Strategien der Gefühlsvermeidung sind Ausgangspunkte eines großen Teils der Psychopathologie. Strategien, die dazu dienen, die Wirklichkeit zu übersehen, sind es ebenfalls.
Seelische Gefühle sind unmittelbare Wahrnehmungen. Sie sind summarische Resultate eines geistigen Abtastens der Wirklichkeit... oder dessen, was man für Wirklichkeit hält. Die Vorsilbe Ge- zeigt eine Versammlung an. Das Gefühl sammelt fragmentierte Wirklichkeitsabtastungen und bündelt sie zu einem integrierten Gesamturteil über die existenzielle Lage der Person.
Summarische Resultate
Wie man emotional reagiert, hängt von der Summe aller in das emotionale Urteil einbezogenen Wirklichkeitsaspekte ab. Die jeweilige Bedeutung der Wirklichkeitsaspekte wird überwiegend unbewusst abgewogen und dem Bewusstsein als unmittelbar wahrnehmbare, spezifische Einstimmung zugeführt.
Messlatten des Abwägens sind Ängste, Bedürfnisse, Wünsche, Erwartungen, Meinungen, Begierden, Abneigungen und bislang gemachte Erfahrungen. All diese hängen ihrerseits mit dem Welt- und Selbstbild zusammen.
Wie Gefühle von dem abhängen, was man weiß oder glaubt
Einbezogene Aspekte | Mögliches Gefühl |
Jonas hat Laura mit einer Rose in der Hand um ein Rendezvous gebeten. | Laura schwelgt in süßer Hoffnung. |
Michelle erzählt Laura, dass Jonas Marie und Vanessa mit der gleichen Masche flachgelegt hat. | Laura schämt sich ihrer Blauäugigkeit. Sie ist wütend und fühlt sich von Jonas gedemütigt. |
Laura sieht Michelle Arm in Arm mit Jonas. | Laura reut es, Michelle jemals als Freundin betrachtet zu haben. |
Als Michelle schwanger ist, lässt Jonas sie sitzen. | Laura dankt dem Himmel, dass er sie durch Michelles Intrige vor deren Schicksal bewahrt hat. |
Michelle entschuldigt sich bei Laura. Als sie Laura Jonas damals madigmachte, war sie von eigener Verliebtheit verblendet. Jonas flirtet derweil mit Chantal. | Lauras Wut auf Michelle verfliegt. Jetzt hat sie Mitleid. |
Drei Tage nachdem der Dummkopf ihre Schulden übernommen hat, wird Jonas von Chantal abserviert. Man fasst es nicht! Aus Kummer um den Verlust der schicksalhaften Liebe tritt er dem Kartäuserorden bei. | Laura und Michelle vereint Schadenfreude. Auch Chantal gegenüber haben sich ihre Gefühle verändert. Deren raffinierte Berechnung schürt Respekt und Misstrauen zugleich. |
Tatsächlich hängen Gefühle nicht nur von einer Handvoll abgetasteter Wirklichkeitsaspekte ab, sondern von allen möglichen. Unabhängig davon, wie sie Jonas und Michelle erlebt, fließen zu Lauras jeweiligem Empfinden sämtliche Strukturen der Wirklichkeit zusammen, die sie bewusst oder unbewusst zur Kenntnis nimmt:
Wenn von Strukturen der Wirklichkeit die Rede ist, die die Gefühle bestimmen, ist ein Aspekt von zentraler Bedeutung: Seelische Gefühle entspringen nur dann der Wirklichkeit, wenn man die Wirklichkeit so wahrnimmt, wie sie ist. Ansonsten sind sie Produkte irreführender Vorstellungen, die man sich über die Wirklichkeit macht.
Die Palette der Gefühle ist vielfältig. Zudem ist unklar, was als Gefühl zu gelten hat und was nicht. Selbst bezüglich der sogenannten Grundgefühle gibt es keine Einigkeit. Als Kandidaten werden Freude, Wut, Ekel, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung genanntPaul Ekman 2010 , andernorts zusätzlich Neugier, Ärger, Scham und SchuldMartin Dornes 1995 .
