So manches, was für eine große Liebe gehalten wird, ist tatsächlich ein schwaches Selbstwertgefühl. Anderes ist Flucht vor der Einsamkeit. Nur wer sich weder durch Liebe erhöhen will noch seine Einsamkeit fürchtet, kann unbefangen lieben.
Liebe geht auf die indoeuropäische Wurzel leubh- = lieb, gernhaben, begehren zurück. Gern entspringt seinerseits der indoeuropäischen Wurzel gher- = sich an etwas erfreuen, nach etwas verlangen. Es ist mit Gier und Begehren sprach- und sinnverwandt. Man begehrt, also man wünscht sich die Gegenwart dessen, was man liebt.
Weitere Sinnfacetten des Themas werden im russischen ljubimei (любимыи) = lieb, freundlich, im lateinischen libere = belieben, gefällig sein, erlaubt sein, freistehen und im Fachausdruck Libido = Begierde deutlich.
Ein erster Blick auf den sprachgeschichtlichen Zusammenhang zeigt, dass die Liebe in einem Spannungsfeld steht. Die Pole des Spannungsfeldes reichen vom gefällig sein, erlauben und freistellen bis zum begehren. Es reicht von der Agape bis zum Eros.
Dabei ist Agape das, was Liebe stets ausmacht, während im Eros immer nur so viel Liebe enthalten ist, wie er sich nicht im bloßen Begehren erschöpft, sondern den eigentlichen Wert des Begehrten jenseits der eigenen Begierden erkennt.
Der Begriff Agape ist vom griechischen Verb agapan (αγαπαν) = sich zufriedengeben, jemanden mit Achtung behandeln, bevorzugen abgeleitet. Agape beschreibt Liebe als achtsame Wertschätzung des Geliebten. Wer liebt, gibt sich damit schon zufrieden. Er begehrt nichts weiteres für sich. Er bevorzugt das Wohl des Anderen anstelle des eigenen. Selbstlose Liebe drückt sich als Mitgefühl für andere aus.
Das Wohl eines Menschen hängt von seinen Gefühlen ab. Sein Wohl zu fördern, erfordert daher, seine Gefühle zu erkennen und das eigene Verhalten daran auszurichten. Wer mitfühlt, versucht sich in den anderen einzufühlen um dessen momentane Befindlichkeit zu erkennen und um zu verstehen, warum der andere die Welt gerade so erlebt, wie er es tut.
Das Mittel des Mitgefühls ist die Identifikation mit dem anderen.
Das Ziel des Mitgefühls ist das Wohl des anderen. Der Liebende versucht, aus dem Verständnis des anderen heraus so zu handeln, wie es für den anderen gut ist.
Mitleid ist der eine Pol des Mitgefühls. Der andere Pol ist die Mitfreude. Da sich wahre Liebe oft erst in schweren Tagen bewährt, kommt der Bereitschaft, das Leid anderer mitzuempfinden, eine besondere Bedeutung zu. Wer ernsthaft liebt, teilt das Leid des anderen in dessen schweren Tagen. Er hilft ihm dabei, es zu ertragen; getreu dem Motto: Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Mitleid hat eine weitere Bedeutung. Wer einem anderen gegenüber Mitleid hat, muss nicht zwingend mit ihm gemeinsam leiden. Er richtet seinen Umgang mit dem anderen aber so aus, dass er ihm, wenn immer möglich, überflüssiges Leid erspart. Er macht dem anderen das Leben leichter. Wer Mitleid hat, straft nicht. Wenn doch, dann nur in dem Maße, dass das Wohl des Bestraften langfristig nicht vereitelt wird; oder gar nur so, dass das Ziel der Strafe das Wohl des Bestraften ist.
Eros ist der Eigenname eines griechischen Gottes. Die etymologische Recherche seines Sinngehalts endet blind.
Im allgemeinen Sprachgebrauch unterscheidet sich die Qualität der erotischen Liebe grundsätzlich von jener, die das Verb agapan benennt. Der erotisch Verliebte ist gerade nicht mit sich selbst zufrieden. Er begehrt etwas. Ob er das Objekt der Begierde als eigenständigen Wert erkennt, ist ungewiss. Und ob die Bevorzugung einer bestimmten Person tatsächlich dieser Person den Vorzug gibt oder doch nur der eigenen Lust, ist von Fall zu Fall zu prüfen.
