Langeweile


  1. Begriffsbestimmung
    1. 1.1. Weil
    2. 1.1. Quitt
  2. Zusammenhang und Sinnverlust
  3. Ablenkung oder Sinngebung
    1. 3.1. Kurzweiliges
      1. 3.1.1. Nützliches
      2. 3.1.2. Spannendes
      3. 3.1.3. Amüsantes
      4. 3.1.4. Beruhigendes
      5. 3.1.5. Verbindendes
      6. 3.1.6. Erweiterndes
      7. 3.1.7. Bestätigendes
  4. Leere, Langeweile und Erfahrung
  5. Gesundheitliche Risiken
    1. 5.1. Bore-out-Syndrom
  6. Ergänzungen
Langeweile ist ein Unruhezustand, der das eigentliche Wesen des Verweilens nicht erfüllt. Er kann behoben werden, indem man etwas tut oder etwas sieht.

Je mehr man den Blick auf das Jetzt bündelt, desto weniger Platz bleibt für Langeweile übrig. Das Jetzt ist so kurz, dass dort keine Weile lang sein kann. Nutze den Tag! So lautet ein Rat aus alter Zeit. Er ist auch heute gültig.

1. Begriffsbestimmung

Eine Weile ist ein Zeitraum. Der Begriff geht auf die indogerma­nische Wurzel kei̯ǝ mit der Bedeutung ruhen zurück.

Nur mal nebenbei bemerkt

Der Wikipedia-Seite über das Internationale Phonetische Alphabet ist zu entnehmen, dass das hochgestellte u mit kombinierendem umgekehrtem untergesetztem Breve bedeutet, dass es sich um ein nichtsilbisches Zeichen handelt. Das gibt uns zu denken, weil die Silbizität eines Lautes anzeigt, dass er einen Silbenkern bilden kann und somit als Sonant zu bezeichnen ist; was irgendetwas mit der Sonoritäts­klasse zu tun haben soll. Da der Autor trotz eingehenden Nachdenkens aber nicht versteht, was das heißt, bleibt es dem Leser überlassen, es herauszufinden. Falls Sie sich also langweilen und partout nichts mit sich anzufangen wissen, können Sie der Frage auf den Grund gehen.

So schnell kann man Langeweile überwinden. Es genügt, Unbekanntes zu erkunden. Da es das in unbegrenzter Menge gibt, ist das Leben zu kurz um lange unter Langeweile zu leiden. Wer es trotzdem tut, ist selbst dran schuld.

Derselben Wurzel entstammt das lateinische quiescere, ebenfalls in der Bedeutung des Ruhens. Eine Weile ist eigentlich ein Zeitraum, in dessen Verlauf man in sich ruht.

Langeweile wird aber keineswegs so erlebt, als ruhe man in sich; vielmehr als eine unbehagliche Ungeduld aus der man entkommen möchte. Um zu verstehen, warum das so ist, gilt es, die Verwandtschaft der Weile mit zwei anderen Begriffen zu betrachten: mit weil und quitt.

Wartezeit
Zeiträume erscheinen als lang, wenn man sie mit Warten verbringt. Auf etwas zu warten, richtet den Blick in die Zukunft aus... und damit weg von der Gegenwart. Im Zustand des Wartens wird der Zeitraum bis zum Eintreffen des Erwarteten als unnützes Hindernis erlebt, dessen Inhalte nicht weiter zu beachten sind.

Der Computer macht schon wieder ein Update. Während er die Megabytes herunterlädt, sehe ich, wie der Fortschrittsbalken vorwärts kriecht: langweilig!

Zeiträume ohne bemerkenswerte Inhalte empfindet man als lang.

Formen des Ruhens

Ruhe, die das Wesen des Verweilens erfüllt, und damit Langeweile ausschließt, beschränkt sich nicht auf schieres Nichtstun. Vielmehr ruht man auch im Tun; und zwar dann, wenn man mit dem, was man tut, im Einklang steht. Sobald Körper und Seele ermüdet sind, ist es sinnvoll, nichts zu tun. Weil nichts zu tun dann der Erholung dient, kommt keine Langeweile auf. Man ist von weiterer Sinngebung entpflichtet. Macht es aber keinen Sinn, untätig zu sein, ruht man nur in sich, wenn man die Zeit so verbringt, dass ihr Inhalt auf andere Zusammenhänge verweist, denen man einen Wert beimisst.

