Ethik / Moral


  1. Begriffe
    1. 1.1. Ethik
    2. 1.2. Moral
    3. 1.3. Sittlichkeit
  2. Psychologischer Grundkonflikt
  3. Erfordernisse und Zielsetzungen
    1. 3.1. Moralisches Handeln
    2. 3.2. Ethische Übereinstimmung
  4. Psychologische und gesellschaftliche Folgen
    1. 4.1. Empörung
    2. 4.2. Moralität und Gewalt
    3. 4.3. Pauschalität und Differenzierung
  5. Unterschiede am Beispiel
Ethik und Moral können zum gleichen Ergebnis kommen. Dasselbe sind sie nicht.

Sittlichkeit ist nur dort ethisch, wo es Sitte ist, die Treue des Einzelnen zu sich selbst höher zu bewerten, als seine Anpassung an gesellschaftliche Normen.

Nur Egoisten fürchten Egoisten zu sein. Das heißt aber nicht, dass der, der es bereitwillig ist, bereits keiner mehr wäre.

Moral kann Gegenstand gesellschaftlicher Absprachen sein. Oft ist sie jedoch Diktat. Ethik entspringt dem Selbstverständnis der inneren Wirklichkeit. Sie ist nicht verhandelbar.

1. Begriffe

Die Begriffe Ethik und Moral werden meist verwendet, als meinten sie dasselbe. Berücksichtigt man ihren sprachgeschichtlichen Ursprung, erkennt man, dass sie auf verschiedene Kategorien verweisen. Um die Auswirkung ethischer und moralischer Grundsätze auf seelische Gesundheit und gesellschaftliche Strukturen zu verstehen, ist die Unterscheidung unerlässlich.

1.1. Ethik

Der Begriff Ethik geht auf die indoeuropäische Wurzel suedhos = Eigenart, Eigenheit zurück. Über das griechische Ethos (ηθος) = Sitte, Brauch, Charakter erreichte er die deutsche Sprache.

Oberflächlich betrachtet ist ein Verhalten bereits ethisch korrekt, wenn es den Sitten und Bräuchen jenes Zeitgeists entspricht, aus dem heraus es als ethisch beurteilt wird. Der Blick auf die indoeuropäische Wurzel verdeutlicht jedoch, dass Ethik mehr ist als Konformität. Tatsächlich ethisch ist ein Verhalten erst, wenn es mit der Eigenart dessen übereinstimmt, der es ausführt. Ethisch handelt, wer sich nicht zugunsten eines Zwecks verstellt; auch nicht zugunsten jenes besonderen Zweckes, moralisch zum Umfeld zu passen, in dem er lebt.

1.2. Moral

Im Gegensatz zu Ethik stammt der Begriff Moral aus dem Lateinischen. Mos (moris) hieß Sitte, Brauch, Gewohnheit. Auf den ersten Blick scheint das kaum etwas anderes zu sein als das, was das griechische Ethos bedeutet. Genau betrachtet bestehen jedoch wesentliche Unterschiede.

Mos geht auf die indoeuropäische Wurzel mo = heftig wollen zurück. Während das Wollen eine Aktivität des Ich ist, ist Eigenart sein tieferes Wesen. Man kann zwar wählen, wie man sein will, und dann so handeln, wie es der Wahl entspricht, zur eigenen Art kann man jedoch nur stehen.

Moral kann ein wichtiges Werk­zeug sein: für den, der wenig von sich weiß. Je mehr man sich erkennt, desto mehr wird sie durch Ethik ersetzt.

Moralisch ist ein Verhalten, wenn es von einem starken Willen gegen Widerstände durchgesetzt wird, weil es als höherwertig als ein anderes Verhalten gilt. Dabei ist klar, dass sich der Wille, der sich zur Herrschaft über gegenläufige Impulse beauftragt sieht, auf Bewert­ungen beruft, die ihm das Recht zur Herrschaft zusprechen. Der Wille einer Person kann auf sie selbst einwirken. Dann entspricht er dem Über-Ich der Psychoanalyse, das das triebhafte Es zu bezwingen versucht. Oder der Wille zielt von der einen auf die andere Person. Dann entspricht er einer gesellschaftlichen Instanz, die Konformität verlangt. Als Introjekt kann eine solche Forderung ins Über-Ich übergehen.

