffen. Es ist jedoch keinesfalls die Regel, dass der Erwachsene die Unterscheidung zwischen sich selbst und dem Anderen auf allen Ebenen vollständig vollzieht. Ohne sich dessen bewusst zu sein, neigt auch der normale Erwachsene dazu, die Erfüllung eigener psychischer Belange von anderen zu erwarten.
Die Aufgabe zur Erfüllung des Belangs wird auf den Anderen projiziert und gleichzeitig wird die ausgelagerte Funktion der eigenen Identität zugeordnet. Das Ich identifiziert sich mit einer bestimmten Funktion des Du.
Die Projektive Identifikation wird erkennbar, wenn der andere das gewünschte Verhalten unterlässt. Da sich die projizierende Person dann in ihrer Identität bedroht fühlt, reagiert sie mit Wut oder Verzweiflung. Typisch ist, dass die projizierende Person versucht, das erwartete Verhalten beim anderen zu bewirken. Entweder übt sie unmittelbaren Druck aus oder sie verhält sich so, dass ihr Verhalten genau jene Gefühle und Impulse im anderen auslöst, die das erwartete Verhalten anstoßen.
Nicht immer handelt es sich beim erwarteten Verhalten um positive Zuwendung. Auch der Impuls, sich zu kritisieren, zu verachten oder herabzusetzen, kann bei sich selbst verleugnet, dem Gegenüber zugeordnet und schließlich durch ein entsprechendes Verhalten provoziert werden.
Projektive Des-Identifikation ist ein Abwehrmechanismus, der meist nicht als solcher erkannt wird. Er gehört zur normalen Psychodynamik; wobei normal wohlgemerkt nicht dasselbe wie gesund bedeutet. Er wird von den meisten Menschen als inhaltlich stimmige Deutung interaktiver Prozesse hingenommen.
Projektive Des-Identifikation und Projektive Identifikation gehen fließend ineinander über. Trotzdem sind es zwei psychische Manöver, die sich voneinander unterscheiden. Die Unterscheidung verbessert das Verständnis dessen, was bei vielen Konflikten vor sich geht.
Während bei der Projektiven Identifikation eine Ich-Funktion des Anderen für eigene psychische Belange vereinnahmt wird, kommt es bei der Des-Identifikation zu einem gegenläufigen Vorgang: Die Urheberschaft eines eigenen innerseelischen Vorgangs wird dem Anderen zugeordnet.
Ein Beispiel macht den Vorgang deutlich:
Klarheit oder Verstrickung
Die Ich-Grenze ist... | ||
Klar | oder | Verwischt |
Meine Frau ist fremdgegangen. Dafür ist sie verantwortlich. Wut und Eifersucht sind aber meine Reaktion auf das Ereignis. Für meine Reaktionen bin ich selbst verantwortlich. | Meine Frau ist fremdgegangen. Sie hat mich dadurch wütend gemacht. Sie ist also auch für meine Reaktion verantwortlich. |
Zwei Aspekte einer alltäglichen...
Ich-Grenzen-Störung | ||
Projektive Des-Identifikation | und | Projektive Identifikation |
Meine Frau hat mich wütend gemacht, indem sie fremdging. | Indem sie treu bleibt, erfüllt meine Frau ihre Verantwortung für mein Wohlergehen. | |
Sie ist die Urheberin meiner Wut. Wenn ich sie aus der Wut heraus schlage, bin ich nicht dafür verantwortlich, weil sie selbst die Wut verursacht hat. | Wenn sie fremdgeht, erfüllt sie ihre Aufgabe nicht. | |
Die Verantwortung für Gefühl und Tat verschiebe ich durch Projektion auf mein Gegenüber. Ich des-identifiziere mich von der Urheberschaft meiner eigenen Reaktion. | Das Gegenüber wird für eine Ich-Funktion vereinnahmt. Ich identifiziere einen Teil des Anderen als einen Teil meiner selbst. | |
Einen Teil meiner selbst ordne ich dem Anderen zu. | Einen Teil des Anderen ordne ich mir selbst zu. |
Die Abgabe der Verantwortung für eigene Gefühle und Impulse durch Des-Identifikation von der Rolle als Verursacher und Zuschreibung der Urheberschaft an Andere oder missliche Umstände ist in der Normalpsychologie verbreitet. Viele stimmen Roman spontan zu, wenn er Simone für seine Eifersucht verantwortlich macht. Tatsächlich ist es aber er, der bewusst oder unbewusst über seine Reaktionen entscheidet.
