Liebe


  1. Begriffe
    1. 1.1. Agape
      1. 1.1.1. Mitgefühl
      2. 1.1.2. Mitleid
    2. 1.2. Eros
  2. Liebe im Spannungsfeld dramatischer Pole
    1. 2.1. Verliebtheit
    2. 2.2. Parteilichkeit
    3. 2.3. Bedürftigkeit
    4. 2.4. Vereinnahmung
    5. 2.5. Bedingungen
  3. Geschenke
  4. Gefühle, Ego, Ziel und Absicht
  5. Liebeskummer
  6. Liebe und Religion
Die meisten Dummheiten werden auf der Jagd nach Liebe be­gangen.

Wer das wenige respektiert, das er ist, braucht keine Liebe mehr. Er ist fähig, sie zu geben.

Liebe ist oft Maske. Man erkennt es, sobald der vermeintlich Liebende über den Geliebten bestimmen will und der vermeintlich Geliebte sich dem Zugriff entzieht.

Liebe ist Anerkennung der Wirklichkeit. Das Ideal riskiert, sie abzuleh­nen. Nicht das Ideal der Liebe zählt, sondern das, was von ihr erfahren ist. Die Idealisierung der Liebe kann ihre Erfahrung verhindern.

Wer liebt, liebt nicht nur den oder die, sondern auch jene und Jenen, der in allem enthalten ist und alles umfasst. Alles, was ist, ist mit allem verbunden. Wird jemandem wahre Liebe entgegen­gebracht, dann gilt Liebe auch allem anderen.

1. Begriffe

Liebe geht auf die indoeuropäische Wurzel leubh- = lieb, gernhaben, begehren zurück. Gern entspringt seinerseits der indoeuropäischen Wurzel gher- = sich an etwas erfreuen, nach etwas verlangen. Es ist mit Gier und Begehren sprach- und sinnverwandt. Man begehrt, also man wünscht sich die Gegenwart dessen, was man liebt.

Weitere Sinnfacetten des Themas werden im russischen ljubimei (любимыи) = lieb, freundlich, im lateinischen libere = belieben, gefällig sein, erlaubt sein, freistehen und im Fachausdruck Libido = Begierde deutlich.

Ein erster Blick auf den sprachgeschichtlichen Zusammenhang zeigt, dass die Liebe in einem Spannungsfeld steht. Die Pole des Spannungsfeldes reichen vom gefällig sein, erlauben und freistellen bis zum begehren. Es reicht von der Agape bis zum Eros.

Dabei ist Agape das, was Liebe stets ausmacht, während im Eros immer nur so viel Liebe enthalten ist, wie er sich nicht im bloßen Begehren erschöpft, sondern den eigentlichen Wert des Begehrten jenseits der eigenen Begier­den erkennt.

1.1. Agape

Der Begriff Agape ist vom griechischen Verb agapan (αγαπαν) = sich zufriedengeben, jemanden mit Achtung behandeln, bevorzugen abgeleitet. Agape beschreibt Liebe als achtsame Wertschätzung des Geliebten. Wer liebt, gibt sich damit schon zufrieden. Er begehrt nichts weiteres für sich. Er bevorzugt das Wohl des Anderen anstelle des eigenen. Selbstlose Liebe drückt sich als Mitgefühl für andere aus.

1.1.1. Mitgefühl

Das Wohl eines Menschen hängt von seinen Gefühlen ab. Sein Wohl zu fördern, erfordert daher, seine Gefühle zu erkennen und das eigene Verhalten daran auszurichten. Wer mitfühlt, versucht sich in den anderen einzufühlen um dessen momentane Befindlichkeit zu erkennen und um zu verstehen, warum der andere die Welt gerade so erlebt, wie er es tut.

