Angststörungen


  1. Begriffsbestimmung
  2. Realangst und krankhafte Angst
  3. Häufige Angsterkrankungen
  4. Angst und Ego
  5. Lösungen
Es ist besser, Angst zu spüren, als vor ihr wegzulaufen. Es ermutigt nicht, sich auf der Flucht zu sehen. Was Mut macht, ist standzuhalten.

Angst heißt Enge. Angst ist eine seelische Reaktion. Sie verengt das Blickfeld, um Gefahren zu verhindern.

1. Begriffsbestimmung

Angst geht auf das indoeuropäische Verb anĝh = einengen, zusam­mendrücken zurück. Die Abstammung von einem Tätigkeitswort regt dazu an, Angst nicht als passives Betroffensein zu betrachten, sondern als emotionalen (lateinisch: emovere = herausbewegen) Anstoß zu einer Handlung. Die Emotion Angst gibt uns den Anstoß, uns aus Situationen herauszubewegen, die wir für gefährlich halten. Sie ist der Impuls, sich einzuengen; also sich klein zu machen, damit man sich verstecken kann. Angst verengt die Pforte zwischen Ich und Nicht-Ich. Gefährliches kann nicht mehr hinein. Für unentbehrlich Gehaltenes kann nicht mehr hinaus. Angst versucht die Person von der Welt zu entkoppeln, in der sie lebt.

Wie allen Handlungen liegen auch der Angstreaktion Motive, Ziele und Absichten zugrunde. Meist sind uns diese nicht bewusst. Wir fassen Angst einseitigerweise als etwas auf, was uns in Analogie zu einem Virus befällt, als etwas, das unsere Handlungsfreiheit dergestalt von außen beschränkt, dass wir kaum je auf die Idee kämen, uns selbst für die Einschränkung verantwortlich zu machen.

Mehr von der Angst verstehen wir jedoch, wenn wir uns als Täter betrachten und dann erst als Opfer; nämlich als Opfer unserer eigenen Täterschaft. Wer Angst hat, drängt unbewusst darauf, vor einer Hürde auszuweichen. Die Dinge so herum zu sehen, hat Vorteile. Als Opfer können wir nur hoffen, dass uns jemand aus der Haft entlässt. Als Täter der Beengung haben wir den Schlüssel zur Freiheit in der Hand.

Leben und Tod
Letztlich geht es dem Leben immer um Leben und Tod. Leben ist die vorübergehende Existenz einer komplexen Struktur in einem Feld, das von Kräften durchsetzt ist, die ihr entgegenwirken. Das Leben unterliegt der Entropie. Da Leben grundsätzlich ausgesetzt und gefährdet ist, ist die Angst vor Leben und Sterben immer präsent. Durch Erfolg wird sie vorübergehend aufgehoben. Durch Misserfolg wird sie verstärkt.

2. Realangst und krankhafte Angst

Angst ist nicht immer krankhaft. Die Angst vor echten Gefahren nennt man Realangst. Sie ist ein Werkzeug des Lebens, um Organismen vor Risiken zu schützen.

Unterschiede
Realangst schützt vor Gefahren. Krankhafte Angst ist selbst eine Gefahr. Sie zieht die Aufmerk­samkeit des Betroffenen auf sich und lenkt ihn dadurch von faktischen Gegebenheiten ab, auf die er ohne Ablenkung erfolgreich reagieren könnte. Realangst sagt: Beachte dies! Pathologische Angst sagt: Beachte mich! Realangst dient dem, den sie warnt. Krankhafte Angst lebt auf Kosten dessen, den sie für sich in Beschlag nimmt. Ist Angst nicht als Schutz vor realen Gefahren erkennbar, ist es das Beste, zu erkennen, was sie ist: Bloß ein Urteil, das die Wirklichkeit verfehlt.

Angst ist das Produkt eines unbewussten psychischen Prozesses. Dabei werden Situationen oft blitzartig erfasst und dem Bewusstsein in Form des Angstgefühls eine alarmierende Risikoabschätzung sowie ein Handlungsvorschlag zur Verfügung gestellt. Angst schlägt vor, sich zurückzuziehen oder zumindest auf weiteres Vorgehen zu verzichten.

In die Risikobewertung fließen verschiedene Faktoren ein:

Sinnvoll oder krankhaft

Die Vielfalt des Lebens ist unermesslich. Daher gibt es kein objektives Maß, das verbindlich zwischen schädlicher, also krankhafter und nützlicher Angst unterscheidet. Krank geht auf die indoeuropäische Wurzel ger = biegen, krümmen zurück. Krank ist folglich, was seine wahre Form verfehlt. Krank ist, was sich nicht aufrichtet.

So muss von Fall zu Fall entschieden werden:

Es bleibt zu entscheiden, was die wahre Form dessen ist, der Angst erlebt. Ist Malte eigentlich ein Drachentöter? Dann passt es nicht, dass er sich vor einer Hyäne mit Titangebiss versteckt. Entspringt Melinas Wunsch, vor Publikum zu sprechen nicht Wissensdurst, sondern Eitelkeit? Dann ist es besser, wenn sie schweigt.

Zu sprechen, bloß weil man meint, man müsse einer sein, der spricht, kann Verrat am wahren Wesen sein. Nur wenn Melina wirklich wissen will, aber schweigt, weil sie fürchtet, wegen ihrer Frage könnte sie belächelt werden, verbiegt ihr Schweigen ihre wahre Form.

2.1. Widerstreit der Impulse

Angst zu haben heißt sich zu verengen; und zwar in doppeltem Sinn:

  1. Angst schlägt vor, den Aktionsradius einzuschränken.
    Dem Kletterer in der Steilwand rät sie, diesseits der Gefahrenstelle zu bleiben.

