Schizophrenie


  1. Überblick und Begriffsbestimmung
  2. Kernsymptome
  3. Grundformen der Schizophrenie
  4. Schizophrenie und Depression
  5. Innerseelische Prozesse
  6. Behandlung
Der schizophrene Mensch ignoriert sein Selbst und ersetzt es durch Vorstellungen. Er ist schizophren, weil er es ablehnt, er selbst zu sein.

Geht man davon aus, dass die primäre schizophrene Dynamik auf einer Des-Identifikation des Ich vom absoluten Selbst beruht, lassen sich viele Symptome der Erkrankung psychodynamisch erklären.

Risikofaktoren

Während eine einheitliche Ursache schizo­phrener Psychosen bisher nicht aufgedeckt werden konnte, sind eine Reihe von Risikofaktoren bekannt, die das Auftreten der Erkrankung begünstigen:

1. Überblick und Begriffsbestimmung

Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis gelten als Musterpsychosen überhaupt. Wer daran erkrankt, wird vom Laien für verrückt erklärt. Der Begriff verrückt beschreibt zwei Umstände:

  1. Die Erlebnisweisen des schizophrenen Menschen wirken wie aus den normalen Grundmustern der Weltdeutung herausgerückt.

  2. Das schizophrene Bewusstsein deutet sich eher als Zentrum der Welt, denn als Zentrum seiner selbst. Es empfindet so, als sei es von der eigenen Mitte abgerückt und irre ohne Halt durch eine fremde Welt.

Wie der "Verrückte" die Welt erlebt, ist für den "Normalen" schwer nachvollziehbar. Diese Unverstehbarkeit der schizo­phrenen Erlebnisweise gilt als grundsätzliches Merkmal der Psychose. Als psychotisch gilt, was der Gesunde von sich nicht kennt und was er intuitiv nicht nachempfinden kann. Deshalb gilt Panik nicht als psychotisch. So mancher hat Panik zwar nie erlebt, da er Angst aber kennt, kann er sich vorstellen, was extrem starke Angst sein könnte.

Genauer als durch das Merkmal der Unverstehbarkeit lassen sich Schizophrenien jedoch durch eine Reihe besonderer Symptome beschreiben. Dabei handelt es sich um die klassischen psychotischen Erlebnisweisen. Diese sogenannten Plussymptome machen die Kernsymptomatik der Schizophrenie aus. Sie werden Plussymptome genannt, weil sie bei der Psychose zusätzlich zu den üblichen Erlebnisweisen der Normalität auftreten.

Konkurrierende Begriffe

In der frühen psychiatrischen Literatur konkurrierten drei Begriffe um das Recht, die schizophrenen Erkrankungen zu benennen:

  1. Schizophrenie
  2. Dementia praecox
  3. Morbus Bleuler

Eugen Bleuler prägte den Begriff Schizophrenie. Er ist aus den griechischen Begriffen schizein (σχιζειν) = spalten und phren (φρην) = Zwerchfell gebildet. Gemäß der antiken Vorstellung, dass die Seele auf Höhe des Zwerchfells sitzt, meint Schizophrenie gespaltene Seele.

Zur gleichen Zeit sprach Emil Kraepelin von der Dementia praecox, also von einer vorzeitigen Demenz. Obwohl bei Demenzkranken Psychosen häufig vorkommen, sind echte Demenzen aber von Psychosen abzugrenzen. Daher ging der Preis an Bleuler; zu dessen Ehre auch von der Bleuler'schen Krankheit, also dem Morbus Bleuler, gesprochen wird.


Das Bild der Spaltung, das das griechische schizein benennt, ist gut gewählt. Die schizophrene Psyche ist gespalten. Die Grenzlinie der Abspaltung verläuft zwischen dem relativen und dem absoluten Selbst.

Während das relative Selbst die objektivierbaren Elemente des Bewusstseins enthält, ist das absolute Hort der Subjektivität. Die normale Psyche ordnet die objektivierbaren Bewusstseinsinhalte sich selbst zu; also dem Subjekt, als das sie sich sieht. Sie sagt: Das ist mein Gedanke, meine Vorstellung, meine Wahrnehmung, mein Gefühl. Sie unterscheidet zwischen äußerer Wirklichkeit und persönlichem Erleben. Sie setzt sich der Welt als personale Einheit aus Erlebtem und Erlebendem entgegen. Mit der Wahrnehmung ihrer Bewusstseinsinhalte weist sie diesen den Charakter der Meinhaftigkeit zu.

Wer nicht mehr berücksichtigt, dass er das Subjekt ist, kann auch jene Phänomene, die ihm selbst entspringen, nicht mehr sich selbst als erkennendem und handelndem Subjekt zuordnen. Er erkennt nicht, dass er wahrnimmt, eingreift und deutet, sondern erlebt, dass er wahrgenommen wird, dass Kräfte etwas mit ihm machen und dass ihn Bedeutungen bedrängen.

Das schizophrene Bewusstsein deutet Inhalte anders. Es verbindet nicht das Erlebte und den Erlebenden zu einer personalen Einheit, sondern das Erlebte und die Außenwelt zu einer unpersönlichen, die ihm selbst fremd ist. Das schizophrene Bewusstsein ignoriert seine Verbindung zum Hort der Subjektivität. Es nimmt ausschließlich den objektivierbaren Aspekt der Welt wahr; und sieht sich selbst darin als Objekt fremder Wahrnehmung, Kräfte und Machenschaften. Seine Identität mit dem absoluten Selbst blendet es aus.

Der Schizophrene ignoriert, dass er über der Welt steht. Er steht nur mittendrin.

2. Kernsymptome

Im Grundsatz kann bei der Schizophrenie jedes psychotische Symptom vorkommen. Aber nicht jedes psychotische Symptom rechtfertigt die Diagnose einer Schizophrenie. Um schizophrene Psychosen von anderen abzugrenzen, hat sich das Konzept Kurt Schneiders bewährt. Er unterscheidet zwischen Symptomen ersten Ranges und solchen zweiten Ranges.

Hat ein Patient Erstrangsymptome, ist die Diagnose Schizophrenie sehr wahrscheinlich; und je mehr er davon hat, desto wahrscheinlicher wird sie. Hat er nur Zweitrang­symptome, ist sie weniger wahrscheinlich.

3. Grundformen der Schizophrenie

Die Kernsymptomatik der Psychose ist von Person zu Person unterschiedlich ausgeprägt. Oft wird sie durch andere Symptome überlagert. Sie kann sogar ganz fehlen und trotzdem liegt eine Schizophrenie vor. Daher ist es sinnvoll, nicht von der Schizophrenie zu sprechen, sondern von den Psychosen des schizophrenen Formenkreises.