Existenzielle Grundlage
Liebe ist mehr als ein Gefühl und mehr als die Erfüllung eines individuellen Bedürf­nisses. Sie ist auch mehr als ein Werkzeug der Evolution, um soziale Gemeinschaf­ten zusammenzuhalten. Liebe ist ein universales Prinzip. Sie ist der erlebbare Ausdruck der Einheit des Universums und damit der Einheit des absoluten Subjekts. Sie entspricht der Zugehörigkeit aller Teile zueinander und deren wechselseitiger Verbundenheit. Die Zugehörigkeit der Teile zueinander ist dabei nur stimmig, wenn der Einzelne als Ausdruck des Einen und als Ausdruck seiner Einzigartigkeit respektiert wird. Wer liebt, hat die Wirklichkeit erkannt und stimmt mit ihr überein.
1.1.2. Mitleid

Mitleid ist der eine Pol des Mitgefühls. Der andere Pol ist die Mitfreude. Da sich wahre Liebe oft erst in schweren Tagen bewährt, kommt der Bereitschaft, das Leid anderer mitzuempfinden, eine besondere Bedeutung zu. Wer ernsthaft liebt, teilt das Leid des anderen in dessen schweren Tagen. Er hilft ihm dabei, es zu ertragen; getreu dem Motto: Geteiltes Leid ist halbes Leid.

Mitleid hat eine weitere Bedeutung. Wer einem anderen gegenüber Mitleid hat, muss nicht zwingend mit ihm gemeinsam leiden. Er richtet seinen Umgang mit dem anderen aber so aus, dass er ihm, wenn immer möglich, überflüssiges Leid erspart. Er macht dem anderen das Leben leichter. Wer Mitleid hat, straft nicht. Wenn doch, dann nur in dem Maße, dass das Wohl des Bestraften langfristig nicht vereitelt wird; oder gar nur so, dass das Ziel der Strafe das Wohl des Bestraften ist.

1.2. Eros

Eros ist der Eigenname eines griechischen Gottes. Die etymologische Recherche seines Sinngehalts endet blind.

Liebe oder Missbrauch
Erotische Begierde läuft stets Gefahr, keine Liebe, sondern Missbrauch zu sein. Sie ist Missbrauch, wenn sie Liebe nur vortäuscht um Lust zu erlangen. Nur wenn im erotischen Akt die Lust an der eigenen Ergänzung vor dem Wohl des Anderen zurücktritt und die eigene Begierde die Begierde des Anderen als gleichrangig erkennt, sind Lust und Liebe vereinbar.

Im allgemeinen Sprachgebrauch unterscheidet sich die Qualität der erotischen Liebe grundsätzlich von jener, die das Verb agapan benennt. Der erotisch Verliebte ist gerade nicht mit sich selbst zufrieden. Er begehrt etwas. Ob er das Objekt der Begierde als eigenständigen Wert erkennt, ist ungewiss. Und ob die Bevorzugung einer bestimmten Person tatsächlich dieser Person den Vorzug gibt oder doch nur der eigenen Lust, ist von Fall zu Fall zu prüfen.

Ich oder wir selbst

Liebe ist die Anerkennung des Anderen als eigenes Ich. Bloßes Begehren ist der Impuls, auf den Anderen zuzugreifen.

Die Anerkennung des Anderen als eigenes Ich besteht aus zwei Komponen­ten: einer oberflächlichen und einer grundsätzlichen:

Bloßes Begehren überlässt die Führung dem Ego. Liebe erlaubt das Spiel zweier Egos.

2. Liebe im Spannungsfeld dramatischer Pole

Agape und Eros beschreiben zwei Pole des Liebens, die sich zugleich ergänzen oder ausschließen können.

Agape
Ich befreie den Anderen von meinem Anspruch.

Eros
Ich beanspruche den Anderen für mich.

In Liebe kann Eros Agape nur ergänzen, wenn Agape Eros bereits zur Liebe ergänzt hat. Erotische Begierde schließt Liebe mit ein, wenn sie letztlich nicht den Anderen haben, sondern sich mit ihm in etwas Höherem verlieren will. Sonst bleibt sie ein Akt der Selbsterhöhung, die den Anderen haben will, damit der Besitz des Anderen das Gewicht des Begehrenden erhöht.

Spielarten des Begehrens

Eros mit Agape vereinbar Eros und Agape im Widerspruch
Ich begehre den Anderen in seinem So-sein. Ich begehre vom Anderen ein bestimmtes So-und-nicht-anders-sein.
Im Begehren des Anderen lasse ich ihn frei. Mein Begehren legt den Anderen für mich fest.