Rom und Griechenland

Die Grundidee Roms war, ein Imperium zu gründen, die Griechenlands, als Stadtstaat und Einzelner frei zu sein. Möglich, dass die Unterschiede zwischen der griechischen Ethik und der römischen Moral darin zum Ausdruck kommen. Moral will siegen. Ethik will unbesiegt sein. Moral will etwas gewinnen. Ethik will verhindern, dass etwas verlo­rengeht.

Weil Ethik auf der Kenntnis des eigenen Wesens beruht, war ein vielzitierter Wahlspruch Griechenlands Erkenne Dich selbst. Er stand als Inschrift am Apollontempel in Delphi, gut sichtbar für jeden, der Rat beim Orakel suchte. Es war der beste Rat, den das Orakel der Menschheit jemals gab.

Während Ethik erst ist und von dort aus bewertet, bewertet Moral und versucht im zweiten Schritt gemäß ihrem Urteil zu sein.

Unterschiede im Überblick

Ethik Moral
Orientiert sich am Wesen des Individuums.
Wie bin ich wirklich?
Orientiert sich am Selbstbild der Person und/oder an sozialen Konventionen.
Wie will oder soll ich sein?
Schwerpunkte: Selbsterkenntnis
Wahrnehmung
Selbstbestimmung
Was entspricht mir selbst?
Schwerpunkte: Selbstformung
Urteil
Zugehörigkeit
Was bewirkt mein Tun?
Trägt Konflikte mit dem Umfeld aus. Trägt Konflikte in sich selbst hinein.
Tue, was Du für richtig hältst. So etwas tut man nicht.
Erforscht, lässt sein, gesteht zu, wehrt Fremdbestimmung ab, bleibt defensiv. Bezwingt, glaubt, für alle verbindlich zu sein, ist offensiv.
Handlung als authentischer Ausdruck des Selbst Handlung als Resultat gezielter Absicht der Person
Entwicklungsprozess im Rahmen wachsender Selbsterkenntnis Geschlossenes System festgelegter Regeln
Glaubt an eigene Unverrückbarkeit.

Eine Ethik, die weiß, dass sie unverbindlich ist, weist den eigenen Weg. Eine Moral, die nicht versucht, verbindlich zu sein, hat wenig Kraft.

1.3. Sittlichkeit

Sitte geht vermutlich auf die indoeuropäische Wurzel sei- = binden zurück. Darüber ist sie mit dem Seil, der Saite und der Sehne verwandt. Sitte ist Halt, Verbindung und Gemeinschaft. Sitten festigen die Zusammengehörigkeit von Menschen einer Gruppe. Sie sind Mittel zum Zusammenschluss; und führen damit auch zur Ausgrenzung anderer. Je unterschied­licher die Sitten verschiedener Menschen sind, desto schwerer ist es für sie, eine Gemeinschaft zu bilden.

Sitte ist Gewohnheit. Sittlichkeit heißt daher: sich in jenes Muster gemeinsamer Normen einzufinden, in dem man sich zuhause fühlt. Sitte bindet nach außen; an das Umfeld, in dem man beheimatet ist. Sittlichkeit passt das Innere an etwas Äußeres an, damit das Innere im Äußeren innen liegt.

Stufengrade der Individualität
Individuell heißt ungeteilt. Ein Individuum bleibt dem Ungeteiltsein treu, wenn sein Verhalten seiner Eigenart entspricht. In der Moralität veräußert der Ungeteilte gegebenenfalls einen Teil von dem, was eigentlich unveräußerlich ist. So geht Individualität verloren.

Zweck der Moralität sind Vorteile, die man in der Welt erlangen könnte; zum Beispiel konfliktfrei mit anderen zu leben, als guter Mensch zu gelten oder himmlischen Lohn zu empfangen. Das Individuum verwirklicht sich selbst, wenn es ethisch handelt, ohne es für einen Vorteil zu tun, der ihm selbst etwas hinzufügt.