  2. Angst führt zu einer Fokussierung des Bewusstseins. Die Wahrnehmung wird durch Angst auf die Gefahrenquelle verengt.
    Solange Malte hinter der Baumwurzel hockt, denkt er nur an die Hyäne.

Die Verengung der Wahrnehmung zum Angstgefühl entsteht beim Konflikt gegenläufiger Impulse.

Solange Ihre Impulse sich einig sind, meldet Ihre Psyche Sicherheit. Ihr Bewusstsein ist beim Spaziergang an der langen Leine. Es befasst sich mit beliebigen Fragen. Taucht ein gegenläufiger Impuls auf, alarmiert Sie Ihre Psyche. Sie ruft Ihr Bewusstsein dazu auf, sich auf die Lösung des Widerspruchs zu konzentrieren. Je heftiger der Widerspruch der Impulse ist, desto intensiver erleben Sie die Verengung des Bewusstseins. Von allen anderen Themen, mit denen Sie bis zum Auftauchen der Hyäne befasst waren, zieht es sich auf die eine Frage zurück: Angriff oder Rückzug? Empfiehlt Ihre Psyche den Angriff, empfinden Sie die Verengung als Wut. Empfiehlt sie den Rückzug, empfinden Sie die Verengung als Angst.

Angst und Wut

Oft sind Angst und Wut zwei Seiten einer Medaille. In beiden Fällen staut sich vor einem Hindernis seelische Energie. Während sich die Energie in der Wut entlädt, um das Hindernis zu durchbrechen, versucht eine Psyche in Angst, die Energie am Ausbruch zu hindern. In der Wut dient Energie der Expansion. In der Angst dient sie der Selbstbeschränkung.

Bei der Realangst ist der Zusammenhang zwischen Angst und Auslöser direkt erkenn­bar. Deshalb kann man das Problem meist durch eine klärende Entscheidung lösen. Entweder ich zeige der Hyäne, wer Herr im Wald ist, oder ich beseitige meine Angst, indem ich mich aus der Gefahr zurückziehe.

Bei der krankhaften Angst ist der tatsächliche Auslöser nicht klar erkennbar. Er ist durch psychische Manöver verdeckt. Deshalb erscheint die krankhafte Angst als unsinnig. Die Angst und ihr Auslöser passen nicht zusammen. Wie soll man sich aber einer Angst stellen, wenn man nicht weiß, wovor man sich tatsächlich fürchtet. Erst durch eine Untersuchung des Sachverhalts wird erkennbar, worauf sich die Angst wirklich bezieht. Hat man den Auslöser erkannt, ist der Weg zu klärenden Entscheidungen gebahnt.

Einteilung

Krankhafte Ängste lassen sich in zwei Gruppen einteilen: je nachdem, ob sie an eine bestimmte Situation gebunden sind oder nicht.

Ein enger Bezug zur spezifischen Situation besteht bei der Agoraphobie (Platzangst), der Klaustrophobie, den Tierphobien, der Höhenangst und der Sozialen Phobie.

Kein oder wenig Bezug besteht bei der Generalisierten Angststörung und bei der reinen Panikstörung.

2.2. Angst und Aggression
Angst, Wut und Gier verengen den Blick auf bestimmte Objekte. Zugleich blenden sie anderes aus.

Aggression dient der Abwehr existenzieller Gefahren. Aggression hat aber auch psychologische Funktionen. Sie dient der Abwehr von Angst. Angst zu haben ist unangenehm. Wütend zu sein, vermittelt dem Ich ein Gefühl der Stärke. Indem es wütend wird, nimmt das Ich seine Waffen in die Hand. Bewaffnet fühlt es sich stärker. Es fühlt sich in der Lage, die Ursachen der Angst zu beseitigen. Der chronisch Wütende fühlt sich in der Wut zu Hause.

Der Mechanismus kann dazu führen, dass Individuen selektiv nach jenen Aspekten der Wirklichkeit Ausschau halten, die Argumente dafür liefern, wütend zu werden. Und daran herrscht kein Mangel. Mit ein bisschen Phantasie kann man sich sogar darüber ärgern, dass die Kirschen reif sind: So ein Mist. Jetzt soll ich auch noch pflücken.

Der Mechanismus hat jedoch paradoxe Effekte. Wer der Welt stets kampfbereit gegenübertritt, bewirkt, dass die Welt sich vor ihm fürchtet und ihm Widerstand leistet. Außerdem übertönt der Lärm der Wut leise Töne der Seele. So stört der Wütende die Wahrnehmung seiner selbst; und untergräbt dergestalt sein Selbstbewusstsein. Dadurch schließt sich ein Kreislauf. Wer zu viel Aggression zur Abwehr seiner Angst verwendet, verstärkt die Bedingungen, die seine Angst begründen.

Es gibt nicht nur ein Wechselspiel zwischen Angst und Wut, sondern auch eins zwischen Angst und Gier. Die Angst vor der Wirklichkeit führt zur Begierde, sich möglichst viel davon einzuverleiben; um die Machtbalance zum eigenen Vorteil zu verschieben und die Gründe, sich zu fürchten, durch die Verschiebung abzuschwächen. Die Tendenz, sich möglichst viel einzuverleiben, schürt andererseits aber neue Ängste. Der Gierige gerät nicht nur in Konflikt mit anderen, er setzt sich auch der Befürchtung aus, das Einverleibte wieder zu verlieren. Auch hier entsteht ein Kreislauf. Gier ist eine vereinnahmende Aggression, die Angst vermindern soll, sie zugleich aber steigert.