Blickt man über den Horizont der verschiedentlich definierten Grundgefühle hinaus, wobei unklar ist, was der Unterschied zwischen einem Gefühl und einem Grundgefühl sein soll, ergeben sich neue Fragen:
Bei der Gier ist der Gefühlscharakter offensichtlich: Der Süchtige im Entzug verspürt Substanzgier... Aber auch wenn es nicht heißt: Ich fühle mich geizig, ist dem Geiz eine subtile Gefühlsqualität unterlagert, die man beim Knausern introspektiv wahrnehmen kann.
Wie dem auch sei: Zum besseren Verständnis ihres Wesens kann man die Gefühle zwei Schichten des Selbst zuordnen.
Ebenen des Gefühlserlebens
Relatives Selbst | Absolutes Selbst |
|
|
egozentrisch | transpersonal |
Egozentrische Gefühle sind durch Umstände bedingt. | Transpersonale Gefühle sind bedingungslos. |
Die pauschale Zuordnung der Dankbarkeit zum transpersonalen Spektrum ist fraglich. Es gibt zwei Formen der Dankbarkeit: eine, die sich nur auf das bezieht, was bereits gegeben ist. Diese Form ist transpersonal. Sie will der Person keine Vorteile verschaffen. Einer zweiten Form liegt Erwartung inne; nämlich die, sich durch Zeichen der Dankbarkeit die Gunst dessen zu sichern, bei dem man sich bedankt. Das ist egozentrisch.
Egozentrische Gefühle befassen sich mit der Absicherung der persönlichen Existenz. Ihr Ursprung ist die Absicht des Individuums, sich Vorteile zu verschaffen... oder sich vor Nachteilen zu schützen. Egozentrische Gefühle betonen die Bedeutung der Person. Sie versuchen, deren Wert und Stabilität zu erhöhen.
Transpersonale Gefühle lassen persönliche Vor- und Nachteile außer Acht. Sie relativieren die Bedeutung der Person. Ihr Ursprung liegt in der Erkenntnis der Wirklichkeit. Sie erfüllen den, der deren Wert und Folgerichtigkeit erkennt.
Alle Gefühle, die dem relativen Selbst entspringen, sind egozentrisch. Charakter und Ausmaß der Egozentrizität sind jedoch verschieden. Zu unterscheiden sind...
Infrage stellende Gefühle haben je nach Lage der Dinge unterschiedliche Konsequenzen. Sie können den Bezug des Ich zum Ego festigen oder lockern.
Der Begriff Gefühl spricht vom Abtasten der Wirklichkeit, wodurch ihre Struktur erfasst und summarisch bewertet wird. Auch wenn es sie allzu oft mit Vorstellungen verwechselt, wendet sich das Abtasten prinzipiell der Wirklichkeit zu, um sie zu erkennen.
Der Begriff Stimmung benennt die Reaktion des Subjekts, das sich gemäß der gefühlten Qualität der Wirklichkeit auf diese einstimmt. Nachdem man überwiegend schmerzhafte Gefühle erlebt hat, trübt sich die Stimmung dementsprechend ein.
Als rivalitätsfördernd können Gefühle bezeichnet werden, die sich mit dem Vergleich der Person mit anderen Personen befassen. Sie zielen darauf ab, die eigene Position, gegebenenfalls auf Kosten anderer, zu stärken. Dazu gehören: Neid, Wut, Hass, Eifersucht, Gier, Geiz, Verachtung und Missgunst. Oft werden solche Gefühle nicht bewusst wahrgenommen, sondern im sozialen Umfeld ausagiert... also in Taten und Verhaltensmuster umgesetzt, deren Motive im Halbdunkel verborgen bleiben.
Lukas drängelt ungeduldig auf der Autobahn. Wenn er über andere redet, wählt er kritische Töne. Wenn Mia ihn fragt, ob er verärgert ist, gibt er gereizt zu verstehen, dass das keineswegs zutrifft.
Bestätigende Gefühle aktivieren das Selbstwerterleben der Person. Triumphgefühle, glückliche Verliebtheit, Hoffnung, Hochmut, Stolz und erlebte Lust stärken den Glauben des Egos an die eigene Bedeutung.
Die dritte Kategorie von Gefühlen stellt das Ego infrage. Zu nennen sind Angst, Sorge, Schuldgefühle, Reue, Verzweiflung, Liebeskummer, Langeweile, Erschrecken, Scham und Trauer. Entweder reagiert das Ego auf solche Gefühle mit dem Versuch, sich erneut zu sichern, oder das Ich lockert seine Bindung ans Ego, weil es dessen grundsätzliche Schwäche erkennt.