Ich oder wir selbst
Liebe ist die Anerkennung des Anderen als eigenes Ich. Bloßes Begehren ist der Impuls, auf den Anderen zuzugreifen.
Die Anerkennung des Anderen als eigenes Ich besteht aus zwei Komponenten: einer oberflächlichen und einer grundsätzlichen:
Bloßes Begehren überlässt die Führung dem Ego. Liebe erlaubt das Spiel zweier Egos.
Agape und Eros beschreiben zwei Pole des Liebens, die sich zugleich ergänzen oder ausschließen können.
Agape
Ich befreie den Anderen von meinem Anspruch.
Eros
Ich beanspruche den Anderen für mich.
In Liebe kann Eros Agape nur ergänzen, wenn Agape Eros bereits zur Liebe ergänzt hat. Erotische Begierde schließt Liebe mit ein, wenn sie letztlich nicht den Anderen haben, sondern sich mit ihm in etwas Höherem verlieren will. Sonst bleibt sie ein Akt der Selbsterhöhung, die den Anderen haben will, damit der Besitz des Anderen das Gewicht des Begehrenden erhöht.
Spielarten des Begehrens
Eros mit Agape vereinbar | Eros und Agape im Widerspruch |
Ich begehre den Anderen in seinem So-sein. | Ich begehre vom Anderen ein bestimmtes So-und-nicht-anders-sein. |
Im Begehren des Anderen lasse ich ihn frei. | Mein Begehren legt den Anderen für mich fest. |
Begierde kann Ausdruck wahrer Liebe sein, wenn sie das tatsächliche Sosein des Anderen begehrt, ohne ein bestimmtes Sosein von ihm zu fordern. Liebe bleibt nur rein, wenn sie über den Anderen nicht bestimmen will. Liebe tastet Freiheit nicht an, Begehren beansprucht sie.
Das Spannungsfeld zwischen Agape und Eros, zwischen Begehren und Freilassen wird auch in der Polarität von Liebe und Verliebtheit erkennbar.
Wer liebt, bejaht oder fördert den Anderen, ohne den eigenen Vorteil über den des Anderen zu stellen. Das Motiv aller Liebe ist unbedingte Wertschätzung. Der Liebende hat den Wert des Anderen erkannt. Aus der Erkenntnis des Wertes entsteht der Impuls, dem Anderen Gutes zu tun. Jemandem in Liebe Gutes zu tun heißt, das Wohl des Anderen durch sich selbst zu ergänzen.
Gut entstammt der indoeuropäischen Wurzel ghedh = zusammenfügen, zupassen. Das Gute ist relativ. Gut ist immer das, was zum Wesen jener Sache passt, aus deren Sicht es als gut beurteilt wird. Deshalb ist zwar jeder für das sogenannte Gute, oft besteht aber keine Einigkeit darüber, was als gut aufzufassen ist. Letztlich bezeichnet jeder das als gut, von dem er glaubt, dass es ihm nützt. Der Liebende gibt dem Anderen das, was dem Anderen guttut. Der bloß Begehrende nimmt vom Anderen das, was ihm selbst guttut.
Oft wird Liebe mit der Sehnsucht nach Liebe verwechselt; besonders beim Verliebtsein. Auch der Verliebte wertschätzt den Anderen; in der Regel jedoch nur in Bezug zu sich selbst. Der Verliebte sehnt sich danach, seinerseits geliebt und wertgeschätzt zu werden. Er begeistert sich für den Anderen, weil der Andere die Erfüllung seiner Wünsche verheißt. Er hat den Wert des Anderen noch nicht erkannt, sondern schreibt ihm jenen Wert zu, den er für sich selbst sucht. Der Verliebte lebt in der Vorstellung des gefundenen Glücks. Er glaubt, dass der Andere seinen Vorstellungen so sehr entspricht, dass die ersehnte Ergänzung möglich ist.
