Umgangssprachlich werden Mutmaßungen über das Absolute als Theologie bezeichnet. Der Begriff setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: theo und logos. Theo geht auf Griechisch theos [θεος] = Gott und logos [λογος] = Lehre, Rede, Wort zurück.
Götter sind als jenseitige Personen definiert. Personen sind egozentrische Einheiten, die einer Welt begegnen, die ihnen selbst nicht angehört. Theistische Vorstellungswelten beschreiben eine oder mehrere göttliche Personen als Bewohner einer Daseinsebene, die jener übergeordnet ist, in der sich der Mensch befindet. Die Daseinsebene des Menschen entspricht dem Horizont, die dessen Wahrnehmung erfasst und der er als Partikel ausgesetzt ist. Göttliche und menschliche Personen werden dabei als jeweils separate Einheiten verstanden, die einander zwar begegnen können, zwischen denen aber kein Übergang besteht.
Gemäß polytheistischer Vorstellung begegnen sich verschiedene Gottespersonen als Teilnehmer einer Sozialstruktur im so gedachten Jenseits. Im Rahmen ihrer persönlichen Begegnung koalieren und konkurrieren sie analog zu dem, wie menschliche Personen ihre Beziehungen im Diesseits gestalten. Der Unterschied zwischen Menschen und Göttern ist vorwiegend quantitativ. Die Personen der Götterwelt wissen mehr und haben mehr Macht.
Während die Körper der Götter gelegentlich auch tierische Aspekte enthalten, ist ihre Psychodynamik anthropomorph. Sie entspricht der Psychodynamik menschlicher Personen. Das heißt:
In den meisten Kulturen wurde die polytheistische Auffassung durch eine monotheistische ersetzt, oder der ursprüngliche Polytheismus wurde durch eine Vorstellung erweitert, die über der Vielzahl hypothetischer Gottespersonen eine monotheistische Ebene beschreibt. Die Vorstellung der monotheistischen Ebene kann dem Konzept eines personalen Gottes treu bleiben oder darüber hinausgehen. Geht sie darüber hinaus, beschreibt sie die höchste Wirklichkeit als transpersonal. Der Begriff Gott steht dem Verständnis des transpersonalen Konzeptes im Wege, weil er definitionsgemäß auf eine persönliche Instanz verweist und damit Vorstellungen treu bleibt, die auf den Horizont einer Person begrenzt sind.
Eine Person ist eine Instanz, die gegenüber anderen Teilen der Wirklichkeit, über eine Grenze hinweg, partikuläre Interessen vertritt. Die Verbindung von Personen untereinander entspringt ihrer Begegnung; in der Rivalität und Konkurrenz, also eine potenzielle Gegnerschaft angelegt ist. Etymologisch geht der Begriff entweder auf Etruskisch phersu = Maske, Lateinisch personare = hindurchtönen oder Griechisch prosopon [προσωπον] = was vor dem Auge erscheint, Gesicht zurück.
Das Risiko eines Missverständnisses, das vom Begriff Gott ausgeht, kann durch alternative Begriffe umgangen werden; z.B.: das Göttliche, das Absolute, der Urgrund des Seins, das Eine, das Ganze, das Zeitlose. Im Gegensatz zum Begriff Gott, der oft im Plural verwendet wird, sind die alternativen Begriffe als Singularitäten definiert. Zur Beschreibung eines echten Monotheismus sind sie daher besser geeignet als Gott; weil Singularitäten nicht als Bestandteile einer Raumzeit zu beschreiben sind. Das höchste Prinzip kann nicht Bestandteil einer Raumzeit sein, weil es, als deren Bestandteil, der Raumzeit untergeordnet wäre. Das höchste Prinzip bringt Raum und Zeit hervor, ohne darauf angewiesen zu sein.
Geht man von einer grundlegenden bzw. übergeordneten Ebene der Wirklichkeit aus, deren Wesen keiner Begrenzung unterliegt, kann man den Begriff Gott zur Bezeichnung einer personalen Erscheinungsform des Absoluten definieren, die allen übrigen Erscheinungsformen gegenübertritt, ihrerseits dem Absoluten aber nachgeordnet ist. Die Verwendung des Gottesbegriffs erfordert jedoch besondere Achtsamkeit, weil ihm die traditionelle Beschreibung der höchste Ebene der Wirklichkeit als separate Person anhaftet. Wird er im vorliegenden Text verwendet, dann nicht als Werkzeug analytischer Beschreibung, sondern als metaphorisches oder poetisches Mittel, um Gedanken auszudrücken, die als Metaphern prägnanter zu formulieren sind.
Monotheismus und Monarchie
Anspruch und Wirklichkeit
Der Begriff Monotheismus wird entgegen seinem theoretischen Anspruch in der Regel bei der Beschreibung eines Jenseits verwendet, das von einer Vielzahl persönlicher Instanzen bevölkert wird. Ein Jenseits mit mehr als einer Instanz ist strukturell jedoch polytheistisch. Während in den heidnischen Götterwelten den verschiedenen Teilnehmern des Pantheons ein jeweils göttlicher Rang zugeschrieben wurde, ist die Hierarchie im abrahamitischen Denken steiler.
Auch in der heidnischen Vorstellung gibt es zwischen den jenseitigen Personen Rangunterschiede. Als Primi inter pares (lateinisch: erste unter gleichen) stehen Zeus bzw. Jupiter über den übrigen Bewohnern des Jenseits. Je nach politischer Konstellation wurden Ra, Amun oder Aton im antiken Ägypten ähnliche Positionen zugeordnet. Trotzdem ist die persönliche Handlungsbefugnis der übrigen Götter beträchtlich. Der Primus inter pares ist kein absoluter Herrscher, der alle übrigen Insassen des Jenseits bis zur Nichtigkeit entmündigt.
Im abrahamitischen Konzept wird nur ein Teilnehmer der jenseitigen Sozialstruktur als Gott bezeichnet. Diesem Gott wird eine uneingeschränkte Herrschaftsbefugnis zugeschrieben. Ihm entgegengesetzt wirke allerdings eine zweite Person mit bösen Absichten: der Teufel. Zugleich bediene sich der eine legitime Gott untergeordneter Jenseitspersonen, die in seinem Auftrag schützende, mahnende, strafende oder vernichtende Funktionen erfüllen: der Engel.
Das abrahamitische Konzept wird von seinen Vertretern als monotheistisch bezeichnet; weil nur einer der vielen Instanzen des Jenseits ein göttlicher Rang mit entsprechender Machtbefugnis zugestanden wird. Das Modell entspricht der Monarchie.
Der Begriff Monarchie geht auf Griechisch monos [μονος] = allein sowie archein [αρχειν] = herrschen zurück. Monarchie heißt Alleinherrschaft. So wie irdische Monarchen zwar den Anspruch auf absolute Herrschaft erheben, faktisch aber durch plurale Strukturen oder gar widerstrebende Instanzen eingegrenzt werden, kann auch der abrahamitische Gott seinen absoluten Machtanspruch nicht in vollem Umfang verwirklichen. Der Teufel kommt seinen Plänen ebenso in die Quere, wie der Ungehorsam seiner menschlichen Geschöpfe.
Zur Logik der abrahamitischen Theologie gehört der Glaube, dass sich der Teil erst zum Dienst am Ganzen entscheiden müsse. Tatsächlich erfüllt der Teil im Ganzen aber immer die Funktion, die dem Ganzen entspricht. Weist das Ganze einem Teil Entscheidungsfreiheit zu, dann ist die Ausübung dieser Freiheit bereits im Sinne des Ganzen. Eine Unterordnung, zu der man sich demütig entscheiden kann, entspricht der Fehleinschätzung eines Partikels, der seine Rolle im Ganzen überschätzt.
Das abrahamitische Modell ist nicht in dem Sinne monotheistisch, als dass es seinen Gott als absolute Instanz verstünde. Es entspricht einem Polytheismus mit sehr steiler Hierarchie. Sein Gott wird von untergeordneten Instanzen beeinflusst.
Gelehrt werden kann im Grundsatz alles; egal ob es der Wahrheit entspricht oder nicht. Das ist logisch; denn eine Lehre setzt sich aus Wörtern zusammen und der Mensch hat die Freiheit, Wörter fahrlässig oder mutwillig zu Aussagen zusammenzusetzen, die an der Wahrheit vorbeigehen.
Analog zur Theologie, also der Lehre vom Wesen des Göttlichen, gibt es die Geologie als Lehre von der physikalischen Struktur der Erde. Obwohl es jedem freisteht, aus unreflektiertem Gutdünken heraus Aussagen über die physikalische Struktur der Erde zu machen, hat sich eine Geologie etabliert, deren oberstes Prinzip auf dem Vorsatz beruht, nur solche Aussagen gelten zu lassen, deren Wahrheitsgehalt überprüft werden kann. Alle übrigen Aussagen werden als vorläufige Hypothesen gehandelt.
Das eigentliche Wesen einer Lehre, die den Begriff Logos in ihrem Namen trägt, wird nicht erfüllt, wenn es sich um eine Meinung handelt, die ohne Beleg in den Raum gesetzt wird. Eine Lehre im Sinne des Logos kann nur ernst genommen werden, wenn sie sich an die Regeln der Logik hält.
Logik geht auf Griechisch logike techne [λογικη τεχνη] = Kunst des Denkens zurück. Mit der Kunst des Denkens ist eine Kunstfertigkeit gemeint, also die Fähigkeit, folgerichtig zu denken. Folgerichtig ist ein Denken, wenn seine Produkte, also die Vorstellungen, der Wahrheit so weit als möglich entsprechen.
Wo Begriffe zur Beschreibung einer Wirklichkeitsebene definiert werden, die der sinnlich erfahrbaren kategorisch übergeordnet ist, ist der Begriff Begriff seinerseits einer Betrachtung wert. Begriffe sind geistige Ergreifungs- und Feststellungswerkzeuge. Sie dienen dem Verstand dazu, sich etwas anzueignen: Wissen über die Wirklichkeit, damit er einen Plan hat, an dem er sich orientieren kann. Durch Begriffe versucht der Verstand festzustellen, was wahr ist; damit er etwas hat, woran er sich festhalten und worauf er sich verlassen kann. Begriffe werden definiert. Definiert heißt: auf das eingegrenzt, wofür sie stehen. Begriffe und ihre Kombinationen greifen Teile aus der Wirklichkeit heraus, die dem Geist als feststehend und festgestellt gelten. Ein Baum ist ein Baum. Ein Haus ist ein Haus. Rüdiger ist im Unrecht. Ich weiß, was ich tue. Zu Anna bin ich immer ehrlich gewesen. Zwei und zwei sind vier. Begriffe ermöglichen hilfreiche Feststellungen in einer fließenden Welt, deren ständiger Wandel ihre Insassen herausfordert.
Begreifen enthält die Vorsilbe be- und das Verb greifen.
Das Verb greifen ist leicht zu verstehen. Nach etwas zu greifen, heißt, sich das Be- oder Ergriffene anzueignen. Auch wer sich bloß an etwas festhält, eignet sich etwas davon an; die Stabilität dessen, wonach er greift. Greifen setzt eine Polarität voraus: den Gegensatz zwischen einer handelnden Instanz, die etwas ergreift und einem Objekt, das ergriffen wird.
Die Vorsilbe be- ist eine tonlose Abwandlung des Adverbs bei. Bei zeigt Nähe an; sowohl, wenn es alleinsteht als auch in zusammengesetzten Begriffen.
Tonlos geworden, hat die Vorsilbe be- verschiedene BedeutungsfacettenDas Be- in Bedeutung signalisiert, dass eine Deutung zugeordnet wird, die der Facette beiliegt.. Sie zeigt an, dass...
etwas ausgerichtet wird.
Das Auto wird in Bewegung gesetzt.
Wir betrachten die Landschaft.
auf etwas eingewirkt wird.
Er hat ihn beschimpft.
Sie hat das Programm beendet.
Begriffe fügen der betrachteten Wirklichkeit Definitionen, also Abgrenzungen, hinzu, damit verstanden werden kann, worüber man überhaupt spricht. Mit dem Begriff greift sich der Verstand ein Stück aus der Wirklichkeit heraus, um sie für seine Zwecke verfügbar zu machen. Auch der mundartliche Begriff Grips geht auf greifen zurück. Wer Grips hat, ist schnell von Begriff. Er ist in der Lage, Sachverhalte aufzufassen.
Begriffe dienen zwei Zwecken:
Dabei ist klar: Je genauer ein Begriff definiert werden kann, desto verlässlicher ist das Bild der Wirklichkeit im Kopf des Individuums und desto eher gelingt es, sich beim Austausch mit anderen tatsächlich zu verständigen.
Geht es um die transzendentale Ebene der Wirklichkeit, tauchen bei der Verwendung von Begriffen grundsätzliche Probleme auf.
Von dem, was dem Wesen des Begriffs Begriff entspricht, ist nur die hinweisende Funktion auf die transzendentale Ebene der Wirklichkeit anwendbar. Indem man zum Verweis auf die entsprechende Ebene Begriffe einsetzt, zeigt man in die Richtung, in der man sie vermutet. Selbst, wenn es die Ebene gibt, ist die begriffliche Feststellung, dass es sie gibt, bereits vermessen. Die Feststellung geht über das Maß dessen hinaus, was Begriffe in der Beziehung zu einer transzendentalen Ebene zu leisten im Stande sind.
Feststellungen
Oben hieß es: Begriffe sind geistige Ergreifungs- und Feststellungswerkzeuge. Das spielt beim Versuch, die transpersonale Ebene der Wirklichkeit zu erkennen, eine große Rolle.
Warum beschäftigt sich der Mensch überhaupt mit Theologie? Weil er eine Psyche hat, die die Vergänglichkeit erkennt. Hätten wir das Glück, nicht weitsichtiger als Nacktschnecken zu sein, würde uns die Vergänglichkeit kaum je bewusst. Gewiss: Jedes Leben sträubt sich gegen die Vergänglichkeit. Sonst wäre es keins. Der Widerstand der Nacktschnecke gegen den eigenen Untergang beschränkt sich jedoch darauf, nachts Gemüsebeete leer zu plündern und sich bei Licht und Trockenheit in dunklen Ecken zu verstecken. Nichts davon macht sie wohl bewusst; ebenso wenig erkennt sie, dass ihr Treiben überhaupt ein Widerstand gegen die Vergänglichkeit ist. Wer weiß, was er erkennt, hat erkannt, dass es ihn gibt. Wir zweifeln daran, dass der Schnecke ihre Existenz bewusst ist.
Dem Menschen ist im Gegensatz dazu dreierlei bewusst:
Deswegen wendet er sich an einen Gott, in der Hoffnung, dass der ihn bewahrt:
Wie Gott gilt Wahrheit als unvergänglich. Deshalb wendet sich der menschliche Geist nicht nur an einen vorgestellten Retter, den er zum Beistand motivieren will, er ringt auch in sich selbst um Begriffe, mit denen er nach Wahrheit greift um an der Unvergänglichkeit der Wahrheit teilzuhaben. Resultat sind endlose Denkvorgänge, durch die der Mensch die ungreifbare Leere des Geistes durch verlässliche Inhalte zu füllen versucht, an denen er festhalten kann, um der unentrinnbaren Flüchtigkeit der Existenz zu entgehen.
Da Gedanken aber Objekte sind und ihrerseits flüchtig, kommt sein Denken nie ans Ziel. Mehr noch: Es bindet ihn erst recht an Vergängliches und hindert ihn daran, die Verankerung seines Wesens im Unvergänglichen einzusehen. Milliarden Stunden wurden in der Meditation mit Gedanken darüber verbracht, wie man das Denken beenden könnte um endlich über die Endlichkeit hinaus die erlösende Einsicht in die Unvergänglichkeit zu erreichen. Begriffe können uns in die Nähe der Wahrheit führen, aber nicht weiter als bis zur grundsätzlichen Grenze, die ihrem Wesen entspricht. Das Wahre, das der Welt zugrunde liegt, kann man nicht begreifen. Man kann es verstehen, indem man in und für es steht. Man kann schauen, was man erkennt, wenn man nicht mehr greift.
Die Menschheit hat etliche Vorstellungswelten hervorgebracht, die als Theologien bezeichnet werden: die sumerische, die ägyptische, die babylonische, die hethitische, die kanaanitische, die abrahamitische, die griechische, die römische, die nordische, die hinduistische, die tibetische, die japanische etc. Der Einfluss derartiger Vorstellungswelten auf die Realitätsdeutung der Menschen hängt von geografischen und historischen Bedingungen ab, die sich im Laufe der Zeit ändern. Vorstellungswelten, die in einem bestimmten Zeitfenster dominieren, können vollständig verschwinden oder so gründlich in andere Worte gefasst werden, dass sich ihre strukturelle Verwandtschaft erst auf den zweiten Blick offenbart.
All diese Vorstellungswelten haben einen gemeinsamen Nenner: Sie beruhen auf Tatsachenbehauptungen, für deren Wahrheitsgehalt es keinen Beleg gibt. Tatsächlich handelt es sich daher nicht um Theologien im eigentlichen Sinne, sondern um Mythologien, also um Lehrgebäude, die die Richtigkeit ihrer Aussagen postulieren, statt sie zu begründen; und die den Begriff Gott verwenden, um die postulierte Realitätsdeutung in einen gedanklichen Kontext zu stellen, der dem maximalen Horizont ihrer Vorstellungskraft entspricht.
Gemeinsamer Nenner theologischer Mythologien ist auch, dass die höchste Instanz der Wirklichkeit als Person, und somit als Partikel definiert wird, der seinem Wesen gemäß nicht die höchste Ebene sein kann, sondern der als etwas, das etwas anderem begegnet, wenn überhaupt vor dem Hintergrund eines tatsächlich Absoluten erscheint.
Der Geist will Konkretes erkennen. Leicht übersieht er, dass alles Konkrete als Vordergrund erscheint, der eines Hintergrunds bedarf.
Die Vielzahl der mythologischen Entwürfe zur Beschreibung des Absoluten kann durch den Versuch ergänzt werden, Aussagen über die Beziehung des Menschen zum Absoluten zu machen, die bloße Behauptungen beiseitelassen und sich auf das beschränken, was nach sachlicher Prüfung plausibel erscheint. Ein System solcher Aussagen kann als wissenschaftliche Theologie bezeichnet werden.