Transpersonale Gefühle sind Ausdruck des absoluten Selbst, also der Seinsweise des Ich, die die Person überschreitet. Je größer die Egozentrizität einer Person ist, desto mehr wird das Erleben transpersonaler Gefühle durch die überwertige Beschäftigung des relativen Selbst mit dessen begrenzten Belangen eingeschränkt.
Nur wenige Menschen (z.B.: dissoziale Persönlichkeiten) sind so auf ihre Person bezogen, dass transpersonale Gefühle vollständig aus ihrem Bewusstsein verdrängt werden; und noch weniger sind so frei, dass die genannten Gefühle völlig unbehindert ins Bewusstsein strömen.
Rein transpersonal sind:
Im Regelfall leuchten transpersonale Gefühle ins relative Selbst hinein... und sind dort in abgeschwächter und bedingter Weise wahrzunehmen. Abgeschwächt und bedingt heißt: Ihre Ausdruckskraft wird durch den persönlichen Horizont des Individuums beschränkt. Die Fähigkeit, sie unvermindert wahrzunehmen, fällt der Fokussierung des Blicks auf persönliche Vorteile zum Opfer.
Das Absolute im Relativen
Existenzielle Dankbarkeit ist unbedingter Dank für die Existenz der Wirklichkeit. Im relativen Selbst taucht Dankbarkeit ebenfalls auf: Im Regelfall aber nicht unbedingt. Im Regelfall ist man für einen besonderen Vorteil dankbar, der einem zuteilgeworden ist und man hofft, durch Dankbarkeit für die Zukunft vorzusorgen.
Wir wissen fast alle, was Mitgefühl ist. Aber kaum je vergessen wir uns selbst dabei so, dass unsere persönlichen Interessen uns nicht erfolgreich zu Maß und Ziel ermahnten.
Im absoluten Selbst ist Glückseligkeit zeitlos; weil sie von nichts abhängt, was zum Glücksempfinden in Erfüllung gehen müsste. In der Welt der alltäglichen Geschäftigkeit erleben wir Zeiten der Freude und Momente des Glücks; sobald ein persönlicher Wunsch verwirklicht wird oder ein Leid zu Ende geht. Die Freude hält aber nur solange an, bis uns die Wirklichkeit die Erfüllung des nächsten Wunschs verwehrt.
Alles Relative ist Erscheinung des Absoluten. Relatives nimmt an, was das Absolute ihm gibt, oder es versucht, die Gabe zu verweigern. Die Gabe des Absoluten ans Relative ist die Art wie es ist. Je mehr das Relative die Gabe des Absoluten verweigert, desto mehr wird es sein Dasein erleiden.
Gefühle sind nicht nur da und haben keinen weiteren Sinn, als dass man entscheiden kann, ob man die schönen genießt und die hässlichen tapfer erleidet oder sich dagegen sträubt. Gefühle haben Funktionen. Gefühle...
Gefühle informieren über das grundlegende Muster unserer Einschätzung der Realität. Wir halten unsere Lage für...
Die Information, die das jeweilige Gefühl bzw. die jeweilige Stimmung liefert, bedeutet zugleich eine Einformung des geistigen Binnenraums. Diese Einformung stellt die Weichen für die steuernde Funktion der Gefühle.
Die Einformung, die durch die Information des Gefühls vorbewusst bewirkt wird, bahnt unmittelbar die Wahrscheinlichkeit dieser oder jener bewussten Entscheidung.
Trotz emotionaler Vorgaben bleibt die Entscheidungsfreiheit in der Regel bestehen. Auch wenn von dieser Freiheit oft kein Gebrauch gemacht wird, heißt das:
§20 StGB
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
§21 StGB
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit im Rahmen von Straftaten wird nach der Steuerungsfähigkeit des Täters gefragt. Die Schuldfähigkeit kann entweder durch kognitives Unvermögen (z.B.: Schwachsinn, akute Psychose) oder durch Verlust der Steuerungsfähigkeit aufgrund übermächtiger Affekte vermindert sein.