Nur wenn es die Zielsetzung von Simones Untreue gewesen ist, Roman eifersüchtig zu machen, ist sie tatsächlich die Urheberin seiner Eifersucht. Wollte sie sich aber bloß ein heimliches Schäferstündchen mit Bernd gönnen, liegt die entscheidende Urheberschaft der Eifersucht nicht in ihrem Verhalten, sondern in Romans Verlustangst und seiner Erwartung, dass Simone treu zu sein hat.
Seine Wut ist dann kein Schaden, der ihn passiv von außen trifft, sondern ein Werkzeug, das er einsetzt, um zukünftig Simones Treue zu erzwingen oder um sich selbst gegen das Gefühl des Ungeliebtseins abzuschirmen.
Wir sprechen von emotionalen Reaktionen. Nur selten ist uns dabei klar, dass eine Aktion kein passives Bestimmtsein, sondern selbst dann eine eigenverantwortliche Handlung ist, wenn sie auf Ereignisse re-agiert. Passiv ist der Reagierende allenfalls gegenüber den Mustern, denen er die Steuerung seines Verhaltens überlässt.
Ein zweites Beispiel verdeutlicht einen weiteren Aspekt des Abwehrmusters: Die egozentrische Struktur des Weltbilds.
Nein, die Schnecken im Beet machen mich nicht ärgerlich. Was die Schnecken tatsächlich machen, ist Erdbeeren zu fressen. Die Ursache meines Ärgers liegt in mir selbst. Es ist mein Anspruch, dass die Natur mir ihre Früchte zur Verfügung stellt, ohne dass ich dafür Steuern an sie zahlen muss.
Zuordnung von Urheberschaft und egozentrisches Weltbild
Die Schnecken sind nicht für meinen Ärger verantwortlich; weil es keine Zielsetzung der Schnecken ist, mich zu ärgern. Im Gegenteil, wahrscheinlich wäre es ihnen lieber, wenn ich über ihre Besuche erfreut wäre.
Ich sage: Die Schnecken machen mich ärgerlich; obwohl sie nichts anderes tun, als sich zu ernähren. Das belegt, wie egozentrisch mein Weltbild ist. Ich deute Ereignisse um mich herum als auf mich ausgerichtet, obwohl sie auf meine Existenz nicht angewiesen sind.
Die Übernahme der Verantwortung für die eigenen seelischen Prozesse ist unverzichtbarer Baustein eines selbstbestimmten Lebens. Wer seine emotionalen Reaktionen konsequent als selbstbestimmtes Handeln deutet, kann sich von einer Menge "Fremdbestimmtheit" lösen. Er verbessert die Chance, dass er aus der Verstrickung heraus geboren wird.
Projektive Abwehrmuster im Überblick
Name | Extern zugeordnet wird... | Beispiel |
Projektion | ein Gefühl, ein Impuls oder eine Eigenschaft | Ich bin nicht neidisch. Du bist es. |
Projektive Identifikation | die Zuständigkeit für die Erfüllung eines Bedürfnisses | Die anderen müssen mich loben, damit ich mich wertvoll fühle. |
Projektive Des-Identifikation | die Urheberschaft für ein unangenehmes Gefühl oder ein Unvermögen | Meine Eltern sind schuld an meiner Schüchternheit. |
Bei der Rationalisierung werden Handlungsweisen, die von unbewussten Impulsen angestoßen wurden, nachträglich rational erklärt. Der Rationalisierer gaukelt sich selbst und anderen vor, überlegt zu handeln, obwohl er tatsächlich blind Impulsen folgt. Dadurch stabilisiert er sein Selbstwertgefühl.
Rosemarie trinkt nach dem Essen einen Magenbitter; oder auch zwei. Angeblich will sie damit die Verdauung der Nahrungsfette stimulieren. Tatsächlich ist sie angespannt und setzt den Alkohol ein, um im Gespräch mit Holger locker drauf zu sein.
Als er zuhause ankommt, hat Roland den Streit mit Frau Schnepfenkötter aus der Warenannahme vergessen. Im Garten räuchert er ein Hornissennest aus... weil er die Nachbarskinder vor Insektenstichen schützen will.
Klingt harmlos - kann übel enden
Es ist nicht so, dass man Rationalisierungen verwendet, weil man ein Freund der Vernunft wäre. Im Gegenteil: Zumeist benutzt man sie nicht der Vernunft zuliebe, sondern um ein besseres Licht auf sich zu werfen. Wohl jeder hat schon rationalisiert. Sobald man etwas getan hat, was nicht klug war, oder gar unrecht, setzt das Hirn ein, um solange gute Gründe zu suchen, die die Schuld abmildern oder die Dummheit klug erscheinen lassen, bis die passenden Argumente gefunden sind.