Der Begriff Theologie macht dabei nur Sinn, wenn man das eigene Denken von der althergebrachten Definition der höchsten Ebene als Gottesperson freihält und man sich das Absolute als etwas vorstellt, das über die personale Form hinausgeht, als die es tatsächlich oder nur in der Vorstellung des Menschen erscheinen mag.
Alternativ wäre der Begriff Ontologie verwendbar. Ontologie ist die Wissenschaft vom Sein an sich. Ontologie kann als wissenschaftliche Theologie verstanden werden, die sich der Versuchung enthält, das niemals ganz Verstehbare mit einem Namen zu bezeichnen; und dann zu glauben, dass sie es verstanden hat. Im Gegensatz zum Begriff Ontologie hat Theologie allerdings den Vorteil, dass er dem menschlichen Bedürfnis nach personaler Bezogenheit entgegenkommt. Der konkrete Bezugspunkt, den eine Theologie benennt, weckt bei weit mehr Menschen das Interesse, sich mit der Frage nach der eigenen Beziehung zum Urgrund des Seins zu befassen, als die abstrakte Thematik einer Ontologie.
Theologien haben grundlegende Funktionen, die über den Wissensdurst ebenso hinausgehen wie über das Interesse am Erwerb alltagspraktischer Kenntnisse.
Man kann Geologe werden, weil man bei der Beschäftigung mit der Erdgeschichte Freude empfindet; oder weil man herausfinden will, wo man am besten Erdgas sucht.
Theologie betreibt man, weil man nach seiner persönlichen Stellung im Kosmos fragt oder weil man Gesellschaftsstrukturen aufrechterhalten will, die durch theologische Aussagen gefestigt werden. Beide Motive gehen ineinander über. Das eine kann als politisch bzw. soziodynamisch bezeichnet werden, das andere als individualpsychologisch.
Menschlichen Kulturen und ihre Theologien sind so eng miteinander verwoben, dass man von zwei Seiten einer Medaille sprechen kann. Das grundsätzliche Wesen einer Kultur wird durch ihre Theologie bestimmt... und die Theologie durch die Kultur, die sie zu ihrer Grundlage macht. Jede Theologie ist ein Narrativ, das der jeweiligen Kultur eine individuelle Gestalt verleiht und sie dadurch für ihre Mitglieder erkennbar macht. Die Erkennbarkeit ermöglicht es dem Einzelnen, sich auf gemeinsame Werte auszurichten, was den Zusammenhalt der Gemeinschaft festigt.
Welterklärungsmodelle
Im erweiterten Sinne des Wortes hat jede Kultur eine Theologie. Der "erweiterte Sinn" wird zugänglich, wenn man bei der Definition des Begriffs über das Bild des persönlichen Gottes hinausgeht und stattdessen vom Göttlichen spricht. Auch Theologien im engeren Sinn, also solche, die den persönlichen Gott als Endpunkt des Absoluten betrachten, sind transzendentale Welterklärungsmodelle. Ein Welterklärungsmodell ist transzendental, wenn es die Ebene der sinnlich erfahrbaren und kognitiv definierbaren Realität nicht als vollständigen Ausdruck der Wirklichkeit betrachtet, sondern davon ausgeht, dass alles Diesseitige in einen umfassenden Kontext eingebettet ist, der jenseits davon liegt.
Obwohl personifizierte Götterfiguren in chinesischen Welterklärungsmodellen kaum eine Rolle spielen, gehen auch Konfuzianismus und Daoismus davon aus, dass es eine kategorisch übergeordnete, zeitlose und mithin göttliche Ordnung gibt, die den Rahmen des Diesseitigen bildet und dessen Struktur bestimmt. Ohne eine solche Vorstellung gäbe es in Peking keinen Platz des Himmlischen Friedens.
Gleiches gilt für den Buddhismus. Das Vorgehen Buddhas bei der Untersuchung der Wirklichkeit war wissenschaftlich so korrekt, dass seinem Welterklärungsmodell der Konkretismus erspart blieb, das Absolute als eine Gottesperson zu definieren. Das Nirvana wird nichtsdestotrotz als absolutes Jenseits der Vergänglichkeit beschrieben. Im Nirvana ist der zur Buddha-Natur erwachte Geist aller Bedingtheit des Diesseitigen enthoben. Er ist so zur eigenen Ganzheit vereint, dass ihm jedes Motiv fehlt, sich durch Begehren und Zugriff auf etwas Konkretes zu bereichern. Da der Geist im Nirvana keinen Mangel erlebt und ihm der Vorsatz fehlt, sich etwas anzueignen, fehlt dort auch die Zeit, die Mangel und Erfüllung voneinander trennt. Das Jenseits des Begehrens liegt jenseits der Zeit, in der persönliche Begierden als Folge unvollständigen Seins erscheinen könnten. Unvollständig ist ein Sein, das als Person erscheint, die sich an ein Außen wendet, von dem sie etwas haben will; und haben muss.
Da der Zusammenhalt von Gemeinschaften zugleich Basis politischen Handelns ist und jede politische Instanz ein Interesse daran hat, Individuen zu Gruppen zu bündeln, die sie zur Machtausübung einsetzen kann, wurden und werden theologische Narrative für politische Absichten verplant. Theologische Aussagen werden als Argumente benutzt, um innen-, außen- und geopolitische Verhältnisse festzulegen. Bei vielen Theologien steht das politische Motiv im Vordergrund.
Politische Theologien betonen ihren Anspruch, soziale Strukturen vorzugeben. Das hat für das Individuum Vor- und Nachteile.
Vorteilhaft ist die erleichterte Orientierung in einem sozialen Gefüge, das bereits vorgegeben ist. Der Gläubige ist eines Teils der Mühe enthoben, seinen Platz in der Gemeinschaft aus eigener Kraft zu bestimmen. Er wird ihm von einem weltanschaulichen Platzanweiser zugewiesen, der ihm in der Dunkelheit des Welttheaters den Sitz anzeigt, vom dem aus er das Bühnenstück zu betrachten hat.
Nachteilig ist auch, dass auf den Platz in der Dunkelheit des Welttheaters so wenig Licht fällt, dass der Betrachter des Bühnenstücks kaum etwas von sich selbst erkennt.
Platzanweisende Theologien bieten den Gläubigen zur Stabilisierung ihres Selbstwertgefühls eine elitäre Vorstellung an: Dank ihrer Zustimmung zur bevormundenden Lehre seien sie Teil einer höherwertigen Gemeinschaft, die über allen anderen steht; ja sogar der einzigen Gemeinschaft, die eschatologisch gesehen überhaupt einen Wert hat und somit alle anderen Möglichkeiten ausschließt, ein sinnvolles Leben zu führen. Die Exklusivitätsbehauptung enthält zwei mächtige Komponenten, die Gläubige an solche Theologien binden: Verlockung und Drohung. Die eine Komponente appelliert an die Angst, die andere an das Begehren.
Gelockt wird mit dem Versprechen, sich durch vergleichsweise geringe Vorleistungen unermesslichen Lohn zu sichern. Im Vergleich zum unermesslichen Lohn, der Gläubigen im Paradies winkt, ist jede Vorleistung gering.
Die individualpsychologische Funktion transzendentaler Welterklärungsmodelle geht über die rein soziale Dimension hinaus. Das Ich lebt im Bewusstsein einer Trennung von der Welt und im Bewusstsein, einer Welt ausgesetzt zu sein, deren stetiger Wandel keinen festen Halt verspricht. Die Trennung erlebt es als Freiheit, aber auch als Gefahr. Der Angst, die die Gefahr auslöst, entspringt der Impuls, festen Halt zu suchen. Da fester Halt innerhalb des Zeitlichen nicht gefunden werden kann, sucht ihn das Individuum auf einer Ebene, die dem Zeitverlauf enthoben ist. Geht es davon aus, dass das Wesentliche nicht im Endlichen, sondern im Zeitlosen zu finden ist, kann es die Härten des Lebens besser ertragen.
Krisenhafte Zuspitzung
Die Neuzeit Europas begann, als der Glaube an die Unverrückbarkeit des biblischen Welterklärungsmodells Risse bekam. Solange das Narrativ der offenbarten Ordnung die Oberhand behielt, konnte es den Hunger der Mehrheit auf ein Jenseits richten, das die Sehnsucht nach endgültigem Glück einst zu erfüllen verhieß. Der Machtverlust des Narrativs setzte zwei Entwicklungen in Gang:
Der Einzelne bekam die Freiheit zurück, die ihm der Platzanweiser genommen hatte.
Es war von Anfang an klar, dass sich die gesellschaftliche Dynamik, die daraus entstand, krisenhaft zuspitzt; auch wenn es Jahrhunderte dauern sollte, bis sich manche Folge der Entwicklung zum Problem auswuchs.
Die technologische Revolution ermöglichte es immer mehr Menschen, auf immer mehr Ressourcen zur Erfüllung persönlicher Ansprüche zuzugreifen.
Die Krise wäre zu lösen, wenn sich das ontologisch unvermeidliche Begehren nach vollständigem Heil wieder an ein Jenseits richten könnte, an dessen Begründung man glauben kann, ohne den Verstand zu verleugnen.
Wissenschaftliche Theologie ist der Versuch, eine Vorstellung vom Absoluten zu entwerfen, die der Wahrheit möglichst nahekommt. Dabei ist mit Sorgfalt vorzugehen. Mythologische Vorstellungen sind so lange zurückzustellen, bis ihr Wahrheitsgehalt mit wissenschaftlicher Genauigkeit belegt wird. Voreilige Schlüsse sind zu vermeiden.
Voreilige Schlüsse
Die Angst vor dem Leben ist ebenso groß wie das Leid, das man darin erduldet oder dessen man sich gewahr sein muss. Ebenso groß ist die Versuchung, sich in den Hafen einer Welterklärungstheorie zu retten, die vermeintliche Gewissheit liefert, ohne Zweifel an ihren Aussagen zu dulden. Vielen ist es lieber, voreilige Schlüsse gelten zu lassen, die die Ungewissheit für beendet erklären, als im Eingeständnis der Unwissenheit auszuharren.
Theologien, die ihr Unwissen verleugnen, indem sie Glaube über Erkenntnis stellen, sind für Ungeduldige besonders attraktiv. Mit ihrem Segen wird das Richtige nicht getan, indem man sorgfältig prüft, ob man es tut. Es wird getan, indem man unbeirrbar glaubt, dass man es tut.
Wer glaubt, dass Glaube schuldfrei macht, wird dadurch von Schuld befreit. Ich bin einer von den Guten, weil ich glaube, dass ich einer von den Guten bin. Das ist ein Angebot, das man gerne annimmt, wenn man sich nicht weiter mit der Frage beschäftigen will, was man selbst für richtig hält.
Theologie befasst sich mit zwei Themenfeldern:
Themenfeld A kann als transzendentale Theologie bezeichnet werden, Themenfeld B als psychosoziale Theologie. Die psychosoziale Theologie beleuchtet individualpsychologische und soziologische Ursachen, Absichten und Folgen der transzendentalen. Beide Themenfelder unterscheiden sich voneinander:
Ein Wirklichkeitsbereich, der dem Zeitverlauf enthoben ist, ist durch sinnliche Wahrnehmung unerreichbar. Sinnliche Wahrnehmung erfasst Objekte, die eine Zeitlang vorliegen. Sie bedarf ihrerseits einer Zeitspanne, um abzulaufen. Zeitloses ist im Zeitverlauf empirisch nicht erfahrbar (griechisch peira [πειρα] = Erfahrung), da sinnliche Wahrnehmung eine vorübergehende Begleiterscheinung von Phänomenen ist, die ebenfalls vorübergehen. Der besondere Wirklichkeitsbereich, auf den die Theologie den Menschen auszurichten versucht, liegt jenseits der sinnlichen Wahrnehmung. Er kann folgerichtig als Jenseits bezeichnet werden.
Durch Introspektion kann der geistige Raum, der dem Individuum zugeordnet ist, erkundet werden. Er ist unmittelbarer Wahrnehmung zugänglich. Das heißt: Gedanken, Gefühle und seelische Regungen können wahrgenommen werden, ohne dass es dazu eines Sinnesorgans bedarf. Gedanken, Gefühle und seelische Regungen sind virtuelle Objekte der unmittelbaren Wahrnehmung. Tauchen virtuelle Objekte auf, werden sie unmittelbar wahrgenommen. Ihr Auftauchen und das Faktum, wahrgenommen zu werden, fallen in eins. Ob, und wenn ja, wie weit, die unmittelbare Wahrnehmung bei der Introspektion über die virtuellen Objekte hinausreicht, ist bereits eine Frage, die beim Entwurf einer wissenschaftlichen Theologie zu beantworten ist.
Gewiss: Offenbarungstheologien behaupten, sie seien keine Produkte menschlichen Denkens, sondern Erlasse jenseitiger Gottespersonen. Es gibt aber keine Offenbarungstheologie, die zum Beleg ihrer Behauptung mehr vorzuweisen hätte als die Behauptung selbst. Damit sind sie als mythologische Entwürfe einzuordnen und können bei der Wahrheitsfindung nur eingeschränkt berücksichtigt werden. Niemand, der bereit ist, die Gebote der Vernunft anzuerkennen, wäre bei der Verhandlung eines Diebstahls damit einverstanden, Engel oder Dämonen als potenzielle Täter in Betracht zu ziehen. Wenn nüchterne Skepsis schon bei vergleichsweise belanglosen Dingen als Mittel der Wahrheitsfindung erforderlich ist, warum sollte sie dann bei fundamentalen Fragen außer Acht gelassen werden? Die fundamentalste Frage ist die nach dem Bezug des Menschen zum Urgrund des Seins.
Die transzendentale Theologie kann als Theologie im engeren Sinne verstanden werden: als Wissenschaft, die sich mit dem Wesen des Jenseitigen befasst. Die Hinwendung zum Jenseits findet aber im Diesseits statt und bewirkt dort tiefgreifende Veränderungen. Daher ist die Einbeziehung psycho- und soziodynamischer Motive beim Entwurf einer transzendentalen Theologie notwendig. Derartige Einflüsse müssen verstanden sein, damit sie den Verstand beim Entwurf einer wissenschaftlichen Theologie nicht trüben.
Wenn beim Entwurf einer wissenschaftlichen Theologie von einer Ausgangslage die Rede ist, sind zuerst existenzielle Vorgaben gemeint, die für jedes Leben gelten. Startpunkt einer jeden Theologie sind die Bedingungen, die das Leben denen vorgibt, die aus ihrer Existenz heraus über das nachdenken, was diese Existenz überschreitet.
Zwei Ursachen des Leids
Zu beheben sind beide, indem man die Vergänglichkeit des Vergänglichen anerkennt und dem Unvergänglichen die Treue hält.
Zu leben heißt, zu existieren. Zu existieren heißt, ausgesetzt zu sein. Ausgesetzt zu sein heißt, als Partikel in ein Feld hinauszuragen und dort Kräften zu begegnen, die der Existenz des Partikels entgegenwirken. Als Partikel widerstrebenden Kräften ausgesetzt zu sein heißt, der Vergänglichkeit zu unterliegen. Ein lebender Partikel zu sein heißt, sich selbst nicht zu genügen. Leben ist die endogene Dynamik bestimmter Partikel: jener, die der Vergänglichkeit ihrer Existenz eine eigene Aktivität entgegensetzen. Diese Aktivität besteht aus zwei Komponenten: Zugriff und Ablehnung.
Der lebende Partikel versucht, sich etwas anzueignen, um sich durch das Potenzial des Angeeigneten gegen die Vergänglichkeit zu wappnen. Er versucht, sein Ungenügen zu beheben, indem er sich durch andere Partikel ergänzt.
Diesen Komponenten entspringen zwei seelische Motive, deren Facetten das menschliche Leben durchdringen und die für seinen Bezug zum Transzendenten ausschlaggebend sind.
Zum Versuch, sich etwas anzueignen, gehören Bedürfnis, Sehnsucht, Wunsch, Begehren, Begierde und Gier.
Festzuhalten ist: Zu existieren heißt, nicht nur Teil zu sein, sondern Teil zu sein heißt, als ein Etwas zu existieren, das sich selbst nicht genügt. Mehr noch: Was sich selbst nicht genügt, ist kein eigenständiges Sein, sondern Erscheinung, die bloß kommt und geht. Leben ist das Streben nach Unvergänglichkeit.
Vier Strategien
Der Widerstand des Lebens gegen die Vergänglichkeit kennt vier Strategien:
Das gilt für Pflanzen und Tiere. Der Mensch kennt zwei weitere Strategien:
Religiös ist jede Ausrichtung, die sich einer transzendenten Ebene zuwendet, um von dort Hilfe zu erlangen oder Eintritt zu erwirken.
Die Spannbreite aller primären Lebensaktivitäten liegt zwischen Begehren und Angst. Rein animalisches Leben ist profan. Das heißt: Es konzentriert das gesamte Bemühen um Unvergänglichkeit auf jene Ebene der Wirklichkeit, auf der sein Dasein als Partikel stattfindet. Die Amsel sucht Futter, fliegt weg, wenn eine Katze kommt, baut ein Nest und zieht ihre Küken groß.
Beim Menschen kommt es auf das Selbstbild an. Setzt er die Person, als die er in der Raumzeit erscheint, mit dem gleich, was er als sich selbst definiert, konzentriert auch er sein gesamtes Begehren auf Elemente, die er sich in der Raumzeit aneignen will. Gelingt es ihm, sich etwas anzueignen, dem er zutraut, ihn dauerhaft zu beglücken, ist die Angst vor der Vergänglichkeit wie weggeblasen. Allein: Die Erfahrung zeigt, dass irdisches Glück, entgegen aller Hoffnungen, seinerseits vergänglich ist. Der Ernüchterung folgt...
entweder die Idee, dass das angeeignete Element der partikulären Wirklichkeit noch nicht das richtige war und man nach dem wirklich geeigneten weitersuchen muss...
Die Mehrzahl der Menschen wird niemals nüchtern. Sie bleibt vom Diesseits betrunken. Sie weiß in der Not des ständig drohenden Glücksentzugs nur einen Rat: Verschaffe dir mehr von dieser Welt. Dann wirst du eines Tages so zu dir ergänzt, dass du mehr als nur Erscheinung bist, nämlich ein Ganzes, das sich selbst genügt und nichts mehr fürchten muss.