Wann einem Täter zugestanden werden kann, dass er seinen Gefühlen wehrlos ausgeliefert war, ist eine gutachterliche Frage, die kaum je objektiv zu beantworten ist.
Auch jenseits des Gerichtssaals ist die Frage, welche Instanz ein Verhalten bestimmt, von großer Bedeutung. Bestimmt das reflektierende Ich oder bestimmt die Stimmung, die gerade über es bestimmt?
Gefühle wirken nicht nur steuernd auf aktuelle Entscheidungen. Langfristig führen sie zu biographischem Wachstum und der Transformation grundlegender seelischer Reaktionsmuster. Dadurch verbessern sie die Fähigkeit, komplexe Strukturen der Wirklichkeit zu erfassen; und die eigene Position darin zu bestimmen. Dies gilt vor allem für die Position in zwischenmenschlichen Beziehungen.
Gefühle lenken die Aufmerksamkeit im Grundsatz nach innen. Dadurch erhöhen sie das Selbstbewusstsein. Achtsam durchlebte Gefühle steigern in der Folge die Selbstsicherheit. Das Potenzial der Gefühle zur Transformation seelischer Grundmuster kommt aber nur dann ungestört zum Zuge, wenn man sie bewusst durchlebt und die Verantwortung für das Gefühl bei sich belässt.
Typisch ist dieser Mechanismus bei aggressiven Gefühlen. In der Wut schaut man auf deren Zielscheibe; aber nicht auf ihren wahren Ursprung. Man geht davon aus, dass die Zielscheibe der Wut deren Ursprung ist. Das trifft nicht zu. Sie ist bloß deren Anlass.
Ursprung und Auslöser
Der Ursprung eines Gefühls liegt in der Vorstellung, wie die Welt sein sollte. Der Auslöser liegt in der Übereinstimmung oder Abweichung von diesem Bild. Der Ursprung der Wut liegt in der Bereitschaft brachiale Mittel anzuwenden, um die Wirklichkeit der Vorstellung anzupassen. Ihre Auslöser sind Umstände, die als bedrohlich gedeutet werden.
Gefühle werden auch Emotionen genannt. E-motion (lateinisch emovere = herausbewegen) heißt Heraus-Bewegung. Betrachtet man den Sinngehalt des Begriffs genauer, wird die doppelte Funktion der Gefühle bei Transformation und Steuerung deutlich.
Der Impuls der Emotion kann nach innen oder nach außen wirken. Wirkt er nach außen, steuert er Ereignisse der Außenwelt. Wirkt er nach innen, führt er zu psychischen Veränderungen. In beiden Fällen bewegt der Impuls den Fühlenden aus der bisherigen Position heraus.
Herausbewegungen
Ausrichtung und Auswirkungen von Emotionen
Steuernd nach außen | Verwandelnd nach innen |
Jonas hat sich in Laura verknallt. | Jan hat sich in Sonja verknallt. |
Jonas beschließt, Laura um ein Rendezvous zu bitten. | Jan glaubt, dass Sonja längst vergeben ist. |
Beim Treffen im Eiscafé Arnoldo entflammt Jonas Lauras romantische Phantasie durch selbstverfasste Liebesschwüre. | Jan stellt sich der unerfüllten Sehnsucht und durchlebt den Kummer unerschrocken bis zu dessen Ende. |
Jahre später wohnen Laura, Jonas und ihre drei Blagen in der Bahnhofstraße. Jonas hat Laura dreimal betrogen. Enttäuscht vom jeweils anderen, lassen sie ihre Wut aneinander aus. Als ihre Tochter Lilly ins Alter kommt, wo die Jungs ihre Hälse recken, warnt Laura in zynischer Bitterkeit. | Jan ist durch das Leid unerfüllter Sehnsucht reif geworden. Mit Tanja hat er eine gute Beziehung aufgebaut. Die Kinder gedeihen prächtig. Ihr Sohn Max hat sich in Lilly verknallt... Falls Max an der Lust auf Lilly leiden muss, ist Jan ein Vater, der aus eigener Erfahrung trösten kann. |
Gefühle können nach außen gewendet werden. Dort steuern sie Ereignisse. Nicht jedes Ereignis, dass durch Emotionen bewirkt wird, stellt sich hinterher als Glücksgriff dar.
