Verteilung der Geschlechter
Die dissoziative Identitätsstörung tritt überwiegend bei Frauen auf. Ihr Anteil beträgt 80-90 %. Daher spricht diese Seite meist von Patientinnen; obwohl die Störung auch bei Männern auftreten kann.
Die multiple Persönlichkeitsstörung (MPS) wird auch als dissoziative Identitätsstörung (DIS) bezeichnet. Unter dissoziativen Störungen versteht man seelische Zustände, bei denen Teile des Erlebens aus dem Bewusstsein abgespalten sind.
Obwohl durch die Abspaltung und Ausblendung von Erlebnisinhalten durchaus eine Störung der Persönlichkeit entsteht, haben sich die Autoren der Klassifikationssysteme entschlossen, die MPS nicht den Persönlichkeitsstörungen zuzuordnen.
Stattdessen wird sie sowohl von der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10: F44.81) als auch von der amerikanischen (DSM-VI: 300.14) als dissoziative Störung bezeichnet.
Zu diskutieren ist, ob der Begriff Identitätsstörung nicht dem einer Identifikationsstörung Platz machen sollte; denn die Identität dissoziierender Personen bleibt durch den Prozess der Dissoziation unberührt. Was wechselt, sind unbewusst vollzogene Identifikationen mit jeweils unterschiedlichen Persönlichkeitsmodellen bzw. Eigenschaftsclustern (englisch cluster = Bündel). Gestört ist nicht die Identität der Person, sondern deren Identifikation mit einem integrierten Selbstbild.
Frauendomäne
Als Ursache der auffälligen Geschlechterverteilung sind geschlechtsspezifische Begabungen und Interessen anzunehmen. Auch wenn es zahlreiche Abweichungen von dieser Regel gibt, so trifft sie doch zu: Frauen haben statistisch gesehen eine höhere soziale Intelligenz. Sie können sich besser als Männer in die Persönlichkeit anderer Menschen einfühlen und sind als Resultat dieser Intuition kontaktfähiger. Das führt dazu, dass sie auch im Umgang in dem eigenen seelischen Erleben eher in der Lage sind, die thematische und ästhetische Zugehörigkeit bestimmter Verhaltensmerkmale zu erfassen... und sie in einem kreativen Schritt zu personalisieren.
Bei der dissoziativen Identitätsstörung tritt die Kranke zu verschiedenen Zeiten als jeweils unterschiedliche Persönlichkeit auf. Die Persönlichkeiten unterscheiden sich durch...
Die Aktivierung unterschiedlicher Persönlichkeiten orientiert sich an situativen Erfordernissen. Je nach Lage der Dinge werden verschiedene Eigenschaftsbündel ausagiert.
Neben der Primärpersönlichkeit, die die Patientin der Außenwelt in der Regel zuwendet, zeigt sich, angepasst an spezifische Situationen, mindestens eine, oft aber mehrere Sekundärpersönlichkeiten. Im Schnitt mögen es 5-15 sein. Es wurden auch Fälle beschrieben, bei denen die Zahl der Sekundärpersönlichkeiten weit höher gewesen sein soll.
Diagnosekriterien gemäß DSM-VI
Komplex-partiell nennt man spezielle Formen epileptischer Anfälle, bei denen es nicht zum Verlust des Bewusstseins kommt, sondern zu veränderten Erlebnisweisen, in deren Verlauf komplexe Handlungen durchgeführt werden, an die sich der Kranke nach dem Anfall nicht mehr oder nur noch unscharf erinnert. Die epileptische Verursachung eines solchen Anfalls ist im EEG zu erkennen.
Zu den Kernsymptomen der DIS gehört eine psychogene Gedächtnisstörung.
Eine psychogene Gedächtnisstörung wird durch psychische Prozesse - sogenannte Abwehrmechanismen - hervorgerufen. Psychogene Gedächtnisstörungen sind von hirnorganischen oder toxischen Störungen abzugrenzen. Zu den hirnorganischen Gedächtnisstörungen gehören jene, die durch Abbauprozesse (z.B. Alzheimer-Krankheit) verursacht werden. Als Beispiel für toxisch verursachte Gedächtnisstörungen ist der Filmriss nach Alkoholexzess bekannt. Hinter der psychogenen Gedächtnisstörung steht ein Motiv, hinter der organischen und toxischen nicht.