Die Erfahrungsformen von Angst und Begehren verzahnen sich oft zu einer Dynamik, die beide verstärkt. Dem Ungenügen des Partikels folgt die Angst vor seinem Untergang. Seine Angst bringt die Begierde hervor, sich durch Aneignung fremder Partikel gegen die Vergänglichkeit zu wappnen, und der Begierde folgt neue Angst: das Begehrte nicht zu erlangen oder das Angeeignete wieder einzubüßen. Zielt das Begehren nicht über die dualistische Ebene des partikulären Daseins hinaus, schaukeln sich Angst und Gier wechselseitig auf.
Das Begehren bindet den Begehrenden an die Partikulärität seiner personalen Existenz, weil er den begehrten Partikel fokussiert, was er als Partikel tut und damit seine eigene Partikulärität verfestigt. Analog wirken Angst und Ablehnung. Ablehnung heißt, dieser bestimmte und kein anderer Teil sein wollen. Ablehnung dient der Bewahrung einer bestimmten Partikularidentität; jener, die für stabiler als eine andere gehalten wird. Sie verstärkt die Bedingungen, die dem Kreislauf von Angst und Gier zugrunde liegen.
Der Fallstrick des Begehrens als Mittel zur Lösung des Leidens an der Unzulänglichkeit fesselt den sehnsüchtigen Partikel jedoch auch dann, wenn sein Wunsch nach Ergänzung über den Horizont der dualistischen Ebene hinausgeht. Wenn er meint, sein Heil liege darin, dass er sich vom Jenseits etwas aneignet, bleibt er ein Partikel, der sich durch Aneignung zu ergänzen versucht. Wenn er einsieht, dass er sich vom Jenseits weder etwas aneignen kann noch muss, weil er bereits dessen Ausdruck ist, wird er aus der Verstrickung in Angst und Begehren befreit. Im Wissen, sich letztendlich doch zu genügen, nimmt er das Ungenügen des persönlichen Daseins als vorübergehende Erscheinung an, ohne davor so zu erschrecken, dass ihn jede Angst in ein Begehren treibt, das neue Angst erzeugt. Der Unerschrockene kann Angst erleben, ohne von ihr beherrscht zu sein. Indem er sie nicht bekämpft, überwindet er sie.
Vom Einhorn wissen wir, dass das Bild des Einhorns in unserem Bewusstsein auftauchen kann. Wir wissen aber nicht, ob es Einhörner tatsächlich gibt. Sollte man eine Abhandlung über Einhörner schreiben, wäre es ein Gebot wissenschaftlicher Sorgfalt, im Vorwort darauf hinzuweisen, dass Einhörner zwar potenzielle Vorstellungen des Bewusstseins sind, dass jenseits davon möglicherweise aber nichts existiert, das dem Bild entspricht. Gleiches gilt für das Absolute, das Zeitlose, das Jenseits, das Göttliche, das Unbedingte, die ewige Wirklichkeit und den Urgrund des Seins. Der Bestand all dessen, wofür diese Begriffe den Anspruch erheben, zu stehen, kann durch sinnliche Wahrnehmung nicht überprüft werden.
Leitbegriffe
Das Absolute, das Zeitlose, das Jenseits, das Göttliche, das Unbedingte, die ewige Wirklichkeit, der Urgrund des Seins etc. können als Leitbegriffe der Theologie bezeichnet werden. Zum einen stecken sie das Feld ab, das sich Theologie zum Thema macht, zum anderen leiten sie die Aufmerksamkeit auf genau die Wirklichkeitsebene um, von der sich der Einzelne eine Befreiung von seinen Ängsten verspricht.
Sobald man solche Begriffe beim Entwurf einer Wirklichkeitsdeutung verwendet, entspricht dem ersten Gebot der Sorgfalt daher das Eingeständnis, dass die Begriffe ihrerseits bereits Entwürfe sind, die der Verstand aus eigenem Gutdünken heraus definiert. Wüssten wir, dass die logischen Regeln, die er bei der Definition solcher Begriffe benutzt, allgemeingültig sind, also einer ewigen Wahrheit entsprechen, könnten wir sicher sein, dass seine Entwürfe mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Allein: Wir wissen es nicht. Es könnte auch sein, dass die Denkregeln, die unser Verstand als allgemeingültig anerkennt, artspezifische Produkte einer Phylogenese sind, die eine Verstandesvariante hervorgebracht hat, die in einem Zeitfenster funktioniert, um sich solange selbst zu erhalten, bis sich das Zeitfenster schließt.
Deshalb gilt:
Theologie erfüllt nur solange das Gebot geistiger Sorgfalt, wie sie sich eingesteht, dass keine ihrer Aussagen abschließend als endgültig wahr aufgefasst werden kann. Jede Aussage einer wissenschaftlichen Theologie, die sich auf einen Wirklichkeitsbereich jenseits des subjektiven Erlebens Einzelner bezieht, bleibt eine Hypothese, die niemanden dazu verpflichtet, sie für wahr zu halten. Wissenschaftliche Theologie verpflichtet nicht. Sie lässt frei. Sie ermutigt, die Freiheit des Geistes zu nutzen, um die Erforschung dessen voranzutreiben, worauf sie den Menschen ausrichtet.
Damit hat wissenschaftliche Theologie einen anderen Anspruch als die politische. Politische Theologie besteht auf Kontinuität, Konformität und hierarchischen Strukturen. Nichts fürchtet sie mehr als einen Fortschritt, der sie hinter sich lässt. Nichts fürchtet sie mehr als Erkenntnisse, die ihren Anspruch in Zweifel ziehen. Wissenschaftliche Theologie bietet dem Einzelnen Realitätsdeutungen an, die er für sich selbst nach individueller Prüfung bestätigen, verwerfen und fortentwickeln kann.
Wenn vom Gutdünken des Verstandes die Rede ist, heißt das nicht, dass unser Verstand nach Lust und Laune Hypothesen erfindet und sie willkürlich als wahr bezeichnet. Was er für wahr hält, hängt vielmehr davon ab, was er erkennen kann; und davon, was er aus dem Erkannten schlussfolgert.
Der Verstand kann zweierlei erkennen:
den konkreten Einzelfall.
Da sitzt ein metallisch schimmerndes Insekt.
Wenn man von einer Familie der Blatthornkäfer spricht, bedeutet das, dass man sie als einen Gegensatz zu anderen Käferfamilien betrachtet. Die regelkonforme Einteilung der Käferfamilien unterliegt dabei einer übergeordneten bzw. grundlegenden Regel unserer Verstandestätigkeit: Der Verstand betrachtet die Wirklichkeit als ein Konstrukt von Gegensatzpaaren. Den Blatthornkäfern stellt er die Nicht-Blatthornkäfer gegenüber, die er ihrerseits in weitere Gegensatzpaare aufteilt.
Ohne den Kontrast, den die Gegensätze hervorrufen, würde der Verstand nichts von der Wirklichkeit verstehen. Vom Baum weiß er nur, weil der Baum aus dem Hintergrund des Nicht-Baums und er selbst aus dem des Nicht-Verstehens hervortritt.
Betrachten wir die Art, wie wir die Welt betrachten, stellen wir fest, dass es sich beim Bild, das unser Verstand von der Wirklichkeit entwirft, um ein Gefüge ineinander verschachtelter Gegensätze handelt. Bei der Formulierung von Gegensätzen setzt der Verstand zunächst Informationen zusammen, die ihm die Sinnesorgane mittelbar liefern.
Anhand der erkannten Gegensätze beginnt er, sich in der Wirklichkeit zu orientieren. Dann entwirft er Vorstellungen transmaterieller Erscheinungsformen der Wirklichkeit, auf deren Existenz er auf Grundlage sinnlicher Beobachtungen schlussfolgert oder die ihm durch Introspektion, also unmittelbare Selbsterkenntnis, zugänglich sind. Zu diesen Erscheinungsformen gehört ein Repertoire innerseelischer Ereignisse, deren Präsenz dem Gegensatz von Sein und Nichtsein unterliegt. Zu diesem Repertoire gehören Gefühle und Stimmungen, Gedanken, also Begriffskonstrukte, sowie ontologische und moralische Hypothesen, die Impulse bahnen.
Die Dualität aller erkennbaren Erscheinungsformen ist zugleich Ursprung der hypothetischen Konzepte, die die Zielpunkte jedweder theologischen Ausrichtung liefert. Der Verstand geht davon aus, dass allem ein Gegensatz zugeordnet ist:
Auf Grundlage dieser Regel schlussfolgert der Verstand über den Horizont seines mittelbaren und unmittelbaren Wahrnehmungsvermögens hinaus. Gegensätzen, die er empirisch feststellen kann, fügt er Gegensätze hinzu, die er logisch ableitet:
Leben ist der Impuls, sich selbst zu erhalten und dem Tod zu entgehen. Zum bewussten Leben gehört das Wissen, als Partikel dem Tod überliefert zu sein. Bewusstes Leben deutet den Tod als seinen Gegensatz. Von dort aus führt der Weg zur Theologie. Mit ihrer Hilfe fragt der Mensch, ob er dem Tod tatsächlich ausgeliefert ist.
Theologie kann als Mythologie betrieben werden oder als reflektierter Versuch, die Wirklichkeit tiefgründig zu verstehen, um die Angst vor dem Tod und die problematischen Folgen eines Glaubens an die Sterblichkeit durch Einsicht zu überwinden. Mythologie stößt beim Verständnis des Absoluten auf eine grundsätzliche Grenze, die ihrem Wesen inneliegt. Jeder Mythos formuliert eine konkrete Vorstellung, die sich als historisches Faktum begreift und als fester Lehrsatz übertragen wird. Da Konkretes Absolutem nicht entsprechen kann, bleiben Mythen in sich selbst gefangen. Sie bilden Sackgassen des theologischen Denkens. Der Wahrheitsgehalt eines Mythos wird nicht mit dem Verstand eingesehen, sondern gegen ihn behauptet. Was sich gegen den Verstand wendet, stört dessen Tätigkeit.
Reihenfolgen und Zusammenhänge
Konkret geht auf lateinisch kon = zusammen und crescere = wachsen zurück. Konkretes ist Zusammengesetztes. Bevor das Konkrete ins Dasein tritt, hat es etwas gegeben, aus dem es zusammengesetzt wurde. Konkretes ist nicht ursprünglich. Konkretes ist Vorgestelltes, das vor einem Hintergrund steht. Es steht vor dem Hintergrund, aus dem es auftaucht. So wie Konkretes aus Ursprünglichem entsteht, fällt es nach seinem Ende in seinen Ursprung zurück.
Concrescere heißt auch sich verdichten. Konkretes entsteht, indem sich Ursprüngliches zu ihm verdichtet. Menschliches Bewusstsein verdichtet sich zu Gedanken. Sobald sie gedacht sind, lösen sich konkrete Gedanken im Feld auf, in dem sie entstanden sind; oder sie bestehen als Annahmen über die Wirklichkeit fort, die im Hintergrund des momentan Erlebten wirksam sind.
Mit concrescere verwandt ist das Verb creare = erschaffen, entwerfen. Der Künstler ist kreativ. Der Modeschöpfer entwirft eine neue Kreation. Die Wirklichkeit bringt Kreaturen hervor, die sie aus ursprünglichen Bauteilen zusammensetzt.
Die Kernfrage der Theologie ist die nach der Unsterblichkeit. Auch das Konzept der Unsterblichkeit ist eine logische Hypothese des Verstandes, der sein Bild der Wirklichkeit aus Gegensatzpaaren zusammensetzt. Der Verstand schlussfolgert gemäß der ihm immanenten Logik: Da es Sterbliches gibt, muss es Unsterbliches geben.
Falls es Unsterblichkeit gibt, stellt sich die Frage, ob das Ich, das sie stellt, daran teilhat. Die Frage ist grundlegend, weil der Umgang des Ichs mit der Wirklichkeit entscheidend von der Antwort darauf mitbestimmt wird.
Geht das Ich davon aus, dass seine Erscheinung in der Raumzeit zwar endet, dass es jenseits davon aber in etwas aufgeht, das der Endlichkeit entzogen ist, kann es seinem Dasein eine Bedeutung beimessen, die es der Not enthebt, sich an flüchtigen Gütern zu bereichern. Selbst dann, wenn es die Bedeutung nicht versteht.
Der Glaube an die Sterblichkeit kann die Auslieferung an die Welt verstärken. Der Glaube an die Unsterblichkeit kann das Ich von der Welt befreien. Befreit ist, wer Vergänglichem keine Bedeutung mehr beimisst, die es nicht haben kann. Der Befreite nimmt am Flüchtigen Teil ohne sich darin halten zu wollen. Was er ist, steht für ihn über dem, was er hat.
Spricht man von Auslieferung einerseits und Befreiung andererseits, klingt das, als sei der Glaube an die Unsterblichkeit in jedem Fall von Vorteil. Das ist er nicht. Je nachdem, welche Vorstellungen eine Theologie über das Jenseits vertritt, kann der Glaube an die Unsterblichkeit zu einem Alptraum werden. Und je nachdem, wie jemand seinen Glauben an die endgültige Sterblichkeit interpretiert, kann das zu Angst und Gier, oder zu Gelassenheit führen.
Ob der Glaube an die Unsterblichkeit zu einem Alptraum werden kann, hängt davon ab, in welchem Ausmaß die Theologie, in die er eingebettet ist, das Weltbild spaltet. Dabei sind drei kategorische Spaltungen ausschlaggebend:
Die Spaltung zwischen Ich und Nicht-Ich ist zugleich eine Spaltung zwischen Innen und Außen. Ob sie vollzogen wird, hängt vom Selbstbild ab.
Definiert sich das Individuum als Person, spaltet es. Es denkt: Ich entspreche dem Inneren. Alles Äußere bin ich nicht. Meine Mitte liegt in meiner Person. Es definiert eine klare Grenze.
Je kategorischer die Spaltungen vollzogen werden, desto größer ist das Risiko, dass der Glaube Ängste verstärkt, statt sie zu mildern.
Konstellationen
Jemand, der an die Sterblichkeit glaubt... | Jemand, der an die Unsterblichkeit glaubt... |
versucht, sich möglichst viele Güter und Erfahrungen anzueignen. Er lebt in der Angst, nicht genug zu bekommen und alles, was ihm wert erscheint, einst unausweichlich zu verlieren... | lebt in der Angst vor schrecklichen Strafen im Jenseits... |
oder er ist weise genug, seine Begierden zu steuern. Da in seinen Augen irdische Taten keine persönlichen Konsequenzen über den leiblichen Tod hinaus haben, bleibt er gelassen und nimmt das Leben leicht. | oder er glaubt, jenseits des leiblichen Todes warten neue Chancen auf ihn oder gar sein größtes Glück. Im Vertrauen auf das Heil in der Zukunft beansprucht er im irdischen Dasein nichts, was sein Leben in eine Strapaze verwandelt. |
Das Werkzeug der Politik ist die Machtausübung. Oft ist es sogar ihr Ziel. Da die Ausübung der Macht umso leichter fällt, je mehr man Kritiker und potenzielle Gegner entmutigt, spalten Theologien umso mehr, je größer ihr politischer Anspruch ist. Sie nutzen Angst um einzuschüchtern. Der Mechanismus wird vor allem von Theologien verwendet, die die Anerkennung ihres Machtanspruchs als öffentliches Bekenntnis zu ihrer Lehre verlangen.
Während Käfer, Planeten, Stürme und Kulturen niemals Ich sagen, tut der Mensch das ständig. Was meint er damit?
Das Wort Ich ist ein Werkzeug, durch das eine sprechende Instanz auf das verweist, wofür sie sich selbst hält. Da die Person aber nicht eigenständig existiert, sondern Resultat ursächlicher Faktoren ist, von denen ihr Dasein abhängt, stellt sich die Frage: Hat das, was im Zusammenhang mit einer Person Ich sagt, das Recht, es zu tun?
Nur das nennt sich zu Recht Ich, was es selbst ist. Es selbst ist aber nur das, was keiner Bedingung bedarf, die es hervorbringt. Was keiner Bedingung bedarf, die es hervorbringt, unterliegt auch keiner Bedingung, die es beenden könnte. Die Frage nach der Unsterblichkeit mündet nahtlos in die nach dem Wesen des Selbst, auf das die Person verweist, wenn sie Ich sagt.
Es mag sein, dass die Person meint, sie sei gemeint, wenn etwas in ihr Ich sagt. Zu Recht gesprochen wird das Ich aber nur, wenn es auf etwas verweist, das alle Bedingungen, die die Person ins Dasein rufen, in sich enthält.
Jede Wissenschaft ist der Versuch, Wahrheit zu erkennen. Wird Theologie als geisteswissenschaftlicher Versuch betrieben, stehen ihr drei Werkzeuge bei der Wahrheitssuche zur Verfügung: Glaube, Logik und Introspektion.
Etwas zu glauben, ist eine grundlegende Funktion des Verstandes. Die Wirklichkeit ist sehr komplex. Das gesicherte Wissen, das über sie zur Verfügung steht, ist im Vergleich dazu minimal. Würden Individuen sich als Grundlage ihrer Entscheidungen ausschließlich gesicherten Wissens bedienen, wären sie quasi handlungsunfähig. Um das zu verhindern, stellen sie Hypothesen auf. Hypothesen sind Vermutungen. Etwas zu vermuten heißt: Etwas vorläufig als wahr anzunehmen. Etwas als wahr anzunehmen heißt, es bei Entscheidungen über anstehende Handlungen einzubeziehen. Sobald die Wahrheit nicht sicher bekannt ist, dienen Annahmen dazu, das fehlende Wissen durch Hypothesen zu ergänzen, die mit möglichst großer Wahrscheinlichkeit wahr sind; und daher, bei vertretbarem Risiko, erfolgreiches Handeln ermöglichen.