Gefühle können im Stillen durchlebt werden. Selbst wenn das manchmal schmerzhaft ist, kann es der Beginn eines erfolgreichen Lebens sein.
Gewiss: Gefühle werden auch Emotionen genannt. Das heißt aber nicht, dass die Herausbewegung bei egozentrischen und transpersonalen Gefühlen den gleichen Charakter hätte. Egozentrische Gefühle bewegen die Person im sozialen Umfeld um ihr Vorteile zu sichern. Transpersonale Gefühle heben das Ich aus der Identifikation mit der Person heraus.
Ein Sonderfall ist Glückseligkeit. Glückseligkeit ist keine Emotion. In der Glückseligkeit erlebt das Subjekt die vollständige Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Daraus ergibt sich keinerlei Impuls etwas aus einer Position herauszubewegen. Alles ist so, wie es sein soll.
Wie alles, was im Blickfeld des Menschen auftaucht, so werden auch Gefühle bewertet. Die Art der Bewertung von Gefühlen ist eine wesentliche Weichenstellung. Sie legt fest, wie sich der weitere Umgang mit ihnen gestaltet. Fünf Paar Schubladen werden häufig gebraucht. Gefühle gelten als...
Der Übergang zwischen einem gesunden Gefühlsleben und seelischer Krankheit ist meist fließend. Die Gefühle, die auch der Gesunde kennt, machen in übersteigerter Form den größten Teil der Pathologie des seelisch Kranken aus. Als krankhaft kann dabei sowohl die gesteigerte Intensität des Gefühls erlebt werden als auch die Ausschließlichkeit mit der der Kranke an bestimmte Gefühlsqualitäten gebunden scheint.
Mehr oder weniger gefährliche Schubladen
Das Risiko psychologischer Probleme hängt davon ab, welche Begriffe man zur Bewertung der Gefühle wählt.
Das Risiko psychologischer Probleme im Gefolge der Bewertung von Gefühlen hängt davon ab, wie viel Wahrnehmbares dem bewertenden Urteil zugrunde liegt. Ob ein Gefühl als angenehm erlebt wird oder nicht, kann durch Wahrnehmung festgestellt werden. Beim Unterschied zwischen gesund und krank spielen Urteilskonventionen eine große Rolle, die ihrerseits auf der objektivierenden Wahrnehmung der psychiatrischen Wissenschaft beruhen; und objektivierend heißt dabei auch verkürzend.
Die Unterscheidung zwischen gut und schlecht ist ein persönlicher Willkürakt. So kann der eine sagen: Meine Trauer ist gut, weil sie mich von Eitelkeiten reinigen wird. Ein anderer sagt: Meine Trauer ist schlecht, weil sie mich am Genuss des Lebens hindert.
Je nachdem wie sie uns schmecken, teilen wir Gefühle in zwei Kategorien ein: angenehme und unangenehme. Freude, Heiterkeit, Lust und Glück sind uns angenehm. Wir suchen danach. Trauer, Angst, Schuld, Scham, Langeweile und Neid sind uns unangenehm. Diesen Gefühlen geht man lieber aus dem Weg.
Abweichungen von dieser Regel kommen aber vor:
Oft teilen wir Gefühle in gute oder schlechte ein, oder aber in positive und negative. Solche Einteilungen führen in die Irre. Die Einteilung in gute und schlechte Gefühle ist ein Resultat willkürlicher Urteile. Entspricht die Wirklichkeit unseren Wünschen, bewerten wir die entstehenden Gefühle als gut. Ist die Wirklichkeit anders, als wir es für richtig halten, bezeichnen wir die Gefühle als schlecht.
Tatsächlich nehmen wir eine Wirklichkeit, die nicht unseren Erwartungen entspricht, als unangenehm wahr. Das unangenehme Gefühl jedoch als schlecht zu bezeichnen, verführt dazu, sich davon abzuwenden. Statt der Wirklichkeit zu begegnen und durch die Begegnung zu wachsen, vermeiden wir sie.
Die polare Einteilung der Wirklichkeit in die Kategorien gut und schlecht entspricht dem Abwehrmechanismus der Spaltung.