Begierde kann Ausdruck wahrer Liebe sein, wenn sie das tatsächliche Sosein des Anderen begehrt, ohne ein bestimmtes Sosein von ihm zu fordern. Liebe bleibt nur rein, wenn sie über den Anderen nicht bestimmen will. Liebe tastet Freiheit nicht an, Begehren beansprucht sie.

2.1. Verliebtheit
Zwei Formen der Blindheit
  1. Von der Welt sehen, was man von ihr haben will
  2. Das Bild sehen, dass man von sich selber hat

Das Spannungsfeld zwischen Agape und Eros, zwischen Begehren und Freilassen wird auch in der Polarität von Liebe und Verliebtheit erkennbar.

Wer liebt, bejaht oder fördert den Anderen, ohne den eigenen Vorteil über den des Anderen zu stellen. Das Motiv aller Liebe ist unbedingte Wertschätzung. Der Liebende hat den Wert des Anderen erkannt. Aus der Erkenntnis des Wertes entsteht der Impuls, dem Anderen Gutes zu tun. Jemandem in Liebe Gutes zu tun heißt, das Wohl des Anderen durch sich selbst zu ergänzen.

Gut entstammt der indoeuropäischen Wurzel ghedh = zusammenfügen, zupassen. Das Gute ist relativ. Gut ist immer das, was zum Wesen jener Sache passt, aus deren Sicht es als gut beurteilt wird. Deshalb ist zwar jeder für das sogenannte Gute, oft besteht aber keine Einigkeit darüber, was als gut aufzufassen ist. Letztlich bezeichnet jeder das als gut, von dem er glaubt, dass es ihm nützt. Der Liebende gibt dem Anderen das, was dem Anderen guttut. Der bloß Begehrende nimmt vom Anderen das, was ihm selbst guttut.

Da man nur wertschätzen kann, was man kennt, wächst Liebe mit Erkenntnis. Verliebt kann auch ein Blinder sein. Ein Blinder tritt den, den er vermeintlich liebt, aber oft mit Füßen. Wer tatsächlich liebt, tut es nicht.

Der Verliebte stellt sich allerlei vor. Aber nur, wenn er der Wirklichkeit gegenüber der Vorstellung den Vorzug gibt, wird aus dem Wunsch nach Liebe die Fähigkeit zu lieben.

Der Verliebte sieht den anderen, wie er sein könnte. Wer liebt, sieht ihn so, wie er ist.

Wahre Liebe zeigt nicht nur auf ein Teil. Sie zeigt über das Teil hinaus auf das Ganze. Liebe sieht Teile wie Photonen ineinander verschränkt.

Oft wird Liebe mit der Sehnsucht nach Liebe verwechselt; besonders beim Verliebtsein. Auch der Verliebte wertschätzt den Anderen; in der Regel jedoch nur in Bezug zu sich selbst. Der Verliebte sehnt sich danach, seinerseits geliebt und wertgeschätzt zu werden. Er begeistert sich für den Anderen, weil der Andere die Erfüllung seiner Wünsche verheißt. Er hat den Wert des Anderen noch nicht erkannt, sondern schreibt ihm jenen Wert zu, den er für sich selbst sucht. Der Verliebte lebt in der Vorstellung des gefundenen Glücks. Er glaubt, dass der Andere seinen Vorstellungen so sehr entspricht, dass die ersehnte Ergänzung möglich ist.

Während Liebe nie enttäuscht werden kann, weil sie sich keine Zukunft vorstellt, sondern Gegenwart erkennt, schlägt enttäuschte Verliebtheit schnell ins Gegenteil um. Es sei denn, der Verliebte lernt, zwischen Vorstellung und Wirklichkeit zu unter­scheiden. Wenn er die Gegenwart des Geliebten erkennt, statt sich von ihm die Zukunft zu erhoffen, die er sich vorstellt, wird er die Enttäuschung seiner Vorstellungen verkraften.

2.2. Parteilichkeit

Üblicherweise ist Liebe parteiisch. Man liebt den und den, oder einige aus dem persönlichen Umfeld, aber keineswegs jeden. Auch das ist ein Echo des Spannungsfelds, in dem die Liebe steht. Liebe kann auf den Versuch begrenzt sein, sich als separate Person zu ergänzen oder der Erkenntnis entspringen, dass alles von je her ein Ganzes ist.