Lecker Brombeeren
Wissen | Glauben |
Ich sehe Brombeeren. Ich gehe darauf zu und ernte sie. | Ich weiß zwar, wo Brombeersträucher stehen, aber nicht, ob sie tragen. Da es Ende Juli ist, glaube ich, dass Früchte daran hängen. Ich gehe hin und schaue nach. |
Es ist klar: Wer sich nicht nur auf gesichertes Wissen verlässt, sondern auch berücksichtigt, was er glaubt, hat die Chance, dass seine Ernte größer ist. Allerdings weist Glaube nicht per se den rechten Weg. Die Wahrscheinlichkeit, dass Hypothesen der Wahrheit entsprechen, hängt von Plausibilitäten ab. Dass ein enger Zusammenhang zwischen Jahreszeit und Brombeeren besteht, ist plausibel. Ein Zusammenhang zwischen dem Reifegrad der Früchte und dem Wahlausgang in Litauen ist unwahrscheinlich; selbst wenn man ihn für noch so glaubhaft hält.
Logische Ableitungen, die auf eine Ebene des Seins verweisen, die jenseits der empirisch erkennbaren liegt, führen nur dann zu einer theologischen Aktivität, wenn man glaubt, dass zwischen den Ableitungen und der Wahrheit ein relevantes Maß an Übereinstimmung besteht.
Sämtliche Wissenschaften bedienen sich einer explorativen Hypothesenbildung, deren Aufgabe es ist, Vermutungen über bislang Unbekanntes aufzustellen, die man in der Folge zu bestätigen oder zu widerlegen versucht. Wissenschaften setzen die Glaubensfunktion ein, um voranzukommen. Das gilt erst recht für die Theologie. Glaube, im Sinne einer explorativen Hypothesenbildung, ist in der Theologie unentbehrlich, weil die Sachverhalte, die sie ins Auge fasst, ihrerseits hypothetisch sind.
Gleichzeitig wird die Glaubensfunktion bei theologischen Fragen oft missverstanden. Statt die grundsätzliche Ungewissheit des bloß Geglaubten anzuerkennen, werden Glaubenssätze zu Dogmen verfestigt und von der Wahrheitsfindung ausgeklammert. Das ist der Kardinalfehler der Offenbarungsmythologien.
Während religiöser Glaube im Grundsatz ein wertvolles Werkzeug bei der Wahrheitsfindung ist, kann er, missverstanden und in der Folge zu abweichenden Zwecken missbraucht, zu Störungen des seelischen Befindens und des gesellschaftliches Konsens führen. Die Dogmatik soll den Konsens zwar erzwingen, Zwang ist mit Konsens aber unvereinbar. Statt Konsens entsteht angstbedingte Konformität, hinter der stets eine destruktive Aggression bereitliegt, um an geeigneter Stelle auszubrechen. Erzwungene Konformität ist mit einer harmonischen Persönlichkeitsentwicklung nicht vereinbar, weil sie gegen ein psychologisches Grundbedürfnis verstößt: das Bedürfnis des Geistes, sich selbst zu bestimmen.
Geist ist die Einheit des einander Zugehörigen, die sich selbst bestimmt. Geist bestimmt sich selbst, indem er dem zustimmt, was er im Einklang mit sich selbst als wahr anerkennt. Zwang verstößt gegen Geist an sich.
Da der menschliche Geist darauf angewiesen ist, Vermutungen über die Wirklichkeit anzustellen, um Bereiche zu erahnen, die er nicht abschließend erkennen kann, gibt es keine Ungläubigen. Es gibt nur verschiedene Formulierungen des Glaubens, von denen jede auf ihre Art auf etwas verweist, was der erkennbaren Wirklichkeit zugrunde liegt. Auch Materialisten sind gläubig. Sie glauben an das Primat der Materie. Beweise haben sie nicht. Der Begriff Unglaube wird in Verkennung der Tatsachen von jenen verwendet, die ein Bekenntnis zu ihrer Formulierung erzwingen wollen. In ihren Händen ist er nichts, was auf die absolute Wirklichkeit verweist, sondern eine Waffe, die sie gegen andere richten.
Hinter dem Begriff Unglaube steht die Absicht, die Menschheit in Parteigänger und Sonstige aufzuspalten. Jedem steht frei, das zu tun. Spaltende Theologien können aber nur zu Unrecht für sich in Anspruch nehmen, Stellvertreter einer ungespaltenen Instanz zu sein.
Ungute Gründe, an das Böse zu glauben
Glaube beschreibt nicht nur, was man für wahrscheinlich hält, sondern auch das, was man gerne hätte. In jedem Glauben steckt Zustimmung. Man glaubt, was man für richtig hält. Es mag zwar sein, dass man sich vor dem Teufel fürchtet, wer an seine Existenz glaubt, hat aber auch gute Gründe dafür, es zu tun:
Nicht ich habe aus mir heraus etwas falsch gemacht. Ich wurde verführt.
Je böser der Teufel, desto besser ist er geeignet, ihm die Verantwortung für etwas in die Schuhe zu schieben, was man sich selbst anzukreiden hat.
Glaube lässt sich von partikulären Interessen ablenken und leugnet sich selbst zuliebe nicht selten, was wahr ist. Das Gute kann das Böse nicht abscheiden. Das Gute kann nicht gut sein, wenn es das Böse nicht in sich auflöst. Das Gute kann nicht gut sein, wenn es das Böse nicht von sich erlöst.
Es wird behauptet, die Androhung grausamer Strafen sei ein notwendiges Werkzeug religiösen Glaubens, um Sünder auf den rechten Weg zu führen. Die Grausamkeit der Strafandrohungen hängt mit dem Dualismus zusammen, dem sich eine Theologie verschreibt. Je eindeutiger das Absolute als separate Gottesperson beschrieben wird, die aus ihrer personalen Existenz heraus Forderungen stellt, desto rachsüchtiger wird sie dargestellt. Auch Jesus kündigt an, alle Ungläubigen ewiger Qual zu überliefern und sieht darin keinen Widerspruch zur sogenannten Feindesliebe.
Offensichtlich lädt das personale Gottesbild in besonderer Weise dazu ein, die eigene Gehässigkeit projektiv zu übersehen und sie dabei illusionär ins Absolute zu vergrößern. Deuten Personen das Absolute als Person, legen sie ihm unbesehen personale Motive und Attribute bei, die für sie selber gelten. Resultat ist eine moralische Groteske: Der vermeintlich liebende Gott, den man für seine Barmherzigkeit ständig loben solle, quält die missratenen Produkte seiner Schaffenskraft mit einer Grausamkeit, die durch nichts zu überbieten ist. Die Groteske ist Folge eines Irrtums.
Der Dualismus versäumt es, konsequent über die Konkretionen seiner Weltsicht hinauszudenken. In der Folge schreibt er dem Unbedingten die Affekte des Bedingten und dem Absoluten Motive menschlicher Personen zu: Hunger nach Bewunderung, Angst vor Machtverlust, Eifersucht und das Bedürfnis, sich zu rächen, wenn andere sein Bedürfnis nach Anerkennung nicht erfüllen.
Auch die buddhistische Tradition kündigt Übles an: für den Fall, dass man sich schwerer Missetaten schuldig macht. Im Gegensatz zur dualistischen Drohung bleibt jedes Leid, das Fehlverhalten folgen könnte, in ihren Augen jedoch grundsätzlich läuternd. Die christliche Hölle dient nicht der Läuterung ihrer Insassen, sondern dem unersättlichen Rachedurst einer Übermacht. Wer dort einmal einsitzt, kommt niemals mehr heraus. Anders in der buddhistischen Vorstellungswelt: Egal wie tief der Abstieg in leidvolle Existenzformen sein mag, wenn das schlechte Karma durchlitten ist, erfolgt in jedem Falle die Erlösung.
Noch etwas ist bemerkenswert: Während die dualistische Theorie die mangelnde Zustimmung zu ihrer Lehre als Vergehen einstuft, das maximal zu bestrafen ist, kündigt die monistische dafür keine Strafe an, sondern bloß logisch nachvollziehbare Konsequenzen. Wer den empfohlenen Heilsweg nicht geht, kommt nicht darauf voran. So ist das eben. Wer nicht zu den Brombeeren läuft, kann keine pflücken. Was fehlt, ist eine beleidigte Gottesperson, die sich bei fehlendem Interesse an den Adressaten ihrer Wünsche rächt, indem sie mutwillig Leid erzeugt, das niemals zu etwas Gutem führen kann.
Aus monistischer Sicht ist Leid eine Begleiterscheinung der partikulären Existenz, die deren Wesen inneliegt. Es kann behoben werden, indem man das Richtige tut. Aus dualistischer Sicht ist die mutwillige Erzeugung von Leid zu angeblich guten Zwecken legitim, weil eine Gottesperson mit ihrem Beispiel vorangeht. Die Körper von Hexen werden verbrannt, um ihren Seelen Gutes zu tun. Das Böse, das dualistischer Glaube vollstreckt, gehört zum angeblich Guten, für das er sich lobt.
Wäre der Mensch mit der Realität zufrieden, käme er nicht auf die Idee, ihr ein Ideal entgegenzuhalten. Die Idealisierung ist ein psychologisches Werkzeug, das aus dem menschlichen Dasein kaum wegzudenken ist. Sie erfüllt psychodynamische Funktionen bei der Steuerung einer ich-bewussten Existenz. Zugleich birgt sie die Gefahr, sich unentbehrlich zu machen, indem sie die Unzufriedenheit verstärkt, aus der sie hervorgeht.
Erlebte der Mensch immer nur Freude und niemals ein Leid, würde er kaum je danach fragen, welchen Sinn das macht. Leid ist jedoch allgegenwärtig. Jedes Mal, wenn man davon geschlagen wird, stellt sich die Frage, welchen Sinn es macht, den Schlag zu ertragen. Wäre der Mensch eine Spezies, die darauf keine Antwort gäbe, hätte er sich längst aus der Welt geschafft.
Im Leid auszuharren, macht nur Sinn, wenn mindestens eine von zwei Bedingungen erfüllt ist:
Wenn man so viel Gutes erlebt, dass man begleitendes Leid bereitwillig in Kauf nimmt, ist man auf Ideale nicht angewiesen. Man kann sich ihrer zusätzlich bedienen, um der Zuversicht weiteren Auftrieb zu geben. Aber man braucht sie nicht.
Fehlt das Gute oder sieht man es nicht, ist das Bild einer erreichbaren Zukunft, deren Qualität die der Gegenwart übertrifft, quasi unverzichtbar. Solche Bilder können persönlicher, gesellschaftlicher oder religiöser Natur sein.
Persönliche Visionen sehen berufliche Erfolge voraus, das Ende einer Krankheit, den Wechsel des Wohnorts oder einen Partner, der das Leben lebenswert macht.
Visionen, die das Heil von gesellschaftlichen Veränderungen erwarten, sind etwas aus der Mode gekommen. Zumindest wurde der Eifer, sie zu idealisieren, durch enttäuschende Erfahrungen abgeschwächt. Der Kitt weltanschaulich verschworener Gemeinschaften besteht jedoch bis heute daraus.
Gewiss: Der Entwurf einer besseren Zukunft kann realistisch bleiben. Vom erhofften Wechsel eines Wohnorts erwartet man meist keine Wunder. Sehnen einsame Menschen einen liebenden Partner herbei, gehen die Erwartungen, in welchem Umfang ein Partner dauerhaftes Glück vermitteln wird, jedoch meist über das Menschenmögliche hinaus. Das Potenzial einer Partnerschaft wird idealisiert. Die positiven Möglichkeiten werden überschätzt, die negativen ausgeblendet. Wäre es anders, gäbe es keine Verliebtheit. Verliebtheit ist das Resultat einer Idealisierung.
Ähnlich ist es bei politischen Veränderungsplänen. Wenn die richtige Partei die Macht übernimmt... Wenn das einzig wahre Gesellschaftsmodell verwirklicht sein wird... Dann brechen goldene Zeiten aus. Millionenfach wurde das geglaubt. Millionenfach wurden Hoffnungen enttäuscht. Dabei ist ein Muster erkennbar: Je stärker eine gesellschaftspolitische Ideologie die Zukunft, die sie angeblich herbeiführen wird, idealisiert, desto unbeirrbarer halten ihre Vertreter auch dann noch an ihr fest, wenn sie von den Fakten längst widerlegt wurde. Millionen Menschen haben solche Prozesse Tod und Verderben gebracht.
Überschreiten Heilserwartungen die Grenzen der sinnlich erfassbaren Wirklichkeit, nimmt die Dynamik der Idealisierung weiter zu. Es liegt in der Sache selbst:
Religiöse Heilserwartungen gehen weit über den Horizont persönlicher oder gesellschaftlicher Visionen hinaus. Bei den Letztgenannten bleibt jedem klar, dass sie keineswegs jedes Leid aus der Welt schaffen. Unfall, Krankheit, Siechtum und Tod behalten ihre Schrecken; egal wie glücklich eine Liebe oder wie gerecht eine Gesellschaft ist. Von der Treue zu einem himmlischen Erlöser oder dem Eingang ins Nirvana erwartet man viel mehr: vom Erlöser den Zugang zum Paradies, vom Nirvana Satchidananda, einen Zustand unverlierbarer Glückseligkeit, der bereits im Diesseits erfahrbar sein soll. Dass die verheißenen Zukünfte religiöser Motive unübertreffliche Ideale sind, liegt auf der Hand. Dank ihrer Leuchtkraft sind sie geeignet, Zuversicht und Leidensbereitschaft Gläubiger dramatisch zu erhöhen. Die Frage, ob es Sinn macht, Leid zu ertragen, bekommt eine eindeutige Antwort: Ja.
Wäre die Wirklichkeit einfacher, als sie ist, gäbe es bei der Idealisierung religiöser Vorstellungen keine Bedenken. Wie alles in der Welt der Gegensätze hat aber auch die Idealisierung der Transzendenz eine Kehrseite. Religion beinhaltet eine Ablösung von der Realität bei gleichzeitiger Hinwendung zur Idealität. Dass die Realität von Leid durchsetzt ist, ist ja nachgerade das Motiv, nach etwas Besserem Ausschau zu halten; im Falle der Religion sogar nicht nur nach etwas Besserem, sondern nach dem Unübertrefflichen, also dem Idealen an sich. Diese Hinwendung zum Idealen kann eine Psychodynamik auslösen, die die Idealisierung der Transzendenz in einem zwiespältigen Licht erscheinen lässt.
Wer dort hinwill, wo er nicht ist, achtet weniger auf das, was er im ungeliebten Jetzt erlebt. Wer dem, was jetzt passiert, Wert und Bedeutung abspricht und es nur noch als Trittbrett zum "wahren" Leben betrachtet, übersieht die Reichhaltigkeit dessen, was er jetzt erleben könnte. Oben haben wir gesehen: Was uns das Leben trotz Leid lebenswert erscheinen lässt, ist nicht nur die Hoffnung auf später, sondern auch das Gute, das jetzt erfahrbar ist. Das Gute, das selbst in der Hinfälligkeit des realen Daseins bereitliegt, geringzuschätzen und seinen Genuss auf dem Altar des Idealen zu opfern, führt dazu, dass das aktuelle Dasein erst recht als Jammertal erscheint, dem man gegebenenfalls durch noch mehr Askese in eine ideale Welt zu entfliehen versucht.
Die Idealisierung transzendentaler Heilsziele kann eine Psychodynamik auslösen, die immer mehr Idealisierung notwendig macht, um das Leid zu ertragen, das durch die Idealisierung verursacht wird. Das kann spirituelle Prozesse beschleunigen oder in einen Kreislauf übergehen, der ähnlich wie eine Sucht funktioniert.
Wer wegwill, nimmt nicht mehr wahr, was hier geschieht. Wer nicht mehr wahrnimmt, was hier geschieht, will weg.
Da Theologie einen Wirklichkeitsbereich zu fokussieren versucht, der per Definition jenseits des sinnlich Erkennbaren liegt, ist sie schon bei der Formulierung ihrer Leitbegriffe auf die Werkzeuge der Logik angewiesen, also der Vernunft. Wie oben gezeigt, spielt die Grunderfahrung der Vernunft, dass Existierendes nämlich als Gefüge von Gegensatzpaaren erkennbar ist, eine entscheidende Rolle.
Wohlgemerkt:
Auch der Begriff Entscheidung geht vom dualen Charakter der erkennbaren Wirklichkeit aus. Entscheidungen setzen Scheidelinien zwischen dem dualen Gegensatzpaar wahr und unwahr. Habe ich mich dazu entschieden, Brombeerbüsche abzusuchen, wird die Suche wahr. Sie ist damit nicht unwahr.
Durch den Entwurf der Leitbegriffe extrapoliert die Logik bei der Erkundung der Wirklichkeit über den Horizont des sinnlich Erkennbaren hinaus. Analog zu einem Brückenbauer, der die Statik seiner Konstruktion unter Berücksichtigung physikalischer Kenntnisse über Schwerkraft und Materialeigenschaften berechnet, extrapoliert auch die Logik bei der Erkundung des Unbekannten im Abgleich mit dem, was bereits bekannt ist. Das steigert die Wahrscheinlichkeit, dass die Brücke nicht einstürzt.
Wie sich unten zeigen wird, ist auch die inhaltliche Erforschung der Leitbegriffe, ihrer Verbindungen untereinander sowie der Konsequenzen, die sich aus ihrem Verständnis für die konkrete Orientierung im Diesseits ergeben, auf logische Schlüsse angewiesen.
Ein besonderes Gegensatzpaar ist das von Geist und Materie.
Definitionen
Materie ist der Teil der Wirklichkeit, der mittelbar, also mithilfe von Sinnesorganen oder Apparaten erkannt werden kann. | Geist ist das Feld der Wirklichkeit, das unmittelbar, also durch Introspektion erforscht werden kann. |
Zur Materie gehören Substanzen sowie damit verbundene physikalische Kräfte und Felder. | Zum Geist gehört das Bewusstsein sowie dessen objektivierbare Inhalte. |
Gäbe es keinen Geist, der als eigenen Inhalt Sorge und Sehnsucht erkennt, gäbe es auch keine Theologie, die die Frage zu beantworten versucht, wie man der Sorge entkommen und die Sehnsucht verwirklichen könnte. Der Geist selbst ist nicht sinnlich erfahrbar. Man kann ihn weder sehen, riechen, hören, tasten noch schmecken. Dass es ihn gibt, ist eine Vermutung, die er selbst anstellt. Dabei setzt er die gleiche Logik ein wie bei der Definition der übrigen Leitbegriffe. Er denkt:
Das Subjekt, auf dessen Dasein er somit selbst schlussfolgert, bezeichnet er mit dem hinweisenden Fürwort Ich.