Angst heißt Verengung. Sie verengt das Bewusstsein auf ausgewählte Objekte: Entweder auf Objekte, die bedrohlich erscheinen oder auf Objekte, deren Besitz Bedrohungen abwehren könnte. Alles andere wird durch die Verengung ausgeblendet. Die Verengung kann defensiv oder offensiv sein.

Defensive und offensive Verengungen des Bewusstseins

Angst defensiv vermeiden
zurückweichen
Wut offensiv angreifen
überwinden
zerstören
besiegen
Gier offensiv vereinnahmen
einverleiben

2.3. Angst und Freiheit

Angst ist unbeliebt. Am liebsten wäre man frei davon. Dabei ist Angst ihrerseits ein Indikator der Freiheit. Angst wird nur von etwas empfunden, das Freiheit verkörpert. Das ist logisch: Toten Objekten fehlt die Freiheit, sich zu diesem oder jenem zu entscheiden. Ihr gesamtes Schicksal hängt von äußeren Kräften ab, die über sie bestimmen: physikalischen, chemischen, biologischen, menschlichen. Selbst wenn einem Objekt die Vernichtung droht, macht es keinen Sinn, dass es sich davor ängstigt. Es könnte ihr nicht entgehen. Angst wäre nutzlos.

Erst wenn ein Individuum in Anbetracht einer bedrohlichen Situation eine Entscheidung treffen kann, die ihm erlaubt, der Bedrohung zu entgehen, hat Angst eine Funktion und damit eine Chance, sich im Laufe der Evolution herauszubilden. Dass sich der Mensch fürchtet, ist ein mächtiges Indiz dafür, dass sein Verhalten nicht vollständig determiniert, sondern zum Teil selbstbestimmt ist.

Gemeinsamer Nenner
Angst macht nicht nur unfrei. Jede Angst gehört vielmehr zum Versuch, Freiheit zu bewahren. Denken wir erneut: Angst kommt auf, wenn eine Gefahr droht. Doch was ist der gemeinsame Nenner aller Gefahren? Der gemeinsame Nenner aller Gefahren liegt in der Gefahr, Freiheiten einzubüßen.

3. Häufige Angsterkrankungen

Angststörungen machen einen großen Teil der psychiatrischen Erkrankungen aus. Bei der Hypochondrischen Störung, bei Psychosen und Zwangsstörungen sind Ängste ebenfalls bestimmend. Viele Depressionen sind von grundsätzlicher Lebensangst durchsetzt.

Psychosoziale Grundmuster

  • Agoraphobie: Angst, sich nicht behaupten zu können
  • Klaustrophobie: Angst, beengt, erstickt oder vereinnahmt zu werden
  • Soziale Phobie: Angst, abgelehnt, ausgelacht oder nicht wertgeschätzt zu werden
  • Psychose: Angst, gezielt geschädigt zu werden

Eine wichtige Ursache krankhafter Ängste sind Zuspitzungen des psychologischen Grundkonflikts. Krankhafte Ängste sind oft mit Beziehungsstörungen verwoben. Häufig haben sie symbolischen Charakter. Ängste rund um den Konflikt zwischen den Bedürfnissen nach Schutz und Zugehörigkeit einerseits sowie Selbstbestimmung andererseits werden aus dem Spannungsfeld zwischen­menschlicher Beziehungen auf Felder verschoben, die thematisch oder assoziativ damit verbunden sind. Dabei überwiegt der Impuls zur Zugehörigkeit, ohne dass der Anspruch, über sich selbst zu entscheiden, so wie bei schweren Depressionen aufgegeben wird. Durch die Verschiebung werden Beziehungen vor den Gefahren erkennbarer Konflikte geschützt.

Wichtige Angsterkrankungen gemäß ICD-10-Klassifikation der WHO

Name ICD Angst­auslöser Situa­tions­bezug
Agoraphobie F40.0 Freie Plätze, Verlassen des Hauses, Menschen­mengen, Reisen +
Klaustro­phobie F40.2 Fahrstühle, enge Räume, Computer­tomographen +
Soziale Phobie F40.1 Prüfungen, Vorträge halten, Fremde ansprechen, gesehen und beurteilt werden +
Generalisierte
Angststörung
F41.1 Phantasie, dass etwas Gefährliches passieren könnte -
Panikstörung F41.0 Angst vor der Angst -
Tierphobien F40.2 Spinnen, Mäuse, Hunde +
Höhenangst F40.2 Betreten des Balkons, Herantreten ans Fenster, Fensterputzen auf der Trittleiter +
Zahnarzt­phobie F40.2 Zahn­behand­lungen +

Weitere Erkrankungen bei denen Ängste eine wesentliche Rolle spielen

Name ICD Angst­auslöser Situa­tions­bezug
Hypochon­drische Störung F45.2 Harmlose körperliche Symptome +
Zwangsstörung F42 Gefahr des Kontroll­verlusts + oder -
Paranoide Schizophrenie F20.0 Angst vor feindseligen Bedrohungen aus dem sozialem Umfeld grundlos oder irrational übertreibend

Durch die ängstliche Beschäftigung mit der Möglichkeit, schwer erkrankt zu sein, verengt der Hypochonder den Fokus seiner Aufmerksamkeit auf harmlose Körpersignale, sodass er sie als bedrohliche Symptomatik wahrnimmt. Obwohl Angst im Vordergrund steht, hat die WHO die Hypochondrische Störung daher den Somatoformen Störungen, also den körperbezogenen Störungen, zugeordnet.

Zwangssymptome werden durch Ängste ausgelöst. Durch die Zwangs­handlung versucht der Kranke, das Angstgefühl sowie vermeintlich oder tatsächlich drohende Gefahren abzuwenden.

Die dominierende Symptomatik der meisten Psychosen ist das paranoide Erleben. Der Kranke befürchtet durch allerlei feindselige Kräfte von außen bedroht zu sein.