Während Liebe nie enttäuscht werden kann, weil sie sich keine Zukunft vorstellt, sondern Gegenwart erkennt, schlägt enttäuschte Verliebtheit schnell ins Gegenteil um. Es sei denn, der Verliebte lernt, zwischen Vorstellung und Wirklichkeit zu unterscheiden. Wenn er die Gegenwart des Geliebten erkennt, statt sich von ihm die Zukunft zu erhoffen, die er sich vorstellt, wird er die Enttäuschung seiner Vorstellungen verkraften.
Üblicherweise ist Liebe parteiisch. Man liebt den und den, oder einige aus dem persönlichen Umfeld, aber keineswegs jeden. Auch das ist ein Echo des Spannungsfelds, in dem die Liebe steht. Liebe kann auf den Versuch begrenzt sein, sich als separate Person zu ergänzen oder der Erkenntnis entspringen, dass alles von je her ein Ganzes ist.
Parteilichkeit hat mit dem Selbstbild zu tun, das der Mensch normalerweise auf sich anwendet. Normal ist: Man sieht sich als eine Person, die auf der Bühne des Lebens mit anderen Personen im Wettbewerb um Vorteile steht. Und man glaubt, dass man mit dieser Person identisch ist.
Die Parteilichkeit der normalen Liebe ist Ausdruck dieser Begrenzung. Da die Person für sich Partei ergreift, sieht sie im geliebten Gegenüber eine besondere Person, mit der sie in einem Bündnis steht, das als erweiterte Partei vom Umfeld abgesondert bleibt. Sie ist bereit, diesem besonderen Menschen eine besondere Rolle zuzugestehen, in der Erwartung, dass ihn der Besondere ebenfalls als etwas Besonderes anerkennt.
Liebe und Parteilichkeit
Parteiische Liebe beruht auf der bevorzugten Bejahung und Förderung der Interessen einer bestimmten Person. | Unparteiische Liebe beruht auf der Anerkennung aller anderen als das eigene Selbst. |
Parteiische Liebe ist an bestimmte Personen gebunden, die dem Liebenden persönlich nahe stehen. | Unparteiische Liebe wird zur Grundlage jeder Beziehung. |
Parteiische Liebe ist von den Erwartungen des Liebenden durchsetzt. | Unparteiische Liebe ist reines Gewahrsein eines Wertes im Jetzt. Sie erwartet nichts. |
Unparteiisch kann Liebe nur sein, wenn sich der Liebende nicht mehr mit der Person gleichsetzt, deren Rolle er spielt, sondern sich im Subjekt erkennt, das das Selbst eines jeden Objektes ist.
Viele Menschen glauben, dass sie Liebe brauchen. Irrtum! Nur Kinder brauchen Liebe. Erwachsene brauchen sie nicht. Kinder, für deren Wohl sich niemand einsetzt, sterben. Sie sind tatsächlich auf Zuwendung angewiesen. Geliebt zu werden ist für sie notwendig.
Erwachsen wird hier nicht im Sinne von volljährig verstanden; sondern im Sinne von ausgereift. Erwachsen im psychologischen Sinne ist ein Volljähriger, der die Wachstumsschritte vollzogen hat, die seinem Alter entsprechen. Viele juristisch Erwachsene sind es emotional gesehen nicht. Sie glauben daran, wie Kinder liebender Zuwendung zu bedürfen; und bedürfen in Wahrheit vielmehr des Mutes, eigene Interessen unabhängig von der Zustimmung anderer zu vertreten.
Erwachsene können ihre Bedürfnisse selbständig besorgen. Im Gegensatz zu Kindern sind sie nicht auf liebende Zuwendung angewiesen. Von anderen geliebt zu werden, ist für sie nicht notwendig, sondern ein glücklicher Genuss.
Bekommen Kinder zu wenig Liebe, halten sie Ausschau danach, wie man sich Liebe verdient. Das führt zu einer Fehlhaltung. Statt eigene Bedürfnisse unmittelbar zu vertreten, wird Kraft auf Erwerb und Erhalt von Zuneigung verwandt. So kommt ein Teufelskreis in Gang. Je mehr Kraft man für den Erwerb von Liebe verbraucht, desto weniger bleibt für die Erfüllung eigener Bedürfnisse übrig. Je bedürftiger man wird, desto mehr glaubt man, Menschen zu brauchen, die sich um die Bedürfnisse Bedürftiger kümmern.
Selbstversorgung oder Bedürftigkeit
Statt nach Liebe zu suchen, sorgen Sie für sich selbst. Gehen Sie davon aus, dass Ihnen von je her der Wert inneliegt, der Sie dazu befugt, Ihre Interessen unbefangen zu vertreten. Verhalten Sie sich dem entsprechend. Tun Sie das, was Ihnen nützt. Sobald Sie Ihre Bedürfnisse selbst erfüllen, brauchen Sie keine Liebenden mehr, die das für Sie tun. Stattdessen gehen Sie vom Haben-wollen zum Geben-können über. Sie werden froh sein, Abnehmer für die Liebe zu finden, die aus Ihnen hervorquillt.
Bedarf ein Liebender seinerseits liebender Zuwendung, um mit sich im Reinen zu sein, läuft er stets Gefahr, die geliebte Person für sich zu vereinnahmen. Es liegt auf der Hand: Was mir wert ist, will ich an mich binden. Will ich eine geliebte Person an mich binden, verliere ich deren Wohl schnell zugunsten des eigenen Wohls aus dem Blick.
Vereinnahmung droht umso mehr, je mehr sich der Liebende mit seiner Person identifiziert und je weniger er die tieferen Schichten seiner selbst erkennt. So manch "Liebender" gesteht sich den Eigennutz seiner "Liebe" so wenig ein, dass er mit bestem Gewissen zum Stalking übergeht. Es stellt sich jedoch die Frage, ob das, was dem zugrunde liegt, tatsächlich als Liebe aufzufassen ist.
Reine Liebe bejaht bedingungslos. Eine derart radikale Definition des Begriffs läuft Gefahr, abzuwerten, was Bedingungen enthält. Man hüte sich davor! Denn tut man es, riskiert man, einer Idealisierung der Liebe aufzusitzen. Idealisiert man die Liebe, betet man zu ihrem Bild, statt sie in der Wirklichkeit zu suchen.
Liebe ist kein Alles-oder-nichts. Liebe kann auch eingeschränkt zum Ausdruck kommen; und zwar in jenen Beziehungen, die zwar Bedingungen enthalten, bei denen echte Wertschätzung aber trotzdem gegeben ist. Beispiel einer derart bedingten Beziehung kann eine Freundschaft sein; oder sogar die Arbeitsbeziehung zwischen Therapeut und Patient.
Zu den Bedingungen des Therapeuten gehört in der Regel Bezahlung. Jenseits davon kann er aber wirklich am Wohl des Patienten interessiert sein; oder eben nicht.
Durch Bedingungen eingeschränkte Formen des Grundmusters der Liebe spielen im Leben eine kaum zu unterschätzende Rolle.
Unbedingte Liebe entsteht aus der Identitätsgewissheit des Subjekts mit sich selbst. Identitätsgewiss mit sich selbst ist das Subjekt, wenn es abschließend erkennt, dass es in jedem Objekt zwar zum Ausdruck kommt, in keinem jedoch enthalten ist; also auch nicht in der eigenen Person. Unbedingte Liebe will nichts von dem, was sie liebt. Sie bevorzugt nichts, sondern liebt, was ihr zufällt.
Wer aufhört, sich ums Geliebtsein zu kümmern, stellt fest, dass er mehr Liebe bekommt als zuvor. Das ist kein Zufall. Es liegt am Wesen der Liebe selbst.
Liebe ist nicht machbar. Man kann zwar so tun, als ob man liebt, zu tatsächlicher Liebe kann man sich jedoch nicht willkürlich entscheiden. Absichtlich bewirkte "Liebe" wird durch das Netzwerk verborgener Motive getrübt, das hinter der Absicht steht.
Liebe entspringt der Erkenntnis. Sie ist die Haltung eines erkennenden Subjekts gegenüber einem erkannten Sosein, dessen sinnhafte Struktur es als notwendigen Wert versteht. Wer sich um Liebe bemüht, verbiegt aber sein Sosein in ein Als-ob, das der Erkenntnis des Soseins im Wege steht.
Wer es darauf abgesehen hat, geliebt zu werden, stellt an sein Gegenüber Bedingungen. Wer Bedingungen stellt, weist Aspekte des Anderen zurück. Er übt Druck auf ihn aus. Wer Zurückweisung spürt und sich von Forderungen bedrängt fühlt, geht zum Angriff über oder bringt sich in Sicherheit. Seiner Liebe freien Lauf zu lassen, kann er dabei schlecht.
Daher gilt: Wenn Sie keine Liebe fordern, steigt die Chance, dass das Schicksal sie an Sie verschenkt.
Absehen und Hinsehen
Erkenntnis und Hinsehen sind eins. Wer in der Liebe Absichten verfolgt, sieht aber nicht hin, sondern ab. Er sieht von all dem ab, was seiner Absicht im Wege steht.Sobald man die Absicht verfolgt, geliebt zu werden, wird die eigene Fähigkeit, zu lieben, vermindert. Das steigert nicht die Chance, dass man seinerseits geliebt wird.
Das Ego bringt Gefühle hervor: Eifersucht, Wut, Neid, Scham, Trauer. Das Ego bewirkt Gefühle, indem es Dinge aus seiner spezifischen Perspektive heraus betrachtet. Zweck der Gefühle ist es, sich selbst und die Wirklichkeit im eigenen Interesse zu steuern. Vorteile sollen erreicht, Nachteile vermieden werden.
Sträube ich mich, einen Verlust zu erleben, werde ich eifersüchtig. Indem ich mich eifersüchtigen Impulsen überlasse, versuche ich die Verlustgefahr durch Einschränkung des Anderen zu vermindern. Hinter dem Gefühl steckt meine Absicht, etwas im eigenen Interesse zu bewirken.
Jemand tut nicht, was ich von ihm erwarte. Indem ich daran glaube, er schulde mir zu tun, was mir nützt, steigere ich mich in meine Wut. Ziel meiner Wut ist, mir den Anderen durch Einschüchterung gefügig zu machen oder, mir die Bedeutung zu verleihen, die mir der andere vorenthält.
Bruno fährt neuerdings einen tollen Schlitten. Beim Gedanken, dass dadurch meine Chancen bei Roswitha sinken, kommt Neid auf. Mein Neid dient mir als Triebkraft. Ich mache 1850 Überstunden pro Woche und lege mir den 8-Zylinder Röhrig SLX mit doppeltem Nachbrenner und obenliegender Nockenwelle zu, damit Bruno an der Ampel in meinen Auspuff schaut während der Schub Roswithas Herz und Schoß verzückt.
Solche Gefühle sind nicht nur Erlebnisse, die uns ohne unser Zutun überfallen. Es sind Werkzeuge des Egos, durch deren Schubkraft es sich Vorteile zu sichern versucht.
Mit der Liebe ist es etwas anderes. Liebe dient nicht der Sicherung persönlicher Vorteile. Deshalb kann kein Ego echte Liebe erzeugen. Was der Mensch absichtlich als "Liebe" erzeugt, ist im besten Falle ein solidarisches Miteinander. Das ist wertvoll. Ein solidarisches Miteinander, das als Ziel formuliert und angestrebt wird, bleibt aber im Eigennutz seiner Erzeuger gefangen. Wenn an ihren Nutzen nicht mehr geglaubt wird, bricht die Solidarität auseinander.
Liebe ist kein Gefühl, das mit Gefühlen überhaupt vergleichbar wäre. Während Gefühle als persönliche Emotionen an- und abschwellen, entzieht sich Liebe der egozentrischen Manipulierbarkeit. Sie ist keine Emotion, die als Werkzeug der Psyche brauchbar ist. Liebe ist das Grundprinzip der Wirklichkeit. Sie entspricht dem Wesen der Wirklichkeit, die alle Teile bejaht in ihrer Einheit belässt. Sie ist das bestimmende Verhältnis der Dinge zueinander. In der Regel bleibt Liebe unbewusst und leuchtet nur an Stellen durch, an denen das Ego sich nicht vor ihr fürchtet.
Wahre Liebe wird nicht erzeugt. Sie wird mit der Wahrheit entdeckt und kann nach der Entdeckung nicht verlorengehen.
Das tatsächliche Fundament der Liebe ist kein Vorsatz, sondern Erkenntnis. Wer liebt, erkennt Wert; den eigenen wie den des Anderen. Wer dem Satz Liebe Deinen Nächsten kein Erkenne Dich selbst voranstellt, kann anderen zwar durchaus Gutes tun, er läuft aber auch Gefahr, ihnen aus Unkenntnis zu schaden. Wer sich selbst nicht erkennt, kann echte von vermeintlicher Liebe nicht unterscheiden. Er setzt das, was er ist, mit dem gleich, was er bloß tut.
Liebeskummer... Das hört sich harmlos an. Und doch haben sich Ungezählte deshalb umgebracht. Das zeigt die Wucht der Kräfte, die bei romantischer Liebe im Spiel sind.
Was Liebeskummer gefährlich macht, ist der Glaube an das Paradies, beziehungsweise daran, dass der Geliebte die Tür dorthin öffnet und man durch den Verlust der geliebten Person den Schlüssel für immer verlieren wird. Grundlage des Glaubens an das Paradies ist die Sehnsucht nach Ergänzung und heilender Einswerdung, die den Menschen umtreibt, seit er sich als separate Existenz, und damit als Halbheit begreift, die der anonymen Übermacht eines Nicht-Ich gegenübersteht.
Der Begriff Kummer geht auf das mittelhochdeutsche Wort kumber = Schutt, Müll, Mühsal, Not, Gram zurück, das seinerseits dem gallo-latei-nischen comboros = Zusammengetragenes entstammt. Liebeskummer... das sind die Trümmer einer zusammengebrochenen Illusion: jener, dass die Halbheit eines Teils durch die Halbheit eines anderen zur endgültigen Ganzheit finden kann.
Nicht nur der ursprüngliche Sinn des Kummers trägt die Idee des Zusammentragens in sich. Auch die Geburt ist ein Zusammentragen. Vermutlich geht sowohl das boros = tragen im gallo-lateinischen comboros als auch das beran = tragen, das als Vorfahre des deutschen Wortes Geburt auszumachen ist, auf das indoeuropäische bher[ə] = tragen zurück.
Das erlaubt uns, grundsätzliche Zusammenhänge besser zu verstehen. Liebeskummer zu durchleben, heißt die Trümmer dessen wegzuschaffen, was bis dahin als Illusion zusammengetragen wurde; damit der Platz frei wird, an dem etwas Neues geboren werden kann. Nicht umsonst erlebt man das Ende eines Liebeskummers als Wiedergeburt.
Was man bei Liebeskummer machen kann und was besser unterlässt
Liebe ist Erkenntnis und Anerkennung umfassender Verbundenheit. Religion ist Anbindung an das, in dem die Verbundenheit aller Teile verankert ist. Liebe und Religion sind daher untrennbar ineinander verschränkt. Als religiös kann nur aufgefasst werden, was dem Prinzip der Verbundenheit treu bleibt und sich jeder Spaltung enthält.
Die Grundlage vorläufiger Religionen ist die Spaltung der Wirklichkeit in die Kategorien Gut und Böse. Daher gelingt ihnen die Treue zum Prinzip der Verbundenheit nur in gebrochener Form. Wer zwischen Gut und Böse jede Verbindung leugnet, versucht zwar das Gute miteinander zu verbinden, er grenzt das Böse jedoch in eine abgetrennte Ebene der Wirklichkeit aus. Theologisch widerspricht das der Einheit des Einen. Auf gesellschaftlicher Ebene fördert Spaltung die Bildung verfeindeter Lager. Das ist weder religiös noch entspricht es der Liebe. Für die wahre Religion der Liebe ist Trennung keine Endstation, sondern ein Umweg in den Himmel.