Ob Linguisten damit einverstanden sind, Personalpronomen als Demonstrativpronomen zu bezeichnen, sei dahingestellt. Tatsächlich haben sie jedenfalls die gleiche Funktion. Statt ich kann ich auf die Brust zeigen und dieser sagen.
Auf die Frage, wer die Brombeeren aufgegessen hat, antwortet der Geist: Ich war es, und sorgt damit dafür, dass die Amseln des Verdachts der Gefräßigkeit enthoben werden.
Ausflug
Eben hieß es: ... muss ihnen ein Subjekt gegenüberstehen... Damit taucht eine logische Herausforderung auf, die beim Entwurf einer wissenschaftlich begründeten Theologie eine große Rolle spielt. Wenn man dem Subjekt nämlich unterstellt, es stehe Objekten gegenüber, dann schreibt man ihm ein Kriterium zu, das ausdrücklich Objekten zukommt. Das Ob- in Objekt geht auf lateinisch ob = entgegen zurück; das -jekt auf iacere = werfen. Das Objekt ist dem Subjekt dergestalt entgegengeworfen, dass es in dessen Blickfeld gerät. Ein Objekt ist ein Gegenstand der Betrachtung.
Stünde das Subjekt also den Objekten gegenüber, wäre es selbst ein Objekt und damit von seiner ontologischen Bedeutung her kein Gegensatz mehr, der den Objekten gegenüberstehen könnte. Die Verhältnisse müssen also anders sein, als sie zunächst erscheinen. Entweder gibt es gar kein Subjekt als Instanz, sondern bloß Objekte mit subjektiven Eigenschaften. Gibt es das Subjekt aber doch, dann gilt: Wenn das Subjekt den Objekten nicht gegenüberstehen kann, um überhaupt Subjekt zu sein, müssen die Objekte im Subjekt und das Subjekt in den Objekten enthalten sein. Das Subjekt steht den Objekten nicht gegenüber. Es entspricht sie aus sich selbst, indem es sie zur Realität ernennt. Wohlgemerkt: Es entspricht nicht ihnen. Es entspricht sie.
Sicher ist, dass wir die geistige Komponente der Wirklichkeit durch Introspektion erforschen können. Sicher ist auch, dass Theologie als Wissenschaft definiert wird, die über die materielle Komponente der Wirklichkeit hinauszublicken versucht und damit genau in das Feld der Wirklichkeit vordringt, das der Introspektion zugänglich ist. Es liegt auf der Hand, dass Introspektion ein wesentliches Werkzeug beim Entwurf einer wissenschaftlichen Theologie ist. Was aber ist Introspektion? Introspektion ist unmittelbare Selbstwahrnehmung.
Wenn Selbstwahrnehmung also der Wissenschaft zuzuordnen ist, die sich auf den Weg macht, jenen Wirklichkeitsbereich zu erkunden, der Jenseits des Diesseits liegen könnte, dann gilt zweierlei:
Die dualistische Metapher Wer sich selbst nicht erkennt, versteht nicht, was Gott zu ihm sagt, kann das rechte Verhältnis von Objekt zu Subjekt verstehbarer machen, solange der Begriff Gott nicht als separate Person missverstanden wird, sondern auf das Wesen einer Wirklichkeit verweist, die in jedem Teil ist und jenseits aller Teile sein kann. Die Wirklichkeit ist ein Ganzes, das Teile enthält, ohne aus Teilen zu bestehen.
Grade der Wirklichkeit
Die Ebene der Wirklichkeit, auf der die Existenz des Einzelnen abläuft, besteht aus objektiven Aspekten, die wir für wirklich halten, weil wir etwas von ihnen erkennen. Wir sagen: Da steht ein Baum. Dort fließt ein Fluss. Solche Aussagen sind wahr und unwahr zugleich. Sie sind unwahr, weil der Baum nicht nur dasteht, sondern als vergängliche Erscheinung schon wieder verschwindet. Die Objekte, die unsere Welt bestücken, sind bedingte Konstrukte. Da sie als bedingte Konstrukte nicht selbständig sein können, sind sie nur da, indem sie da zu sein scheinen.
In der Regel unterliegen wir bei der Betrachtung der Wirklichkeit einer optischen Täuschung. Wir übersehen die Vergänglichkeit all dessen, was überhaupt betrachtet werden kann und messen dem objektiv Erkennbaren daher eine Wirklichkeit zu, die es nicht hat. Was wir sehen, ist nicht, was für sich selbst allein wirklich ist, sondern was die Wirklichkeit gerade aus sich entlässt.
Nur, was sich selbst genügt, was also keiner Bedingung bedarf, um in Erscheinung zu treten, ist vollgültig wirklich. Je weniger etwas sich selbst genügt, desto mehr ist es bloße Erscheinung jener Faktoren, die seine Existenz bedingen. Das Bedingte enthält Wirklichkeit ohne aus sich selbst heraus bereits wirklich zu sein. Was es bewirkt, ist eine Wirkung der Ursache, aus der es entsteht. Da alles, was erscheint, aus dem hervorgeht, was ist, ist die Grenze zwischen Sein und Erscheinung ein Übergang, der sie verbindet.
Sobald wir den Begriff Begriff im Zusammenhang mit dem Wirklichkeitsbereich der transzendentalen Theologie verwenden, sollte uns klar sein, dass er nur ein Hilfsmittel ist.
Etwas zu begreifen heißt, es abzutasten. Wenn man einen Sachverhalt von allen Seiten vollständig abgetastet hat, hat man ihn ganz begriffen. Am Ende des Begreifens entsteht ein Begriff, der zurecht symbolisch für das Begriffene steht und im Geist ein Bild erzeugt, das das Begriffene korrekt abbildet. Wer verstanden hat, was das Wesen eines Quadrates ausmacht, weiß, wovon er spricht, wenn er den Begriff verwendet.
Bei Objekten, deren Wesen nachgerade darin liegt, dass sie begrenzt sind, gilt:
Dass Begriffe im Umgang mit den Strukturen des Diesseits gut verwendbar sind, liegt an dessen Struktur. Wie bereits beschrieben, ist das Diesseits in Gegensatzpaare aufgefächert, was seine Beschreibung durch definierte Begriffe ermöglicht. Ein Quadrat ist kein Dreieck. Ein Begriff ist kein Apfel.
Wendet man sich aber dem zu, was die Logik als Gegensatz zum Diesseits postuliert, hören Begriffe auf, eindeutig definierbar zu sein. Statt abschließend begreiflich zu machen, können sie nur noch verweisen.
Während man sich auf die Begriffe Apfel, Dreieck und Quadrat leicht einigen kann und man mit der Präzision der Begriffe soweit zufrieden ist, dass man nicht ständig für dasselbe einen neuen sucht, ist das bei Begriffen, die das grundsätzlich Unbegreifliche begreifbar machen sollen, anders. Es gibt eine Fülle von Begriffen, die alle in dieselbe Richtung weisen, von denen aber keiner so genau definierbar ist, dass sich alle jederzeit darauf einigen könnten:
Untersucht man eine Auswahl dieser Begriffe, wird deutlich, dass ihr Sinngehalt ineinander übergeht und sie sich wechselseitig bestätigen. Das Absolute hat etwas mit der Wahrheit zu tun, Himmel verweist auf den Urgrund des Seins, Zeitloses ist unbedingt, das Ganze heilig. Das Jenseits ist die Seite der Wirklichkeit, auf der deren Einheit durch nichts verborgen wird, worauf das Wort dies verweisen könnte. Das Jenseits ist Gott nackt. Das Diesseits ist ein Mantel, den es trägt. Das Jenseits ist Gott leer. Das Diesseits besteht aus Teilen seiner Fülle.
Der wohl älteste Verweis auf das Gesuchte ist der Begriff Geist. Sobald das Bewusstsein zwischen Ich und Nicht-Ich zu unterscheiden begann, wurde ihm klar, dass das Ich Kräften ausgesetzt ist, die es nicht kontrollieren kann. Schnell war die Erklärung zur Hand, dass es sich bei diesen Kräften um Geister, also unsichtbare Personen handelt, die von außerhalb, mal wohlmeinend, mal bösartig, mal gleichgültig auf das Schicksal Einfluss nehmen.
Den Geistern schrieb man Motive, Charaktereigenschaften und Strukturmerkmale zu, die man auch von menschlichen Personen kannte; und, wie es unterschiedliche Menschen gab, so gab es im Weltbild archaischer Kulturen unterschiedliche Geister, deren Charaktermerkmale einer ähnlichen Streuung unterlagen, wie die der Menschen.
Mit der Zeit schrieb die Mythologie der Geisterwelt Rangordnungen zu, sodass aus bestimmten Geistern Götter wurden, die einen konkreten Namen trugen und damit die Polyphonie der animistischen Geisterwelt erkennbar überragten.
Da die Bedeutung von Rangordnungen in der Menschenwelt mit der Bildung komplexer Gemeinschaften zunahm und man die göttliche Ebene eng mit der menschlichen verbunden sah, traten alle übrigen Eigenschaften, die Götter haben konnten, hinter einer zurück: Wie viel Macht er hat, wurde zum wichtigsten Maßstab bei der Einstufung eines Gottes; was zuletzt zur Ausrufung eines einzigen Gottes führte, der alle Macht in sich vereinte.
Psychologisch war die Entwicklung von der animistischen Vielgeisterei zum Monotheismus vorgezeichnet. Im Weltbild des Menschen bevölkerten Geister und Götter keine Parallelwelt, die nur ähnlich und doch anders als die irdische war. Vielmehr wirkten die Kräfte des Jenseits mächtig ins Diesseits hinein, sodass ein Interesse daran bestand, sie zu beschwichtigen oder sie auf die eigene Seite zu ziehen. Welcher Gott sich als Adressat menschlicher Beschwörungsformeln am ehesten anbot, war klar: Der, der die meiste Macht hatte. Der, der als Verbündeter am attraktivsten war und als Feind am gefährlichsten. Die Logik der menschlichen Psyche kam folgerichtig auf die Idee, Gott als einen Einzigen auszurufen; weil ein konkurrenzloser Gott am meisten für seine menschlichen Verehrer tun konnte, und man ihn in Anbetracht seiner gefährlichen Allmacht tunlichst bei guter Laune hielt.
Die Entwicklung zum Monotheismus ist jedoch nicht nur psychologisch erklärbar, sondern auch formallogisch. Je abstrakter das menschliche Denken wurde, desto mehr wurden dessen Vorstellungen vom dualistischen Ansatz seiner Logik bestimmt. Das Grundprinzip der dualistischen Logik heißt Entweder-oder. Das Entweder-oder ist der Schlüssel zur Aufspaltung des Diesseits in Gegensatzpaare. Dem Gegenpol zu einer aufgespaltenen Welt in Gegensätze entspricht eine Einheit, die alles umfasst. Es ist daher logisch, das Grundprinzip des Jenseits als Einheit aufzufassen. Das Sinnbild einer solchen Einheit ist im Kontext eines personalisierten Gottesbilds ein allmächtiger Gott, der über seiner Schöpfung thront.
Abstraktion ist die Loslösung des Denkens vom konkreten Einzelfall. Die Personen der Menschenwelt treten als konkrete Personen auf, die anderen Personen gegenüber egozentrische Interessen vertreten. Dass der Mensch zur Abstraktion in der Lage ist, heißt aber nicht, dass er sein ursprünglich konkretistisches Denken bei der Beschreibung des Jenseits ein für alle Mal abgestreift hätte; vor allem nicht kollektiv. Das alltägliche Denken ist es vielmehr gewohnt, der Einfachheit halber Konkretionen zu bilden, sodass es auch die vorgestellte Gottesperson mit Eigenschaften ausstattet, die Personen auf einer dualistischen Erfahrungsebene ausmachen. Und es stellt sich das Jenseits überhaupt als dualistisch organisiert vor, also als eine Wirklichkeit, in der sich unterschiedliche Personen begegnen, die existenziell voneinander abgegrenzt sind.
Es ist schwer vorstellbar, dass es keine Kräfte gibt, über denen nicht ihrerseits übergeordnete Kräfte wirken, die sie hervorbringen. Wäre es so, gäbe es nichts, was tatsächlich es selbst wäre. Es gäbe keine Wirklichkeit, deren Bestand sich nicht im Unendlichen verlöre. Es gäbe nichts, was wirklich ist, auch keine Welt, in der etwas erschiene; es sei denn, Unendlichkeit ist das Wesen der bestimmenden Kraft, die alles Endliche verwirklicht.
Eine Kraft, die über uns steht, über der ihrerseits aber nichts anderes mehr steht, können wir als konstituierenden Faktor der Wirklichkeit oder eben als göttlich bezeichnen; ungeachtet dessen, ob sie primär geistiger oder primär physikalischer Natur ist und ungeachtet dessen, ob man von einer abschließenden Ebene der Wirklichkeit spricht, vom Urgrund des Seins oder von einem unbegrenzten Feld, das Konkretes verfügt. Göttlich heißt hier nichts anderes als: Es steht kategorisch über uns und über ihm steht nichts.
Zum Wesen der Person gehört deren Wissen um die eigene Existenz. Mehr noch: Erst das Wissen um die eigene Existenz macht aus dem Exemplar einer Spezies ein Individuum, das über sich selbst bestimmen kann. Da die göttliche Ebene der menschlichen übergeordnet ist und deren Existenz überhaupt erst ermöglicht, widerspricht es der Logik, dass ausgerechnet ihr fehlt, was die untergeordnete hat: jene Intelligenz, durch die sie über sich selbst etwas weiß und mit deren Hilfe sie etwas bestimmen kann. Wenn man den Begriff Gott beibehält, ist es daher erforderlich, nicht nur zu verstehen, was menschlichen Personen und Gott gemeinsam ist, sondern auch, was sie strukturell unterscheidet.
Personen sind relative Instanzen. Beziehungen zwischen Personen können hinter dem Rücken anderer stattfinden, wenn sich beide Beteiligten als jeweils besondere Personen auswählen und sich exklusiv aufeinander beziehen. Die Beziehung zwischen dem Absoluten Subjekt und menschlichen Personen ist so, dass das Absolute dem Menschen als die Wahrheit erscheint, die in der Wirklichkeit auftaucht. Wahrheit ist dabei nicht exklusiv. Sie ist das, was das Absolute Subjekt von sich selbst erkennbar macht. Altgriechisch heißt Wahrheit Aletheia (αληθεια) = das Unverborgene. Das Unverborgene zeigt sich nicht hinter dem Rücken anderer. Es ist für jeden erkennbar, der hinschaut. Es gibt nicht vor, wem es sich zeigt und wem nicht. Es wird von jedem gesehen, der zu sehen bereit ist.
Die Definition des Absoluten als Person entspringt dem Wunsch, von einem Gott durch dessen Auswahl als etwas Besonderes gesehen und anerkannt zu werden. Vom Absoluten als Person wird man erkannt und wie ein Kind emporgehoben. Vom Absoluten als Subjekt der Wahrheit kann man erkennen, wozu man in der Lage ist. Der eine ruft nach Hilfe. Der andere blickt, soweit er kann.
Der Begriff Jenseits scheint uns vom Himmel geschenkt worden zu sein; gibt uns die etymologische Untersuchung seines Sinns doch heilsame Hinweise darauf, wie wir uns den Wirklichkeitsbereich jenseits der diesseitigen Gegensätze vorstellen können. Jenseits geht auf eno = eins zurück. Das Jenseits ist die Seite der Wirklichkeit, auf der sie eins ist. Der Gegenpol zur Ebene der Gegensätze ist keine abgespaltene Gegenwelt analoger Gegensatzpaare, sondern eine Einheit, in der keine Gegensätze gelten. Mehr noch: Die Einheit des Jenseits kann nicht als Gegenpol verstanden werden, der dem Diesseits ausschließlich gegenübersteht. Es scheint vielmehr eine Einheit zu sein, die das Viele ebenso enthält, wie es davon frei ist, die über ihm steht und zugleich seine Basis bildet.
Sollte man das Prinzip der Einheit weiterhin als einen Gott auffassen, ist die Aussage, er befinde sich im Jenseits aus zwei Gründen unvollständig:
Befände sich Gott als Person in einem Jenseits, von wo aus er irdischen Personen so begegnen würde, als sei sein Selbst von deren Selbst getrennt, wäre er keine umfassende Einheit, sondern bloß Teil einer Vielheit. Einer Logik, die den Gegenpol der Vielheit als Einheit vorstellt, kann das nicht genügen. Die Logik kann nur mit sich im Reinen sein, wenn sie den Gegensatz zwischen Einheit und Vielfalt anders auffasst, als die Gegensätze zwischen den Elementen der Vielheit.
Das Wesen der Einheit ist nicht dadurch erfüllt, dass es die Summe der faktischen Gegensätze zu sich vereint; so als sei Gott das Universum. Der Gegensatz zur Vielheit des faktisch Verwirklichten enthält das Mögliche, das sich im Gegensatz zum Faktischen nirgendwo befindet, wo es verloren gehen kann. Die Einheit umfasst den Raum, in dem sich das Universum entfaltet, ohne darin gefangen zu sein. Da Einheit nicht unvollständig sein kann, ohne ihr Wesen zu verfehlen, ist Gott jenseits des Universums ebenso vollständig als wenn er es umfasste, ja, er ist selbst innerhalb des Universums vollständig, obwohl er sich zugleich jenseits davon befindet. Als Jenseits ist das Eine leer, als Diesseits kann es alles, was es möglich macht, enthalten.
Der Gegensatz zwischen Einheit und Vielfalt liegt nicht darin, dass das Eine dem Vielen als ein weiteres gegenüberstünde. Er besteht darin, dass das Eine alles Verschiedene umfasst, während das Verschiedene von der Einheit nur etwas widerspiegeln kann.
Im sinnlich erfassbaren Diesseits sind die meisten Dinge relativ.
Da die Relativität der Dinge zueinander den Menschen daran hindert, in eindeutigen Aussagen Sicherheit zu finden, springt ihm seine Logik mit der Hypothese bei, der relativen Unbestimmtheit seiner Lebenswelt stehe ein Absolutes gegenüber, das Wahrheiten verbürgt, die immer und überall, also unbedingt gültig sind. Da eine Wahrheit nicht immer und überall gültig ist, sofern sie erst vom Menschen aus der Taufe gehoben wird, kann der Bürge keiner sein, der sich eine Zeitlang im Diesseits aufhält und mit der Auflösung seines Leibes aus der Wirklichkeit verschwindet.