3.1. Agoraphobie / Platzangst

Agoraphobie (griechisch: agora (αγορα) = Marktplatz und phobos (φοβος) = Angst) heißt die Angst vor weiten Plätzen. Allerdings fürchtet ein Agoraphobiker nicht den Platz an sich, sondern die Herausforderung, sich dort raumgreifend zu behaupten und beim Versuch, es zu tun, zu unterliegen. Er fürchtet sich vor den Gefahren einer offensiven Konkurrenz um den Raum, den das Leben bietet. Daher wird die Platzangst in der Regel von einer Angst vor Menschenmengen begleitet und der Agoraphobiker wagt das Haus nur in Begleitung eines Beschützers zu verlassen.

Wie alle Ängste kann sich Platzangst bis zur Panik steigern.

Wer mit Platzangst reagiert, vertraut nur wenig darauf, dass er seine Interessen aus eigener Kraft vertreten kann. So entsteht ein Teufelskreis: Im Glauben, ohne den Beistand anderer nicht zurechtzukommen, hält er autonome Impulse erst recht zurück. Grund der Zurückhaltung ist die Furcht, sich die Sympathien anderer durch eigenständige Expansivität zu verscherzen.

Mit gebremster Kraft hat man draußen auf dem Platz aber nicht den Mut, der schieren Weite und der Konkurrenz anonymer Menschen­massen standzuhalten. Man fürchtet, ohnmächtig umzufallen und sich auf dem Boden liegend hilflos dem Getriebe auszuliefern. Wenn man überhaupt das Haus verlässt, dann möglichst nicht ohne den Geleitschutz anderer. Wer aber Geleitschutz braucht, gerät unter die Vormundschaft derer, die den Schutz gewähren. Und der Preis für den Schutz ist die Bereitschaft, auf autonome Impulse und klare Abgrenzungen gegenüber den Beschützern zu verzichten.

Die Angst, der Welt ohnmächtig ausgeliefert zu sein, steigert sich bei vielen Kranken bis zur Panik. Da man in der Panik kaum je in der Lage ist, rational auf das Umfeld zu reagieren, wird sie erst recht als bedrohlich erlebt und als zusätzliche Gefahr gefürchtet. Zur äußeren Gefahr - von anderen überrannt zu werden - addiert sich eine Gefahr von innen: durch Panik gelähmt zu sein. Beide Ängste schaukeln sich auf. Wer überrannt zu werden droht, ist vor Schreck gelähmt. Wer gelähmt ist, droht überrannt zu werden. Und außerdem: Da Panik aus dem Inneren aufsteigt, untergräbt sie das Selbstvertrauen.

Übergänge

Agoraphobie und Klaustrophobie gehen zuweilen ineinander über. Das ist nicht verwunderlich: Steht hinter beiden Ängsten doch eine Störung des Ausdrucks autonomer, also raumgreifender Impulse.

Reagiert jemand in vollen Kaufhäusern panisch, kann entweder die Angst vor versperrten Fluchtwegen am Werke sein, oder die Angst, sich im Getümmel nicht durchsetzen zu können. Das eine Thema geht ins andere über.

3.2. Klaustrophobie

Klaustrophobie (lateinisch: claudere = verschließen) ist die Angst vor Einschränkung. Auch sie entsteht meist durch Verschiebung zwischenmenschlicher Konflikte auf symbolische Auslöser.

Wer geboren werden will, braucht den Mut, ins Freie vorzustoßen; auch wenn ein Hindernis im Wege steht. Was würden Sie in Ihrem Leben ändern, hätten Sie keine Angst, es würde von anderen missbilligt?

Enge beschränkt den Ausdruck autonomer Impulse. Menschen, die unter Beengungs­angst leiden, leben oft in Beziehungsfeldern, in denen die Möglichkeit eingeschränkt ist, frei über sich selbst zu bestimmen. Entweder liegt ein äußerer Zwang vor, der nicht zu sprengen ist oder es besteht (gleichzeitig?) eine Furcht vor Autonomie; was dazu führt, dass sich der Betroffene insgeheim mehr an andere klammert, als er sich selbst eingesteht. In beiden Fällen fördert die Beengung eine unterschwellige Wut, mit der sie eigentlich zu sprengen wäre. Wenn denn die Angst vor dem Verlust des Schutzes das Unbehagen des Beengtseins nicht überwöge.

Übungen

Sie leiden unter klaustrophoben Ängsten? Dann üben Sie, sich durchzudrängeln. Bahnen Sie sich einen Weg durch Menschenmengen.
  • Stufe 1: Denken Sie nur an das Ziel.
  • Stufe 2: Achten Sie auf genervte Gesichter. Spüren Sie, wie Sie auf ablehnende Mimik reagieren.

Gerät der Klaustrophobiker in eine Situation, die Beengung bildhaft verdeutlicht, läuft das Fass über. Die Angst vor der Umklammerung wird erlebt, ohne dass die eigentliche Ursache verstanden wird.

Symptome

Matthias vermeidet Kinobesuche, Kaufhäuser und Busfahr­ten. Einen Lift hat er seit Jahren nicht mehr betreten. Auf Tunnels, Verkehrsstaus und verengte Fahrstreifen reagiert er mit Schweißausbrüchen. Wenn Matthias in geschlossene Räume gerät, befällt ihn dumpfe Angst. Er fürchtet, nicht mehr rauszukommen.