Wenn man es nicht übertreibt, betrachtet das Leben den Missbrauch des Verstandes, den man beim Rationalisieren begeht, als Kavaliersdelikt; und belässt es bei kleineren Strafen. Millionen unglücklicher Menschen bevölkern jedoch die Erde, die ihren Verstand so umfassend missbrauchen, dass ihr Leben schwer belastet wird.
Auch wenn der Begriff Rationalisierung harmlos, ja fast schon positiv klingt, kann sie zerstörerisch sein; denn nur wer seine Fehler nicht schönredet, hat die Chance daraus zu lernen. Wer im Nachhinein stets gute Gründe findet, die ihm Gefälligkeitsdienste leisten, den führen seine Gründe in den Abgrund.
Ein folgenreiches Anwendungsgebiet der Rationalisierung ist die Politik. Ich bin etwas Besonderes. Ich kann etwas lenken. Ich schreibe anderen etwas vor. Ich habe Macht. Das sind vier Vorstellungsbilder, die im Bündel auftreten und viele derart verlocken, dass sie den Weg in die Parteipolitik wählen. Angekommen an den Hebeln der Macht, setzen sie diese in Bewegung. Am laufenden Band werden Gesetze und Vorschriften erlassen. Und das alles aus gutem Grund!
Hat man aber jemals von einem Gesetzgeber das Eingeständnis gehört, die Vorschrift, die er anderen macht, sei nicht rational begründet, sondern befriedige das Bedürfnis des Vorschriftenmachers, sich durch das Erlebnis der Bevormundung anderer aufgewertet zu fühlen? Hat man nicht! Nach unbestätigten Expertenschätzungen dienen 2/3 aller Gesetzestexte aber genau diesem Zweck. Würde das Rationalisieren in der Politik beendet, könnten die Politiker sich zum größten Teil wegrationalisieren. Ein riesiges Potential an Arbeitskräften käme auf die Altenpflege zu.
Bei der Reaktionsbildung wird ein Impuls, den man fürchtet, durch gegenläufiges Verhalten überdeckt.
Wie bei anderen Abwehrmechanismen gibt es auch hier fließende Übergänge zwischen bewusster Absicht und automatisierter Gewohnheit. Wenn man Impulse beharrlich durch ihr Gegenteil überdeckt, verdrängt man sie ins Unbewusste. Der Freundliche weiß nichts mehr von seiner Wut, der Kühle nichts mehr von seiner Lust und der Fromme nichts mehr von seiner Bosheit.
Ein mühsamer Abwehrmechanismus ist die Rechtfertigung. Oft hat sie rationalisierende Muster im Marschgepäck. Wer sich rechtfertigt, versucht sich Wertschätzung zu sichern, obwohl er Erwartungen nicht erfüllt.
Durch Rechtfertigung kämpft man gegen Zweifel an Entscheidungen und die Angst, dass eine Entscheidung schmerzhafte Konsequenzen hat. Statt Zweifel und Angst durch rechtfertigende Argumente abzuwehren, könnte man sie als Preis der Freiheit ohne wenn und aber akzeptieren.
Durch Rechtfertigung versucht man sich der Verantwortung für eigene Taten zu entziehen. Wenn es nämlich nur eine richtige Entscheidung gäbe, trüge man keine Verantwortung, wenn man sie wählt; denn dann hätte Jennifer kein Recht dazu, Juliane überhaupt böse zu sein und Juliane könnte beruhigt einschlafen. Tatsächlich ist es aber so, dass es zwei richtige Möglichkeiten gibt: auf Dennis aufzupassen oder es nicht zu tun. Im besagten Fall ist es nicht möglich, objektiv zu entscheiden, was richtiger wäre.
Anders liegt der Fall, wenn ich den Elektroherd eines Freundes ans Stromnetz anschließe. Da gibt es nur eine richtige Möglichkeit. Wähle ich sie, trage ich keine Verantwortung, wenn es hinterher nicht klappt.
Unter Regression (lateinisch: re-gredi = zurückgehen) versteht man den Rückgriff auf kindliche Verhaltensmuster. Dazu gehören grundsätzlich alle Verhaltensweisen, die es erlauben, von der Frontlinie des zweckgerichteten Handelns zurückzutreten und sich zweckfreien Daseinsformen hinzugeben.
Regressive Muster
Zum gesunden Leben gehört ein Wechselspiel zwischen lösungsorientierter Progression und zweckfreier Regression. Erst wenn man ausschließlich regressive Muster nutzt und der Frontlinie damit zum eigenen Schaden beharrlich ausweicht, wird Regression problematisch.