Der Übergang zwischen normal und schizophren ist zwar nicht fließend, aber schrittweise. Bei der Ausgestaltung des Krankheitsbildes spielt die Art, wie ein Mensch auf die eigenen Symptome reagiert, eine große Rolle. Die Vielfalt der individuellen Verläufe ist deshalb nur im Ansatz beschreibbar. Trotzdem kann man typische Formen unterscheiden.

Psychosen des schizophrenen Formenkreises gemäß ICD-10

Name ICD Leitsymptome
Paranoide Schizophrenie F20.0 Verfolgungsideen, Halluzinationen
Hebephrene Schizophrenie F20.1 Unpassende Stimmungen, Denkstörungen, unvorhersehbares Verhalten
Katatone Schizophrenie F20.2 Bewegungs­anomalien, merkwürdige Posen
Undifferenzierte Schizophrenie F20.3 Mischung der Symptome von F20.0-2
Postschizophrene Depression F20.4 Stimmungstief nach schizophrenem Schub
Schizophrenes Residuum F20.5 Verlust an Lebensenergie und Vitalität
Schizophrenia simplex F20.6 Schleichender Verlust der Leistungsfähigkeit

Von den typisch schizophrenen Störungen ist eine Reihe von Krankheitsbildern abzugrenzen. Diese Krankheitsbilder sind entweder psychosenah oder es handelt sich um Psychosen, die in Erscheinungsbild oder Verlauf von der schizophrenen Kernsymptomatik abweichen.

Psychosen und psychosenahe Störungen
außerhalb des schizophrenen Formenkreises

Name ICD Leitsymptome
Schizotype Störung F21.0 Exzentrisches Verhalten, merkwürdige Denkweisen
Wahnhafte Störung F22.0 Wahnhaftes Denken, Wahnsystem
Akute vorübergehende
psychotische Störung, Zykloide Psychose
F23 rascher Wechsel heftiger psychotischer Symptome, kurzer Verlauf
Induzierte wahnhafte Störung F24 Übernahme wahnhafter Ideen durch den Partner eines Psychosekranken
Schizoaffektive Störungen F25 Depression oder Manie mit schizophrenen Symptomen gemischt
Alkoholhalluzinose F10.5 Beschimpfende Stimmen
Delirium tremens F10.4 Gesichts­halluzinationen und Verwirrtheit im Alkoholentzug
Organische Psychosen
z.B. bei Epilepsie oder Demenz
F06 Psychotische Symptome bei organischer Grunderkrankung

3.1. Paranoid-halluzinatorische Schizophrenie

Die paranoid-halluzinatorische Psychose ist die häufigste Form der Schizophrenie. Bei ihr steht die Kernsymptomatik mit Halluzinationen und wahnhaftem, oft paranoidem Beziehungserleben im Vordergrund. Der Patient hört Stimmen. Er wähnt sich durch äußere Kräfte beeinflusst oder von Widersachern verfolgt. Möglicherweise erklärt er sich sein Verfolgtsein durch eine besondere Rolle, die ihm im Leben vermeintlich zukommt. Wird sein paranoides Erleben infrage gestellt, versteift er sich erst recht auf seinen Wahn. Den Versuch, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, deutet er als Teil jenes Komplotts, als dessen Opfer er sich sieht. Fehlen Halluzinationen ganz, spricht man von einer paranoiden Schizophrenie.

Tritt eine solche Psychose erstmals auf, fehlt meist jede Krankheitseinsicht. Der Kranke glaubt, in seinem Erleben bisher verborgene Aspekte der Realität zu erkennen und verhält sich dementsprechend. Endlich wird ihm klar, wer oder was hinter gewissen Ungereimtheiten steckt.

Im Laufe der Zeit gehen viele Schizophrene dazu über, ihre psychotischen Erlebnisse infrage zu stellen. Sie gehen zu Trugwahrnehmungen und Beziehungserleben auf Distanz. Andere praktizieren im Umgang mit der Außenwelt eine doppelte Buchführung. Da der Kranke erlebt, dass die Außenwelt auf seine Sichtweise verständnislos reagiert, beginnt er seine psychotischen Erlebnisse zu verheimlichen. Nach außen hin bemüht er sich um Normalität, insgeheim bleibt er seiner privaten Weltsicht treu.

3.2. Katatone Schizophrenie

Bei der katatonen Schizophrenie fallen Störungen der Bewegungsabläufe und der Körperhaltung auf. Dabei kann es sowohl zu bewegungslosem Verharren in bestimmten Körperpositionen kommen, die zum Teil bizarr anmuten, als auch zu sogenannten Bewe­gungsstereotypien. Bewegungsstereotypien sind durch die ständige Wiederholung vermutlich symbolhafter Bewegungen gekennzeichnet. Oder aber es kommt zu turbulenten Erregungszuständen, bei denen so manches zu Bruch gehen kann.

Typisch für die katatone Schizophrenie sind außerdem Befehlsautomatismus und Ne­gativismus. Beide Symptome sind als Gegensatzpaar eines psychologischen Themas erkennbar. Beim Befehlsautomatismus, macht der Kranke widerstandslos, was man von ihm will. So führt er Bewegungen aus, die man von außen anstößt. Beim Negativismus ist es umgekehrt: Gegen alles, was man von ihm fordert, leistet er zähen Widerstand.

Die katatonen Zustände können als Reaktionen des Kranken auf intensive psychotische Erlebnisse mit beängstigenden Halluzinationen und Wahnvorstellungen verstanden wer­den. Der Kranke stellt sich tot, um wahnhaft erlebter Bedrohung seiner Existenz zu ent­gehen. Oder er bricht in Bewegungsstürme aus, um die entsprechenden Bedrohungen abzuwehren.

Katatone Schizophrenien sind selten geworden. Wahrscheinlich ist das ein Erfolg der modernen Pharmakotherapie, die verhindert, dass Psychosen unkontrolliert bis in katatone Zustände hinein entgleisen.

Katatone Symptome im Überblick

Fachbegriff Der Kranke...
Befehls­automatismus führt widerstandslos aus, was man von ihm verlangt.
Bewegungs­stereotypie wiederholt immer wieder die gleichen Gesten oder Handlungsabläufe (z.B. Schaukeln mit Kopf oder Körper, Grimassen­schneiden, Bewegungen der Hände).
Echolalie spricht nach, was andere sagen.
Echopraxie wiederholt Handlungen, die er andere ausführen sieht.
Flexibilitas cerea
Wächserne Biegsamkeit
lässt seine Körperhaltung von außen passiv bestimmen.
Haltungsstereotypie nimmt bestimmte Körperhaltungen ein.
Katalepsie hält vorgegebene Körperhaltungen lange bei.
Katatoner Raptus verfällt in ungehemmten Bewegungssturm; schreit, tobt, schlägt um sich, wirft sich zu Boden.
Katatoner Stupor bleibt regungslos liegen, sitzen oder stehen.
Mutismus stellt jede Kommunikation mit Umfeld ein.
Negativismus macht das Gegenteil von dem, was man von ihm will.
Sperrung unterbricht Bewegungsabläufe.
Verbigeration wiederholt stereotyp Wörter, Silben oder Satzteile.