Im Extremfall weiß eine Teilpersönlichkeit nicht, was die andere erlebt hat. Dann ist der entsprechende Gedächtnisinhalt vollständig abgespalten. Meist kommt es aber nur zu teilweisen Abspaltungen, sodass die Erinnerung daran, was man unter der Dominanz der jeweils anderen Persönlichkeit tat, bloß ausgedünnt, verblasst, entrückt oder wie nicht zu einem selbst gehörig erscheint.
Symptome, die an dissoziative Elemente bei der Entstehung psychischer Probleme denken lassen
Ist der jeweilige Gedächtnisinhalt ganz abgespalten, kann es sein, dass die eine Persönlichkeit nichts von der Existenz der anderen ahnt. Dann weiß die Jungfrau tatsächlich nicht, wie sie zum Kinde kam. Liegt eine teilweise Abspaltung vor, wissen die verschiedenen Persönlichkeiten voneinander. Sie beurteilen sich wechselseitig und rivalisieren um den Einfluss auf die Primärperson.
Über die Häufigkeit der DIS sind sich Psychiater uneinig. Sogar die Existenz der Störung überhaupt ist heftig angezweifelt worden. Spontan gibt es nur wenige Personen, die von sich aus eine Persönlichkeitsspaltung im vollumfänglichen Sinne einer MPS benennen oder Probleme beschreiben, die an die Existenz von Sekundärpersönlichkeiten denken lassen, von denen sie selbst nichts wissen.
Vermutlich sind bei vielen seelischen Problemen aber dissoziative Mechanismen im Spiel, die zu komplexen Störungen beitragen; ohne dass die Patientinnen so weit gehen, sich als Spielfeld unabhängig voneinander handelnder Sekundärpersönlichkeiten zu verstehen.
Was ihnen stattdessen auffallen mag, sind plötzliche Stimmungswechsel, unerklärliche Launen, sprunghaftes Verhalten, Änderungen ihrer Vorsätze und Urteile über Lebensumstände oder Elemente der Außenwelt, deren Hin- und Herwogen ihnen selbst rätselhaft erscheint. Erst durch gezieltes Hinterfragen werden dann dissoziative Muster erkennbar, deren Effekte man als unterschwellige oder teilweise dissoziative Identitätsstörungen verstehen kann.
So exotisch den meisten das Vollbild einer DIS erscheinen mag, tatsächlich ist sie ein extremes Endergebnis weit verbreiteter psychologischer Phänomene:
Auch im Normalfall kommuniziert der Mensch nicht mit einer einheitlichen Identität, in die sämtliche biographische Erfahrungen gleichberechtigt eingebettet sind. Auch der normale Mensch zeigt je nach Situation und den Zwecken, die er darin anstrebt, unterschiedliche Gesichter. Mal sind die Unterschiede diskret, mal sind sie so deutlich polarisiert wie im folgenden Fall:
Dass man Bernd nicht als multiple Persönlichkeit bezeichnet, hat Gründe:
Obwohl Bernd nicht als multiple Persönlichkeit gelten kann, ist davon auszugehen, dass sein Verhalten Tina gegenüber von bestimmten Gedächtnisinhalten beeinflusst wird, die in der Firma weit weniger bewusstseinsnah und verhaltenswirksam sind, die er den Kollegen gegenüber folglich in den Hintergrund schiebt, Tina gegenüber aber nicht; zum Beispiel: wie unwichtig seiner Mutter oft sein Befinden war.
Es ist daher sinnvoll, Unterschiede und Gemeinsamkeiten der dissoziativen Identitätsstörung und anderer Seelenzustände aufzuzeigen.
Vergleich der DIS mit anderen Zuständen
Funktionsniveau | Gedächtnis | Personifizierung |
Vollständige DIS | Die Gedächtnisinhalte sind vollständig abgespalten. Die Teilpersönlichkeiten können sich gegenseitig nicht unmittelbar wahrnehmen. Sie können nur anhand der Effekte ihres jeweiligen Handelns aufeinander schließen. | + |
Teilweise DIS | Die Gedächtnisinhalte sind teilweise abgespalten. Die Teilpersönlichkeiten nehmen einander wahr. Sie haben einen eingeschränkten oder verblassten Zugang zu den jeweils gegenseitigen Erinnerungen. | + |
Unterschwellige DIS Polarisiertes Rollenspiel Borderline-Störung |
Sämtliche Gedächtnisinhalte sind grundsätzlich jeder Rolle zugänglich. Je nach Rolle und Situation rücken sie aber selektiv in den Hinter- oder Vordergrund, sodass stark abweichende Verhaltensmuster entstehen. | - |
Klassische Persönlichkeitsstörung | Bestimmte Gedächtnisinhalte werden dauerhaft verdrängt. Die übrigen sind grundsätzlich immer zugänglich. | - |
Integrierte Persönlichkeit | Alle Gedächtnisinhalte sind ihrem Gewicht entsprechend ins Selbstverständnis der Person eingebettet. | - |
Mit Personifizierung ist die namentliche Abgrenzung der unterschiedlichen Erlebensvarianten und damit die ausdrückliche Definition von Teilpersönlichkeiten gemeint.
Die Diagnose einer DIS wird selten gestellt. Es kann sein, dass das Folge mangelnder Achtsamkeit psychiatrischer Untersucher ist. Andererseits wird die Diagnose aber auch gestellt, wo keine DIS vorliegt. Ursache dafür können Motive der Patientinnen sein oder solche der Untersucher.
Die Diagnose einer DIS weist Merkmale auf, die sie für manche Personen attraktiv macht:
Auf der Suche nach einer Erklärung für andersartige psychische Probleme und zur Steuerung sozialer Bezüge identifizieren sich einige Patienten vorschnell mit der DIS.
Es ist davon auszugehen, dass dissoziativen Störungen überwiegend verdrängte traumatische Ereignisse zugrunde liegen. Therapeuten, die hinter den Symptomen ihrer Patienten verdrängte Traumata vermuten, bietet das Krankheitsmodell der DIS eine Erklärung dafür, warum ihre Patienten ein solches Trauma nicht erinnern.
Die namentliche Kennzeichnung unterschiedlicher Eigenschaftscluster, die Patienten ausagieren mögen, ist eine Technik der Psychotherapie (z.B.: das innere Kind). Da Eigenschaftsbündel durch Namensvergabe begreifbarer werden und den Sekundärpersönlichkeiten der MPS in der Regel Namen zugeordnet sind, liegt der Namensvergabe Suggestionskraft inne.
Die absichtliche Personifizierung von Verhaltensmustern kann langfristig integrierend sein, sie kann kurzfristig aber auch Symptome einer DIS vorspiegeln, die keine sind.
Zur Entstehung und Aufrechterhaltung der MPS führt der Gebrauch eines besonderen Abwehrmechanismus: der Dissoziation biographischer Erinnerungen. Dabei werden sowohl Erinnerungen an weit zurückliegende traumatische Schlüsselerlebnisse ausgeblendet, als auch solche, die unter der Dominanz einer Teilpersönlichkeit aktuell anfallen. Wie Abspaltungen vonstattengehen, lässt sich beleuchten, indem man sich die biographischen Ursachen vor Augen führt, die vor allem bei schweren Formen der Identitätsstörung aufzudecken sind.
Überdurchschnittlich häufig findet man in der Vorgeschichte von Frauen, die unter dem Vollbild einer DIS leiden, Missbrauchs- und Gewalterfahrungen. Häufig stammen die Täter aus dem familiären Umfeld. Das ist kein Zufall. Die besondere Erlebniskonstellation, die solchen Erfahrungen zugrunde liegt, bahnt die Entstehung dissoziativer Abspaltungen.
Um die Situation zu bewältigen, entwarf Jennifers Vorstellung zwei Varianten ihres Selbstbilds. Zur einen gehörte das Unvereinbare; samt Angst, Schmerz und Scham, die es begleiten mochte. Um die Grenze deutlich zu machen, nannte Jennifer dieses Bild Simone. Zur zweiten gehört die Normalität, für die die abgespaltene Erfahrung fortan keine Rolle mehr spielte und die folglich auch weiterhin als Jennifer firmiert.
Da das Bewusstsein ausblendet, was man nicht als zur Wirklichkeit gehörig zählt, rückte die Erinnerung an das Unvereinbare Schritt für Schritt in den Hintergrund; bis sie entweder ganz aus Jennifers Blickfeld verschwand oder nur noch schemenhaft zu erkennen war.
Integriert ist eine Persönlichkeit, wenn sie sämtliche Erlebnisse gleichberechtigt in den Fundus der Erfahrungen übernimmt, aus dem heraus sie in der Folge ihren Bezug zur Wirklichkeit gestaltet. Zur Integration von Erfahrungen gehört es:
Der Mensch neigt jedoch dazu, irritierende Erfahrungen und schmerzliche Gefühle, die mit ihnen in Verbindung stehen, von sich zu weisen, indem er nicht hinsieht und das Schmerzliche durchlebt, sondern sich abwendet und es zu ignorieren versucht. Dieser Impuls führt zur Verdrängung. Man verleugnet Erkenntnisse, die man nicht ins Selbstbild integrieren will oder kann. Das Bewusstsein blendet dazu jene Erlebnisse aus dem biographischen Kontext aus, die gefürchtete Erkenntnisse mit sich bringen.
Zwei Muster
Bei der Verdrängung bleibt der zurückgewiesene Inhalt verborgen. Bei der Dissoziation erreicht er von Zeit zu Zeit die Oberfläche und bestimmt von dort aus das Verhalten der Realperson.
Durch die Verdrängung wird die Integrität der Persönlichkeit gestört. Statt dass sie sich unbefangen der Wirklichkeit zuwendet, vermeidet sie fortan, was die verleugnete Erkenntnis ins Bewusstsein heben könnte. Je nachdem, was nicht wahrgenommen werden soll und je nachdem, welche Mittel zur Abwehr der gefürchteten Erkenntnis zur Anwendung kommen, entsteht diese oder jene Persönlichkeitsstörung.
Auch bei der DIS wird das Gefürchtete verdrängt. Es wird aber nicht durchgehend in der Verdrängung gehalten, sondern es bahnt sich den Weg zur Oberfläche, indem es in einem abgespaltenen Erlebnisfeld zum Ausdruck kommt und von dort aus das Verhalten der Realperson eine Zeit lang steuert. Statt dass sich die eine Persönlichkeit ständig verbiegt, treten abwechselnd zwei Muster auf, über deren Charakter ein jeweils unterschiedliches Repertoire nicht integrierter Erfahrungen bestimmt.
Die Wirklichkeit wird wahrgenommen. Sie wird nicht ausgedacht. Da der DIS ein Widerstand dagegen zugrunde liegt, die Wirklichkeit ohne Auswahl wahrzunehmen, ist die Wahrnehmung der multiplen Persönlichkeit betont selektiv. Mal nimmt sie von dem, was sie tut, wünscht, erinnert und erlebt den einen Teil wahr, mal einen anderen.
Statt sich zu regulieren, indem sie sich dem Wahrnehmbaren so anvertraut, wie es in ihrem Blickfeld auftaucht, versucht sie, die Widersprüche des Lebens durch Vorstellungsmanöver unter Kontrolle zu bringen. Dazu gehört die Personifizierung widersprüchlicher Regungen und Sichtweisen.
Die multiple Persönlichkeit denkt nicht: Ich bin widersprüchlich. Heute halte ich das für richtig und morgen das Gegenteil, je nachdem, aus welcher Perspektive ich die Welt betrachte und was ich durch meine Betrachtungsweisen bewirken will.
Es gibt keine medikamentöse Behandlung, die nachweislich etwas gegen die DIS bewirken könnte. Der heilende Ansatz ist psychotherapeutisch. Medikamente können zum Einsatz kommen, wenn im Rahmen der DIS Folgeerkrankungen auftreten, die medikamentös erreichbar sind; zum Beispiel eine Depression nachdem die DIS zum Scheitern einer wichtigen Beziehung geführt hat.
Jede Dissoziation entspricht einer mangelnden Integration ausgeblendeter Erlebnisse und daraus resultierender Erkenntnisse in den Gesamtzusammenhang des Selbstbilds. Jede Heilung dissoziativer Störungen beruht folglich auf der Einbettung der vermiedenen Elemente in den Erfahrungskontext einer einheitlich erlebten Persönlichkeit.
Dazu gilt es, die Personifizierung innerseelischer Widersprüche aufzuheben und die Widersprüchlichkeit selbst als Wesenszug der Existenz zu akzeptieren. Je nachdem, wie bitter die Gefühle sind, die die Patientin bislang vermeidet, kann der Weg zum Ziel lang und steinig sein.