Problematisch ist aber auch, wenn man nicht genügend regrediert; zum Beispiel aus mangelndem Grundvertrauen in den Gang der Dinge oder weil man die eigene Person zu wichtig nimmt. Wenn ich nicht ständig aufpasse und alles selbst mache, kann es nur schiefgehen. So sehen es viele.
Das kann zur Überaktivierung des Organismus und psychosomatischen Erkrankungen führen. Zu nennen sind Bluthochdruck, Verspannungen der Rücken- und Halsmuskulatur sowie Spannungskopfschmerzen.
Eine Spielart regressiver Muster ist die Abtretung des Aggressionsausdrucks. Der regressive Partner verzichtet darauf, mit defensiver oder offensiver Aggressivität zu handeln. Derlei Aufgaben überlässt er einem geeigneten Partner.
Als intellektuelle Regression kann ein Phänomen bezeichnet werden, das besonders dort auftritt, wo Argumente der Vertretung parteiischer Interessen dienen. Obwohl die Meinungsvertreter im klinischen Sinne nicht als minderbegabt einzustufen sind, regredieren sie bei der Einschätzung komplexer Sachverhalte auf ein altersinadäquates Reflektionsniveau. Selbst Zusammenhänge, die eigentlich mühelos zu erkennen sind, nehmen sie nicht zur Kenntnis, sobald sie ihren Sichtweisen widersprechen.
Probleme, die man nicht zur Kenntnis nimmt, können auch keine Sorgen machen. Zumindest vorerst.
Der Vorgang ist als Abwehrmechanismus zu bezeichnen, wenn das Weltbild, das der regressiven Vereinfachung entspringt, der kognitiven Abschirmung gegen beunruhigende Aspekte der Wirklichkeit dient. Er ist überall dort zu beobachten, wo komplexes Denken Entscheidungen in Frage stellen könnte, die der Vereinfacher zu seinen Gunsten treffen möchte. Die intellektuelle Regression kann als Werkzeug der Verleugnung betrachtet werden. Umgangssprachlich heißt es dann: Er stellt sich dumm.
Ein weiterer Abwehrmechanismus, der nur selten als solcher eingestuft wird, ist die Ideologisierung des Weltbilds. Wer seine Heimat und Hoffnung im vereinfachten Vorstellungshorizont einer geschlossenen Weltanschauung gefunden hat, neigt dazu, das heimatliche Dorf im Kopf zu idealisieren und es, da Ideales keiner Verbesserung bedarf, gegen fremde Ideen und Einflüsse abzuschirmen.
Ich bau mir meine Welt...
... wie sie mir gefällt. So singt fröhlich Pippi Langstrumpf. Während es kaum Schwierigkeiten macht, die Fensterläden einer Villa Kunterbunt lila zu streichen, damit die Welt im Kleinen so wird, wie sie einem guttut, leistet die Wirklichkeit als Ganzes vereinfachten Umbauplänen aber so viel Widerstand, dass der Idealismus kindlicher Gemüter nur selten Ideales, umso öfter jedoch Probleme und zuweilen sogar Katastrophen nach sich zieht.
Die Ideologisierung des Weltbilds kann als weitere Variante der Regression eingestuft werden, obwohl ihre Anwender in einem zweiten Schritt aus ihren jeweiligen Weltanschauungen heraus hochgradig progressiv oder gar fremdgefährdend handeln können. Zwischen der Ideologisierung und der intellektuellen Regression bestehen enge Verbindungen. Falls nicht von vornherein eine Fixierung auf kindlich naive Vorstellungswelten besteht, kommt es sekundär zu einem regressiven Rückzug auf einfache Muster. Für Ideologisierungen des Weltbilds sind junge Menschen besonders anfällig, falls sie beim Übergang ins Erwachsenenleben durch dessen Herausforderungen und Vieldeutigkeiten verunsichert werden. Aber auch hier gilt: Alter schützt vor Torheit nicht.
Zwischen Somatisierung und Konversion gibt es Parallelen. Bei beiden Mustern werden psychische Inhalte nicht bewusst wahrgenommen. Stattdessen wirken sie sich auf körperlicher Ebene (griech.: soma [σωμα] = Körper) aus. Während man den Ausdruck seelischer Konflikte über das motorische, sensible und sensorische Nervensystem als Konversion bezeichnet, wird der entsprechende Ausdruck über das vegetative Nervensystem Somatisierung genannt.