3.2.1. Perniziöse Katatonie
Perniziös ist eine Erkrankung, wenn sie besonders bösartig ist und somit ins Verderben führt (von lateinisch pernicies = das Verderben. Wörtlich: vollständig schädlich; von per- = vollständig und nocere = schaden).

Die perniziöse Katatonie ist eine lebensgefährliche Variante der Schizophrenie. Heute ist sie selten. Wegen der hohen Sterblichkeit bei falscher Behandlung (bis zu 50%) und der Gefahr, sie mit einem malignen neuroleptischen Syndrom zu verwechseln, ist die frühzeitige Diagnose und die Wahl der einzig verlässlichen Therapie - der Elektrokrampftherapie (EKT) - von großer Bedeutung.

Zur perniziösen Katatonie gehören folgende Symptome:

Antipsychotische Medikamente sind bei der perniziösen Katatonie kaum wirksam. Lebensrettend ist oft nur eine entschlossene Elektrokrampfbehandlung (Konvulsions­therapie).

3.3. Hebephrene Schizophrenie

Bei der hebephrenen Schizophrenie kommen Wahn und Trugwahrnehmungen eher flüchtig vor. Während die Stimmung des Paranoiden misstrauisch, ängstlich und zuweilen feindselig ist, ist sie bei der hebephrenen Form oft unangemessen läppisch, albern, unernst oder flach. Die Kranken fallen durch gedankenloses Umsetzen momentaner Impulse auf. Ihr Denken ist sprunghaft, ihre Haltung dem jeweiligen Umfeld gegenüber oft unpassend. In schweren Fällen wird das Denken zerfahren. Die logische Struktur löst sich soweit auf, dass ein Außenstehender kaum noch verstehen kann, wovon der Kranke spricht.

Während die paranoid-halluzinatorische und die katatone Schizophrenie auch noch später ausbrechen können und oft schubformig verlaufen, beginnt die hebephrene in der Regel schleichend aus der Pubertät heraus und mündet früh in ein schizophrenes Residuum. Zeitpunkt des Ausbruchs und typische Symptomatik standen an der Wiege ihrer Namensgebung: Hebe- geht auf Griechisch ebe [ηβη] = Jugend zurück. Die Hebephrenie beginnt in der Pubertät und wirkt zuweilen wie eine Karikatur pubertär-verantwortungsloser Verhaltensmuster.

3.4. Schizophrene Spätphase / Residuum

Durchlebt ein schizophrener Mensch mehrere psychotische Schübe, entwickelt sich im Laufe der Zeit ein Seelenzustand, der als schizophrenes Residuum (lateinisch residuus = zurückbleibend) bezeichnet wird. Oder aber das Residuum entsteht schleichend aus einer Hebephrenie oder einer sogenannten Schizophrenia simplex heraus. Dabei fallen Symptome ins Auge, deren gemeinsamer Nenner ein Verlust an Bereitschaft darstellt, am Leben aktiv gestaltend mitzuwirken. Da etwas abnimmt, heißen sie auch Minussymptome.

Gemischtes Residuum
In der Spätphase der Schizophrenie treten die Plussymptome - auch produktive Symptome genannt - meist zurück und machen den Minussymptomen Platz. Dann spricht man vom einfachen Residuum. Zuweilen bestehen die produktiven Symptome aber weiter, während die Minussymptome hinzutreten. Dann spricht man von einem gemischten Residuum.

Vermutlich handelt es sich bei den Minussymptomen um Anpas­sungen des psychotisch Erkrankten an die Einschränkungen seiner Teilhabe am gemeinschaftlichen Leben. Die psycho­tischen Kernsymptome beeinträchtigen die Kommunikationsfähigkeit so sehr, dass der Kranke kaum in der Lage ist, sich ökonomisch und sozial erfolgreich ins Umfeld einzubringen. Auf wiederholtes Scheitern und soziale Befremdung reagiert er schließlich mit innerem Rückzug, der Drosselung seiner Kontaktbereitschaft und dem Verzicht auf Eigeninitiative.

3.5. Schizophrenia simplex

Bei der Schizophrenia simplex stehen Minussymptome von Anfang an im Vordergrund. Mit schleichendem Beginn zeigt sich ein Scheitern an und ein Ausweichen vor sozialen Herausforderungen, was den Kranken in eine Außenseiterposition bringt. Nur wenn bei genauer Untersuchung wenigstens eine geringe Plussymptomatik nachzuweisen ist, die den sogenannten Versandungsprozess unterschwellig begleitet, kann dieser Seelenzustand mit gutem Grund dem schizophrenen Formenkreis zugerechnet werden. Fehlt die psychotische Kernsymptomatik ganz, muss alternativ an einen anderen Krankheitsprozess - zum Beispiel eine Persönlichkeitsstörung - gedacht werden.

3.6. Undifferenzierte Schizophrenie

Schizophrene Erscheinungsbilder lassen sich nicht immer einer der oben genannten Gruppen zuordnen. Oft findet man Mischbilder, bei denen entweder gleichzeitig oder nacheinander paranoid-halluzinatorische, katatone oder hebephrene Symptome auftreten; oder es ist von Anfang an die Minussymptomatik der Spätphase bzw. der Schizophrenia simplex beigemischt. Dann spricht man von einer undifferenzierten Schizophrenie.

Häufigkeit und Altersverteilung

Die Schizophrenie kommt ab dem 12. Lebensjahr vor. Sie betrifft etwa ein Prozent der Bevölkerung. Der Zeitpunkt der ersten Manifestation liegt meist vor dem 35. Lebensjahr. Bei Frauen gibt es einen zweiten Gipfel um die Wechseljahre herum.

Alter bei Erstmanifestation

Frauen

Männer

Pro­zent
42 42
39 39
36 36
33
30
27 27
24
21
18 17 17
15 14
12
9
6
3 3 3 3
Alter 12-19 20-29 30-39 40-49 50-59

4. Schizophrenie und Depression

Im Verlauf schizophrener Psychosen kommt es gehäuft zu Depressionen. Drei Viertel der Psychosekranken berichten über depressive Verstimmungen, die lange vor dem Ausbruch der psychotischen Symptome aufgetreten sind. Auch im Verlauf der Psychose kommt es überdurchschnittlich oft zu depressiven Phasen. Außerdem entwickeln viele Menschen, die über Jahrzehnte hinweg unter psychotischen Schüben leiden, das oben beschriebene schizophrene Residuum. Dessen Symptomatik ähnelt der einer chronischen Depression.