Wenn überhaupt etwas endgültig wahr ist, wird es durch ein Absolutes garantiert, das von allen Dingen und der Zeitlichkeit alles Dinglichen befreit ist. Wahrheit ist nur möglich, sofern sie von etwas Absolutem vergeben wird, das über allen Dingen steht. Was über allen Dingen steht, kann darüber bestimmen, ob es jemals begann oder nicht, ob Zeit und Ewigkeit zu unterscheiden oder als dasselbe aufzufassen, ob Sein und Nichtsein ausschließlich Gegensätze sind. Teile existieren, oder sie existieren nicht. Das Absolute erhebt sich über alle Unterschiede. Das Absolute ist es selbst. Als Subjekt kennt es die Wahrheit, die es zur Welt verwirklicht. Als Selbst umfasst es, was ihm möglich ist und bestimmt, was es davon möglich macht. Alles Konkrete ist eine Möglichkeit des Absoluten zu sein.
Das Wesen des Absoluten (lateinisch absolutus = abgelöst) fällt mit dem Wesen der Freiheit in eins. Da Macht ein Verhältnis zwischen dem beschreibt, der sie ausübt und dem, der ihr unterworfen ist, bleibt der Begriff Allmacht zur Benennung des höchsten Prinzips in einem Dualismus stecken, der sein Wesen verkennt. Macht braucht ein Gegenüber, das sie unterwerfen kann. Freiheit braucht kein Gegenüber, um sie selbst zu sein. Macht über andere ist das Werkzeug eines Partikels, der sich selbst nicht genügt. Allmacht ist ein Begriff zur Benennung Gottes, den der Mensch verwendet, solange er nicht in der Lage ist, über den Horizont seines Egos hinauszublicken. Er nennt ihn Allmacht, wenn er etwas von ihm haben will. Er nennt ihn Freiheit, wenn er sich aus sich entlässt.
Dass Ereignisse nicht zufällig auftreten, sondern mit mehr oder weniger dominanten Ursachen in Zusammenhang stehen, ist jedem klar, der das Wetter beobachtet. Was für das Wetter gilt, gilt für die gesamte Wirklichkeit, die im Blickfeld des Menschen in Erscheinung tritt. Die Quantentheorie belegt nun, dass es Ereignisse gibt, für die keine physikalische Ursache erkennbar ist. Möglicherweise beweist sie damit die Existenz echter Freiheit; dass die Grundlage der Wirklichkeit also nicht aus einem Gefüge unüberwindlicher Gesetze besteht, sondern aus der Freiheit, Gesetze zu erlassen und aufzuheben. Ein Quantensprung kann zu einer Kettenreaktion führen, die den Stromboli Asche spucken lässt oder Sie dazu bringt, Brombeermarmelade zu einzukochen.
Schon lange vor der Quantentheorie haben Menschen darüber nachgedacht, wohin eine Kausalkette führt, wenn man ihren Anfang sucht. Wenn es nur Bedingtes gibt, dessen Existenz objektive Faktoren voraussetzt, die seine Erscheinung verursachen, kann die Zeit keinen Anfang haben, es sei denn, sie entspringt ihrerseits einer zeitlosen Ursache, deren Existenz durch nichts verursacht wird. Es ist offensichtlich, dass die Frage mithilfe einer Logik des Entweder-oder nicht zu lösen ist. Man muss davon ausgehen, dass man grundsätzliche Fragen über Sein und Nichtsein nur durch ein Sowohl-als-auch beantworten kann. Das ruft die Quantentheorie mit ihrem Postulat auf den Plan, dass über Sein und Nichtsein einer Katze erst entschieden wird, wenn ein Wahrnehmungsakt ihren Status bestimmt.
Das heißt: Der bestimmende Faktor der Wirklichkeit entscheidet über die Realität materieller Strukturen durch geistige Akte. Während die Realität der Logik des Entweder-oder unterworfen ist, kann die Freiheit des bestimmenden Faktors zwischen Sein und Nichtsein wählen. Freiheit ist das höchste Prinzip, weil nur Freiheit keiner begrenzenden Logik unterworfen ist. Das Diesseits ist in Gegensatzpaare angeordnet, weil es Unterscheidungen des Jenseits entspringt, die keiner Zeit bedürfen. Im Zeitverlauf des Diesseits kann etwas entschieden werden, weil alles die Freiheit des Jenseits verkörpert, die sich in ihm offenbart.
Wenn es zum Wesen der Freiheit gehört, zu sein ohne dem Sein unterworfen zu sein, kann sie so über den Status der Zeit entscheiden, wie über die Existenz einer Katze. Die Möglichkeit zu beidem ist vor jeder Zeit in ihr enthalten. Die Frage, ob Zeit einen Anfang, ein Ende, das eine oder beides hat, bleibt ein Spiel, mit dem sich ein freier Geist die Zeit vertreiben kann, sofern er sie in der Wirklichkeit wahrnimmt.
Materie und deren Feldkräfte sind Inhalte des Raums. Ereignisse sind Inhalte der Zeit, die die Inhalte des Raums der Veränderlichkeit aussetzt. So kann man es sehen. Anders aber auch: Feldkräfte, die Eigenschaften der Materie sind, sorgen dafür, dass Veränderlichkeit ebenso deren Eigenschaft ist. Was wir als Zeit bezeichnen, wäre dann nichts Eigenständiges, sondern eine subsumierende Abstraktion der Veränderlichkeit in einem Geist, der die Veränderlichkeit wahrnimmt.
Analoges gilt für den Raum. Wir können sagen: Der Raum enthält Materie, also Phänomene, über deren Unterschiede entschieden wurde. Wir können aber auch sagen: Raum ist eine subsumierende Abstraktion der Unterschiedlichkeit in einem Geist, der Unterschiedlichkeit wahrnimmt. Hier ist ein Haus. Dort ist ein Baum. Sie sind voneinander zu unterscheiden.
Offensichtlich kann Geist Veränderungen und Unterschiede wahrnehmen. Sind ihm keine Grenzen gesetzt, kann er sie auch wahrmachen, indem er ihre Möglichkeit durchdenkt. Wenn beides, Raum und Zeit, durch Geist verwirklicht werden kann, müsste in jedem Inhalt ein Faktor zum Ausdruck kommen, der auf den ursprünglichen Geist verweist.
Unlösbare Fragen der Ontologie befassen sich mit Grenzen.
Mit der Logik des Entweder-oder ist keine Antwort, die man auf solche Fragen geben kann, widerspruchsfrei zu begründen. Die unlösbaren Fragen der Ontologie lösen sich jedoch auf, wenn man als Grundprinzip der Wirklichkeit die Freiheit eines Geistes annimmt, der sich sowohl das eine als auch das andere zeitgleich vorstellen kann. Freiheit kann begrenzt werden. Zu ihrem Wesen gehören Grenzen aber nicht. Der Geist, der dem Jenseits entspricht, kann durch Entscheidungen zwar Grenzen setzen, ist ihnen selbst aber nicht ausgesetzt. Grenzen, die der Freiheit gesetzt werden, kommen von außen. Wo es kein Außen gibt, existieren sie nicht. Das Jenseits muss das Diesseits umfassen. Nur im Diesseits gibt es ein Außen, das der Freiheit Grenzen setzt. Was dem Diesseits Grenzen setzt, ist das Jenseits, das es enthält. Das Jenseits enthält das Diesseits, während im Diesseits nur etwas vom Jenseits enthalten ist.
Es gibt zwar groß, größer, am größten, aber kein numinoser und kein am numinosesten. Das ist logisch. Numinos geht auf lateinisch numen zurück, womit die Römer auf das Walten der höchsten Kraft verwiesen, die auf irdische Geschicke Einfluss nimmt. Da das Höchste bereits das Höchste ist, kann seine Hoheit weder durch Komparativ noch Superlativ gesteigert werden.
Der Begriff verweist auf eine eschatologische Ordnung der Wirklichkeit. Die Alltagswelt, in der wir unsere Belange besorgen, ist einer höheren Ebene nachgeordnet, die den Rahmen unserer Ebene vorgibt. Überall ist zu erkennen, dass die Abläufe in der uns zugewiesenen Alltagswelt einer Reihe grundsätzlicher Regeln unterworfen sind, die auch die Römer als Walten einer übergeordneten Macht gedeutet haben: des Numens nämlich. Viele der Regeln sind heute als Naturgesetze bekannt. Allem Anschein nach verzahnen sich die Naturgesetze zu einer unveränderlichen Matrix, die kein Wenn und Aber kennt. Zu den Regeln der Wirklichkeit gehört aber auch, dass auf der festgefügten Vorgabe eine Ebene gedeiht....
Was wählen kann, ist frei; zumindest im Rahmen der Möglichkeiten, die zur Auswahl stehen. Gewiss: Die Wahlfreiheit könnte eine Illusion sein, die das Numinose manchen Insassen der nachgeordneten Ebene vorgaukelt. Jemandem etwas vorzugaukeln, macht aber nur Sinn, wenn es überhaupt jemanden gibt, dessen Freiheit zur eigenen Wahl durch ein Gaukelspiel sabotiert werden müsste. Freiheit gibt es also auf jeden Fall, und damit das, was der Unterworfenheit rein materieller Strukturen entzogen ist.
Wir stehen vor der Wahl: Entweder wir gehen davon aus, dass die höchste Ebene der Wirklichkeit Geist ist oder wir betrachten uns selbst als Maschinen. Oder wir haben keine Wahl: Dann sind wir Maschinen. Wir haben nur dann eine Wahl, wenn wir es mit letzter Sicherheit nicht wissen. Wenn wir es wüssten, hätten wir keine Wahl mehr.
Heilig geht auf heil zurück. Heil sind Gegenstände und Strukturen, deren Teile einander so zugeordnet sind, dass sie ein Ganzes bilden. Dem, was heil ist, fehlt nichts zu seiner Ganzheit. Es enthält auch nichts, was überflüssig wäre.
Während 10000 Dinge so heil sein können, dass sie innerhalb ihres Horizonts jene Ganzheit bilden, als die sie definiert sind, denkt der Begriff heilig über objektivierbare Dinge hinaus. Damit folgt auch er einer Logik, die besagt: Wenn Dinge heil sein können und sich mehrere Dinge zu größeren Strukturen verbinden, die ihrerseits heil sein können - Bäume, Wälder und Ökosysteme zum Beispiel -, dann müsste es eine umfassende Ganzheit geben, deren Heilsein durch nichts aufgebrochen werden kann, was von außerhalb kommt oder nach außen verlorengeht; weil sie selbst bereits ein Einziges und sogar das Einzige ist, dessen Einzigartigkeit überhaupt möglich ist.
Der inflationäre Gebrauch des Begriffs heilig belegt, dass das Wesen des Heiligen in der Regel verkannt wird. Im Unterschied zum Vielen, das nebeneinander heil sein kann, hat das Heilige kein Neben. Das Heilige ist das Eine, dem kein Zweites begegnet, ohne dass es selbst das Zweite wäre. Das Heilige ist die Einheit, deren Freiheit durch das, was als Gegensatz festliegt, nicht geschmälert werden kann. Das Heilige ist vom Gegensätzlichen aus unveränderlich. Wenn sich Appelle an das Heilige wenden, besteht ihre Wirkung nicht darin, dass sie das Heilige bewegen, sondern darin, dass sie das Gegensätzliche dem Heiligen zuwenden und es damit seiner Auflösung im Heiligen näherbringen.
Inflationär ist der Gebrauch des Begriffs, wenn von Heiligen Büchern, Heiligen Messen, Heiligen Stühlen, Heiligtümern und Heiligenbildern die Rede ist. All das belegt, dass der Verstand den Horizont des dualistischen Denkens nicht überwindet, sondern die Wirklichkeit zu spalten versucht, um in der Spaltung den persönlichen Vorteil des eigenen Anteils zu suchen. Wer die Einzigartigkeit des Heiligen nicht versteht, glaubt, dass Verschiedenes nebeneinander heilig sein kann. Tatsächlich kann aber nichts nebeneinander heilig sein, sondern nur die Übereinstimmung von allem im Ganzen.
Gewiss: Das Thema von Büchern kann das Heilige sein, selbst heilig werden sie dadurch aber nicht. Bücher bleiben wie Propheten grundsätzlich profane Teile eines Ganzen, das so kategorisch über ihnen steht, dass für seine Kategorie überhaupt ein besonderer Begriff vonnöten ist; ein Begriff, der zu Recht nur auf ein Einziges angewendet werden kann.
Als profan (lateinisch pro = vor und fanum = Heiligtum) bezeichneten die Römer das, was vor dem Heiligen zum Stehen kommt, weil es das Heilige nicht erreicht.
Religiöse Messen sollen den Blick von der Parteilichkeit des Einzelnen weg und auf das Ganze richten. Ein guter Plan! Die Messe selbst als heilig zu bezeichnen, fokussiert den Blick aber auf eine menschliche Aktivität. Mit dem Begriff heilig wird ihr eine Bedeutung beigemessen, die nur dem tatsächlich Heiligen zukommt. Das fördert nicht nur die Kurzsichtigkeit, die sie zu überwinden ermahnt, sondern beschwört Spaltungen herauf, die dem Heiligen widersprechen.
Im Heiligen ist alles an dem Platz, der ihm endgültig zusteht und sein Wohl garantiert. Daher bewegt sich im Heiligen nichts. Es ist in und als Stille erkennbar.
Während der Entwurf einer transzendentalen Theologie in Ermangelung empirischer Erfahrungsmöglichkeiten vorwiegend auf Logik angewiesen ist, können die psychosozialen Konsequenzen ihrer Entwürfe beobachtet werden: durch Introspektion und die Betrachtung dessen, was Gläubige unter dem Einfluss des Glaubens faktisch tun.
Jedes transzendentale Welterklärungsmodell ist ungeachtet dessen, ob es eine Gottesperson postuliert oder nicht, Resultat einer Logik, die aus dem Fundus empirischer Erfahrungen heraus über den Horizont des empirisch Erfahrbaren hinauszublicken versucht. Dabei wird sie umso öfter in die Irre gehen, je geringer die empirischen Erfahrungen sind, mit denen sie ihre Hypothesen abgleichen kann. Theologie ist eine Geisteswissenschaft. Sie und andere Wissenschaften sind keine Widersprüche. Sie gehen Hand in Hand bei der gemeinsamen Erkundung der Wirklichkeit. Falls eine Mythologie, die sich selbst zur Theologie ernennt, ihre Unbelehrbarkeit aber zum Gesetz erklärt, bleibt sie in Irrtümern stecken. Nur eine Lehre, die neue Erkenntnisse aufnimmt, kann ernstgenommen werden.
Theologie ist zunächst eine Wissenschaft vom sinnlich nicht Erfahrbaren. Der Bereich, in den sie ihren Fühler - die Logik - ausstreckt, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf den Menschen angewiesen; und wird durch das, was er tut, auch nicht beeinflusst.
Der Mensch selbst wird aber sehr wohl von dem mitbestimmt, was er sich über die Wirklichkeit jenseits seiner Sinne vorstellt. Daher kommt der Theologie als transzendentales Welterklärungsmodell auf drei Feldern große Bedeutung zu:
Unterschiede
Gemeinschaft | Gesellschaft |
Eine Gemeinschaft ist ein Gefüge von Individuen, die persönlich, also unmittelbar miteinander bekannt sind. | Eine Gesellschaft ist ein Gefüge von Individuen, das über die Gemeinschaft hinaus geht und auch Mitglieder umfasst, die nur mittelbar verbunden sind. |
Das Verhalten des Einzelnen wird innerhalb der Gemeinschaft, der er angehört, von psychosozialen Mechanismen moduliert, die auf unmittelbarer Bekanntschaft beruhen. | Je größer eine Gesellschaft wird, desto kleiner ist der Bereich, in dem modulierende psychosoziale Mechanismen wirksam sind. |
In der Gemeinschaft ist die Zahl derer, die mich niemals zu Gesicht bekommen, gleich Null. | In der Gesellschaft ist die Zahl derer, die mich niemals zu Gesicht bekommen, größer oder gleich Eins. |
Bekanntheitsgrade gehen fließend ineinander über. Den einen sehe ich täglich und wir teilen intimste Details. An anderen gehe ich auf der Straße vorbei und der gesamte Austausch besteht aus Blicken. Selbst der, den ich nur im Vorübergehen sehe, gehört schon zum Rand der Gemeinschaft, der ich angehöre. Alle, die ich niemals sehe, die aber auf soziale, wirtschaftliche oder politische Strukturen einwirken, denen auch ich ausgesetzt bin, gehören zur Gesellschaft. Heute ist die Menschheit eine globale Gesellschaft, in der jeder jeden beeinflusst.
Eben wurde zur Unterscheidung von Mitgliedern einer Gemeinschaft und einer Gesellschaft ein konkretes Kriterium genannt: Wird man persönlich zur Kenntnis genommen oder nicht? Warum ist das folgerichtig?
Gesehen zu werden ist mehr als nur ein physikalischer Vorgang, bei dem elektromagnetische Wellen, die von meinem Körper ausgehen, in einem fremden Bewusstsein ein Bild erzeugen; selbst dann, wenn ich den, der mich sieht, gar nicht kenne. Wer gesehen wird, wird vielmehr vom Gegenüber eingeschätzt und damit bewertet. Da der Wert, den mir andere zuweisen, über die Möglichkeit mitbestimmt, mich in der Gemeinschaft zu entfalten, habe ich ein Interesse daran, positiv bewertet zu werden. Mein Interesse an der positiven Bewertung beeinflusst mein Verhalten. Personen, die mich sehen, versuche ich zu überzeugen, dass ich anzuerkennen bin; als jemand, dem Sympathie und Unterstützung zustehen, oder zumindest Respekt.
Zwei Seiten des Selbstwertgefühls
Das Selbstwertgefühl hängt von zwei Komponenten ab:Die erste Komponente begründet Abhängigkeit, die zweite Autonomie. Wer nicht daran glaubt, der Wertschätzung würdig zu sein, kann die Wertschätzung, die ihm andere entgegenbringen, nicht auf sein Konto verbuchen. Er hört sie zwar, sie dringt aber nicht ins Erdreich vor, um seine Wurzeln zu düngen.