2. Psychologischer Grundkonflikt

In der Polarität von Ethik und Moral spiegelt sich der psychologische Grundkonflikt wider. Er durchzieht alle Bereiche des menschlichen Daseins.

Ethisch korrekt oder nicht

Da der Mensch ein soziales Wesen ist, sind moralische Grundsätze, die eine Gemeinschaft freier Individuen fördern, im Grundsatz auch ethisch korrekt. Ethisch unkorrekt sind moralische Grundsätze, die den Einzelnen darüber hinaus für kollektive Zwecke vereinnahmen.

Moralische Grundsätze haben vorwiegend mit der Balance zwischen Geben und Nehmen zu tun, also der gerechten Verteilung gemein­samer Ressourcen, oder den Zuordnungen sexueller Ansprüche. Beide Komponenten sind sinnvolle Faktoren zur Festigung der Zugehörigkeit.

Eine dritte Gruppe moralischer Regeln erscheint auf den ersten Blick willkürlich und psychosozial ohne Sinn. Beides mögen sie inhaltlich auch sein. Trotzdem spielen auch sie eine Rolle bei der Festigung des Zusammenhalts.

Moralische Regeln, die nicht die universell gültigen Themen des Gebens, Nehmens und der sexuellen Verzichtbereitschaft betreffen, kommen vor allem in Gesellschaften vor, die sich als Kampfgemeinschaften gegen Dritte oder das Böse an sich verstehen; oder sich einst als solche gebildet haben. Sie fordern den Schulterschluss aller, weil Individualität die militärische Macht der Gruppe zu schwächen droht. Das inhaltlich Willkürliche dient als Druckmittel zur Überprüfung der Konformität. Dazu gesellt sich in der Regel ein striktes Verbot, die Autorität des Gruppengründers anzuzweifeln.

3. Erfordernisse und Zielsetzungen

Beides, ethische Übereinstimmung und moralisches Handeln, fallen dem Individuum nicht mühelos zu. Beides sind Werte, die einer aktiven Stellungnahme bedürfen.

3.1. Moralisches Handeln

Moralisches Handeln entspringt der Bewertung unterschiedlicher Möglichkeiten. Welche Handlungsmöglichkeit man für höherwertig hält, bestimmt das Welt- und Selbstbild, aus dem heraus man urteilt. Identifiziert man sich mit gesellschaftlichen Normen, entspricht das moralische Urteil dem, was der Zeitgeist vorgibt.

Eigenwillige Personen können im Gegensatz dazu eine eigene Moral entwickeln; die sie oft für andere verbindlich machen. Diese Moral entspricht entweder dem eigenen Wesen - dann ist sie für ihren Begründer im Grundsatz ethisch - oder sie dient der gezielten Beeinflussung des Umfelds. Dann ist sie bloß politisch.

Um eine Moral gutzuheißen, bedarf es keiner Selbsterkenntnis. Es genügt, sich an Regeln zu halten oder Regeln vorzugeben, die man für richtig hält. Je nachdem, welchen individuellen Impulsen man ausgesetzt ist, bedarf moralisch korrektes Handeln gegebenenfalls aber großer Willenskraft.

Solidarisches Verhalten kann durch Willenskraft erzwungen werden. Mitgefühl, das aus Erkenntnis entsteht, ist oft tragfähiger als solches, das man als Ideal verwirklichen will.

Moral

Willenskraft

Ich bin treu, weil Gott es befohlen hat.

Ethik

Selbsterkenntnis

Ich bin treu, weil es meinem Wesen entspricht.

3.2. Ethische Übereinstimmung

Ethisches Verhalten entspringt der Übereinstimmung mit sich selbst. Um überhaupt zu ethischem Handeln in der Lage zu sein, muss man die eigenen Impulse in ihrer Wider­sprüchlichkeit erkennen, ohne die Erkenntnis durch ein moralisches Vorurteil verdunkelt zu haben. Während moralisches Verhalten durch eine absichtliche Wahl entschieden wird, setzt Ethik auf eine wechselseitige Befruchtung von Impuls und Erkenntnis. Die Entwicklung ethischen Verhaltens fußt auf zwei Grundsätzen:

  1. Man tut immer das, was man für richtig hält.
  2. Was man für richtig hält, hängt davon ab, was man weiß oder glaubt.

Indem man Selbsterkenntnis durch Selbstwahrnehmung steigert, führt man durch einen Rückkopp­lungs­prozess eine Reifung der Handlungs­impulse herbei. Gereifte Impulse lösen ethisch korrektes Verhalten aus, das dem jeweiligen Wissensstand entspricht.