Depressive Phasen im Verlauf der Psychose erschweren den Krankheitsverlauf. Sie erhöhen das Risiko suizidaler Handlungen, verschlechtern die soziale Einbindung und führen zu erhöhtem Behandlungsbedarf.

Die Psychiatrie ordnet depressive und depressions-ähnliche Symptome, die im Verlauf einer Schizophrenie auftreten können, in verschiedene Kategorien ein. Die Vielfalt menschlicher Verhaltens- und Erlebnisweisen bringt jedoch ein breit gefächertes Spektrum von Erscheinungsbildern mit sich, sodass die Unterscheidung oft willkürlich bleibt.

Depressive und depressions-ähnliche Erscheinungsbilder
bei Psychosen

5. Innerseelische Prozesse

Eine psychodynamische Beschreibung der Schizophrenie kann zwei Themen aufgreifen:

Die Psychiatrie ist alles andere als darüber einig, ob es einen schizophrenogenen Prozess auf psychischer Ebene überhaupt gibt. Die Misserfolge bislang aufgestellter Theorien bei der psychotherapeutischen Behandlung einerseits und die Erfolge der medikamentösen Behandlung andererseits, sind starke Argumente auf Seiten der biologischen Psychiatrie. Diese geht davon aus, dass die Schizophrenie durch eine Stoffwechselstörung ausgelöst wird; und sich ein Nachdenken über psychodynamische Ursachen damit erübrigt. Da Substanzen, die in den Stoffwechsel der Botenstoffe im Gehirn (Neurotransmitter) eingreifen, oft beeindruckende Effekte auf psychotische Symptome haben, wird die Pharmakotherapie wohl auf absehbare Zeit bei der Behandlung führend bleiben; oder für immer.

Nichtsdestotrotz hat es viele Versuche gegeben, dem Geheimnis der Psychose durch psychodynamische Erklärungen beizukommen. Da solche Erklärungen kaum je experimentell überprüfbar sind, bleiben zur Einschätzung ihres Wahrheitsgehalts zwei Messlatten:

  1. eine Bewertung ihrer Plausibilität
  2. kommunikative und therapeutische Effekte durch Rückgriff auf das entsprechende Erklärungsmodell

Das nachfolgende Modell setzt am Gegensatz von Subjekt und Objekt an. Damit unterscheidet es sich von bisherigen Theorien; z.B. den Sichtweisen von Benedetti, Federn, Wynne, Klein, Sullivan, Searles, Will, Arieti, Bateson und anderen.

5.1. Des-identifikation
Nichts fördert das Verständnis der Schizophrenie mehr als das Verständnis der Religion.

Obwohl die Palette der psychotischen Symptome zunächst unverstehbar erscheint, erkennt man bei näherer Betrachtung ein gemeinsames Merkmal:

Der Schizophrene rechnet Teile seiner seelischen Aktivität dem Umfeld zu.

Setzt man dieses Kernsymptom mit dem psychologischen Grundkonflikt und der Struktur des Selbst in Beziehung, sieht man, dass es sich beim schizophrenen Erleben um kein Sammelsurium absurder Merkwürdigkeiten handelt, sondern um ein zusammenhängendes Ganzes.

Die schizophrene Erlebniswelt erscheint in der Folge einer Abkopplung des Selbstbilds vom absoluten Selbst und einer Veräußerung des relativen als verdrehte Variante des menschlichen Weltbezugs.

Objektivierung des relativen Selbst
Der schizophrenen Selbstveräußerung liegt eine Variante des Selbstverständnisses zugrunde. Sie kann durch die Begriffe Abspaltung und Objektivierung beleuchtet werden.

Pole der Subjektivität
Subjektiv heißt sowohl unterworfen als auch grund­legend. Der eine Pol ist passiv, der andere aktiv. Die Subjektivität des Einzelnen besteht aus beiden Komponenten. Als Person ist er dem Weltgeschehen unterworfen. Sein Wesen umfasst gleichzeitig die grundlegenden Kräfte der Wirklichkeit: Erkenntnis und Macht. Beide heben ihn über reines Unterworfensein hinaus. Der Schizophrene blendet den aktiven Pol der Subjektivität aus seinem Selbstbild aus. Er erlebt sich in der Folge ausgeliefert; und zwar nicht nur dem Nicht-Ich, dem sich auch der normale Mensch ausgeliefert fühlt, sondern auch den Elementen seines relativen Selbst, die er nicht mehr als subjektiv und zu ihm selbst gehörig erkennt.

Aus Selbstveräußerung und Des-Identifikation vom absoluten Selbst ergeben sich zwei Grundmuster des schizophrenen Erlebens:

Varianten des Selbstverständnisses

schizophren normal / neurotisch mystisch
Ich bin Objekt fremder Subjekte. Ich bin eine Person. Ich bin ich selbst.
Ich werde von der Welt absorbiert. Ich stehe der Welt als separater Teil gegenüber. Ich bin kein Teil der Welt. Die Welt ist Teil von mir.
Die Mächte der Subjektivität liegen außerhalb von mir. Subjektivität ist Eigenschaft meiner Person. Ich bin keine Person, sondern absolutes Subjekt.
Des-Identifi­kation vom absoluten Selbst. Identifikation mit dem relativen Selbst. Des-Identifi­kation vom relativem Selbst.

Das schizophrene Selbstverständnis kann als polarer Gegensatz zum mystischen verstanden werden. Der Schizophrene ist in der Welt verrückt. Der Mystiker ist von der Welt entrückt.

Zuordnungen und Grenzziehungen

Welt relatives Selbst absolutes Selbst
schizo­phren Ich als Objekt ausge­blendet
normal Ich als Person einge­blendet
mys­tisch Ich als ich selbst erkannt

5.2. Selbstveräußerung
Die schizophrene Selbstveräußerung stört die Erfüllung der psychologischen Grundbedürfnisse radikal. Zugehörigkeit verwandelt sich in Befremdung. Selbstbestimmung endet in der Sackgasse der Wahnideen.

Das normale Ich unterscheidet zwischen innen und außen. Weist es einem Bewusstseinsinhalt eine äußere Ursache zu, erlebt es den Inhalt als Wahrnehmung. Es hört etwas, sieht etwas, spürt etwas. Sieht es sich selbst als Quelle des Inhalts, sieht es nichts. Es geht davon aus, dass es denkt, fühlt oder meint.