Resultat solcher Somatisierungen sind funktionelle Symptomenkomplexe, die sich um einzelne Organsysteme gruppieren. Zu den klassischen Symptomenkomplexen, als deren Ursache man Somatisierungen vermutet, gehören:
Spaltung ist ein früher Mechanismus im Umgang mit der Welt. Der Säugling unterteilt die Wirklichkeit in ein grobes Raster: gut oder schlecht bzw. böse.
Das Raster passt in ein liebevolles Elternhaus. Milch und Liebe akzeptiert das Kind bedenkenlos, gegen Hunger, volle Windeln und elterliches Desinteresse schreit es an.
Im Laufe der Entwicklung erkennt das Kind, dass vieles nicht entweder gut oder schlecht ist, sondern beide Facetten in sich trägt; je nach der Perspektive, aus der man es betrachtet. Es erkennt, dass manches gut sein kann, obwohl es zunächst schmerzt oder Mühe macht: zum Beispiel laufen zu lernen oder Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Und es erkennt, dass manches durchwachsen ist, was zunächst als ungetrübt gut erschien. Das gilt besonders für komplexe Aspekte der Realität, wie das eigene Ich, andere Personen oder gesellschaftliche Verhältnisse.
Bekommt das Kind genug Zuwendung, entwickelt es den Mut, Hindernisse anzugehen und sich Zwiespältigem zu stellen. Bekommt es zu wenig, ist die Gefahr groß, dass es eine von zwei pathogenen Haltungen entwickelt:
So wird der Reifungsschritt von passiver Erwartung und polarisierender Spaltung zu Tatkraft und differenzierter Wahrnehmung behindert. Der Lebensweg wird durch die Beibehaltung von Spaltungen als Organisationsprinzip des Weltbilds erheblich erschwert. Es kommt zu...
Sublimation (lat: sublimare = in die Höhe heben, veredeln) gilt als der reifste Abwehrmechanismus. Ihm ist laut Freud die Kultur zu verdanken. Impulse, die an Hindernissen scheitern, werden nicht bloß verdrängt, sondern zur Erlangung von Höherwertigem genutzt.
Sublimiert werden meist sexuelle oder aggressive Impulse, deren Umsetzung gefährlich werden könnte. Obwohl Sublimation ein kreativer Weg im Umgang mit frustrierten Bedürfnissen ist, kann auch sie krank machen...
Mozart, Muse und Musik
Wenn es stimmt, was sich die Nachwelt darüber erzählt, war die Ehe von Constanze und Wolfgang Amadeus Mozart äußerst sinnenfroh: Ein schöner Beleg dafür, dass die Kultur nicht zwingend auf die Enttäuschung jener Triebe angewiesen ist, die die Natur dem Menschen in die Wiege legte, als der Begriff Sublimation noch kein Kulturgut war.
So stimmt es zwar, dass Kulturschaffende oft unglücklich sind, weil ihnen die Erfüllung ursprünglicher Wünsche misslingt, Freud war jedoch zu pessimistisch. Wenn Rüdiger den Mut hat, Adelheid zu rauben, kann er durchaus ein Liebhaber sein, der Adelheid nicht nur durch Tatkraft beglückt, sondern das Glück nach geglückter Erfüllung im Lied besingt.
Das Ungeschehenmachen kommt gehäuft bei Zwangsstörungen vor. Es ist aber auch im Rahmen der Normalpsychologie verbreitet. Grundmotiv des Ungeschehenmachens sind moralische oder ethische Bedenken und die Furcht, durch ein bestimmtes Handeln, Denken oder Fühlen das eigene oder das Wohl anderer gefährdet zu haben. Um die Gefahr zu bannen, wird ihr durch ein Sühne-, Vermeidungs- oder Reinigungsverhalten begegnet. Dabei handelt es sich entweder um beliebige Rituale oder um ein Verhalten, das Schuld tatsächlich ausgleicht.
Eng verwandt mit dem Ungeschehenmachen sind Zwangshandlungen sowie Vermeidungs- oder Reinigungsrituale, deren Ziel es nicht ist, bereits entstandene Schuld wiedergutzumachen, sondern künftigen Schaden zu verhindern. Der befürchtete Schaden kann dabei von eigener Schuld als auch von äußeren Gefahren ausgehen.
Erfolgt das Ungeschehenmachen durch bloße Rituale, sind damit oft magische Vorstellungen verbunden. Zur Tragik schwerer Zwangsstörungen gehört jedoch, dass der Glaube an die magische Macht des Rituals nicht lange anhält. Dann kommt die Schuldangst wieder hoch und das Ritual muss immer wieder ausgeführt werden.
Verdrängung ist ein psychodynamisches Phänomen, das unerwünschte Inhalte aus dem Bewusstsein ausblendet oder eigentlich bewusstseinsfähige Gedächtnisinhalte daran hindert, wieder erinnert zu werden.
Sprachgeschichtlich gehört der Begriff Verdrängung zum Verb (ein)-dringen, das seinerseits der Wurzelform ter[ə] = drehen, bohren entspringt. Praktisch vollzogen wird die Verdrängung, indem man sich solange Angenehmem zuwendet bis das Unangenehme im Bewusstsein keinen Platz mehr hat.
Drei Varianten des Gedächtnisverlusts
Variante | Grundmuster | Einordnung | Selektivität |
Banales Vergessen | Löschung von Gedächtnisinhalten wegen fehlender Bedeutung | physiologisch sinnvolle Ökonomie der Gedächtnisfunktion |
gemäß aktueller Relevanz |
Verdrängung | motiviertes Ausblenden von Inhalten zwecks Vermeidung unangenehmer Erlebnisweisen | psychodynamisch Steuerung von Selbstbild und Befinden |
gemäß Vorliebe und Abneigung |
Amnesie | Gedächtnisverlust aufgrund organischer Veränderungen des Zentralnervensystems, betrifft vorwiegend Inhalte des Kurzzeitgedächtnisses | organpathologisch rein defizitär z.B.: demenziell, nach Hirntrauma oder Alkoholexzess |
keine |
Verdrängt werden nicht nur einzelne Inhalte, sondern komplette Strebungen oder Impulse. So neigen Menschen mit depressiv strukturierten Persönlichkeitsmustern dazu, Impulse autonomer Selbstbehauptung zu verdrängen, da sie ihren altruistischen Dienst an den Bedürfnissen anderer gefährden.
Ich will wirklich keine Hähnchenkeule. Ein Scheibchen Knäckebrot ist für mich mehr als genug.
Genauso verdrängt der Depressive, dass seine Dienstbereitschaft auch egoistischen, also "bösen" Zielen dienen könnte: sich nämlich beliebt zu machen und daraus Vorteile zu ziehen. Eigentlich ist der Dienst des Depressiven daher pseudo-altruistisch. Er dient nur beiläufig den Interessen anderer; oder gar nicht. Tatsächlich dient er der Verdrängung jenes Persönlichkeitspotenzials, durch das sich der Depressive unbeliebt machen könnte.
Vom Annehmen und Ablehnen des Unangenehmen
Eine Eigenschaft teilt alles Verdrängte: Sich seiner bewusst zu sein, ist unangenehm. Fragt man daher, wie Verdrängung zu Stande kommt und warum die einen es häufig tun und andere nur selten, erkennt man, dass Verdrängung mit Sichtweisen auf das Leben zusammenhängt. Wer glaubt, man komme am besten durchs Leben, indem man Unangenehmes vermeidet, wird es bereitwillig verdrängen. Wer glaubt, es sei besser, sich Unangenehmem zu stellen, verdrängt es nicht.
Der Verdrängung zum Opfer fallen nicht nur Impulse autonomer Selbstbehauptung, sondern auch Bedürfnisse nach Zugehörigkeit; zum Beispiel in der Manie sowie bei narzisstischen oder paranoiden Persönlichkeitsstörungen.
Verdrängung oder Dissoziation
Sobald psychologische Begriffe das Licht der Welt erblicken, wird darum gefochten, wie sie zu definieren sind. Das gilt auch für Abwehrmechanismen.
Das gemeinsame Resultat von Verdrängung und Dissoziation ist die Ausblendung potenzieller Bewusstseinsinhalte aus dem Bewusstseinsfeld. Obwohl das Resultat sehr ähnlich ist, macht eine Unterscheidung Sinn. Hier wird folgende vorgeschlagen:
Bei der Verdrängung wird der Inhalt nachträglich ausgeblendet, nachdem er zumindest eine gewisse Bewusstheit erreicht hatte.
Bei der Dissoziation wird der Inhalt sofort ausgeblendet; also im Moment der im Grundsatz bewusstseinsfähigen Erfahrung selbst.
Zu vermuten ist, dass die dissoziative Ausblendung eher zum Zuge kommt, wenn der potenzielle Bewusstseinsinhalt für das bisherige Selbstbild besonders bedrohlich erscheint; zum Beispiel bei wuchtigen seelischen Traumata. Während Verdrängung schleichend unbewusst zustande kommt oder bewusst betrieben wird, z.B. durch mutwilliges Ignorieren von Fakten oder gezielte Ablenkung vom unerwünschten Thema, entsteht Dissoziation reflexartig unbewusst.