Seelischer Hintergrund

Matthias glaubt, er sei auf das Wohlmeinen anderer ange­wiesen. Deshalb vermeidet er, sich unbeliebt zu machen. Wenn er das Kino verlassen wollte, weil ihn der Film langweilt oder er mal muss, dann müsste er einen ganzen Saal voller Leute stören. Bevor er das riskiert, geht er lieber gar nicht erst hin. Auch im Gedränge des Kaufhauses oder hinten im Bus drohen ähnliche Gefahren. Wenn man sich beherzt den Weg ins Freie bahnt, erntet man missbilligende Blicke.

Eigentlich liegt Matthias' Problem nicht an Kinos, Bussen und Bahnen. Er leidet unter der Furcht, dem eigenen Impuls auch dann zu vertrauen, wenn er nicht den Wünschen und Erwartungen des Umfelds entspricht.

3.3. Soziale Phobie

Auslöser der Sozialen Phobie sind Situationen, in denen man die Führung übernimmt. Man steht im Fokus der Aufmerksamkeit, wird gesehen und bewertet. Die Furcht, sich zu blamieren, ist vielen als Lampenfieber bekannt. Bei der Sozialen Phobie ist sie verstärkt. Oder sie tritt auch in Situationen auf, bei denen keine besondere Fähigkeit zu beweisen ist.

Situationen mit
sozialphobischem Potenzial

  • Einen Vortrag halten
  • Einen Fremden ansprechen
  • Am Straßencafé vorbeigehen
  • An der Wursttheke drankommen
  • Sich in der Gruppe zu Wort melden

Ursache der Sozialen Phobie sind zwiespältige Erwartungen des Betroffenen an seine Umwelt. Sobald er die Führung übernimmt, gibt er autonomen Impulsen zuliebe ein Stück Zugehörigkeit auf. Zugleich versucht er durch den Beweis seiner Autonomie Zugehörigkeit zu sichern. Schließlich hat er das Wort ergriffen! Da muss bewiesen sein, dass ihm die Führung zusteht; und das Schicksal die Aufmerksamkeit aller nicht auf ihn lenkt, um ihn zu verstoßen.

Während der Agoraphobiker zufrieden ist, wenn er ungeschoren davon kommt, möchte der Sozialphobiker mehr. Er will anerkannt sein als einer, der handeln darf. Er meint, dass er das Recht dazu nur erwirbt, wenn seine Kompetenz durch die Zustimmung anderer bestätigt wird. Der Sozialphobiker hat Angst, dass er für die Loslösung aus der Zugehörigkeit bestraft werden könnte und glaubt, dass er der Strafe nur entkommt, wenn er sich durch Qualität entschuldigt. Die Anerkennung seiner Souveränität durch andere soll ihm den Platz in der Gemeinschaft, den er durch autonomes Handeln infrage stellt, auf höherer Ebene sichern. Daher setzt er sich gewaltig unter Druck, um seine Souveränität zu beweisen... so gewaltig, dass er aus Angst zu versagen so aufgeregt ist, dass er seinen Anspruch damit untergräbt.

3.4. Generalisierte Angststörung

Wer unter einer Generalisierten Angststörung leidet, macht sich ständig Sorgen. Drei Faktoren kommen hier zusammen.

Das vorsorgliche Bedenken von Gefahren und ihrer Abwehr kann Gefahren erfinden, die so unwahrscheinlich sind wie ein Sechser im Lotto... aber mehr Angst machen, als ein Unglück, das bereits eingetreten ist.

Die Unterscheidung zwischen dem generell Ängstlichen und dem, der ängstlich-vermeidende Verhaltensmuster praktiziert, ist in der Praxis schwer. Immerhin: Wer vermeidende Muster auslebt, wird von seiner Angst verschont, solange er nichts Gefährliches tut. Dem generell Ängstlichen sitzt die Angst vor Unglücken dagegen ständig im Nacken. Denn schließlich: Wenn draußen die Sirene tönt, könnte es sein, dass eins der Kinder gerade in einem Flammenmeer zu Tode kommt. Tatsächlich gehen die Erlebnisweisen des generell-ängstlichen und des ängstlich-vermeidenden Menschen aber ineinander über.

3.5. Panikstörung

Eine Panikstörung kann aus jeder der genannten Angststö­rungen heraus entstehen. Etymologisch benennt der Begriff die Angst vor einer Begegnung mit dem Waldgott Pan. Gemäß altgriechischer Mythologie kann die Nähe dieses Gottes schwere Ängste auslösen, auch wenn man den Gott nicht zu Gesicht bekommt.

Bange Ahnung

Exemplarisch verweist die Etymologie der Panikstörung auf einen wesentlichen Auslöser pathologischer Ängste. Nach Ansicht der alten Griechen wird sie durch einen Faktor ausgelöst, den man nicht sieht. Als Auslöser der Angst sind Ursachen erkennbar, denen in der Regel keine echte Bedrohung zugrundeliegt. Wie der Grieche im Wald auf verdächtiges Rascheln, reagiert der Panikerkrankte auf ursprünglich harmlose Signale. Selbst die Panik, die ihn übermannt ist mehr Sturm im Wasserglas als reale Gefahr. Hätte der Grieche, statt kopflos vor dem Rascheln zu flüchten, hingeschaut, hätte sich Pan als entlaufene Ziege entpuppt.

Bei der Panikstörung spielt ein besonderer Effekt eine große Rolle: Die Angst vor der Angst. Der Patient mit einer Panikstörung reagiert panisch auf die Idee, eine Panikattacken bekommen zu können. Dadurch entwickeln sich Angstzustände auch ohne situative Auslöser; bzw. als Reaktion auf jedes Rascheln, das von rechts, links, hinten oder vorne zu hören ist. Die Angst, eine Panikattacke zu erleiden, lenkt die Aufmerksamkeit des Erkrankten auf banale Störungen des Befindens. In der Angst, dass ein leichtes Unwohlsein der Beginn einer Panikattacke ist, konzentriert sich der Kranke so sehr auf die wachsende Angst, dass sie sein Bewusstsein wie eine Lawine überrollt. Die Panikattacke produziert sich wie von selbst. Das bestätigt dem Kranken, dass banale Störungen des Befindens extrem zu fürchten sind. Jedes Rascheln kann die Rakete zünden.