Negativ geht auf das lateinische Verb negare = nein sagen, verneinen, bestreiten zurück. Bestimmte Gefühle als negativ einzuordnen, wie es allenthalben betrieben wird, zeigt im gewählten Begriff an, wie sich der Fühlende seinem Gefühl gegenüber verhalten will: Er sagt nein dazu. Er verneint den Wert des eigenen Erlebens. Er bestreitet, dass es das erlebte Gefühl überhaupt verdient, erlebt zu werden.
Welcher Irrweg in der Einteilung steckt, zeigt die Untersuchung des Begriffs positiv. Dieser entstammt dem spätlateinischen Adjektiv positivus = gesetzt, gegeben. Das Positive ist das Gegebene. Es ist das in die Wirklichkeit Gesetzte, das somit tatsächlich da ist. Der sprachliche Zusammenhang zum Begriff Position ist offensichtlich. Das Positive ist an die Position gesetzt, auf die es die Wirklichkeit positioniert hat.
Obwohl nun jedes Gefühl, unabhängig davon, ob es als angenehm oder unangenehm empfunden wird, ein Inhalt ist, das dem Bewusstsein gegeben, also in es hineingesetzt ist, spricht man mit dem Begriff negativ einem Teil des Erlebens ihr faktisches Gegebensein ab. Eine solche Missachtung lässt sich das Leben nicht ungestraft bieten. Das Abgelehnte neigt dazu, sich aufzudrängen. Um es in der Verdrängung zu halten, bedarf es wachsender Energie; die dann dort fehlt, wo ihr Einsatz nützlicher wäre.
Gefühle regen zu Handlungen an und beeinflussen das Klima zwischenmenschlicher Beziehungen. Sie können bindend wirken und zu wechselseitiger Förderung führen oder sie führen zu Distanz, Misstrauen und Trennung. Konstruktiv (lateinisch construere = aufbauen, errichten) sind folglich Gefühle, die Gemeinschaften aufbauen, jedoch nur dann, wenn die Gemeinschaft von wechselseitigem Respekt und der Anerkennung des ebenbürtigen Wertes ihrer Mitglieder bestimmt ist.
Destruktive Gefühle (lateinisch dis- = entzwei) spalten Gemeinschaften auf. Ist der Gemeinschaft eine missbräuchliche Komponente eingewoben, kann ein eigentlich destruktives Gefühl im Grundsatz auch konstruktive Wirkungen haben.
Werner hatte Alina oft von oben herab behandelt. Nachdem Alina ihren Ärger zum Ausdruck brachte, sah Werner seinen Fehler ein. Seitdem geht es beiden miteinander gut.
Ebenfalls Folge einer Bewertung ist der Begriff des verletzten Gefühls. Die Verletzung eines Gefühls kann nicht wahrgenommen werden. Tatsächlich wahrnehmbar sind Gefühle unterschiedlicher Qualität.
Die Qualität des eigenen Gefühls durch den Begriff verletzt einem äußeren Aggressor zuzuschreiben, ist das Werk psychologischer Abwehrmechanismen. Durch projektive Desidentifikation weist der Betreffende die Verantwortung für seine seelischen Reaktionen von sich.
Der Begriff Verletzung beschreibt eine Abweichung von einem definierbaren Soll. Das Loch im Kopf gehört da nicht hin. Gebrochene Knochen erfüllen nicht ihre Funktion. Gefühle sind aber keine festen Strukturen, denen man ein definierbares Soll zuschreiben kann. Man kann allenfalls entscheiden, ob man ein bestimmtes Gefühl gerne hätte oder eben nicht.
Gefühle sind innerseelische Erlebnisweisen mit oft erheblicher Flüchtigkeit. Sie reagieren lebhaft auf Ereignisse, Bilder und Illusionen. Je nachdem, was geschieht, wandeln sie sich, schwächen sich ab oder schlagen ins Gegenteil um.
Keines der neu entstandenen Gefühle ist aber sinnvoll als sein verletzter Vorgänger zu beschreiben. Das hieße, Gefühle könnten defekt sein. Das Anderssein des späteren Gefühls ist kein Defektzustand des früheren. Es ist einfach nur ein anderes Gefühl.