Parteilichkeit hat mit dem Selbstbild zu tun, das der Mensch normalerweise auf sich anwendet. Normal ist: Man sieht sich als eine Person, die auf der Bühne des Lebens mit anderen Personen im Wettbewerb um Vorteile steht. Und man glaubt, dass man mit dieser Person identisch ist.

Die Parteilichkeit der normalen Liebe ist Ausdruck dieser Begrenzung. Da die Person für sich Partei ergreift, sieht sie im geliebten Gegenüber eine besondere Person, mit der sie in einem Bündnis steht, das als erweiterte Partei vom Umfeld abgesondert bleibt. Sie ist bereit, diesem besonderen Menschen eine besondere Rolle zuzugestehen, in der Erwartung, dass ihn der Besondere ebenfalls als etwas Besonderes anerkennt.

Liebe und Parteilichkeit

Parteiische Liebe beruht auf der bevorzugten Bejahung und Förderung der Interessen einer bestimmten Person. Unparteiische Liebe beruht auf der Anerkennung aller anderen als das eigene Selbst.
Parteiische Liebe ist an bestimmte Personen gebunden, die dem Liebenden persönlich nahe stehen. Unparteiische Liebe wird zur Grundlage jeder Beziehung.
Parteiische Liebe ist von den Erwartungen des Liebenden durchsetzt. Unparteiische Liebe ist reines Gewahrsein eines Wertes im Jetzt. Sie erwartet nichts.

Unparteiisch kann Liebe nur sein, wenn sich der Liebende nicht mehr mit der Person gleichsetzt, deren Rolle er spielt, sondern sich im Subjekt erkennt, das das Selbst eines jeden Objektes ist.

2.3. Bedürftigkeit

Viele Menschen glauben, dass sie Liebe brauchen. Irrtum! Nur Kinder brauchen Liebe. Erwachsene brauchen sie nicht. Kinder, für deren Wohl sich niemand einsetzt, sterben. Sie sind tatsächlich auf Zuwendung angewiesen. Geliebt zu werden ist für sie notwendig.

Erwachsen wird hier nicht im Sinne von volljährig verstanden; sondern im Sinne von ausgereift. Erwachsen im psychologischen Sinne ist ein Volljähriger, der die Wachstumsschritte vollzogen hat, die seinem Alter entsprechen. Viele juristisch Erwachsene sind es emotional gesehen nicht. Sie glauben daran, wie Kinder liebender Zuwendung zu bedürfen; und bedürfen in Wahrheit vielmehr des Mutes, eigene Interessen unabhängig von der Zustimmung anderer zu vertreten.

Lieben kann, wer sich verzeiht, dass er sich mehr Liebe nicht verschaffen konnte.

Man kann den Empfang von Liebe zu seinem Recht erklären. Klug ist das nicht.

Liebe bejaht, was bereits ist. Dabei verweist sie auch auf Potenziale. Sie fordert aber keine Verbesserung. Was Verbesserung fordert, ist Eigennutz.

Das ungeliebte Kind, das sich zeitlebens darum bemüht, liebenswürdig zu sein, ist die Regel. Besonders bei schwerer Vernachlässigung oder massiven Entwertungen gehen manche Kinder einen anderen Weg: Sie versuchen nicht liebenswürdig zu sein, sondern störend. Indem sie ihrerseits andere missachten, bewirken sie, dass man ihnen zwar keine Liebe entgegenbringt, man sie aber auch nicht übersehen kann.

Erwachsene können ihre Bedürfnisse selbständig besorgen. Im Gegen­satz zu Kindern sind sie nicht auf liebende Zuwendung angewiesen. Von anderen geliebt zu werden, ist für sie nicht notwendig, sondern ein glücklicher Genuss.

Bekommen Kinder zu wenig Liebe, halten sie Ausschau danach, wie man sich Liebe verdient. Das führt zu einer Fehlhaltung. Statt eigene Bedürfnisse unmit­telbar zu vertreten, wird Kraft auf Erwerb und Erhalt von Zuneigung verwandt. So kommt ein Teufelskreis in Gang. Je mehr Kraft man für den Erwerb von Liebe verbraucht, desto weniger bleibt für die Erfüllung eigener Bedürfnisse übrig. Je bedürftiger man wird, desto mehr glaubt man, Menschen zu brau­chen, die sich um die Bedürfnisse Bedürftiger kümmern.