Geht die Entwicklung einen Schritt weiter, läuft der Reflex sekundenschnell ab. Die Panikattacke kocht hoch, bevor dem Kranken im Vorfeld bewusst wird, dass sie kommt.

Da panische Ängste erhebliche körperliche Begleitsymptome hervorrufen, geht die Angst der Panikattacke in Todesangst über. Der Betroffene glaubt, dass Herzrasen, Schweißausbruch, Schwindel und Übelkeit Zeichen des nahenden Todes sind. Ein Grund mehr, sich zu fürchten.

3.6. Tierphobien

Tierphobien beziehen sich oft auf Spinnen, Schlangen, Hunde, Mäuse oder Stech­insekten. Sie haben in der Psychiatrie zweitrangige Bedeutung. Tieren kann man aus dem Wege gehen.

Die Expositions­therapie ist eine klassisch verhaltenstherapeutische Maßnahme. Der Patient erlernt in der unmittelbaren Begegnung mit dem gefürchteten Objekt eine funktionale Reaktion.

Tiefenpsychologische Deutungen können bei Tierphobien befruchtend sein. Sie gelten bei der Behandlung aber nicht als Mittel der ersten Wahl. Kaum je hat eine Deutung allein Erfolg.

Bei der Behandlung der Tierphobien wird meist eine Expositions­therapie eingesetzt. Dabei wird der Patient schrittweise an das gefürchtete Tier herangeführt. Da die Ursache einer Spinnenphobie nicht die Spinne ist, sondern die verzerrte Vorstellung, die man von Spinnen hat, führt die Korrektur des Vorstellungsbilds durch die Begegnung mit der Wirklichkeit zum Verschwinden der Angst; wenn man den Mut hat, sie bis zu ihrem Verschwinden zu ertragen.

Wurde man von Wespen gestochen oder von einem Hund gebissen, mag eine entsprechende Tierphobie unmittelbar verständlich sein. Die meisten Tierphobien haben jedoch symbolischen Charakter. Tiere repräsentieren bestimmte Eigenschaften, die in der Menschenwelt Entsprechungen haben. So kann eine Spinne den besitzergreifenden und verschlingenden Aspekt einer Bezugsperson versinnbildlichen. Von daher können Tierphobien tiefenpsychologisch gedeutet werden.

Fragen, die man sich bei Tierphobie stellen kann;
die am Problem aber auch völlig vorbeigehen könnten

Tier Denkbare Zusammenhänge
Spinnen Fühle ich mich von etwas vereinnahmt und an der Bewegung gehindert? Habe ich Angst vor eigener Hässlichkeit?
Schlangen Habe ich Angst, dass aus mir etwas Schlechtes herausgeschlichen kommt? Wage ich nicht, die Schlechtigkeit eines anderen als das zu sehen, was sie ist?
Hunde Fürchte ich mich vor dem unbefangenen Ausdruck triebhafter Impulse? Habe ich Angst vor Spontaneität... der eigenen oder der anderer? Habe ich den Mut zu beißen, wo ich bissig werden möchte?
Mäuse Fürchte ich mich, wehrlos, unbeachtet oder unscheinbar zu sein?
Stechinsekten Fühle ich mich von etwas Fremdem vergiftet? Welcher Stachel steckt mir im Fleisch, den ich nicht zu ziehen wage?

3.7. Höhenangst

Der Höhenangst liegen biologische Schutzmechanismen zugrunde. Da der Mensch nicht fliegen kann, ist es sinnvoll, dass er vor Abgründen zurückschreckt. Außerdem stammt er vom Affen ab. Deren Vorfahren sind in die Bäume geklettert und haben sich dem Risiko ausgesetzt. Überlebt haben die, deren Angst vor dem Abgrund groß genug war, um festen Halt zu suchen. Zwischen sinnvoller Vorsicht und krankhafter Höhenangst liegen aber Welten.

Oft ist der Höhenangst eine Zwangssymptomatik beigesellt. Der Kranke fürchtet nicht nur durch Unachtsamkeit abzustürzen. Er hat Angst vor seinen Impulsen. Er fürchtet, seine Phantasie, er selbst könnte in die Tiefe springen, verwandelt sich in einen Impuls, den er nicht mehr kontrollieren kann.

Krankhafte Höhenangst kann mit unbewussten Motiven in Verbindung stehen, die um Rivalität, Unterwerfung, Zugehörigkeit und Rangordnung kreisen. Die erklommene Höhe entfernt den Kranken von Mutter Erde. Sie bringt ihn über die Köpfe der Welt. Er fürchtet, dass er eine solche Position nicht halten kann.

Auch die Höhenangst wird in der Regel durch Expositionstherapie angegangen. Durch zunehmende Konfrontation mit der gefürchteten Höhe wird die Angst abgeschwächt. Nicht immer reicht die bloße Exposition jedoch aus. Dann ist es sinnvoll nach verborgenen innerseelischen Konflikten zu suchen, deren Thema durch Verschiebung symbolisch als Höhenangst zum Ausdruck kommt.

4. Angst und Ego

Meist identifiziert sich das Ich mit dem Ego. Als Ego definiert sich das Ich als eine vom Nicht-Ich abgetrennte Einheit, die der Welt in einem Kampf ums Dasein gegenüber­steht. Das Ego als abgegrenzte Einheit ist eine Illusion. Tatsächlich steht das Ich der Welt nicht nur gegenüber. Es ist zugleich ein individueller Ausdruck ihrer ungeteilten Wirklichkeit.