1.1. Weil

Weil dient als Konjunktion zur Benennung eines begründen­den Sinnzusammenhangs.

Der Konjunktion weil sieht man die Verwandtschaft zur Weile zwar sofort an, aber erst ein englischer Neffe der beiden macht die Verbindung verständlich. Aus derselben Wurzel wie Weile stammt auch das englische while = während.

Schreibt man die Beispielsätze ein wenig um, sieht man, wie eng der kausale Zusammenhang mit dem zeitlichen verbunden ist.

Zur Kausalität gehört ein zeitlicher Zusammenhang. Was das eine begründet, geht dem anderen voran. Erst kam der Hunger. Ihm folgte das Essen; jedoch nicht als bloße Abfolge, sondern als komplexe Gestalt zweier Phänomene, die sich wechselseitig Sinn zuweisen.

Statt von zwei Phänomenen zu sprechen, die sich wechselseitig Sinn zuweisen, könnte man auch von einem einzigen sprechen, dessen innere Struktur sinnvoll ist und das somit als Behälter tieferen Sinns erscheint. Sinn wird nicht nur von außen zugewiesen. Er baut von innen auf.

Biologisch betrachtet
Macht Langeweile ebenfalls Sinn? Biologisch betrachtet ist davon auszugehen. Man stelle sich zwei Menschen vor, von denen der eine dazu neigt, in zufriedener Untätigkeit zu verharren, sobald seine unmittelbaren Bedürfnisse erfüllt sind, den anderen nach kurzer Ruhe aber Langeweile plagt und er nur mal so aktiv wird, um das missliche Gefühl zu vertreiben. Welcher der Beiden wird im Leben vermutlich...

Die Wetten stehen 5:1 für den, der sich erst durch komplexe Aktivitäten von der Langeweile befreien kann. Und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es seine Kindeskinder sind, die einst die Kontinente bevölkern.

1.2. Quitt

Über das lateinische quiescere ist auch unser quitt mit der Weile verwandt. Als Abwandlung des lateinischen quietus = ruhig, störungsfrei, frei von Verpflichtungen durchquerte der Begriff Frankreich, wo quitte frei und ledig heißt. Dementsprechend sind wir mit einer Sache quitt, wenn uns keine Verpflichtung mehr an sie bindet.

2. Zusammenhang und Sinnverlust

Die Begriffsanalyse hat zweierlei verdeutlicht:

  1. Zeit wird nur dann als störungsfreies Verweilen erlebt, wenn der Inhalt der jeweils erlebten Gegenwart als Bestandteil eines Sinnzusammenhangs empfunden wird.

    • Wenn man isst, weil man Hunger hat, macht essen Sinn. Wer Hunger hat, langweilt sich beim Essen nie.

    • Liest man ein Buch, das Informationen zur Verfügung stellt, die nützlich sind, ist man voll dabei. Man liest, weil es etwas bringt. Ist zwischen dem Text und dem weiteren Lebensvollzug kein Zusammenhang erkennbar, kommt Langeweile auf. Es ist kein Weil erkennbar, das die Weile in einen Sinnzusammenhang setzt.

  2. Die Psyche ist Zeiträumen verpflichtet. Mit einem Zeitraum ist sie erst quitt, wenn sie ihn sinnvoll durchlebt. Sie befreit sich von der Verpflichtung, wenn sie sagen kann: Diesen Zeitraum durchlebe ich so und so, weil es für dies oder das gut ist.

Die Ursache der Langeweile ist ein unerfülltes Bedürfnis nach Sinn. Wer sich langweilt, erlebt die Gegenwart als ungenutz­tes Potenzial, das nach Inhalt ruft. Was er tatsäch­lich tut, kann er nicht als sinnvoll empfinden. Sein Versäumnis, die Gegenwart sinnvoll zu nutzen, erlebt er als Schuld, die ihn solange in Unruhe versetzt, bis er sie begleicht.