Trugwahrnehmungen können als Veräußerungen eigener Gedanken, Befürchtungen und Wünsche verstanden werden. Da das schizophrene Ich sich nicht durchgehend als Autor der eigenen gedanklichen Inhalte erkennt, hört es sie von Stimmen ausgesprochen. Analoges gilt für Ich-Störungen und Wahnbildungen. Bei der Ich-Störung deutet das schizophrene Bewusstsein andere als Verursacher und Mitwisser der eigenen Gedanken, Gefühle und Impulse. Im Wahn schreibt es eigene Strebungen und Bedürfnisse der Außenwelt zu und webt sie so in sein paranoides Weltbild ein.

Die Selbstveräußerung kann als spezifisch schizophrener Abwehrmechanismus aufgefasst werden. Während das normale Ich zwecks Konfliktvermeidung mit dem Umfeld und zur Aufrechterhaltung eines widerspruchsfreien Selbstbilds dazu neigt, einzelne Inhalte seiner selbst zu verleugnen, verleugnet sich das schizophrene Ich als autonome Instanz. Der "Normale" verleugnet einzelne Wünsche, zu denen er nicht stehen zu können glaubt. Er verleugnet aber nicht, dass er als grundsätzlich autonomes Individuum über sich selbst bestimmt. Bei der Selbstbestimmung stößt er konflikthaft auf die Grenzen der Außenwelt.

Das schizophrene Bewusstsein verleugnet radikaler. Es verleugnet sich selbst als Selbstbestimmer. Seine Autonomie wird nicht durch eine Außenwelt begrenzt, der es begegnet, sondern durch eine Außenwelt, die von ihm Besitz ergreift.

5.3. Ausgeliefert an die Zugehörigkeit

Einsamkeit

Die befremdlichen Erlebnisweisen, die der Kranke nicht mit seinem Umfeld teilen kann und die er von dort aus nicht bestätigt sieht, vertiefen seine Einsamkeit. Denkbar ist, dass der paranoide Beziehungswahn - entweder als Nebeneffekt oder als pathologischer Lösungsversuch - der erlebten Einsamkeit entgegenwirkt: Wer sich allerorten beobachtet fühlt, erlebt sich nicht als ganz allein. Wer alles auf sich selbst bezieht, ist mit allem verbunden.

Als unmittelbare Folge der Selbstveräußerung erlebt sich der Schizophrene ans Umfeld ausgeliefert. Sein Ausgeliefertsein macht sich durch Trugwahrnehmungen, Beziehungs­erleben und Ich-Störungen bemerkbar.

Wenn der Gesunde ungestört sein will, geht er dorthin, wo niemand ist. Dann hat er seine Ruhe und kann über sich bestimmen. Der Gesunde kann sich bei Bedarf der Fremdbestimmung entziehen, die der Zugehörigkeit zu anderen inneliegt. Beim Schizophrenen ist das anderes. Egal wohin er geht, seine Stimmen folgen ihm. Sie geben Befehle, reden auf ihn ein, kommentieren, was er tut, machen sich lustig, beleidigen oder verspotten ihn. So ist der Schizophrene quasi nie allein. Er erlebt dauernde Zugehörigkeit in Form ständigen Ausgeliefertseins.

Analoges gilt für Gesichts-, Geruchs- oder Berührungshalluzinationen. Der Gesunde schaut von dem weg, was er nicht sehen will. Er vermeidet Räume, deren Geruch er nicht mag. Und er fühlt sich von niemandem betastet oder körperlich bedrängt, wenn er dafür sorgt, dass man ihm vom Leibe bleibt. Auch das ist bei dem, der halluziniert, anders. Die "Welt" rückt ihm mit ungebetenen Bildern, Gerüchen und in Form leiblicher Beeinflussungen zu Leibe, gegen die keine Abwehr hilft.

Auch Beziehungsideen und Ich-Störungen verwandeln die Zugehörigkeit des Schizo­phrenen in ein Ausgeliefertsein. Wer alles und jedes, was um ihn herum passiert, auf sich bezieht, wer in jedem Zufall eine Bedeutung zu erkennen meint, die auf die eigene Person verweist, lebt subjektiv in einer Welt, in der alles mit ihm selbst zu schaffen hat. In einer solchen Welt fehlt jene Unzugehörigkeit, die der Gesunde bestens kennt. Der Gesunde geht durch die Stadt und weiß, dass ihn niemand beachtet. Er nimmt es als Befreiung hin, dass zwischen ihm und den meisten Dingen kein persönlicher Bezug besteht.

Da alles mit allem zusammenhängt, ist das natürlich nur ein Annäherungswert; der sich im Alltag aber als praktisch erweist. Die Orientierung der Person im Umfeld wird entschieden vereinfacht, wenn sie all jene Bezüge ignoriert, die nur über eine geringe Bezugsintensität verfügen.

Der Schizophrene dagegen fühlt sich beobachtet, also beachtet und mithin den Beob­achtern zugehörig, wenngleich er diese Zugehörigkeit als Ausgeliefertsein empfindet. Zwischen sich selbst und der Welt spürt er ein Netzwerk bedeutsamer Beziehungen. Alles Mögliche um ihn herum hält Botschaften für ihn bereit. Der Schizophrene erlebt sich nicht freigesetzt durch weitgehende Anonymität, sondern in einem Netzwerk vermeintlicher Zugehörigkeit gefangen.

Noch unmittelbarer sind die "anderen" durch Ich-Störungen in der Person des Schizophrenen präsent. Sie beeinflussen seine Gedanken, steuern seinen Willen, sind nahtlos über alles informiert, was der Schizophrene denkt und fühlt. Ausgelieferter an die Mitwelt, der man angehört, kann man sich kaum erleben.

5.4. Gefangen in der Selbstbestimmung

Das Ausgeliefertsein ans Umfeld ruft Impulse der Selbstbestimmung auf den Plan. Der Schizophrene unternimmt allerlei Manöver um den vermeintlichen Zugriff der Umwelt abzuwehren. Er vermeidet Kontakte, verheimlicht, was in ihm vorgeht, redet bei Fragen vorbei, versucht, nicht zu denken, was andere nicht erfahren sollen, nimmt katatone Zwangshaltungen ein, widerstrebt jedem, der auf ihn einwirken will, unterläuft thera­peutische Vereinbarungen oder versucht, sich durch taktische Widerstandslosigkeit vor dem Zugriff zu retten. Gelegentlich geht er unmittelbar gegen angebliche Verfolger vor.

Wer durch Wahn über sich bestimmen will, wird vom Wahn beherrscht.

Ein besonderer Versuch, Autonomie zu verwirklichen, ist die Ausbildung eines Wahns. Der Schizophrene versucht, selbstbestimmt zu handeln, indem er sich bei der Bildung seiner Urteile über alle Einwände hinwegsetzt, die das Umfeld im Hinblick auf reale Fakten vorbringt. Dem Verlust individueller Kontrolle über seelische Inhalte, der der Selbstveräußerung entspringt, setzt er das Gegengift einer willkürlichen Urteilsbildung entgegen.