Mengenlehre

Das Ego ist ein Teil des Ich. Der größte Teil des Ich liegt jedoch außerhalb des Ego. Je mehr sich das Ich bemüht, ins zu enge Schuhwerk zu passen, desto mehr tut es an den Füßen weh.


Alle Angst stammt aus dem Ego: weil es ein- und ausschließt. Im Selbst gibt es keine Angst: weil es alles umfasst.

Hat sich das Ich mit dem Ego gleichgesetzt, ist es in Angstbereitschaft gefangen. Das hat zwei Ursachen:

  1. Wer sich als umgrenztes Etwas empfindet, das einer unübersehbar großen Welt konflikthaft gegenübersteht, lebt ständig im Gefühl, der Übermacht zu unterliegen.

  2. Da das Ego nur als Vorstellung existiert, das Ich an die eigene Nicht-Existenz aber weder glauben will noch kann, steht es unter Druck. Es versucht, sich die Bedeutung seines Egos durch Wert, Macht und Größe zu beweisen. Und es lebt - zu Recht - in der Angst, dass ihm das misslingen wird.

Wenn sich das Ich mit dem Ego verwechselt, kann es nicht mehr ruhen. Es hat Angst, etwas zu verpassen. Es muss höher-, schneller- und weiterkommen, um dem Untergang und der Nichtigkeit zu entgehen. Weil Stillstand an Tod erinnert, fürchtet es jeden Augenblick, in dem nichts passiert, was seinen Wert bestätigt. So kann es das Wirkliche, das in der Gegenwart liegt, nicht als Reichtum empfinden, sondern sucht nach immer neuer Beute, an der es sich in seinem Kampf gegen die Angst vorübergehend stärken kann. Das vom Ego beherrschte Ich ist auf der Flucht vor Langeweile, Sinn- und Bedeutungslosigkeit. Statt in Aktionismus, könnte es sich in Weisheit und Demut üben. Das Ego beschwört es aber, niemals kleinbeizugeben, sondern groß zu wirken und größer zu werden.

5. Lösungen

Angst ist entweder sinnvoll oder krankhaft. Sinnvolle Angst wird meist als solche erlebt. Sie bedarf keiner Therapie.

Krankhafte Ängste können ein ganzes Leben überschatten. Dann sind sie ein Problem, dem genaue Betrachtung gebührt. Zu seiner Lösung können etliche Register gezogen werden.

5.1. Medikamentöse Behandlung

Ob man bei der Behandlung auf angstlösende Medikamente setzt, hängt von verschiedenen Faktoren ab:

Will man Medikamente einsetzen, steht man vor der Wahl des Präparats. Ein wichtiges Kriterium ist die Dauer der geplanten Medikation. Handelt es sich um kurzzeitige Angststörungen, kommen andere Medikamente zum Einsatz als bei langwierigen.

Kurzzeitige Angststörungen

  • Flugangst
  • Sporadische Panikattacken
  • Klaustrophobe Störungen bei Computer­tomographien
  • Ängste vor operativen Eingriffen
  • Zahnarzt­phobie

Bei kurzzeitigen Störungen wählt man Substanzen, die schnell wirken: zum Beispiel Tranquilizer von Benzodiazepin-Typ. Da der geplante Einsatz begrenzt ist, spielt die Suchtgefahr, die von manchen Angstlösern ausgeht, nur eine zweitrangige Rolle; zumindest bei Menschen, die nicht bereits an Suchterkrankungen leiden. Setzt man Benzodiazepine häufig ein, ist Wirkverlust die Regel.

Bei chronischen Angststörungen sind Antidepressiva heute Mittel der Wahl. Vor allem Panikstörungen, Platzangst und die generalisierte Angststörung sind durch Antidepressiva zu bessern; aber auch die Soziale Phobie. Antidepressiva wirken nicht sofort. Wenn sie wirken, kommt es auch bei langer Anwendung nur selten zu einem Wirkverlust.

Ist die Angst Teilsymptom einer Psychose wird man an den Einsatz eines Neurolep­tikums denken. Auch bei Patienten ohne Psychose haben Neuroleptika oft angst­lösende Wirkung.

Angstlösende Medikamente

Mit Suchtgefahr Ohne Suchtgefahr
Substanzen Benzo­diazepine Anti­depressiva
Neuro­leptika
Einsatz­gebiet Kurzzeitige Störungen Langwierige Störungen

Zur Wahl der jeweils am besten geeigneten Substanzen wurden von führenden Berufsverbänden unter Mitherausgeberschaft der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) die sogenannten S3-Leitlinien herausgegeben. Sie stützen sich auf evidenzbasierte wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit der Psycho­pharmaka.

S3-Leitlinien

Pharmakotherapie der Angststörungen (⇗Quelle 2017)

Substanz Pa­nik GAS Soziale Phobie Dosis (mg) Em­pfeh­lung Be­mer­kung
SSRI
Citalopram + 20-40 A Vorsicht bei QTc-Verläng­erung
Halbe Maximal­dosis bei älteren Pati­enten
Escita­lopram + + + 10-20 A
Paroxetin + + + 20-50 A
Sertralin + + 50-150 A
SSNRI
Duloxetin + 60-120 A
Venlafaxin + + + 75-225 A
TZA
Clomi­pramin + 75-250 B Hohe Toxizität bei Über­dosie­rung
Kalzium­kanal­modu­lator
Pregabalin + 150-600 B Suchtgefahr
Trizyk­lisches Anxio­lytikum
Opipramol + 50-300 0
Azapiron
Buspiron + 15-60 0
Mao-Hemmer
Moclo­bemid + 300-600 KKP

Empfehlungsstufen

A = erste Wahl
B = zweite Wahl
0 = dritte Wahl
KKP = Klinischer Konsenspunkt

Klinischer Konsenspunkt heißt: Die Studienlage lässt kein eindeutiges Urteil zu. Die Experten gehen aber von einer Wirkung aus.