Langeweile droht, weil das Leben dem eigenen Wert gerecht werden will. Da es zum Wesen des Lebens gehört, sinnvolle Zusammenhänge zu knüpfen, die ihm selbst dienen, wird sinnlos verbrachte Zeit als Vergeudung erlebt. Darauf reagiert die Psyche mit Angst, Schuld und Selbstwertzweifeln, die entweder durchlebt oder abgewehrt und verleugnet werden. Häufige Abwehrmanöver im Kampf gegen Lange­weile sind Projektion, Reizkonsum und oberflächliche Betriebsamkeit.

Projektionen
Die Schuld am Unvermögen, Gegenwart sinnvoll zu gestalten, wird oft nach außen projiziert. Man sagt: Dies oder das langweilt mich. Statt dem eigenen Unvermögen, eine Situation sinnstiftend zu nutzen, schreibt man die Ursache der Langeweile einem äußeren Faktor zu. Folge davon ist, dass man weder die Möglichkeiten erkennt, die der jeweiligen Situation inneliegen, noch die tatsächliche Ursache des Übels: den Mangel an Selbstbestimmung.

Reizkonsum kann als Abwehrmuster verstanden werden. Er besteht aus Extraversion und Regression. Wer Reize konsumiert, wendet sich von seinem Inneren ab und lässt sich von außen mit Inhalten füllen.

Allein oder in Gesellschaft

Langeweile wird sowohl allein als auch in Gegenwart anderer empfunden.

In diesen Situationen kommt Langeweile auf, weil ich meinen tatsächlichen Impulsen nicht folge. Entweder erkenne ich sie nicht, weil ich mir gegenüber unachtsam bin oder ich beachte sie nicht, weil ich sie fürchte.

Selbstwahrnehmung

Wer den Augenblick achtet, langweilt sich nicht. Im Jetzt ist immer genau das zu entdecken, was jetzt von Bedeutung ist. Nur wer sich im Jetzt übersieht, schielt nach einem Reiz, der ihn aus der vermeintlichen Armut in eine reiche Zukunft befreit.

3. Ablenkung und Sinngebung

Im Umgang mit Langweile bedarf es der Achtsamkeit. Es gilt, jene Impulse zu orten, die authentischen Interessen der eigenen Person entsprechen. Und man braucht den Mut, die gefundenen Impulse freizusetzen.

Welchen Impulsen folge ich nicht?

Langeweile reizt zur Aktivität. In einer Welt unbegrenzter Möglichkeiten ist nicht immer auszumachen, ob das, was man in der Folge tut, eine sinnvolle Antwort ist oder bloß Flucht vor einem unangenehmen Gefühl. Langeweile prompt zu beseitigen, sobald sie aufkommt, kann in ein Leben oberflächlicher Ablenkung führen. Dort dümpelt man im Kreise und die Vergnügungen werden schal.

Um zu wissen, wohin die Reise geht, kann es nützlich sein, dem Unbehagen standzuhalten, bis man den befreienden Impuls verstanden hat. Langeweile motiviert, nach Sinn zu suchen. Sinn entstammt der indoeuropäischen Wurzel sent = gehen, reisen, fahren.

Zeit haben
Zeit kann unterschiedlich erlebt werden.
  • Langeweile entspringt einer negativen Bewertung des Zeithabens.

  • Muße nennt man das Zeithaben, wenn man den Wert der Zeit erkennt.
3.1. Kurzweiliges

Als kurzweilig erlebt man Zeiträume, deren Inhalt Sinn macht. Dabei kann Sinn offensichtlich sein oder er beruht auf seelischen Bedürfnissen, derer man sich im Regelfall nicht bewusst ist. Kurzweiliges kann in sieben Kategorien eingeteilt werden:

  1. Nützliches
  2. Spannendes
  3. Amüsantes
  4. Beruhigendes
  5. Verbindendes
  6. Erweiterndes
  7. Bestätigendes

Schulprobleme

Neben dem Leistungsdruck gibt es ein anderes Problem in der Schule: Langeweile. Einen Schulabschluss zu bekommen, ist nützlich. Einen Zusammenhang zwischen der Infinitesimalablation des neunkantigen Oktaltetraeders und den sonstigen Belangen einer angehenden Abiturientin zu entdecken, fällt Chantal in der 10b des Leonhard-Euler-Gymnasiums aber nicht leicht. Es könnte sein, dass sie sich im Mathe-Unterricht langweilt.