Um seine Wahnideen gegen die Wirklichkeit zu verteidigen, betreibt der Kranke Wahnarbeit. Sie besteht darin, mögliche Einwände durch ein wachsendes Geflecht neuer Wahnurteile abzuwehren. Durch die Wahnarbeit sichert der Kranke seine Willkürurteile wie eine unbezwingbare Burg nach außen ab. Zuletzt ist er von der Außenwelt isoliert in der eigenen Burg gefangen.

5.5. Selbstwertgefühl und Distanz
Das Wissen um die Unverlierbarkeit des eigenen Wertes ist das Fundament eines stabilen Selbstwertgefühls. Ein Selbstwertgefühl, das nicht der Identität entspringt, sondern einer Identifikation, ist eine Fata Morgana. Nur wer erkennt, dass er unveräußerlich ist, erkennt seinen wahren Wert.

Sobald der Schizophrene glaubt, dass andere seine Gedanken steuern oder sich durch Gedankenübertragung Zugang zu seinen intimsten Winkeln verschaffen, ist es um sein Selbstwertgefühl vollends geschehen. Er lebt im Gefühl, eine Marionette anderer zu sein, die nach Belieben über ihn verfügen. Das Schamgefühl, dass solcher Illusion entspringt, ist nur zu ertragen, wenn man den Abstand zu anderen vergrößert und die Identität mit sich selbst verleugnet.

Wenn ich nur ein Objekt bin, will ich nicht ich selbst sein. Wenn ich es ablehne, ich selbst zu sein, erlebe ich mich als ein Objekt anderer.

Schizophrenie ist ein sich selbst verstärkender Prozess. Nichts fördert schizophrenes Erleben mehr... als schizophrenes Erleben.

Mit dem Selbstwertgefühl Schizophrener steht es nicht zum Besten. Das ist kein Wunder: Wer die Identität mit sich selbst aus den Augen verliert, kann auch den Wert nicht mehr spüren, der ihr unverlierbar inneliegt. Möglicherweise spielen defizitäre Selbstwertgefühle bereits bei der Auslösung des schizophrenen Prozesses eine wesentliche Rolle. Im weiteren Verlauf tragen sie nachhaltig zur Aufrechterhaltung schizophrener Kommunikationsmuster bei.

Schizophrene Psychosen treten kaum je aus blühender seelischer Gesundheit mit sattem Selbstwertgefühl heraus auf. Wie Huber (Psychiatrie, Schattauer 1987) es bereits schrieb, gehen der eigentlichen Psychose meist Vorläufer- bzw. Vorpostensyndrome voraus. Darunter versteht man eine Palette psychischer Befindlichkeiten mit asthenischen, depressiven, maniformen, ängstlichen, zwanghaften oder somatoformen Symptomen, denen eines gemeinsam ist: Sie untergraben die Fähigkeit der Betroffenen, sich erfolgreich und selbstbestimmt sozial zu integrieren. Das führt zu einer Schwächung des Selbstwertgefühls... und bahnt die Bereitschaft, sich zwecks Abwehr von Schamgefühlen von sich selbst zu distanzieren.

Ist die Psychose ausgebrochen, geht der Kranke durch seine Verrücktheit nicht nur zu sich selbst auf Abstand. Er verrückt durch merkwürdiges Verhalten und abwegige Sichtweisen auch innerhalb der Menschenwelt. Er erlebt im Bezug zu anderen Distanz, Unverständnis, Ausgrenzung, Abwertung, Spott und Befremdlichkeit. Das ruft neue Schamgefühle auf den Plan, also die Angst davor, dass der persönliche Unwert offenkundig wird.

Um diese Gefühle zu vermeiden, versteigt sich der Kranke erst recht ins privatistische Gemäuer wahnhafter Deutungen. Unwert wäre aus der Nähe leichter zu erkennen. Der Wahn bringt ihn zu anderen auf Distanz.

5.6. Größenwahn

Legendär ist der Schizophrene, der in napoleonischer Pose umhersteht. Obwohl heutzutage kaum je ein Psychiater einen solchen Patienten zu Gesicht bekommt, ist der Größenwahn ein fester Bestandteil des Repertoires schizophrener Ausdrucksweisen. Im Größenwahn identifiziert sich der Kranke mit einer berühmten Persönlichkeit, glaubt von einer solchen abzustammen oder mit ihr geistig in Verbindung zu stehen. Oder er meint, ihm sei vom Schicksal eine besondere Rolle zugedacht: die Welt zu verbessern oder gar zu erlösen.

Größenwahn ist unschwer als Abwehrmaßnahme zwecks prothetischer Versorgung eines zerbrochenen Selbstwertgefühles zu erkennen. Da der Kranke den Kontakt zum absoluten Selbst verloren hat, bleibt ihm als Quelle des vermissten Gefühls nur der Ersatz durch glanzvolle Bilder.

5.7. Gedanklicher Strukturverlust

Zu den klassisch schizophrenen Symptomen gehört die Denkzerfahrenheit; auch Inkohärenz genannt. Dabei wird das Denken zunächst sprunghaft, verliert dann seinen logischen Aufbau, sodass der Außenstehende kaum noch versteht, worüber der Kranke spricht. Bei der extremsten Form kommt es zur Schizophasie. Dabei handelt es sich um einen vollständigen Sprachzerfall, sodass der Patient nur noch Wort- oder Silbensalat hervorbringt.

Auch ein solcher Strukturverlust des Denkens kann als Folge des schizophrenen Grundprozesses, also der Abkopplung des relativen vom absoluten Selbst interpretiert werden. Sprachbildende Zentren greifen auf neurologische Strukturen des Gehirns zu. Jeder - auch der Gesunde - kann sich dieser Funktionen bedienen, um beliebige Sätze zu bilden, oder auch dadaistische Klangfolgen.

Wörter sind wie Legosteine. Man kann sie zu Häusern, Autos, Robotern oder Bäumen zusammensetzen. Um das zu tun, bedarf es des planenden Überblicks einer Instanz, die Logik, Struktur und Sinn versteht. Fehlt die Instanz oder wird sie an ihrer Funktion gehindert, entstehen aus Lego­steinen keine erkennbaren Strukturen, sondern inkohärent zusammengewürfelte Wunderlichkeiten.
  1. Am Wegesrand steht die große Buche.
  2. Randstand Buche hat gebildet und grünt Blätter.
  3. Ranunam buwega blägrüsteh.