5.2. Psychotherapeutische Klärung
Es spricht nichts dagegen, Medikation und Psychotherapie miteinander zu verbinden.

Die medikamentöse Behandlung von Angststörungen ist eine sinnvolle Option; zuweilen sogar die einzig realistische. Nicht jeder Patient ist in der Lage, sich zum gegebenen Zeitpunkt mit innerseelischen Mustern zu befassen:

Heilsamer als durch alleinige Medikation ist es, Angststörungen aus eigener Kraft zu überwinden. Egal ob beim Psycho­therapeuten oder im Rahmen der Selbsthilfe, die psychologische Klärung krankhafter Ängste steht dabei auf drei Säulen: der Bereitschaft...

  1. der Welt zu begegnen, wie sie ist.
  2. die Verantwortung für die eigenen seelischen Reaktionen zu übernehmen.
  3. sich selbst anzunehmen, wie man ist.
5.2.1. Vermeiden oder angehen

Je mehr man beängstigenden Aspekten der Wirklichkeit aus dem Weg geht, desto eher entwickelt man krankhafte Ängste. Statt die Engpässe des Lebens zu überwinden und durch Erfolg Selbstvertrauen zu erwerben, weicht man vor dem Unangenehmen aus. Tut man das zu oft, kommt man nicht voran. Man dreht sich im Kreise und fühlt sich von Ängsten umzingelt.

Ängsten durch positives Denken zu begegnen, ist Taktik, sie zu verstehen ist Strategie.

Picken Sie sich nicht zu oft die Rosinen raus. Essen Sie den Kuchen auch mal ganz.

Nicht die Angst ist schädlich, sondern der Unverstand, der sie vermeidet, statt ihre Ursachen zu verstehen.

Nicht umsonst heißt eine häufige Persönlichkeitsstörung ängstlich-vermeidend. Ängste regen zur Vermeidung an. Vermeidung festigt Ängste. Um sich zu befreien, gilt es bei Angsterkrankungen, der Welt zu begegnen wie sie ist. Gehen Sie schrittweise auf Situationen zu, die Sie fürchten.

5.2.2. Sichtweisen

Beängstigende Aspekte der Wirklichkeit, ... von Ängsten umzingelt... So deuten wir die Dinge; und machen uns damit das Leben schwer. Tatsächlich ist Angst nur insofern Aspekt der Wirklichkeit, wie wir selbst damit auf die Wirklichkeit reagieren. Die Angst lauert weder auf dem freien Platz, noch in der Enge und nur in einem begrenzten Umfang geht Gefahr von Menschen aus, denen wir uns zeigen. Angst wird auch nicht von Spinnen, Mäusen oder der Höhe gemacht, von der wir hinuntersehen. Was Spinnen tatsächlich machen, ist weben, herumsitzen, warten, laufen, hüpfen, fressen und sich putzen. Höhe macht gar nichts. Sie ist einfach nur da.

Echte Angstmacher :)
Echte Angstmacher sind eine Rarität. Als Beispiel mag die madegassische Schreckmaus (Mus terrificans) gelten; eine Verwandte des Stachelbilchs. Diese Art macht sich einen Spaß daraus, madegassischen Frauen hinter Affenbrotbäumen aufzulauern. Kommt eine arglose Madegassin daher, springt die Schreckmaus mit gefletschten Zähnen hervor, stellt sich auf die Hinterbeine, stößt den Blutruf der Hölle aus und verbreitet durch Versprühen vergorenen Zirbeldrüsensekrets einen mörderischen Gestank. Bei solchen Mäusen ist klar, dass sie es sind, die die Angst machen. Derzeit versucht die madegassische Frauenbeauftragte die Schreckmaus durch Einkreuzung der europäischen Hausmaus von ihrem Treiben abzuhalten.

Wer die Existenz der Schreckmaus jedoch von vornherein für ein Ammenmärchen hält, kann Madagaskar um eine Sorge erleichtert bereisen.

Scherz beiseite: Echte Angstmacher sind natürlich keineswegs so selten, so wie es eben noch leichtfertig behauptet wurde. Es gibt sogar viele davon. Echte Angstmacher sind natürliche und juristische Personen zu deren Wirkweise es gehört, absichtlich Angst zu verbreiten. Dazu gehören...

Die Angst, die von solchen Angstmachern verbreitet wird, kann in der Regel als Realangst eingeordnet werden. Bahnt sie darüber hinaus pathologische Ängste, ist sie weder deren alleinige Ursache noch unüberwindlich. Zu erkennen, wie die Angstbereitschaft von Angstmachern ausgenutzt wird, ist ein erster Schritt, sich ihrem Einfluss zu entziehen.

Eher als ein objektiver Bestandteil der Wirklichkeit ist Angst eine subjektive Reaktion auf das Stück Welt, dem wir begegnen. Sie ist ein Werkzeug des Ego, mit dem es versucht, vor der Wirklichkeit auszuweichen. Sie ist Folge davon, wie wir die Wirklichkeit deuten.

Es erleichtert das Leben, wenn man als Verursacher der Ängste nicht bloß äußere Faktoren haftbar macht, sondern die Verantwortung für das übernimmt, was man erlebt. Eigene Sichtweisen als Verursacher der Angst zu erkennen, führt zur Entlastung. Von da ab weiß man: