Man kann einen Hund um sein Riechvermögen beneiden, einen Vogel, dass er fliegen kann, einen Baum, dass er 1000 Jahre alt wird und vielleicht sogar einen Kieselstein, der im Bachbett ruht und die 1000 Jahre Lebenszeit des Baumes wie einen Wimpernschlag an sich vorüberstreichen lässt. So ein Neid hat eine andere Qualität als der, den man gegenüber einem Menschen empfindet. Er tut nicht wirklich weh. Er macht nicht hässlich. Er weckt keinen Impuls, den Begünstigten zu schaden.
Beim althochdeutschen Ursprung des Wortes nid war der feindselige Unterton des Neides, den man Menschen gegenüber spürt, deutlich mitgedacht. Nid hieß Feindseligkeit, Missgunst, Hass und Groll in einem.
Den Vogel beneidet man zwar um seine Flügel, man ist ihm aber nicht böse, dass er sie hat. Genauso wenig missgönnt man dem Hund, dass er gut riechen kann und gegen eine Eiche, die einen um 1000 Jahre überleben könnte, hegt man keinen Groll. Im Gegenteil: Man empfindet sogar Ehrfurcht. Könnte der Nachbar jedoch fliegen, man selbst aber nicht, wäre die Gefahr groß, dass man sich freut, wenn er abstürzt. Dann wäre auch sichergestellt, dass er nicht so alt wird, wie eine Eiche im Wald.
Der Körper ist eine oberflächliche Ebene des Individuums. Mit ihr berührt er andere Oberflächen der Wirklichkeit. Dass Neid vergleicht und Vergleich tiefere Dimensionen zu Oberflächen reduziert, zeigt an, dass die eigene Tiefe im Neid stets übersehen wird.
Der Vergleich zwischen sich selbst und dem Ich-Ideal ist die erste Bedingung des Neides. Der Vergleich zwischen sich und den anderen ist die zweite.
Wer Neid empfindet, stellt Vergleiche an... und deutet die Resultate als Missstand. Dabei geht es um Selbstwertempfinden, Rolle und sozialen Rang.
Neid erschöpft sich nicht im Bedauern, dass der andere etwas hat oder kann, worüber man selbst nicht verfügt. Das zeigt der Unterschied zwischen dem Neid, den man gegenüber einem Menschen hegt und dem, den man gegenüber Tieren oder Pflanzen fühlen mag.
Echtes Sein hat nichts. Haben ist ein imaginäres Verhältnis zwischen einer Fiktion (dem autonomen Ego) und einer gehabten Sache, die der Fiktion als Nutzungsbefugnis auf Abruf zugeordnet ist. Deshalb ist jeder Besitz ständig von Verlust bedroht.
Zum echten Neid gehört der Selbstwertzweifel, der dem Vergleich menschlicher Fähigkeiten und Rangordnungen entspringt. Daraus folgt die Gefahr einer Feindseligkeit, der der Schaden des Anderen genauso recht ist wie die eigene Chance gleichzuziehen.
Vielleicht ist unser potenzieller Neid auf besondere Vermögen von Vogel und Eiche aber nur deshalb nicht missgünstig, weil wir so von der Wertüberlegenheit des Menschen an sich überzeugt sind, dass wir uns noch im jämmerlichsten Zustand für etwas Besseres halten als einen Albatros.
Wer so ist, wie er sein will, wird andere kaum beneiden; selbst wenn deren Leben Attribute enthält, die gemeinhin als beneidenswert gelten. Diogenes hat Alexander nicht um dessen Reich und Rang beneidet. Es heißt, er habe ihm gesagt: Ich habe im Leben mehr Dinge verachtet, als Du je besitzen wirst.
Nichts schützt besser vor Neid als Selbstbejahung, also die Wertschätzung dessen, was man bereits ist oder hat. Neid entzündet sich nicht nur daran, was man nicht hat, sondern vor allem an dem, was man nicht wertschätzen kann. Neid ist die Rache des missachteten Eigenwerts.
Jeder Wert, den man erkennt, vergibt das Recht, man selbst zu sein.
Erst wenn zwischen dem Ideal, das man von sich hat, und der Wirklichkeit eine breite Lücke klafft und man die Wirklichkeit dem Bild unterordnet, ist die Grundlage geschaffen, auf der Neid Wurzeln schlägt.
Rangordnungen
Die soziale Rangordnung ordnet Personen in soziale Gefüge ein. Die existenzielle Rangordnung bestimmt den Rang des Selbst in der Wirklichkeit. Die existenzielle Rangordnung steht über der sozialen. Jeder Bettler, der sich treu ist, steht über einem Kaiser, der so tut als ob.
Obwohl sich Neid ohne den Vergleich der eigenen Person mit Erwartungen, die man selbst an sie stellt, kaum verwurzelt, stammt sein Zündfunke stets aus dem Vergleich mit anderen. Der Neidische blickt zum Anderen hinüber. Was er dort erkennt, erscheint ihm groß. Sich selbst verliert er dabei aus dem Blick. Dadurch entsteht ein Kreislauf, der die erste Bedingung des Neides verstärkt:
Wer sich aus dem Blick verliert, kann die eigenen Werte nicht beachten. Wer sich unbeachtet fühlt, hält Ausschau nach dem, was ihm Beachtung verschaffen könnte. Da er durch den Blick zum Anderen dessen Attributen besondere Beachtung schenkt, meint er, dass er genau dieser Attribute bedarf, um selbst beachtenswert zu sein.
Neid schmerzt nicht nur. Er hat auch Funktionen; und man kann sich fragen, ob wir nicht noch auf den Bäumen säßen, hätte es ihn nie gegeben. Neid schmerzt nicht nur und trieb uns womöglich aus dem Geäst. Er wird auch genossen; aber nur, wenn andere ihm ausgeliefert sind.
Neid ist eine mächtige Triebkraft. Er spornt zu Anstrengungen an, die man sich ohne ihn vermutlich ersparte. Dadurch treibt er persönliche, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklungen an.
Obwohl Neid als eindeutiges Laster gilt, hat er fruchtbare Seiten. Erst die Dosis macht das Gift und nur wenn man es aufnimmt, kann es schaden. Neid, den man erkennt, statt sich ihm hinzugeben oder sich daran zu freuen, dass er andere plagt, wird zur Sprosse auf einer Leiter, die nach oben führt.
Ohne brüchiges Selbstwertgefühl gibt es keinen Neid. Da das Selbstwertgefühl durch Vergleiche beeinflusst werden kann, wird Neid daher nicht nur empfunden. Er wird auch geschürt.
Wird Neid geschürt, um Selbstwertzweifel zu vertreiben, mag das dem Zweifler eine Zeit lang guttun; aber nicht mehr als eine Droge dem Süchtigen. Neid, der entsteht, ohne dass er beabsichtigt wird, wird erst in hohen Dosen giftig. Neid, der benutzt wird, um auf Kosten anderer narzisstische Defizite aufzufüllen, ist in jeder Dosis Gift; und zwar für den, der die Droge des Neidischmachens nutzt. Wessen Wohlgefühl vom Wissen abhängt, dass andere Neid erleiden, steht als Abhängiger unter denen, deren Neid er zum Vergleichen braucht. So wird er seinen Selbstwertzweifel nicht heilen.
Wenn es keine Rangordnung gibt, die nicht auf der Treue zu sich selbst beruht, gibt es niemanden, der nicht mit jedem anderen gleichziehen kann.
Gewiss: Neid hat kreative Wirkungen. Er bringt Dinge hervor, die es ohne ihn nicht gäbe. Ist er aber unersetzlich? Vermutlich nicht. Neid treibt Entwicklungen an, aber der Treibstoff, den er dabei verbraucht, ist das Wohl desjenigen, der sich vom Neid bewegen lässt. Auch ohne Neid bliebe das Leben nicht stehen; begleitet von mehr Lust am Schaffen und befreit von der Angst, nicht zu genügen. Was bei der Überwindung des Neides hilft, ist die Beachtung des eigenen Selbst und der Verzicht, sich durch Vergleiche zur Leiche zu machen.
Behalten Sie Ihren Neid solange im Auge, bis er zu einem entfernten Gegenstand wird, dessen Beachtung Sie langweilt.