Selbstversorgung oder Bedürftigkeit

Statt nach Liebe zu suchen, sorgen Sie für sich selbst. Gehen Sie davon aus, dass Ihnen von je her der Wert inneliegt, der Sie dazu befugt, Ihre Interes­sen unbefangen zu vertreten. Verhalten Sie sich dem entsprechend. Tun Sie das, was Ihnen nützt. Sobald Sie Ihre Bedürfnisse selbst erfüllen, brauchen Sie keine Liebenden mehr, die das für Sie tun. Stattdessen gehen Sie vom Haben-wollen zum Geben-können über. Sie werden froh sein, Abnehmer für die Liebe zu finden, die aus Ihnen hervorquillt.

2.4. Vereinnahmung

Bedarf ein Liebender seinerseits liebender Zuwendung, um mit sich im Reinen zu sein, läuft er stets Gefahr, die geliebte Person für sich zu vereinnahmen. Es liegt auf der Hand: Was mir wert ist, will ich an mich binden. Will ich eine geliebte Person an mich binden, verliere ich deren Wohl schnell zugunsten des eigenen Wohls aus dem Blick.

Ein großer Teil dessen, was als Liebe gilt, ist Bedürftigkeit oder Begehren. Da Begierde Erfolg haben kann, wenn sie sich als Tugend ausgibt, nennt sie sich selbst am liebsten Liebe. Maskierte Bedürftig­keit wirft vor und greift zu. Sie ist gekränkt oder empört, wenn ihre "Liebe" nicht erwidert wird.

Vereinnahmung droht umso mehr, je mehr sich der Liebende mit seiner Person identifiziert und je weniger er die tieferen Schichten seiner selbst erkennt. So manch "Liebender" gesteht sich den Eigennutz seiner "Liebe" so wenig ein, dass er mit bestem Gewissen zum Stalking übergeht. Es stellt sich jedoch die Frage, ob das, was dem zugrunde liegt, tatsächlich als Liebe aufzufassen ist.

2.5. Bedingungen

Reine Liebe bejaht bedingungslos. Eine derart radikale Definition des Begriffs läuft Gefahr, abzuwerten, was Bedingungen enthält. Man hüte sich davor! Denn tut man es, riskiert man, einer Idealisierung der Liebe aufzusitzen. Idealisiert man die Liebe, betet man zu ihrem Bild, statt sie in der Wirklichkeit zu suchen.

Die Spuren der Liebe müssen von egozentrischen Interessen nicht vollständig verschüttet sein. Je mehr Bedingungen man aber stellt, desto weiter ist man von dem entfernt, was Liebe eigentlich ist.

Liebe ist kein Alles-oder-nichts. Liebe kann auch eingeschränkt zum Ausdruck kommen; und zwar in jenen Beziehungen, die zwar Beding­ungen enthalten, bei denen echte Wertschätzung aber trotzdem gegeben ist. Beispiel einer derart bedingten Beziehung kann eine Freundschaft sein; oder sogar die Arbeitsbeziehung zwischen Therapeut und Patient.

Durch Bedingungen eingeschränkte Formen des Grundmusters der Liebe spielen im Leben eine kaum zu unterschätzende Rolle.

Bedingt und unbedingt
Bedingte Liebe beruht auf der Identifikation des Ich mit einer erkennbaren Struk­tur. Sie betreibt Bevorzugung und Wahl. Sie wählt, was ihr zur eigenen Ergänzung gut zu sein dünkt.

Unbedingte Liebe entsteht aus der Identitätsgewissheit des Subjekts mit sich selbst. Identitätsgewiss mit sich selbst ist das Subjekt, wenn es abschließend erkennt, dass es in jedem Objekt zwar zum Ausdruck kommt, in keinem jedoch enthalten ist; also auch nicht in der eigenen Person. Unbedingte Liebe will nichts von dem, was sie liebt. Sie bevorzugt nichts, sondern liebt, was ihr zufällt.