Therapeutisch kann den pathologischen Folgen beider Mechanismen abgeholfen werden, indem man die ausgeblendeten Inhalte ins Bewusstsein zurückführt.
Ein Kriterium bedarf der Erwähnung: Unangenehme Inhalte aus dem Bewusstsein auszublenden, ist kein grundsätzlich pathogenes Abwehrmanöver. Es gibt so viel Unerfreuliches auf der Welt. Sich ständig damit zu befassen, macht keinen Sinn. Unangenehmes auszublenden, auf das man keinen Einfluss hat, ist vielmehr Voraussetzung dafür, sich Dingen zuwenden zu können, die man beeinflussen kann. Nur Inhalte, auf die man kreativ reagieren müsste, um Nachteile zu vermeiden, werden daher im psychiatrisch definierten Wortsinn verdrängt.
Unterschiede
Ein verleugneter Inhalt ist bewusstseinsnah.Ein verdrängter Inhalt ist dem Bewusstsein entfallen, kann aber bewusst gemacht werden.
Ein vergessener Inhalt ist auf Dauer verloren.Bei der Verleugnung werden Tatsachen oder deren Bedeutung bei der Konstruktion eigener Sichtweisen ignoriert. Oder sie werden bei der Kommunikation mit dem Umfeld nicht eingestanden. Dabei kann es sich um persönliches Erleben oder um sachliche Zusammenhänge handeln, deren Eingeständnis das persönliche Erleben in unerwünschter Weise zu verändern droht.
Verharmlosung
Wo von Verdrängung und Verleugnung die Rede ist, fällt der Begriff Verharmlosung ein: zu Recht. Harm ist der altgermanische Begriff für Kummer und Qual. Er wird auf die indoeuropäische Wurzel kormo-s = Qual, Schmach, Schande zurückgeführt und ist mit dem persischen scharm [شرم] = Scham verwandt. Verharmlosung verkleinert Aspekte der Wirklichkeit, die zu Kummer, Scham oder Schande Anlass geben könnten. Sie bedient daher das Kernmotiv aller Abwehrmechanismen und kommt in sämtlichen Lebensbereichen zur Anwendung:
Verschiebung ist ein weiteres Werkzeug der Psyche. Meist dient sie dazu, zwiespältig erlebte Beziehungen zu sichern. Gefühle, Impulse und Phantasien, die die Beziehung gefährden könnten, werden nicht mehr der Beziehung zugeordnet, sondern auf ungefährliche Bereiche verschoben.
Verschiebung und Phobie
Verschiebung kommt auch bei der Entstehung von Phobien vor.
Eine Spinnenphobie verschlüsselt oft Ängste und Aggressionen, die sich auf Bezugspersonen beziehen, von denen man sich vereinnahmt und gefesselt fühlt.
Bei der Höhenangst kann man fragen, ob sich der Betroffene fürchtet, mit einer Bezugsperson um Rang und Position zu konkurrieren; oder überhaupt aus der Anonymität einer Gruppe herauszuragen.
Der Klaustrophobe fühlt sich womöglich von Personen beengt, auf deren Schutz er nicht verzichten will; oder von eigenen Denkmustern, von denen er nicht ablässt.
Um den Zusammenhalt zu festigen, werden Aggressionen zwischen Mitgliedern einer Interessensgruppe oft auf äußere Feinde verschoben. Der Gruppenfremde wird zum Objekt, gegen den sich aller Widerwille richtet. Dieser Mechanismus wirkt vor allem bei ideologisch definierten Gemeinschaften. Je eindeutiger eine Gruppierung ihre Mitglieder auf eine besondere Sichtweise verpflichtet und nahtlosen Zusammenhalt verlangt, desto mehr verschiebt sie Konflikte nach außen.
Grundregel
Wenn es ihm Nutzen verspricht, geht der seelisch Gesunde auf das zu, was er fürchtet. Er nimmt Angst in Kauf und überwindet sie. Bei ihm bleibt die Abwehr konstruktiv. Er nutzt die Werkzeuge um sich kontrolliert weiterzuentwickeln.
Der seelisch Kranke flieht vor dem, was er fürchtet. Er will Angst vermeiden. Seine Abwehr wird übermäßig defensiv. Weil er zurückweicht, spürt er den Impuls des Lebens in seinem Inneren als Gefahr. Um sich vor sich selbst zu schützen, versteift er sich noch mehr.
Drei psychische Erlebnisweisen werden in der Regel als Symptome aufgefasst: Depression, Zwang und Wahn. Entspringt ihr Auftreten keiner körperlichen Ursache, deutet man sie als Folgeerscheinungen einer misslungenen psychischen Dynamik. Dann können sie als komplexe Abwehrmechanismen verstanden werden, die nicht nur Endpunkte einer Ereigniskette sind, sondern ihrerseits Werkzeuge des Ego, um gefürchtete Aspekte der Wirklichkeit aus dem Bewusstsein zu entfernen.
Depressive Gefühle erleben wir meist aus der Sicht eines Opfers. Man sagt: Ich bin deprimiert (von lateinisch deprimere = niederdrücken). Tatsächlich ist das Niederdrücken aber eine Tätigkeit der Psyche. Deprimiert zu sein erfüllt eine Funktion, die man zwar unbewusst, aber trotzdem zielgerichtet ausführt. Man drückt unliebsame Impulse nieder, deren Auftauchen man noch mehr fürchtet als die Schwermut, die der Preis des Niederdrückens ist.
Zwangshandlungen und Zwangsrituale dienen der Abwehr von Ängsten. Sie bieten, wenn auch nur flüchtig, Schutz vor der Erkenntnis, dass man niemals im Leben vollständig über sich selbst verfügt.
Durch einen psychogenen Wahn wird die Wirklichkeit einer kosmetischen Operation unterzogen. Den Teil, den er partout nicht wahrhaben will, ersetzt der Wahnsinnige durch eine Deutung, die zu seinem Selbstbild passt.
Der Gebrauch von Abwehrmechanismen ist an sich nicht krankhaft. Erst wenn man sich auf einige wenige Muster beschränkt oder hauptsächlich solche benutzt, die einer unreifen psychologischen Entwicklungsstufe entsprechen, droht der Gebrauch der Abwehrmechanismen psychische Symptome hervorzurufen. Der stereotype Gebrauch bestimmter Muster deckt sich dann mit einer sogenannten Persönlichkeitsstörung.
Manche Abwehrmechanismen gelten als unreif, andere als reif. Eine genaue Aufteilung ist schwierig, weil der Wert eines Abwehrmechanismus auch von der Situation abhängt, in der er benutzt wird. Als reif gelten Sublimation und Antizipation (Situationskontrolle durch vorausschauendes Handeln). Als grundsätzlich reif kann auch der Humor gelten, zumindest wenn er sich verletzender Abwertungen enthält.
Zu den unreifen Mustern zählen Regression, Spaltung, Projektion oder Projektive (Des)-Identifikation. Es gibt jedoch viele Momente, zu denen Regression besser passt als alle reifen Manöver.
Bei der mystischen Identifikation setzt die Person ihr Selbst mit der Wirklichkeit gleich. Dadurch lockert sie den Bezug zu ihrem Ego kategorisch. In der Folge sinkt das Bedürfnis, das Selbstbild durch Abwehr erkennbarer Bewusstseinsinhalte entgegen der Wirklichkeit zu stabilisieren.
Wer aus der Perspektive einer mystischen Identifikation heraus die Welt betrachtet, hat die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Ich und Nicht-Ich aufgegeben. Da Abwehrmechanismen Strategien des Ich sind, um Gefahren auszuweichen, die vom vermeintlichen Nicht-Ich ausgehen, kann man nach einer solchen Identifikation Gefühle und Impulse ebenso unbefangen wahrnehmen, wie alle anderen Aspekte der Realität.
Glaube
Identifikation mit dem GanzenEinsicht
Des-Identifikation von den Teilen
Aus dieser Position heraus ist ein Altruismus möglich, der nicht wie bei der altruistischen Abtretung auf einer Verleugnung egozentrischer Impulse beruht, sondern auf deren Integration in ein ganzheitliches Weltbild.
Von der Abwehr und ihrem Ende
Die mystische Identifikation kann entweder ein reifer Abwehrmechanismus sein, oder der Anfang vom Ende der Abwehr selbst. Sie ist Abwehrmechanismus, wenn die Identität des eigenen Wesenskerns und der Wirklichkeit nur ein gedankliches Konzept bleibt, an das man glaubt.
Sie läutet das Ende der Abwehr ein, wenn die Identität durch Introspektion eingesehen wird, sodass sich das Ich aus der Identifikation mit dem Ego löst und dem Leben in der Folge aus dem Selbst heraus begegnet. Der Weg dorthin ist die mystische Des-Identifikation aus der Gleichsetzung des Ich mit objektivierbaren Teilaspekten der Realität.
Der Übergang von der mystischen Identifikation, also dem Glauben, zur mystischen Des-Identifikation, also der Einsicht, wird im Regelfall nur durch beharrliche Selbsterkenntnis und konsequentes Loslassen aller entdeckten Inhalte vonstattengehen.