Ethik­kommissionen

Neuerdings tagen Ethikräte und -kommissionen; z.B.: die zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer. Beachtet man die Unter­schiede zwischen Ethik und Moral, ergeben sich Zweifel an der Wortwahl. Zu vermuten ist, dass man in einer politischen Versammlung nicht ins eigene Wesen blickt, sondern sich auf gemeinsame Richtlinien festlegt, die im nächsten Schritt als Vorgaben für gesetzliche Regelungen anzuwenden sind.

Deshalb handelt es sich eigentlich um Moralkommissionen. Da dem Begriff Moral aber ein unzeitgemäßer Beigeschmack der Bevormundung anhaftet, da er nach Königin Viktoria und Adenauer so veraltet wie der Name Konrad klingt, wird er tunlichst vermieden. Bezeichnete man sich als Moralkommis­sion, exponierte man sich als Moralapostel. Wer hätte dazu heute noch den Mut?

Wussten Sie, dass der Nationale Ethikrat Deutschlands 2001 von Gerhard Schröder gegründet wurde. Er war mit Weihbischöfen, Juristen, evangelischen Theologen, Abgesandten des Zentralrats der Juden, Immunologen, Biotechnologieexperten, Forschungsstaatssekretären, Schauspielern, Ministern und Professoren verschiedener Fachgebiete besetzt.

4. Psychologische und gesellschaftliche Folgen

Seelische Gesundheit beruht auf der Übereinstimmung von Wahrnehmung, Fühlen, Den­ken und Handeln. Da Moral auf der Anwendung eines Willens beruht, der gegenläufige Impulse niederhält, kann sie innerseelische Konflikte erzeugen. Daher können moralische Grundsätze ein Risikofaktor für die seelische Gesundheit sein. Vielfach wurde in diesem Zusammenhang von Ekklesiogener Neurose gesprochen (Tilman Moser, Christian Zwingmann, Eberhard Schätzing); also von seelischen Fehlentwicklungen, die durch den vorgegebenen Verhaltenskodex der Kirche verursacht werden.

Im Gegensatz dazu bedingen sich ethisches Handeln und seelische Gesundheit wechselseitig. Wer seelisch gesund ist, handelt ethisch korrekt. Wer ethisch handelt, wird gesund.

Grundregeln
  1. Je starrer die Moral ist, die eine Kultur vorgibt, desto schwerer ist es für ihre Mitglieder, sich ethisch zu verhalten.

  2. Ethik stellt seelische Gesundheit über Normalität.


Moral verbindet Menschen mit anderen Menschen oder mit einer hypothetischen Gottesperson. Ethik verbindet den Einzelnen mit der Spur des Göttlichen in sich selbst.

Ethisch korrektes Handeln kann jedoch zu Konflikten mit dem Umfeld führen. Wie weit ein soziales Umfeld die Individualität seiner Mitglieder respektiert, bestimmt entscheidend darüber mit, ob man sich gefahrlos am eigenen Wesen orientieren kann. So ist das Leid, das aus dem innerseelischen Konflikt erzwungener Moralität entstehen kann, gegenüber dem Leid abzuwägen, das Folge ethisch bedingter Konflikte mit dem Umfeld ist. Die Zahl derer, die beim Versuch ethisch korrekt zu handeln, von Vertretern der jeweils dominanten Moral verfolgt wurden, ist Legion.

4.1. Empörung

Es gibt eine moralische Empörung. Eine ethische Empörung gibt es nicht. Das ist nach dem bisher Gesagten leicht zu verstehen. Moral formuliert verbindliche Normen. Ethik beruft sich auf die Freiheit des individuellen Erlebens. Moral hat eine vorwiegend politische bzw. soziale Funktion. Sie verbindet Personen untereinander. Ethik ist religiös bzw. individualpsychologisch. Sie verbindet die Person mit sich selbst.

Empörung enthält wie empor den indoeuropäischen Verbalstamm bher- = heben, tragen. Empörung hebt den Empörten hoch. Sie hat auch eine kommunikative Funktion. Der Empörte macht dem Gegenüber klar, dass er eine erhöhte Position bezieht und von dort aus Anpassung fordert. Er schreibt dem anderen zugleich niedere Motive zu. Er sendet ihm eine abwertende Botschaft, um ihn unter Druck zu setzen. Der Empörte hat in der Folge schwer zu tragen. Er trägt die Last des Gewichts, das er sich zuweist.

Man kann von einem anderen verlangen, dass er sich konform verhält. Wenn man die Forderung für berechtigt hält, ist es folgerichtig, zu fordern. Von einem anderen zu verlangen, dass er sich ethisch verhält, ist jedoch absurd, denn Ethik ist nachgerade keine Anpassung an eine Norm, deren Beachtung einklagbar wäre. Man kann begrüßen, dass jemand sich ethisch verhält. Sobald man es verlangt, definiert man es als Moral.

Ich esse vegetarisch, weil ich nicht will, das Tiere für mich sterben. Ich esse vegan, weil ich nicht will, dass Tiere für mich leiden. Wer ethisch handelt, will, dass sein Handeln mit seinem Gewissen in Einklang ist. Er verlangt nicht, dass das Handeln anderer mit seinem übereinstimmt. Tut er es doch, wird sein Anspruch moralisch. Empört er sich darüber, dass andere ihm nicht folgen, macht er sich stark, um über andere zu bestimmen.

Neben politischen und sozialen hat die moralische Empörung auch individual­psychologische Wirkungen. Zur Psychodynamik der Empörung gehören drei Aspekte.

  1. Selbstaufwertung
    Sie bestärkt die Überzeugung des Empörten oben zu stehen. Dadurch ist sie Ausdruck eines narzisstischen Manövers.
  2. Absicherung des Weltbilds
    Durch die emotionale Aufwärtsbewegung sichert der Empörte seine Sichtweise gegen Zweifel ab. Aus erhoben wird über Zweifel erhaben.

  3. Selbstermutigung
    Von anderen Zustimmung zu fordern, ist konfrontativ. Es weckt Ängste, die in der Gesetzmäßigkeit des Psychologischen Grundkonflikts verankert sind. Konfrontation droht Bindung zu sprengen, die das Zugehörigkeitsbedürfnis anstrebt. Durch das Empor der Empörung wird Angst überwunden.

Sinnvolle Empörung

Verstöße gegen Regeln der Moral werden keineswegs nur von Menschen vollzogen, die ethisch korrekt handeln; und von denen für andere daher kaum eine Gefahr ausgeht, da Ethik die unverzichtbaren Regeln der Moral bestätigt. Verstöße gegen Regeln der Moral werden auch von dissozialen Persönlichkeiten vollzogen, die über eine rücksichtslose Aggressionsbereitschaft verfügen. Da diese Aggression absichtlich Angst induzieren will, ist die Selbstermutigung Schwacher gegen Mächtige durch Empörung zuweilen ebenso unverzichtbar, wie die moralischen Regeln, zu deren Schutz sie anhebt.

4.2. Moralität und Gewalt

Während die Übereinstimmung mit sich selbst einen psychologischen oder spirituellen Wert darstellt, der sich zugleich zum Lohn gereicht, dient moralisches Verhalten meist anderweitigen Zielen...

Der Wille, den die Moral in der Regel auch über gesellschaftliche Machtmittel umsetzt, versucht Hindernisse zu überwinden und Widerstände zu brechen. Da Moralität eine Anpassungsleistung ist, die Mächtige Schwächeren abverlangen, liegt ihr der Übergang zur Gewalt bereits im Ansatz inne. Nicht selten sind moralische Forderungen mit Utopien verbunden. Der Einzelne wird aufgefordert, sich im Dienst an der Utopie gemeinsamen Zielen unterzuordnen. Das Motto aller Utopien heißt: Leide um einen Ort zu erreichen, an dem man nicht mehr leiden muss. Solche Utopien können gelobte Länder sein, Paradiese im Jenseits oder Paradiese auf Erden.

4.3. Pauschalität und Differenzierung

Moral versteht sich als für alle verbindlich. Sie unterscheidet nicht. Sie fällt pauschale Urteile. Sie steht im Entwicklungsprozess von Gesellschaften meist an deren Anfang; dort wo sich die Gemeinschaft als spezifische Gruppe formiert und sich zur Sicherung der Grenze zum Umfeld militärische Strukturen entwickeln.

Ethik ist individuell. Sie berücksichtigt die jeweils besondere Konstellation, die das Handeln des Einzelnen hervorbringt. Ethik weiß um die Vernetzung des eigenen Wohls mit dem Wohl aller. Ihr Maßstab bleibt trotzdem der Einzelne.

5. Unterschiede am Beispiel

Das Zusammenspiel von Ethik und Moral einerseits sowie dem persönlichen Wesen und dem Selbstbild andererseits ist komplex. Das zeigt beispielhaft eine Untersuchung des Problems bezüglich der Bewertung der Homosexualität.

Homosexualität ist...

Einstufung Bedingung
Unmoralisch und unethisch Die Handlung widerspricht dem Selbstbild und/oder den gesellschaftlichen Werten. Man empfindet nicht tatsächlich homosexuell, lässt sich aber auf homosexuelle Handlungen ein, um daraus Vorteile zu ziehen.
Unmoralisch aber ethisch korrekt Man selbst und/oder die Gesellschaft verurteilen Homosexualität. Tatsächlich empfindet man aber homosexuell. Tut man es doch, ist die Tat ethisch korrekt, gälte aber als unmoralisch.
Moralisch korrekt aber unethisch Man selbst und/oder die Gesellschaft anerkennen Homosexualität als Normvariante (z.B. altes Griechenland, moderne Auffassung). Man lässt sich darauf ein, obwohl man anders empfindet.
Moralisch und ethisch korrekt Selbstbild und/oder Gesellschaft anerkennen Homosexualität. Man empfindet und handelt entsprechend.

Ein zweites Beispiel beleuchtet eine Untersuchung der Prostitution. Moral ist kaum je bereit, dabei individuell zu bewerten. Eine Frau, die ihren Körper stundenweise verkauft, wird vom pauschalen Denken der Moral als Hure bezeichnet und damit grundsätzlich abgewertet.

Wer hätte das gedacht

Der Begriff Hure geht auf lateinisch caro = lieb, wert, teuer bzw. indoeuropäisch kā- = begehren, gern haben zurück. Gleiches gilt für den Begriff Caritas. Vielleicht erleichtert die überraschende Verwandtschaft der Begriffe es der Moral, den so unterschied­lichen Ausdrucksformen der Liebe etwas Gemeinsames zuzugestehen.

Das Urteil der Moral sieht nur die Tat an sich. Es ignoriert das Motiv, das dazu führen mag. Dient das Verhalten der betreffenden Frau der Versorgung eines kranken Kindes, z.B. um teure Medikamente zu beschaffen, mag es zwar der gültigen Moral widersprechen, ethisch wäre es jedoch völlig korrekt, wenn der Mutter das Wohl des Kindes wichtiger als ihr gesellschaftliches Ansehen ist. Mehr noch: Wenn die betreffende Mutter bei dem, was sie den Umständen entsprechend tut, einen Ekel überwinden muss, dann gleicht ihr Verhalten sogar eher dem einer Heiligen als dem einer Person, die zu verachten ist.

Selbstverständlich gilt das gleiche Schema auch für andere Fragen: ob etwa Sex vor der Ehe, Drogenkonsum, Börsenhandel, Gewinnstreben, das Tragen eines Kopftuchs, der Verzehr von Schweinefleisch, Ehebruch, Glücksspiel etc. moralisch, unmoralisch oder ethisch korrekt sind.