3. Geschenke

Wer aufhört, sich ums Geliebtsein zu kümmern, stellt fest, dass er mehr Liebe bekommt als zuvor. Das ist kein Zufall. Es liegt am Wesen der Liebe selbst.

Daher gilt: Wenn Sie keine Liebe fordern, steigt die Chance, dass das Schicksal sie an Sie verschenkt.

Absehen und Hinsehen

Erkenntnis und Hinsehen sind eins. Wer in der Liebe Absichten verfolgt, sieht aber nicht hin, sondern ab. Er sieht von all dem ab, was seiner Absicht im Wege steht.

Sobald man die Absicht verfolgt, geliebt zu werden, wird die eigene Fähigkeit, zu lieben, vermindert. Das steigert nicht die Chance, dass man seinerseits geliebt wird.


Gelingt es nicht, den Anderen ohne Absicht zu sehen, wie er ist, ist es besser, die eigene Absicht zu sehen, als vorschnell zu sagen: Ich liebe Dich.

Es wird gesagt, Liebe und Hass lägen nah beieinander. Das ist falsch. Es hat noch niemals eine Liebe gegeben, die in Hass umgeschlagen ist. Was in Hass umschlägt, ist die Enttäuschung, nicht so geliebt zu werden, wie man es vom anderen verlangt.

4. Gefühle, Ego, Ziel und Absicht

Das Ego bringt Gefühle hervor: Eifersucht, Wut, Neid, Scham, Trauer. Das Ego bewirkt Gefühle, indem es Dinge aus seiner spezifischen Perspektive heraus betrachtet. Zweck der Gefühle ist es, sich selbst und die Wirklichkeit im eigenen Interesse zu steuern. Vorteile sollen erreicht, Nachteile vermieden werden.

Solche Gefühle sind nicht nur Erlebnisse, die uns ohne unser Zutun überfallen. Es sind Werkzeuge des Egos, durch deren Schubkraft es sich Vorteile zu sichern versucht.

Mit der Liebe ist es etwas anderes. Liebe dient nicht der Sicherung persönlicher Vor­teile. Deshalb kann kein Ego echte Liebe erzeugen. Was der Mensch absichtlich als "Liebe" erzeugt, ist im besten Falle ein solidarisches Miteinander. Das ist wertvoll. Ein solidarisches Miteinander, das als Ziel formuliert und angestrebt wird, bleibt aber im Eigennutz seiner Erzeuger gefangen. Wenn an ihren Nutzen nicht mehr geglaubt wird, bricht die Solidarität auseinander.

Liebe ist kein Gefühl, das mit Gefühlen überhaupt vergleichbar wäre. Während Gefühle als persönliche Emotionen an- und abschwellen, entzieht sich Liebe der egozentrischen Manipulierbarkeit. Sie ist keine Emotion, die als Werkzeug der Psyche brauchbar ist. Liebe ist das Grundprinzip der Wirklichkeit. Sie entspricht dem Wesen der Wirklichkeit, die alle Teile bejaht in ihrer Einheit belässt. Sie ist das bestimmende Verhältnis der Dinge zueinander. In der Regel bleibt Liebe unbewusst und leuchtet nur an Stellen durch, an denen das Ego sich nicht vor ihr fürchtet.

Wahre Liebe wird nicht erzeugt. Sie wird mit der Wahrheit entdeckt und kann nach der Entdeckung nicht verlorengehen.

Liebe und Erkenntnis
Liebe Deinen Nächsten, wie Dich selbst! So heißt es. Keine schlechte Idee. Die Aufforderung zu lieben, klingt aber so, als sei das Lieben eine Tätigkeit, die man willkürlich ausführen könne, so wie man gehen, essen oder etwas verschenken kann. Richtig ist, dass man aktiv darauf achten kann, das Wohl der anderen mitzubedenken. Bleibt dieser Ausdruck des Liebens aber eine willkürlich vollstreckte Tätigkeit, kann sich dahinter Bitterkeit, Eigennutz und sogar Hass verbergen.