Dementsprechend würde niemand behaupten, eine Stechmücke habe seine Sorglosigkeit verletzt, weil sie wider Erwarten die Malaria übertrug. Sinnvoll heißt es: Von jetzt ab bin ich Mücken gegenüber misstrauisch und passe bei Tropenreisen besser auf.Verletzt wird durch ein Ereignis nicht das Gefühl. Vielmehr wird das Weltbild infrage gestellt, das dem Gefühl bis dahin zugrunde lag. Da eine solche Infragestellung auch das Selbstbild in Mitleidenschaft zieht, an dem man festhalten möchte, wird die Infragestellung als illegitime Zumutung gedeutet und anderen als Schuld zur Last gelegt.
Es ist im Text schon angeklungen. Emotional reagieren wir nicht nur auf die Wirklichkeit...
Fast in gleicher Weise wie auf die Wirklichkeit reagieren wir emotional auf Vorstellungen, die wir uns über sie machen.
Bei der Unterscheidung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit lässt die Sorgfalt oft zu wünschen übrig. Das hat bittere Folgen. Stimmungen und Gefühle mäandern im Schlepptau wechselnder Kognitionen, die sich, aus diversen Quellen gespeist, in unseren Köpfen selbständig machen.
das Gedächtnis:
Was man anders hätte machen sollen... Was andere hätten anders machen müssen...
Was andere uns erzählen:
Daniela hört ihrer Mutter zu, wenn die sich über die Welt beklagt. In den letzten fünf Jahren war sie 2947 Stunden und 43 Minuten auf Empfang. Ihre Antennen sind so abgenutzt wie ein Treppenhaus aus den 30er Jahren.
Gedanken und Gefühle befeuern sich wechselseitig:
Das Wechselspiel zwischen Gedanke und Gefühl führt dazu, dass die Stimmung oft kaum der Wirklichkeit entspricht, der man momentan begegnet, sondern einem Gebräu toxischer Vorstellungen, in denen sich Angst, Wut und unerfüllte Begierde bildlich vermengen.
Ob Gefühle und Stimmungen mit dem übereinstimmen, der sie erlebt, hängt von der Ausrichtung der Achtsamkeit ab. Blickt man zur Welt hinaus, wird man emotional von dem beherrscht, was man von ihr erfährt und über sie denkt. Blickt man nach innen ohne Gedanken zu folgen, tritt der Wellengang äußerer Ereignisse und dazu passender Bilder im Kopf in den Hintergrund. Aus Seegang wird Dünung. Aus Dünung wird Stille. Aus der Stille heraus kann man den Seegang betrachten, ohne dass man von ihm umhergeworfen wird.
Im Umgang mit Gefühlen hat man zwei Möglichkeiten:
Zur Vermeidung von Gefühlen, die wir nicht wahrhaben wollen, betreiben wir beträchtlichen Aufwand. Neben den klassischen Abwehrmechanismen, setzen wir eine Palette von Maßnahmen in Gang:
Der Versuch, unangenehme Gefühle aus dem Bewusstsein zu verbannen, verursacht Nebenwirkungen. Zum einen verbraucht man viel Kraft; denn je mehr man bestimmte Gefühle vermeiden will, desto mehr drängen sie heran. Der Widerstand gegen das Vermiedene macht zunehmend Mühe.
Zum anderen sind Gefühle notwendige Kräfte im seelischen Entwicklungsprozess. Wer ihre Wirkung behindert, stört seine Reifung.
Um im Gleichgewicht zu bleiben, ist es sinnvoll, alle Gefühle so anzunehmen, wie sie sind. Nicht umsonst heißen Gefühle lateinisch Emotionen, also Heraus-Bewegungen. Wer Gefühle aufzuhalten versucht, wird durch ihre Kraft ebenso aus seiner Mitte herausbewegt, wie der, der sich ihnen überlässt. Wer Gefühlen erlaubt, das Bewusstsein zu durchqueren und im Vorübergehen auf die Psyche einzuwirken, schwingt nach jeder Emotion in die Mitte zurück.
Viele glauben, bestimmte Gefühle seien unerträglich. Sie glauben, ein Gefühl könne stärker sein als sie selbst, sodass man eine Begegnung damit nicht riskieren könne, ohne durch die Wucht des Gefühls Schaden zu erleiden. Schaden erleidet man aber nicht durch die Erfahrung des Gefühls an sich, sondern durch die untaugliche Art damit umzugehen; indem man zum Beispiel an irreführenden Vorstellungen festhält, die als Auslöser der Gefühle zu vermuten sind.