3.1.1. Nützliches

Viele Tätigkeiten sind erkennbar nützlich. Wir haben ein unmittelbares Interesse daran, sie auszuführen.

Dient das, was man tut, einem persönlichen Ziel, sinkt die Gefahr, dass es langweilt; und zwar umso mehr, je erkennbarer es auf das Ziel verweist und je näher das Ziel durch das entsprechende Handeln rückt.

Erst wenn man Zeit als Raum oder Spanne erlebt, wird es überhaupt möglich, dass es ihr an sinnvoll erlebtem Inhalt mangelt.

Moment mal

Das momentane Jetzt erstreckt sich über keinen Zeitraum. Deshalb kann es auch nicht leer sein. Der Moment ist bewegende Kraft. Darauf macht uns der Ursprung des Begriffes aufmerksam. Moment kommt vom latei­nischen movere = bewegen. Sieht man die Bewegung, die in jedem Jetzt präsent ist, kann man es nicht als langweilig empfinden.

3.1.2. Spannendes

Spannung und Langeweile schließen einander aus. Ereignisse, die man als spannend erlebt, bündeln die Aufmerksamkeit ins Hier-und-Jetzt. Statt Zeit als Raum zu empfinden, erlebt man in spannenden Momenten nichts als pure Gegenwart, die ihrerseits das Potenzial des unvorhersehbar Neuen enthält.

Der Sinn des Nützlichen liegt im pragmatischen Vorteil. Selbstge­machtes Marzipan schmeckt so gut wie die teuerste Sorte aus Lübeck. Der Sinn des Spannenden ist psychologisch. Das Spannende...

3.1.3. Amüsantes

Kurzweiliges Treiben muss weder an den Nerven zerren noch handfest verwertbare Resultate erbringen. Geht es bei Tisch lustig zu oder ergötzt man sich an der Pannenshow, verfliegt auch da die Zeit im Fluge. Lachen macht Sinn; auch wenn es vordergründig wie zweckfreier Luxus erscheint.

Lachen ist eine Bewältigungsstrategie. Es wirkt gegen die Angst vor den Bedrohungen der Welt und den Bedrückungen, die das Leben seinen Ausdrucksformen zumutet. Im Lachen erlebt man Überlegenheit, die man gut als Antidot gebrauchen kann, sobald man vor neuen Hürden steht, die einem himmelhoch erscheinen.

Lacht man über die Dummheit von Dick und Doof, das Stolpern des Butlers an Silvester, die Nudel an Loriots Backe beim Liebesschwur, das Missgeschick des Kollegen beim Versuch, Kaffee zu kochen oder über den Witz des Kabarettisten, der stellvertretend für unser aller Verstandeskraft die Torheit der Mächtigen entlarvt, stellt man damit erleichtert fest, dass man im Leben nicht so schlecht dasteht, als wenn anderen alles gelänge. Man lacht eben über etwas... und das Über-etwas-lachen vermittelt das Gefühl, über dem zu stehen, was amüsiert. Das wiederum ermutigt, beim Lauf durchs Leben nicht schlapp zu machen, sondern auch die nächste Hürde zu überspringen. Weil Lachen ermutigt, ist es ein evolutionärer Vorteil und macht damit Sinn.

Dosisfindung
Die Dosis macht die Medizin. Das gilt auch für die mediale Unterhaltung. Bei der Unterhaltung wird die Stimmung von unten gehalten: damit sie nicht in Langeweile versinkt. Wird etwas durch Halt von unten gestützt, verliert es auf Dauer die Fähigkeit, auf eigenen Beinen zu stehen. Konsumenten medialer Unterhaltungs­angebote geht es daher wie Astronauten. Je länger sie sich schwerelos durchs Dasein tragen lassen, desto größer wird der Bedarf, dem Schwund durch fehlende Bodenhaftung entgegenzuwirken. Sonst kommen sie bei der Landung ins Taumeln; oder sie sind darauf angewiesen, ständig im Orbit zu bleiben. Am besten man achtet von vornherein darauf, dass Konsum und Schaffen im Gleichgewicht sind.
3.1.4. Beruhigendes

Auf Arte kommt eine Doku über den Quastenflosser...