Das tatsächliche Fundament der Liebe ist kein Vorsatz, sondern Erkenntnis. Wer liebt, erkennt Wert; den eigenen wie den des Anderen. Wer dem Satz Liebe Deinen Nächsten kein Erkenne Dich selbst voranstellt, kann anderen zwar durchaus Gutes tun, er läuft aber auch Gefahr, ihnen aus Unkenntnis zu schaden. Wer sich selbst nicht erkennt, kann echte von vermeintlicher Liebe nicht unterscheiden. Er setzt das, was er ist, mit dem gleich, was er bloß tut.

5. Liebeskummer

Liebeskummer... Das hört sich harmlos an. Und doch haben sich Unge­zählte deshalb umgebracht. Das zeigt die Wucht der Kräfte, die bei romantischer Liebe im Spiel sind.

Bei der romantischen Liebe investiert das Ich seine Sehnsucht nach dem Paradies in eine andere Person. Zieht sich der Andere plötzlich zurück, kann das den Sehnsüchtigen in eine Verzweiflung stürzen, als habe ihn der Himmel zur Nichtigkeit verdammt.

Die Sehnsucht nach Ergänzung kann sich in romantische Verliebtheit ergießen. Dann droht sie enttäuscht zu werden. Oder sie geht auf ihrer Suche über jede Person hinaus, über die eige­ne ebenso wie über die des Anderen. Dann stehen die Chancen besser, sich selbst zu achten und den Anderen so zu lieben, wie er wirklich ist.

Was Liebeskummer gefährlich macht, ist der Glaube an das Paradies, bezieh­ungsweise daran, dass der Geliebte die Tür dorthin öffnet und man durch den Verlust der geliebten Person den Schlüssel für immer verlieren wird. Grundlage des Glaubens an das Paradies ist die Sehnsucht nach Ergänzung und heilender Einswerdung, die den Menschen umtreibt, seit er sich als separate Existenz, und damit als Halbheit begreift, die der anonymen Übermacht eines Nicht-Ich gegenübersteht.

Der Begriff Kummer geht auf das mittelhochdeutsche Wort kumber = Schutt, Müll, Mühsal, Not, Gram zurück, das seinerseits dem gallo-latei-nischen comboros = Zusammengetragenes entstammt. Liebeskum­mer... das sind die Trümmer einer zusammengebrochenen Illusion: jener, dass die Halbheit eines Teils durch die Halbheit eines anderen zur endgültigen Ganzheit finden kann.

Nicht nur der ursprüngliche Sinn des Kummers trägt die Idee des Zusammen­tragens in sich. Auch die Geburt ist ein Zusammentragen. Vermutlich geht sowohl das boros = tragen im gallo-lateinischen comboros als auch das beran = tragen, das als Vorfahre des deutschen Wortes Geburt auszumachen ist, auf das indoeuropäische bher[ə] = tragen zurück.

Das erlaubt uns, grundsätzliche Zusammenhänge besser zu verstehen. Liebeskummer zu durchleben, heißt die Trümmer dessen wegzuschaffen, was bis dahin als Illusion zusammengetragen wurde; damit der Platz frei wird, an dem etwas Neues geboren werden kann. Nicht umsonst erlebt man das Ende eines Liebeskummers als Wiedergeburt.

Was man bei Liebeskummer machen kann und was besser unterlässt


6. Liebe und Religion

Liebe ist Erkenntnis und Anerkennung umfassender Verbundenheit. Religion ist Anbin­dung an das, in dem die Verbundenheit aller Teile verankert ist. Liebe und Religion sind daher untrennbar ineinander verschränkt. Als religiös kann nur aufgefasst werden, was dem Prinzip der Verbundenheit treu bleibt und sich jeder Spaltung enthält.

Die Grundlage vorläufiger Religionen ist die Spaltung der Wirklichkeit in die Kategorien Gut und Böse. Daher gelingt ihnen die Treue zum Prinzip der Verbundenheit nur in gebrochener Form. Wer zwischen Gut und Böse jede Verbindung leugnet, versucht zwar das Gute miteinander zu verbinden, er grenzt das Böse jedoch in eine abge­trennte Ebene der Wirklichkeit aus. Theologisch widerspricht das der Einheit des Einen. Auf gesellschaftlicher Ebene fördert Spaltung die Bildung verfeindeter Lager. Das ist weder religiös noch entspricht es der Liebe. Für die wahre Religion der Liebe ist Trennung keine Endstation, sondern ein Umweg in den Himmel.