Krank wird, wer sich auf falsche Urteile versteift.
Seneca
Bedenken Sie: Gefühle sind Ihre Reaktionen auf die Vorstellung, die Sie sich von der Wirklichkeit machen. Da es Ihre Reaktionen sind, können sie nicht stärker sein als Sie. Die Kraft eines Gefühls ist niemals größer als Ihre eigene. Kommt Ihnen ein Gefühl besonders mächtig vor, dann ist es Ihre Macht, die Sie darin erkennen.
Praktisch umzusetzen
Stellen Sie sich Ihren Gefühlen. Nicht um sie zu bewerten oder gar zu bekämpfen, sondern um sie zu erleben und anzuerkennen. Gefühle sind Gäste Ihres Bewusstseins. Seien Sie zu Gästen freundlich. Überschreiben sie ihnen aber nicht das Haus.
Gefühle anzunehmen heißt nicht, ihnen die Steuerung des Verhaltens zu überlassen. Im Gegenteil: Gefühle blind auszuagieren ist eine Variante, sich der Wahrnehmung der Gefühle zu entziehen.
Gefühle anzunehmen heißt vielmehr, sie wahrzunehmen - wörtlich: sie als wahr anzunehmen - und sie vertrauensvoll in den seelischen Entwicklungsprozess eingreifen zu lassen. Am besten gelingt das, wenn man Gefühle ohne sie zu bewerten aus achtsamer Stille heraus betrachtet. Je drängender sich Gefühle bemerkbar machen, desto besser ist es meist, ihr Erscheinen tatenlos zu beobachten statt unter ihrem Einfluss irgendetwas zu tun.
Richtig: Man sollte seine Gefühle ernst nehmen. Aber nicht immer allzu ernst.
Es gilt zu unterscheiden: Gefühle können realitätsgerecht sein. Dann weisen sie die Richtung. Gefühle können aber auch durch Vorstellungen veranlasst sein, die unbewussten Wünschen und Ängsten oder dem Zufall äußerer Einflüsse entspringen.
Neulich sah ich eine Doku über Jimi Hendrix. Prompt wurde ich nostalgisch und hatte Lust, eine zu rauchen.
Dann kann der Begriff Gaukelspiel passen, obwohl auch im Gaukelspiel Wahres zu entdecken ist: Die Bilder von damals weckten die Sehnsucht nach der Sorglosigkeit, mit der man seinerzeit Impulsen folgte. Wer das Wahre entdecken will, muss hinter die Maske des Gaukelspiels schauen.
Der Tatsache, dass Gedanken Gefühle verändern, entspringt ein therapeutischer Ansatz: das positive Denken. Dessen Technik besteht darin, Gedanken, die zu negativen Gefühlen führen könnten, aktiv zu vermeiden und stattdessen zu denken, was Zuversicht weckt.
Jede Therapie zielt letztlich darauf ab, dass man sich besser fühlt. Zuversicht ist angenehmer als Pessimismus. Darüber hinaus kann sie bewirken, dass man die Prüfung angeht und im Erfolgsfall Aussicht auf Positionen hat, von denen aus das Leben leichter wird.
Doch Vorsicht: Recht verstanden positiv ist ein Denken nur, wenn es den Wert des Gegebenen anerkennt; und nicht nur den des Optimalen, das der blanke Optimismus verspricht, ohne je für die Einlösung zu haften.
Wer vor der Prüfung denkt: Wenn ich durchfalle, ist es auch in Ordnung. Dann lerne ich aus dem Scheitern, der denkt positiv im wahren Sinne. Er hat gute Chancen, dass er sich im Leben nicht allzu lange übel fühlt.
Wer aber meint, dass man das Leben durch die Macht der Gedanken austricksen kann, ist auf dem Holzweg.
Kai denkt: Im Vergleich zu mir war Tarzan ein Hänfling, die Monroe eine Schreckschraube und Einstein ein Dummkopf. Es ist ausgeschlossen, dass sich Angela von so einem wie mir jemals abwenden könnte.
Das Leben verschont niemanden vor schmerzlichem Scheitern, bloß weil er denkt, dass es das in seinem Fall tun wird. So billig ist das Glück nicht zu haben.