Satz Nummer eins ist logisch kohärent. Satz Nummer zwei ist inkohärent. Wer so spricht, spricht zerfahren. Satz Nummer drei ist Silbensalat; obwohl bei genauer Betrachtung einige Silben an die Sätze Nummer eins und zwei erinnern.

Zur neurologischen Basis des Denkens gehören Regelkreise, die Grundfunktionen der Satzbildung übernehmen. Sie bahnen die begrifflichen Zuordnungen gemäß Klang, Form, zeitlicher, räumlicher oder thematischer Zugehörigkeit. Solche Assoziationsmuster funktionieren automatisiert.

Wer auf die Überprüfung ihres Sinngehaltes verzichtet, kann in rascher Folge Sätze bilden, deren Aufbau assoziativen Regelkreisen folgt. Das Denken des Gesunden ist jedoch nicht nur das Werk objektivierbarer Sprachzentren im Kortex, die sich selbst überlassen im Stande sind, allerlei hervorzubringen. Beim kohärenten Denken wird vielmehr der Sinngehalt des sprachlich Ausgedrückten vorausblickend und begleitend überprüft. Wer aber kann Sinn überhaupt erkennen? Nur das Subjekt kann das; oder eine Maschine, die im Auftrag eines Subjekts handelt.

Da der schizophrene Grundprozess den Garanten der Subjektivität, nämlich das absolute Selbst, vom relativen abgekoppelt hat, fehlt der Abgleich des verbal Komponierten mit dem, was sinnvoll sein kann. Resultat ist ein gedanklicher Strukturverlust.

5.8. Religiöses Interesse
Laut Pfaff (Schizophrenie und religiöser Wahn. Eine vergleichende Studie zur Zeit der innerdeu­tschen Teilung, Ruhr-Universität Bochum, 2008) befassen sich 20-30% aller Schizophrenen wahnhaft mit religiösen Themen. Eine Längsschnittuntersuchung von Kranz (1955) habe für die Zeitspanne von 1886-1946 sogar eine Prävalenz des religiös-dämonologischen Wahnes von 43-45% ergeben.

Auffällig oft befassen sich schizophren Erkrankte mit religiösen, paranormalen oder kosmologischen Theorien; oder sie entwickeln sogar einen religiösen Wahn. Geht man davon aus, dass die Abspaltung der Person vom absoluten Selbst psychodynamische Grundlage der schizophrenen Erkrankung ist, lässt sich das entsprechende Interesse als Suche nach dem verlorenen Gut verstehen.

Religion ist die Suche nach dem Absoluten und der Versuch, sich selbst im Absoluten zu verankern. Mehr als der normale Mensch betrachtet sich der Schizophrene als Objekt und damit als bedingt und unterworfen. Dass ein Mensch, der sich dergestalt ausgeliefert und entwertet sieht, nach dem Gegenpol des Objekthaften Ausschau hält - dem Subjekt, das aller Bedingtheit enthoben ist - geht nahtlos aus der erlebten Qualität seines Daseins hervor.

6. Behandlung

Bei der Behandlung schizophren Erkrankter kommen fünf Mittel zum Einsatz:

Die Reihenfolge ihrer Bedeutung ist gewiss umstritten. Da psychotherapeutische Ansätze zu einer grundsätzlichen Beeinflussung schizophrener Erkrankungen bislang nicht entwickelt wurden, könnte die Soziotherapie auch an dritter Stelle genannt werden; erst recht, weil Psycho- und Ergotherapie oft überhaupt erst möglich werden, wenn der Patient zuvor soziotherapeutisch stabilisiert wurde.

6.1. Pharmakotherapie
Da das Erlebnis schizophrener Symptome psychodynamische Prozesse fördern kann, die zu einer Verstärkung der schizophrenen Dynamik führen, hat der Einsatz von Neuro­leptika vermutlich auch eine vorbeugende Wirkung. Er verhindert, dass sich der Kranke durch produktive Symptome immer mehr in die Entfremdung vom Umfeld verstrickt; was seine Rückkehr in eine stimmige Anbindung an die Gemeinschaft erschweren würde.

Der Grundpfeiler der heutigen Therapie ruht auf der Anwendung von Psychopharmaka. Dabei sind Antipsychotika, auch Neuroleptika genannt, die Mittel der ersten Wahl.

Antipsychotika wirken vor allem gegen die Plussymptome der akuten Psychose. Ohne den Einsatz solcher Medikamente ließen sich dramatische Zuspitzungen schizophrener Psychosen mit Realitätsverlust sowie halluzinativ bzw. wahnbedingtem Problem­verhalten oftmals nicht verhindern.

Hypothese zur Wirkweise der Neuroleptika

Träume sind szenische Trugwahrnehmungen verschiedener Sinnesgebiete. Neuroleptika wirken am Zentralnervensystem. Sie blockieren Nervenleitungs­strukturen, die es dem Gehirn ermöglichen, dem Bewusstsein gedankliche Inhalte in Form von Trugwahrnehmungen zuzuführen. Möglicherweise handelt es sich um dieselben Regelkreise, die an der Entstehung der Träume mitwirken.

Die üblichen logischen Zuordnungen, die das Wachbewusstsein ausmachen, sind im Traum gelockert. Möglicherweise experimentiert das Gehirn im Traum. Möglicherweise probiert es aus, welchen Effekt es hat, die Eigenschaften der Dinge anders zuzuordnen, als im Standardprogramm des Wachbewusstseins. Möglicherweise nutzt die Selbstveräußerung der schizophrenen Abwehr Programme, die sonst nur im Traum aktiv sind. Möglicherweise wird der Aufruf dieser Programme durch Neuroleptika im Wachzustand erschwert.

Ein großer Teil der schizophrenen Folgesymptome kann als Reaktion auf Trugwahrnehmungen und Ich-Störungen gedeutet werden. So wird verständlich, warum auch Wahnideen, sozialer Rückzug, katatone Symptome und andere psychotische Begleiterscheinungen zurückgehen, wenn man durch Neuroleptika Trugwahrnehmungen und Ich-Störungen beseitigt.

Kommt es im Rahmen von schizophrenen Psychosen zu depressiven Verstimmungen, was oft geschieht, ist zusätzlich an Antidepressiva zu denken.

Die medikamentöse Behandlung der sogenannten Minussymptome, die vor allem das Bild der Residualsydrome prägen, ist schwierig. Einige Neuroleptika (Amisulprid, Aripiprazol, Cariprazin) scheinen darauf einen Einfluss zu haben. Bei anderen fehlt er. Da Minussymptome depressiven Verstimmungen ähneln, kommen auch Antidepressiva zum Einsatz. Da zu vermuten ist, dass die Minussymptomatik nicht nur Resultat der primären schizophrenen Grundprozesse ist, sondern auch psychodynamische Folge eines erschwerten Lebensweges abseits der psychischen Normalität, ist nicht zu erwarten, dass eine umfassend wirksame Medikation je gefunden werden kann.