Wussten Sie, dass der Quastenflosser auch Gombessa heißt und somit Namensvetter eines kongolesischen Fußballspielers ist? Ich wusste es bisher nicht. Aber das auch nur mal so nebenbei.

Weder treibt es den Blutdruck in die Höhe, wenn der Quasten­flosser flossenfächelnd an der Kamera vorüber­schwebt noch wird man über ihn lachen... es sei denn, dass er von den Lampen der Taucher geblendet gegen deren Schädel dotzt und sich damit als Tölpel entpuppt, den sein unfassbares Alter nicht klüger gemacht hat als uns. Ein praktischer Nutzen für den, der sich die Doku zu Gemüte führt, ist auch kaum auszumachen. Und doch: Viele schauen sich das an und werden bis zum Abspann nicht gelangweilt sein.

Zwang und Verlockung

Eindeutig unterscheidet sich das Spannende vom Beruhigenden. Beiden ist aber gemeinsam, dass sie die Aufmerksamkeit auf das Hier-und-Jetzt ausrichten. Vom Spannenden wird sie dorthin gezwungen, vom Beruhigenden wird sie angelockt.

Offensichtlich macht noch ein Viertes so viel Sinn, dass Langeweile keinen Raum bekommt: Die achtsame Betrachtung des Wirklichen, des Natürlichen, des Unverfälschten. Der psychologische Sinn, der darin liegt, entspringt der Leichtigkeit, mit der man sich Unverfälschtem anvertrauen kann. Betrachtet man den Quastenflosser in seinem Element, besteht keine Gefahr, dass man gegen sein behäbiges Wesen etwas einzuwenden hat. Man ist mit der Wirklichkeit im Reinen.

3.1.5. Verbindendes

Statistisch gesehen ist die Gefahr, sich alleine zu langweilen, größer als in passender Gesellschaft. Die Kommunikation mit einem geeigneten Gegenüber befriedigt das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und gibt dem Leben neue Impulse. Da die Psyche beides als sinnvoll erlebt, sendet sie keinen emotionalen Auftrag aus, am aktuell Erlebten etwas zu ändern. Das gilt besonders bei leiblichen Verbindungen. Wer hat sich je dabei gelangweilt, wenn er das erste Mal mit einem begehrten Partner ins Bett ging?

3.1.6. Erweiterndes

Neue Impulse können der Kommunikation entspringen und von dort aus den Horizont erweitern. Da die Erweiterung des Horizonts langfristig fast immer Vorteile bringt, hat es die Evolution so eingerichtet, dass Langeweile verebbt, wenn man der Neugier frönt. Im Umkehrschluss heißt das: Langweilig wird, was man allzu gut kennt.

Dass der Cro-Magnon-Mensch aus purer Neugier eher als der Gorilla nachgeschaut hat, was hinter dem nächsten Bergrücken lag, hat ihn evolutionär auf das Sieger­treppchen gebracht.
3.1.7. Bestätigendes

Sich bestätigt zu sehen, ist ein mächtiges Bedürfnis. Bestätigung ermutigt neuen Tatendrang. Sie ist daher für die Psyche von Interesse. Besteht Aussicht, durch das, was man tut und erlebt, bestätigt zu werden, ist keine Langeweile zu befürchten. Die Bestätigung kann von außen kommen oder von innen; sobald man eine Herausforderung erfolgreich gemeistert hat, die man annahm, um den Ansprüchen des eigenen Selbstbilds zu entsprechen. Die Wahl der Herausforderung ist individuell. Während Chantal im Mathe-Unterricht vor Langeweile einzuschlafen droht, kann es durchaus sein, dass der Oktaltetraeder Jacquelines Ehrgeiz höchste Kurzweil verschafft.

Gegenmittel im Überblick

Kategorie Wirkprinzip
Nützlich Persönliches Interesse an erkennbar Brauchbarem
Spannend Fokussierung der Aufmerksamkeit ins Hier-und-Jetzt
Amüsant Gefühl der Überlegenheit
Beruhigend Erlaubt es dem Betrachter, sich anzuvertrauen.
Verbindend Erfüllt Bedürfnis der Zugehörigkeit.
Erweiternd Neugier sammelt ein, was man später brauchen könnte.
Bestätigend Entängstigt durch Steigerung des Selbstwertgefühls.

4. Leere, Langeweile und Erfahrung

Langeweile wird als unangenehme Leere empfunden. Dabei ist klar, dass Leere weder angenehm noch unangenehm sein kann. Sonst wäre sie nicht leer. Sie bestünde aus einem Inhalt, der eine spezifische Eigenschaft hätte.

Das Eigenschaftswort unangenehm beschreibt nicht die Leere. Es weist auf die Haltung hin, mit der man ihr begegnet: Man will sie nicht annehmen.

Leere ist eine Grenzerfahrung. Da es in der Leere nichts gibt, was ihn binden könnte, setzt sie den frei, der sie zulässt. Genau deshalb empfinden wir Leere als unangenehm. Wir fürchten sie. Leere verheißt nicht nur aus jeder Enge entbunden zu sein. Sie erschreckt, weil es in der Inhaltslosigkeit der Leere nichts mehr gibt, woran wir uns klammern könnten.

Spirituelle und mystische Traditionen halten Ausschau nach jener Leere, die sie als Urgrund der Wirklichkeit erachten. Dabei wird das Erleben der Leere durch Gedankenketten verhindert, die den Geist bevölkern. Bei der geduldigen Ausschau nach dem ekstatischen Eingehen in Leere, kommt Langeweile auf, die der ruhelose Geist durch Gedankenkreisen zu vertreiben versucht. Hinter der Produktion der gedanklichen Bilder, steckt Angst. Der Mensch stammt vom Affen ab. Wenn der Affe keinen Ast mehr hat, an dem er sich halten kann, stürzt er in eine Tiefe, von der er nicht weiß, wie es ihm dort ergehen wird.

Leere ist Selbstbestimmung ohne greifbare Zugehörigkeit. Man muss vom Wert einer solchen Erfahrung überzeugt sein, um nicht davor zu fliehen. Es heißt jedoch: Nur in der Leere wird Zugehörigkeit als umfassendes Prinzip der Wirklichkeit erlebt.

Es ist nicht so, dass man die Ekstase der Leere unbedingt will und sie bloß nicht erreicht. Man fürchtet, in ihr verlorenzugehen, wenn man sich an keinem Gedanken mehr festhält.

Man kann das Problem der Langeweile angehen, indem man spezifische Impulse sucht, durch die man sich von ihr vorläufig befreit. So füllt man das Leben mit persönlichem Sinn. Oder man sucht im Zentrum der Langeweile nach jener Leere, die grundsätzliche Befreiung verheißt. Dann muss man das Leben nicht mehr mit einem persönlichen Sinn füllen. Man erkennt den überpersönlichen Sinn, den es von jeher hat.

Experimente
Kommt Unruhe auf, die Sie zu Aktivitäten treibt, dann geben Sie nicht immer nach. Halten Sie auch mal still. Betrachten Sie Ihr Inneres als einen Behälter mit Zu- und Ablauf. Das Tempo des Ablaufs ist begrenzt. Das Tempo des Zulaufs können Sie steuern. Geben Sie sich die Zeit, leer zu werden. Beobachten Sie Impulse, die zu neuen Handlungen drängen. Folgen Sie den Impulsen nicht. Nur wer sich nicht bewegt, kann den ruhenden Pol in der Tiefe erreichen, der jeden Impuls überdauert.

5. Gesundheitliche Risiken

Man spricht von tödlicher Langeweile. Das zeigt zweierlei:

  1. wie quälend sie sein kann.
  2. was für schlimme Folgen sie haben kann.

Zum Glück ist es nicht so, dass Langeweile selbst gefährlich ist. Gefahr entspringt den Vermeidungsstrategien, die man gegen sie ins Feld führt.

Wird Langeweile bewusst durchlebt, setzt sie sinnstiftende Impulse frei. Wird sie bloß abgewehrt, kann sie seelische Erkrankungen nach sich ziehen. Zu den verfehlten Ausweichmanövern gehören vor allem Alkohol- und Drogen­konsum. Um ihre Langeweile zu betäuben, hat die Menschheit schon eine ganze Seenplatte alkoholischer Tröster hinter die Binde gekippt. Millionen sind daran tatsächlich gestorben.

Betrachten Sie Langeweile nicht als Missstand, sondern als Ereignis, das solange zu studieren ist, wie es aufkommt.

Um Gottes willen! Wie soll ich bloß das Wochenende überstehen? Freizeit ohne anerkannten Inhalt bedeutet keine Freiheit, sondern Strafvollzug.

Am Arbeitsplatz hat man Freiheit verpfändet; gegebenenfalls auch die Freiheit, Zeit so zu nutzen, dass sie fruchtbar wird.

Langeweile kann Grundlage von Ängsten, Aggressionen und Selbstmord­neigung sein. Oder die Flucht in ablenkende Tätigkeiten verursacht psychosomatische Erkrankungen. Das Bewusstsein wird dabei mit immer neuen Inhalten gefüllt. Der Organismus kommt nicht mehr zur Ruhe. Bluthochdruck, Schlafstörungen und Erschöpfung können die Folge sein.

5.1. Bore-out-Syndrom

Wenn es heißt, Langeweile selbst sei ungefährlich, gilt das nur, wenn man in der Lage ist, sich dem Erlebnis bewusst zu stellen und es Möglichkeiten gibt, fruchtbare Inhalte zu finden. Die Bedingungen der Arbeitswelt bringen es mit sich, dass Unterforderung am Arbeitsplatz krank machen kann. Zu den problemträchtigen Bedingungen gehören:

Wer nichts zu tun hat, aber bleiben muss, sitzt im Gefängnis. Die Arbeitsmedizin benutzt den Begriff Bore-out-Syndrom. Nicht Sinnvolles tun zu können, kann so zermürbend sein, wie ständige Überforderung.

6. Ergänzungen

Langeweile ist ein mächtiger Faktor, der unterschiedliche Entwicklungen anstoßen kann. Langeweile ist Getriebenheit. Es ist viel Antrieb da, die unangenehme Situation zu verlassen, aber nur wenig Klarheit über den geeigneten Weg.

Eine häufige Ursache der Langeweile sind Minderwertigkeitsbefürchtungen. Wem das eigene Dasein, so wie es ist, als nicht genug erscheint, dem gelingt es nur schwer, Zeiten zu ertragen, in denen nur wenig passiert. Es drängt ihn nach einer Zufuhr spannender Erfahrungen und gesteigerter Erlebnisintensität. Das empfundene Defizit an Eigenwert soll durch bereichernde Zufuhr von außen ausgeglichen werden. Fehlt die Gelegenheit dazu, wird das als entwertend empfunden und die Getriebenheit setzt ein.

Störung oder Unterbrechung

Unterbrechungen des Schlafes werden oft nur deshalb als Störungen empfunden, weil Langeweile aufkommt. Liegt man des nachts wach im Bett, ist oft nur wenig Interessantes zu erfahren. Es passiert nicht viel, außer im Kopf des Schlaflosen, sobald der die Erfahrung ereignisarmer Ruhe nicht annehmen kann, sondern sich aus empfundener Langeweile heraus gegen den Zustand sträubt. Dann füllt sich die Leere spontan mit irgendwelchen Themen, die sich im Geiste des Schlaflosen so wichtig machen, dass sie nicht zu vertreiben sind. Zu fragen ist, ob die Themen nur deshalb so wichtig erscheinen, weil sie die Themen von jemandem sind, der seine Unwichtigkeit nicht anerkennen will.

Das Ego will den Schlaf unterwerfen damit er seinen Zwecken dient. Der Schlaf hat aber seinen Sinn in sich. Wenn der Schlaf zu etwas dient, dann aus freien Stücken; nicht, weil irgendwer ihn dienstbar machen will. Dringend schlafen zu wollen, steht dem Schlaf meist im Wege. Nichts mehr zu wollen, lädt ihn ein.