6.2. Psychoedukation

Ein wesentliches Standbein der Behandlung schizophrener Menschen ist die Psychoedu­kation. Nach Abklingen der akuten Symptome durch erfolgreiche Pharmakotherapie gewinnt sie große Bedeutung. Es gilt, mit dem Patienten Strategien zu erarbeiten, wie er mit den ungewöhnlichen Erlebnisweisen im Alltag sinnvoll umgehen kann. Eckpfeiler der Psychoedukation sind:

Einbeziehung schafft Vertrauen.

Die Einbeziehung des Kranken in die Therapieplanung ist in gewissem Sinne bereits eine psychotherapeutische Intervention. Gerade der Schizophrene vermutet radikaler als jeder andere psychisch Kranke, dass er von Fremden beherrscht, bevormundet, gesteuert und missbraucht wird. Mehr noch: Er glaubt, es leibhaftig zu erleben. Sieht sich der Arzt in der Rolle des mächtigen Machers, der dazu berufen ist, dem Verrückten seine Verrücktheit auch gegen dessen Willen auszutreiben, schlägt er ungewollt in die pathogene Kerbe; und treibt den Kranken dazu an, sich durch komplizierte Methoden der ärztlichen Fremdbeeinflussung zu entziehen. Nicht selten hört der Patient dann eine Stimme, die ihn vor dem Gift warnt, das der Arzt ihm als angebliches Heilmittel aufdrängen will.

Dass eine derart warnende Stimme eine entsubjektivierte Repräsentation von Befürchtungen des Kranken ist, ist dabei augenscheinlich.

Erklärungen senken Hürden.

Auch die Vermittlung wissenschaftlicher Erklärungsmodelle ist therapeutisch wirksam. Bereits die Botschaft, dass die realitätsfernen Verhaltensweisen, die der Kranke in der akuten Phase ausgeführt hat, nicht von ihm selbst zu verantworten, sondern einer Transmitterstörung anzulasten sind, kann den Kranken vor Schamgefühlen schützen, die ihn vor zwischenmenschlicher Begegnung ansonsten fliehen ließen. Die Vermittlung des biologischen Krankheitsmodells hat daher oft vorbeugende Wirkung. Sie ist auch psychodynamisch wirksam.

6.3. Psycho- und Verhaltenstherapie

Die Wirksamkeit psychotherapeutischer Mittel beruht auf vertrauensvoller Kommunikation. Da die Selbstveräußerung schizophrener Patienten zu einer schweren Beziehungs­störung führt, ist die Macht psychotherapeutischer Mittel vor allem bei akuten Psychosen beschränkt.

Nach Abklingen der akuten Symptomatik können Psycho- und Verhaltenstherapie jedoch wichtige Aufgaben erfüllen:

  1. Aufarbeitung der irritierenden Erfahrungen
  2. Erarbeitung von Verhaltensmustern, die Spannungen mit dem Umfeld vermindern und dadurch Rückfälle in akut-psychotisches Erleben verhindern
  3. Bearbeitung von neurotischen Störungen, die bereits vor dem Aufkeimen der Psychose bestanden
  4. Bearbeitung der eigentlich schizophrenen Psychodynamik

Wohlgemerkt: Gesicherte Methoden zur heilenden psychotherapeutischen Behandlung der Schizophrenie gehören bislang nicht zum Repertoire der Psychiatrie. Gegebenenfalls werden sie es auch niemals tun. Die Fokussierung der besonderen Psychodynamik der schizophrenen Des-Identifikation vom aktiven Pol der Subjektivität kann jedoch in vielen Fällen Entwicklungen fördern, die zu einem grundlegenden seelischen Integrationsprozess führen. Dann können psychotherapeutische Maßnahmen dazu beitragen, die schizophrene Veranlagung entweder in einen symptomfreien Zustand zu überführen oder in eine Begabung, die sich zum Beispiel in expressionistischer Kunst Ausdruck verschafft.

Möglichkeiten

Der Mystiker erkennt, dass er nicht das Etwas ist, als das er erscheint.

Der normale Mensch findet sich damit ab, das Etwas zu sein, für das er sich hält. Er will es bloß ein wenig verbessern.

Der Schizophrene lehnt es ab, das Etwas zu sein, für das er sich hält. Er will stattdessen ein anderes Etwas sein. Zwei Wege führen ihn aus der Psychose hinaus...

  1. Indem er das Etwas, für das er sich hält, als sich selbst akzeptiert. Dann ist er normal.
  2. Indem er erkennt, dass er kein Etwas ist. Dann ist er gesund.
6.4. Ergotherapie

Die frühere Arbeits- und Beschäftigungstherapie hat sich zwischenzeitlich zur Ergotherapie (griechisch ergon [εργον] = Werk, Aktivität, Leistung) gemausert. War man früher damit zufrieden, schwer beeinträchtigten Patienten durch einfache Arbeit und Beschäftigung Tagesstruktur und bestätigende Erlebnisfelder zu bieten, kommen bei der heute angewandten psychisch-funktio­nellen Behandlung gezieltere Maßnahmen zum Einsatz. Deren Absicht ist es, die persönlichen Kompetenzen der Patienten nachhaltig zu fördern. Dazu gehören Maßnahmen zur...

Außerdem wird die soziale Kompetenz und die Interaktionsfähigkeit mit dem Umfeld trainiert.

6.5. Soziotherapie
Eine wichtige Aufgabe der Soziotherapie ist es, zwischen Überforderung und Entlastung pragmatische Wege zu finden. Zu viel zu verlangen schadet, zu viel zu entlasten ebenfalls.

Trotz Medikation, Psychoedukation, Psycho-, Verhaltens- und Ergotherapie bleibt bei vielen Kranken eine erhebliche Restsymptomatik bestehen. Das schränkt ihre Anpassungs­fähigkeit ein. Während die produktiven Symptome in der Regel im Laufe des Lebens zurückgehen, treten Minussymptome erst recht in den Vordergrund. Vor allem sie sind es, die es den Patienten erschweren, ihre alltäglichen Belange zielführend zu organisieren. Hier setzt die Sozio­therapie an. Zu ihren wichtigsten Werkzeugen gehören...

Grundprinzip der Soziotherapie ist es, dem Kranken ein unmittelbares Umfeld zur Verfügung zu stellen, das seiner verminderten Umstellungsfähigkeit angepasst ist. Dabei ist die Soziotherapie aber keineswegs Prothese, die bloß ein Defizit abstützt. Sie ist neben der Ergotherapie für den Kranken eine weitere Gelegenheit, soziale Kompetenz und Interaktionsfähigkeit zu schulen.