Die Person verbringt ihr Dasein als materieller Partikel, dessen Bestand ständig bedroht ist. Das hat Konsequenzen:
Der Vernichtungsangst entspringt der Impuls, sich zu stärken; entweder durch Zufuhr von außen oder durch Aufbau im Inneren.
Käme beim Entwurf eines transzendentalen Welterklärungsmodells ausschließlich Logik zum Einsatz, wären ihre Resultate unparteiisch. Allein: So ist es nicht. Die Grundaussagen einer Theologie mögen zwar Produkte reiner Logik sein, ihre Ausgestaltung wird jedoch von psychologischen Bedürfnissen überlagert; oft dermaßen, dass ihr Endresultat absurd erscheint, und es in vielen Fällen auch ist.
Die große Rolle, die psychologische Bedürfnisse bei der Ausgestaltung von Theologien spielen, bedeutet zweierlei:
Da ewig Wahres nicht davon beeinflusst wird, was man im Diesseits darüber denkt, ist Theologie kein Gottesdienst im dualistischen Sinn. Sie ist ein Werkzeug des Menschen, mit dessen Hilfe er sein Dasein am Urgrund des Seins auszurichten versucht. Zweck der Ausrichtung ist es, ein Leben zu führen, in dem man möglichst viel Gutes tut und dabei möglichst wenig sinnlos leidet. Die Frage, welche Wirkung ein Welterklärungsmodell auf das persönliche Befinden hat, gibt Hinweise darauf, ob sie stimmig ist.
Wohlgemerkt
Gut ist, was zum Ganzen passt. Theologisch gesehen ist das Ganze aber weder die Gemeinschaft, der ich angehöre, noch die Gesellschaft, in die sie eingebettet ist. Theologisch gesehen ist das Ganze die Wirklichkeit, die alles enthält. Daher kann es gut sein, der Gemeinschaft zu widersprechen.
Während die Qualität einer Theologie einerseits durch unverstandene persönliche Bedürfnisse schwer beeinträchtigt werden kann, ist die Befriedung individualpsychologischer Bedürfnisse der eigentliche Maßstab, der die Qualität einer Theologie bestimmt. Die Einstimmung des Individuums auf den zeitlosen Hintergrund der Wirklichkeit kann die Qualität seines zeitlichen Daseins in einer Weise verbessern, die durch die Fokussierung bloß zeitlicher Elemente unerreichbar ist. Ein Selbstbild, das von den Beschränkungen der Zeitlichkeit enthoben ist, ermöglicht es dem Individuum, seine Beziehungen zum Diesseits der Zeit souveräner zu gestalten.
Zwei Vorgänge, die sich sehr wohl unterscheiden
Befriedigung | Befriedung |
Befriedigung ist die Erfüllung eines Bedürfnisses, das aus welchen Gründen auch immer entstanden ist. | Befriedung ist die Beilegung einer Bedürftigkeit, die aus irrtümlichen Annahmen heraus Ansprüche erhebt. |
Mit wie viel Ansprüchen der Einzelne der Wirklichkeit begegnet, hängt von der Rolle ab, die er sich darin zuschreibt. Sind die Ansprüche zu hoch, überfordert das die Wirklichkeit. Es wird die Gemeinschaft, die sie erfüllen soll, zerstören. Die Wachstumsgesellschaft lebt von Ansprüchen, die sie schürt. Wohin das führt, wird sie erleben.
Da der Horizont seiner Sichtweite begrenzt ist, überschätzt das Ich seine Größe. Deshalb legt es oft nur wenig Wert darauf, die kleinen Dinge des Lebens richtig zu machen. Stattdessen fordert es mehr oder versucht, auf eine Ebene zu springen, für deren Anforderungen ihm der Überblick fehlt. Wer die Kleinigkeiten, die sein Leben ausmachen, achtsam besorgt, verhindert, dass er sich in Ansprüchen verliert, in denen er nicht zu Hause sein kann.
Der persönliche Vorteil des Individuums steht nicht im Gegensatz zur Harmonie der Gemeinschaft. Im Gegenteil: Die Zugehörigkeit zu anderen ist ein so wesentlicher Bestandteil des menschlichen Daseins, dass der Einzelne sein Potenzial überhaupt nur im Austausch verwirklichen kann. Wer seine Zugehörigkeit anerkennt, wird die Gemeinschaft beschützen.
Andererseits steht die Harmonie der Gemeinschaft nicht über dem Wohl des Einzelnen. Eine Gemeinschaft ist keine bewusste Instanz, die ihre Qualität erlebt; sodass diese Qualität für sie selbst etwas bedeuten würde. Die Qualität einer Gemeinschaft besteht aus dem Befinden ihrer Mitglieder. Der Maßstab, an dem sie zu messen ist, ist das Wohl derer, die sie bilden.
Ein Welterklärungsmodell ist zunächst eine Komponente der individualpsychologischen Regulation. Indem es die Position des Einzelnen im Kosmos beschreibt, legt es fest, wofür sich sein Träger halten kann. Es bildet das Fundament seines Selbstwertgefühls.
Ab einem gewissen Abstraktionsvermögen entwickelt jeder ein Weltbild, das Antworten auf transzendentale Fragen enthält:
Wahrheit ist absolut. Oder sie ist keine. Dass in einem Universum, das eins zu eins unserem entspricht, die Kreiszahl π ≈ 3,1415 ist, wäre auch dann noch wahr, wenn es unser Universum nicht gäbe.
Sobald jemand behauptet, es gäbe keine absolute Wahrheit, muss er sich eingestehen, dass seine Aussage nicht wahr sein kann. Ob er will oder nicht, der menschliche Geist ist nicht in der Lage, sich eine Wirklichkeit ohne Absolutes vorzustellen.
Obwohl Welterklärungsmodelle primär das geistige Fenster einfärben, das dem Einzelnen zur Betrachtung der Wirklichkeit offensteht, haben sie erheblichen Einfluss auf die Qualität der Gemeinschaft, der das Individuum angehört. Wie auch nicht? Das Welterklärungsmodell bahnt nicht nur die Haltung, die der Einzelne sich selbst gegenüber einnimmt. Es bahnt auch das Verhalten, das er nach außen hin ausübt. Die Qualität einer Gemeinschaft wiederum besteht aus den kommunikativen Mustern, die ihre Mitglieder anwenden. Die Essenz einer Gemeinschaft ist die Kommunikation, die sie konstituiert und die Kommunikation wird durch die Haltung bestimmt, die die Mitglieder sich selbst und anderen gegenüber einnehmen.
Im Grundsatz ist Kommunikation bereits Wertschätzung. Sie stellt anderen bereitwillig etwas Wertvolles zur Verfügung; nämlich wahrheitsgemäße Informationen über den eigenen Kenntnisstand und die eigene Befindlichkeit, mit deren Hilfe sich der Informierte das Leben erleichtern kann.
Wissen ist Macht. Wissen kann zu guten Zwecken verwendet werden; auf jeden Fall aber zum Vorteil dessen, der es hat.
Kommunikation kann jedoch schrecklich misslingen. Das tut sie oft. Sie misslingt, wenn die Mitglieder ihres grundsätzlichen Wertes nicht sicher sind und aus der Angst heraus, unwert zu sein oder als unwert zu gelten, Gebrauch von Verhaltensmustern machen, deren Ziel die Erhöhung ihres Selbstwertgefühls auf Kosten anderer ist. Dazu gehört die trügerische Darstellung seiner selbst und der äußeren Wirklichkeit durch Übertragung verzerrter oder gänzlich falscher Informationen.
Theologien, die den unbedingten Wert des Einzelnen in Zweifel ziehen, indem sie ihn von Bedingungen abhängig machen, deren Erfüllung von außen gefordert wird, gefährden damit nicht nur dessen individuelle Befindlichkeit, sondern auch die Gemeinschaft, der er angehört; weil der Einzelne aus einem verunsicherten Selbstwertgefühl heraus zu irreführenden und abwertenden Kommunikationsmuster neigt.
Sobald Theologien Gemeinschaften in Bekenner und Außenstehende spalten und denen, die sich bekennen, einen höheren Wert beimessen, als denen, die es nicht tun, sind sie nicht mehr gemeinnützig. Indem sie abgewerteten Mitgliedern schaden, schaden sie der Gemeinschaft als Ganzes.
Wer bekannt ist, wird persönlich bewertet. Prominente sehen sich einer Vielzahl individueller Bewertungen ausgesetzt, ohne das Publikum selbst individuell bewerten zu können. Wer bewertet werden kann, verhält sich anders als jemand, der dank seiner Anonymität einer Bewertung enthoben ist. Er stellt sich so dar, dass es die Rolle unterstützt, die er für sich in Anspruch zu nehmen versucht.
Die Bereitschaft, andere abzuwerten, ist schon in Gemeinschaften hoch, obwohl sie dort durch die persönliche Begegnung potenziell gehemmt wird. Im gesellschaftlichen Rahmen ist das Verhältnis der meisten Mitglieder zueinander unpersönlich. Man weiß zwar, dass es die anderen gibt, da man ihnen aber niemals begegnet, gehören sie zu einer anonymen Masse, die man im Geiste entwerten kann, ohne dass eine persönliche Begegnung die Abwertung mildert, geschweige denn ins Gegenteil wendet.
Die Bereitschaft andere abzuwerten, kann sich in unterschiedlicher Weise Ausdruck verschaffen:
Während die gezielte Abwertung an Gestik, Mimik und einschlägiger Wortwahl leicht zu erkennen ist, ist die beiläufige Abwertung gut maskiert. Gegebenenfalls werden andere bis zur Nichtigkeit degradiert, indem man sie, scheinbar völlig arglos, nicht zur Kenntnis nimmt. Die Maskerade der beiläufigen Abwertung kann so weit gehen, dass es denen, die sich ihrer bedienen, ein Leichtes ist, sich ihre Abwertungsaktivität sogar als Tugend anzurechnen. In der Politik ist das eher Regel als Ausnahme: Ich vertrete die Interessen meiner Wähler besonders gut, weil mir die Interessen der anderen völlig egal sind.
Ungeachtet dessen, ob Abwertungen samt ihren schädlichen Folgen gezielt oder beiläufig vollzogen werden, hängt die Bereitschaft, sie auszuführen, entscheidend vom Menschenbild ab. Da das Menschenbild, das in Gesellschaften vorherrscht, weitgehend von tradierten Wirklichkeitsdeutungen abhängt, die die spezifische Kultur der Gesellschaft prägen, ist eine vorurteilsfreie Betrachtung des Menschenbilds notwendig, das deren Theologie vermittelt.
Die These wurde bereits formuliert: Sofern es etwas Absolutes jenseits der Raumzeit gibt, das sich über dessen Gegensätze erhebt, stellt seine Erhabenheit sicher, dass der Zustand des Diesseits in letzter Instanz keine Bedeutung für es hat. Das Diesseits ist der Zeit unterworfen, das Zeitlose nicht. Was der Zeit unterworfen ist, kann Zeitloses nicht ändern. Das Zeitlose kann zu nichts gezwungen werden, sodass es immer schon gewesen ist und nicht vernichtet werden kann. Der Mensch kann dem Absoluten keinen Dienst erweisen, der über das hinausgeht, wozu er dem Absoluten durch sein Wesen sowieso schon dient.
Insofern macht es Sinn, nicht danach zu fragen, was der Mensch für Gott, sondern, was eine Theologie für den Menschen leisten kann. In einem nächsten Schritt ist dann zu überprüfen, inwieweit eine Theologie, die alle Mythen hinter sich lässt und stattdessen auf rationale Schlüsse baut, dem entspricht.
Was eine Theologie für den Menschen leisten kann
Sie fördert das Wohlergehen des Einzelnen, indem sie sein Selbstwertgefühl auf einer unverrückbaren Ebene verankert und ihn ermutigt, sich im Leben auf Wesentliches zu konzentrieren statt sich im Kampf um kurzfristige Vorteile zu verzetteln.
Sie fördert Frieden und Zusammenhalt in menschlichen Gemeinschaften sowie der Gesellschaft als Ganzes, indem sie die wechselseitige Wertschätzung von allen einschränkenden Bedingungen befreit.
Das Selbstwertgefühl hängt entscheidend davon ab, als was ich mich selbst definiere. Definiere ich mich als einen Menschenkörper, der in einer physikalischen Wirklichkeit als primär materielle Konstruktion auftaucht, deren mentale Ebene sekundäre Funktion biochemischer Prozesse ist, hängt mein Selbstwertgefühl vom Vergleich mit anderen Menschenkörpern ab. Ist mein Körper ebenso schön, potent und funktionstüchtig wie der anderer Menschen? Dieser Frage entspringen weitere:
Die Identifikation mit dem Körper koppelt die Wertzuweisung darüber hinaus an somatische Reifungs- und Alterungsprozesse, die schicksalhaft ablaufen.
Es mag sein, dass wir unser Selbstwertgefühl instinktiv von der körperlichen Verfassung abhängig machen. Es fiele uns aber schwer, die vier Fragen, die dessen Bindung an körperliche Qualitäten logisch folgen, nach bewusster Reflexion zu bejahen.
Identifiziert man sich nicht mit dem Körper, sondern mit der Psyche, die daran gebunden ist, verschieben sich die Akzente. Qualitäten des Körpers sind äußere Schönheit, Ausdauer, Kraft und Gesundheit. Qualitäten der Psyche sind Intelligenz, Wissen, Gedächtnis, spezielle Begabungen, Sensibilität und Verhaltensmuster.
Es mag ebenfalls sein, dass sowohl körperliche als auch mentale Qualitäten bis zu einem gewissen Grad durch Eigenleistung verbessert werden können: Die Statur kann man durch Training und gesunde Ernährung optimieren, das Erscheinungsbild durch Typenberatung, Schminke und ästhetische Chirurgie. Wissen kann man erweitern, Begabungen ausbauen, Einfühlsamkeit üben und Verhaltensmuster ändern.
Aber auch verbesserte körperliche Merkmale und mentale Funktionen sind der Vergleichbarkeit ausgesetzt; und alles, was vergleichbar ist, ist für die, die trotz aller Bemühungen benachteiligt bleiben, ein Faktor, der ihr Selbstwertgefühl potenziell bedroht.
Soziale Erfolge, die man im Leben erreicht, bieten ebenso wenig festen Boden. Erfolge sind Ergebnisse eigener Tüchtigkeit. Sie hängen aber auch von äußeren Bedingungen und unveränderlichen Vorgaben des Lebens ab. Jemand kann ein begnadeter Maler sein, ohne dass er jemals Anerkennung findet. Oder, was er findet, geht wieder verloren. Egal, was man tut: Man bleibt einem Wellengang des Lebens ausgesetzt, den man nicht kontrollieren kann.
Unverrückbar kann das Selbstwertgefühl nur in einem Selbst verankert sein, das alle persönlichen Merkmale zu Fußnoten des Daseins erklärt. Ein solcher Anker entspricht dem Konzept eines Absoluten Selbst, das allen gemeinsam ist und dessen Schwerpunkt jenseits aller zeitlichen Abläufe liegt.
Machen wir uns nichts vor: Es wäre schön, wenn wir den Wert anderer niemals aus der Perspektive unseres persönlichen Vorteils beurteilten. Solche Engel sind wir Menschen aber nicht. Wie viel uns der Andere wert ist, hängt vor allem davon ab, ob er uns Gutes tut oder nicht. Was wir an alltagspraktischer Wertschätzung zustande bringen, ist viel egozentrischer als unsere Eitelkeit es ihrem Spiegel beichten mag.
Umso nützlicher wäre ein kulturell verankertes Weltbild, das den Wesenskern des Menschen in einem Selbst verortet, das allen ohne Unterschied gemeinsam ist. Jeder würde damit im Anderen sich selbst erkennen, was die Bereitschaft steigert, ihn zu respektieren. Dasselbe Denkmodell, das das individuelle Selbstwertgefühl dem Auf und Ab äußerer Einflüsse entzieht, ist zugleich Baustein einer Gesellschaftstheorie, die die biologisch fundierte Neigung, andere nur als Funktionen oder Hindernisse persönlicher Interessen zu betrachten, nicht durch spaltende Interpretationen verstärkt.
Plausibel geht auf das lateinische Verb plaudere = Beifall klatschen zurück. Im Applaus ist dieselbe Wurzel zu finden. Das WörterbuchHerkunftswörterbuch, Dudenverlag, 1989 übersetzt das Lehnwort plausibel mit den deutschen Begriffen einleuchtend, überzeugend, verständlich, triftig. Ein freies Wörterbuch im Internet https://de.wiktionary.org/wiki/plausibel, abgerufen am 20.08.2024 listet als sinnverwandte Wörter akzeptabel, annehmbar, begreiflich, einleuchtend, nachvollziehbar, überzeugend und verständlich auf. Triftig geht auf treffen zurück. Triftig meint zutreffend. Sind Argumente triftig, gibt es gute Gründe, sie als zutreffend zu betrachten.
Während jeder, der die Phantasie dazu hat, einen Mythos mit Eigennamen und angeblich historischen Ereignissen bestücken kann, ohne sich darum zu kümmern, ob triftige Gründe für dessen Wahrheitsgehalt sprechen oder nicht, ist der Entwurf eines transzendentalen Welterklärungsmodells, das die Zustimmung des Verstandes ermöglicht, weil es zumindest im Ansatz nachvollziehbar ist, ein Vorhaben, bei dem man mehr als nur eine Geschichte erfinden muss; und sich den mutwilligen Glauben an die eigene Geschichte als eine Tugend anrechnet, die angeblich zum Maßstab göttlicher Entscheidungen wird.
Ungeachtet dessen zielen beide Varianten beim Zuhörer auf das gleiche ab: Zustimmung. Während der Mythos in Ermangelung eigenständiger Überzeugungskraft darauf setzt, den Applaus von oben herab zu erzwingen, verweist die Plausibilitätsvariante auf die Möglichkeit, den Verstand bei der Wahrheitssuche einzusetzen und nur soweit zu applaudieren, wie es akzeptabel erscheint.
Eins ist klar: Fundament einer Theologie ist nicht ihre psychosoziale Funktion, sondern ihre transzendentale Begründung. Eine Theologie kann nicht glaubwürdig sein, wenn sie den Vorteil des Menschen zu ihrem Maßstab macht. Betrachtet man die Ausmaße des uns bekannten Universums, erscheint jeder Versuch des Menschen, sich selbst zum Maßstab zu machen, so naiv und vermessen, wie die Bewerbung einer Stubenfliege um die Leitung eines Raumfahrtunternehmens. Maßstab einer glaubwürdigen Theologie kann nur sein, was die Logik als potenziell wahre Aussage über ein potenzielles Jenseits der Raumzeit bereitstellen kann und, wofür sich gegebenenfalls durch Introspektion Indizien finden lassen.
Nachdem untersucht wurde, welche theologischen Grundaussagen sowohl dem Wohl des Individuums als auch dem Wohl der Gruppen, in denen es lebt, optimal angemessen sind, steht nun der Entwurf einer transzendentalen Theologie an, die auf die Zustimmung des Verstandes hoffen darf. Dazu wird, ausgehend von der sinnlich erkennbaren Wirklichkeit, mithilfe logischer Schlussfolgerungen auf jene Ebene extrapoliert, die als Ursprung und Anker unserer Welt möglich sein könnte.
Wir leben auf einer dualistischen Ebene der Wirklichkeit. Wir nennen sie Welt. Deren Struktur ist durch gegensätzliche Eigenschaften in ein verschachteltes Neben- und Nacheinander unzähliger Partikel unterteilt. Das Neben- und Nacheinander begründet ein ambivalentes Erfahrungsfeld, in dem Kooperation und Konkurrenz praktiziert und erlitten werden. Das Strukturprinzip dieser Ebene heißt Entweder-oder.
Wendet man die dualistische Logik des Entweder-oder auf die Gesamtheit dieser Ebene an, entspringt dem als Gegenpol die Vorstellung einer Ebene, die ihrerseits nicht in Dualismen unterteilt ist, sondern eine Einheit bildet. Im Gegensatz zur dualistischen Ebene ist die logisch erschlossene monistisch. Ihr Prinzip heißt Sowohl-als-auch.
Die sinnliche Wahrnehmung des Menschen ist auf Gegensätze ausgerichtet. Was nicht in Gegensätze unterteilt ist, ist uns sinnlich nicht erfahrbar. Der Gegenpol zu unserer Welt liegt jenseits unseres Wahrnehmungshorizonts. Wir nennen ihn Jenseits. Etymologisch entschlüsselt heißt Jenseits Einheit. Das Jenseits ist die Einheit, die dem Diesseits nicht topographisch, sondern logisch gegenübersteht.
Dass das Jenseits jenseits unseres Wahrnehmungshorizonts liegt, heißt nicht, dass es nur jenseits unseres Wirklichkeitsbereiches zu verorten wäre. Orte sind Positionen innerhalb dualistischer Felder. Das Jenseits ist dem Dualismus verschiedener Orte nicht unterworfen. Es befindet sich daher sowohl außerhalb unserer Welt als auch innerhalb. Die monistische Ebene der Wirklichkeit tritt sowohl örtlich als auch ortfrei auf. Da sie als Einheit alles umfasst, erstreckt sie sich in jeden Ort hinein, durch jeden Ort hindurch und über jeden Ort hinaus.
In einer Schublade mögen verschiedene Teile liegen. Legt der Besitzer der Schublade keinen Wert auf Ordnung, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Teile keine Ganzheit bilden. Teile, die zu keiner Ganzheit gehören, liegen ohne Beziehung nebeneinander. Sind sie aber Teile einer Ganzheit, sind ihre Existenzen sinnvoll aufeinander bezogen und miteinander verzahnt. Dem Teil im Ganzen kommen Sinn und Wert zu, Teilen jenseits davon nicht. Teile eines Ganzen sind auf das Ganze ausgerichtet und ihm zugehörig. Vom Ganzen aus betrachtet, kommt ihnen ein besonderer Wert zu, der nicht verloren gehen kann, weil die Ganzheit jedem Teil, aus dem sie besteht, einen Wert zuordnet, der seinerseits Komponente ihrer Ganzheit ist.
Nicht jeder Teil, aus dem die Ganzheit der Wirklichkeit besteht, litte darunter, wenn es sie nicht gäbe. Den meisten wäre das völlig egal. Der Mensch ist sich jedoch seines Daseins bewusst. Er fragt nach Sinn und Wert, weil er die Begrenzung seines Daseins erkennt und sich davor fürchtet, verlorenzugehen. Als Teil will er in einem Ganzen aufgenommen sein. Möge seine Frage bereits Teil jener Ganzheit sein, die seinem Dasein Sinn verleiht und den Wert, den er in ihr hat, unverlierbar in sich birgt.
Die dualistische Ebene der Wirklichkeit ist durch materielle Partikel zusammengesetzt, die in einem Raum angeordnet sind. Materielle Partikel sind Erscheinungsformen unterscheidbarer Eigenschaften, die man als Objekte gegeneinander abgrenzen kann. Der Gegenpol gegeneinander abgrenzbarer Objekte wäre kein logischer Gegenpol, wäre er seinerseits in abgrenzbare Objekte unterteilt. Seine Grundlage kann daher nicht materieller Natur sein. Wir schlussfolgern, dass das Wesen des Jenseits subjektiv ist.
Subjektivität ist uns als Element unserer Welt bekannt. Wir erleben sie als geistige Innenwelt unserer individuellen Präsenz. Als Individuen sind wir Objekte und Subjekte zugleich. Die Subjektivität, die wir als uns selbst bezeichnen, erscheint dabei von jener getrennt, die andere als ich selbst bezeichnen. Die Trennung wird durch die materielle Komponente unseres Daseins festgeschrieben. Woran ich mich erinnere, ist etwas anderes als das, woran Sie sich erinnern. Erinnerungen werden im Hirn gespeichert. Das Hirn ist ein materielles Objekt. Was ich jetzt sehe, ist etwas anderes als das, was Sie jetzt sehen. Unser Bewusstsein ist auf die Erhaltung eines Körpers zugeschnitten. Es zeigt einen Ausschnitt der Wirklichkeit, mit dem eine bestimmte Person etwas anfangen kann.
Subjektivität ist von Materialität zu unterscheiden. Materie ist durch Eigenschaften festgeschrieben. Das Wesen der Subjektivität ist nicht in Eigenschaften eingegrenzt, sondern durch Vermögen zur Freiheit entbunden. Das Objekt ist. Das Subjekt kann. Subjekte können:
Die Fähigkeit menschlicher Subjekte, sich Dank subjektiver Vermögen zur Freiheit zu entbinden, sind eingeschränkt. Die Einschränkung erfolgt durch das, was die materielle Basis des menschlichen Körpers ausmacht. Körper sind Einschränker der Subjektivität. Körper verengen das Fenster, durch das Subjektivität die Wirklichkeit wahrnimmt, auf den jeweiligen Rahmen, den ihre Struktur freigibt. Wale spüren Magnetfelder. Wir nicht. Schlangen sehen Wärme. Wir nicht. Wir erkennen, dass die Summe der Winkel innerhalb eines Dreiecks 180 Grad ist. Schlangen nicht.
Dem Gegenpol jeweils eingeschränkter und voneinander unterscheidbarer, also relativer Subjekte, entspricht die Vorstellung eines Absoluten Subjekts, dessen Fähigkeiten unbedingt sind. Unbedingt heißt: Sie sind weder durch Bedingendes noch durch Begrenzendes einschränkt. Da einer solchen Subjektivität Unbegrenztheit zuzumessen ist, kann es sie nur einmal geben. Gäbe es mehrere absolute Subjekte, stünde das eine dem anderen als Begrenzung entgegen. Sie wären wechselseitig füreinander Objekte; und somit nicht absolut. Das Absolute Subjekt verwirklicht Subjektivität als reines Prinzip.
Geschieht er schon oder wird er geschehen
Kann es sein, dass eine absolute Instanz Absichten verfolgt, die mit konkurrierenden Absichten anderer Instanzen kollidieren? Kann es sein, dass das Absolute zwar etwas will, dass sein Wille aber nicht geschieht, weil dessen Verwirklichung durch gegenläufige Bestrebungen vereitelt wird?
Erst, wenn man die dualistische Spaltung zwischen absolut und relativ hinter sich lässt, erkennt man, dass der Himmel nicht für das Gute und Böse verantwortlich ist, das uns geschieht. Der Himmel hat seine Pflicht erfüllt, indem er über Wahr und Unwahr entschieden hat. An uns liegt es, im Widerstreit konkurrierenden Absichten zu entscheiden, was für uns das Gute ist. Auch wenn wir dabei in die Irre gehen, entspricht das dem, was das Absolute will. Was das Absolute will, heißt Freiheit. Die Freiheit, die das Absolute will, ist keine Knechtschaft, die es aufzwingt.
Logisch ist dem Absoluten Subjekt Unbegrenztheit zuzugestehen. Der Entwurf eines transzendentalen Welterklärungsmodells setzt als Hypothese den Glauben voraus, dass die Logik überhaupt imstande ist, einen wahrheitsgemäßen Entwurf zum Verweis auf eine solche Ebene zu erstellen. Dass der logischen Schlussfolgerung, dem Absoluten Subjekt sei Unbegrenztheit, also Allfreiheit zuzugestehen, eine Wirklichkeit zugrunde liegt, in der das Absolute Subjekt nicht nur Entwurf, sondern wahr ist, ist letztendlich eine Frage des Glaubens. Der Glaube an die Wirklichkeit des Absoluten Subjekts ist eine Frage der Plausibilität. Entscheidet man sich, sie zu bejahen, kommt man zum Schluss, dass die Grundlage der Wirklichkeit geistiger Natur ist.
Aus monistischer Sicht sind Sinn und Unsinn nicht als starre Gegensätze unterschieden. Sie unterliegen einer Relation, die der festen Bestimmbarkeit beider die Freiheit belässt, ineinander überzugehen.
Eingeschränkte Subjekte, wie wir welche sind, tun jedoch gut daran, die Einschränkung, die uns die Wirklichkeit mit unserem Platz auf der dualistischen Ebene zugewiesen hat, nicht übermütig zu verwerfen. Für uns ist die Unterscheidung von Sinn und Unsinn Garantie dafür, nicht im Unsinn verlorenzugehen. Nur das Absolute Subjekt kann gefahrlos auf die Unterscheidung verzichten.
Dem Vorsatz, ein transzendentales Welterklärungsmodell zu entwerfen, liegt der Glaube zugrunde, dass er überhaupt Sinn macht. Sinn macht er nur, wenn das Primat der Wirklichkeit geistiger Natur ist. Schon in der Wortwahl - transzendental - ist implizit eine Ebene mitgedacht, die jenseits der dualistischen liegt und der sich das Interesse zuwendet. Das Interesse wendet sich dieser Ebene in der Hoffnung zu, hinüberzuschreiten und willkommen zu sein.
Wenn uns die Logik dahin führt, die Wirklichkeit eines Absoluten Subjekts für plausibel zu halten, schließt sich der Kreis; und nur weil er sich schließt, macht es Sinn, den Entwurf eines transzendentalen Welterklärungsmodells fortzusetzen.
Es selbst ist das, was unbedingt ist. Gestalten, die nur als Wirkung von Kräften entstehen, deren Ausgangspunkt außerhalb ihrer Grenzen liegt, sind nicht sie selbst, sondern Erscheinungsformen dessen, was sie hervorbringt; ohne eigenständige Identität. So sind Kunstwerke gestaltete Formen, deren Ausgangspunkt im Schaffensdrang des Künstlers liegt. Kunstwerke haben aber kein eigenes Selbst. Das Selbst ist das, was von keinen Bedingungen abhängt. Was von Bedingungen abhängt, ist nur in dem Sinne es selbst, wie es Erscheinung dessen ist, was sein tatsächliches Selbst ausmacht.
Der Begriff selbst kann in zwei Varianten verwendet werden:
zur Bezeichnung dessen, was die Person als jenen Ausschnitt der Wirklichkeit bezeichnet, als den sie sich selbst definiert. Der jeweilige Zustand dieses Innenbereichs hängt von den ständig wechselnden Bedingungen ab, in die die Person eingebettet ist. Der Ausschnitt kann als relatives Selbst bezeichnet werden. Relativ heißt abhängig von Bedingungen.
Die Definition des relativen Selbst ist eine Arbeitshypothese, die das Individuum dazu nutzt, um sich im Erfahrungsfeld der Gegensätze zurechtzufinden. Die Definition der Arbeitshypothese ist sowohl nützlich als auch notwendig. Zugleich ist sie immer vorläufig. Sie läuft vor, um das Terrain zu erkunden und verändert sich, sobald das Individuum bei der Erkundung des Terrains auf Bedingungen stößt, die die vorläufige Definition seiner selbst mit anderen Inhalten füllt.
Das relative Selbst ist Resultat einer Identifikation. Identifizieren heißt gleichsetzen. Durch Identifikation erklärt sich das Individuum zu dem, womit es sich urteilend gleichsetzt. Da es das, was sich gleichsetzt, vor dem Akt der Gleichsetzung bereits als das gegeben haben muss, was es tatsächlich ist, muss es eine tatsächliche Identität der sich gleichsetzenden Instanz geben. Die Gleichsetzung ist sekundär. Die Identität ist primär. Die Identität entspricht dem tatsächlichen Selbst, das der Person unabhängig von ihren Urteilen vorgegeben ist.
Die tatsächliche Identität des Individuums liegt in dem, was unabhängig von veränderlichen Inhalten das ist, was es ist. Wenn das Individuum überhaupt eine echte Identität hat, muss sie außerhalb dessen liegen, was der Zeit unterliegt.
Selbstfindung ist ein seelischer Prozess aus zwei komplementären Komponenten:
Im Laufe der Erkundung des Terrains befreit sich das Ich von jenen Identifikationen, die von jeweils vorübergehenden Bedingungen bestimmt werden. Es befreit sich von dem, woran es sich bislang festhielt. Zielpunkt ist reine Identität ohne das Beiwerk des bloß Gleichgesetzten. Zielpunkt der Religion ist die Befreiung des religiösen Menschen zu sich selbst. Methode der Religion ist die Erkenntnis des Menschen, was er nicht wirklich ist. Resultat der Religion ist die Bereitschaft des Menschen, zu sein, was er tatsächlich ist.
Das Individuum ist das Unteilbare. Der Begriff ist eine Zusammensetzung des lateinischen Verbs dividere = teilen und dem Verneinungspartikel in. Offensichtlich meint der Begriff etwas anderes als die Person. Die Person ist ein Konstrukt aus verschiedenen Komponenten: dem Körper, der Psyche und deren Inhalten. Die Person ist sehr wohl teilbar. Sie kann ein Glied verlieren oder Gedächtnisinhalte können durch Vergessen verlorengehen.
Ungeachtet dessen, was dem Körper einer Person nach einem Unglück fehlen mag, bleibt ihre Individualität erhalten. Oben haben wir gesehen, dass die Identität des Individuums in dem verankert ist, was außerhalb der Zeit liegt. Das Individuum ist daher nicht nur in seiner diesseitigen Existenz unaufgeteilt, es ist auch von der monistischen Ebene des Jenseits unabgeteilt; und sogar unabteilbar.
Abgeleitet von Individuum gibt es das Adjektiv individuell. Man sagt:
Individuell heißt: besonders, einzigartig, spezifisch, unverkennbar, unaustauschbar. Dass derartige Qualitäten mit dem Individuum, also dem unteilbar Unabgeteilten in Verbindung stehen, ist bemerkenswert. Es ist bemerkenswert, weil die Einzigartigkeit des Individuums auf seine Verwandtschaft mit der Einheit des Jenseits und der Ganzheit der Wirklichkeit verweist. Die Unaufteilbarkeit des Einen, das dem Universum logisch vorangeht und ihm zugrunde liegt, scheint sich in der Individualität von dessen Bewohnern wiederzufinden. Wahrscheinlich ist es so: Individuen sind nicht das Absolute Selbst, aber sie bestehen aus ihm. Sie stimmen daher mit ihm überein, wenn sie sich ihm anvertrauen. Das wiederum heißt: Sie stimmen mit ihm überein, sobald sie sich ihrer Individualität anvertrauen.
Auf der dualistischen Ebene ist das Individuum Widerständen und Gefahren ausgesetzt. Das führt dazu, dass es sich oft untreu wird. Es greift nach Vorteilen, die nur durch Untreue erreichbar sind. Dazu kommt, dass Individuen dem Druck derer ausgesetzt sind, die ihrer eigenen Individualität ebenfalls untreu sind. Wer sich untreu ist, verleitet andere dazu, es ebenso zu sein; weil die eigene Untreue schwerer zu ertragen ist, wenn sich die Treue anderer davon abhebt. Die Übereinstimmung menschlicher Individuen mit dem Absoluten ist daher in der Regel gestört.
Untreue und Verführung
Oft ist sich der Mensch nicht bewusst, dass er seiner Individualität untreu ist. Oft passt er sich eilfertig äußeren Vorgaben an, um Konflikte zu vermeiden. Oft läuft er mit, in der Hoffnung, dass andere den Weg schon kennen. Die Untreue zur eigenen Individualität wird aber mit einem Unbehagen erkauft, das nicht nur die Beziehung zu anderen Menschen stört, sondern auch die zu sich selbst.Treu ist mit dem Verb vertrauen verwandt. Wir vertrauen dem, der uns treu ist. Wir büßen an Selbstvertrauen ein, wenn wir uns selbst untreu sind. Fehlendes Selbstvertrauen führt zu verstärkter Lebensangst. Angst lässt uns nach Verbündeten suchen, die uns an unserer Stelle treu sind. Zwei Gründe sind erkennbar, auch andere zu verleiten, sich untreu zu sein.
Wenn andere denselben Weg gehen wie wir, fühlen wir uns sicherer.
Wer versucht, mit dem Absoluten übereinzustimmen, kann den Weg nicht willkürlich wählen. Er kann nur den Weg gehen, der ihm und nur ihm durch seine individuelle Position in der Welt vorgezeichnet ist. Vorgezeichnet ist der Weg durch das relative Selbst dessen, der ihn sucht. Der Weg kann nicht durch einen anderen führen. Er muss nach innen gehen. Wer sagt: Niemand findet den Weg, außer durch mich, führt in die Irre. Ihr Weg führt durch Sie.
Mythologische Theologien beschreiben Gott als Person. Die Problematik dieses Entwurfs wird durch einen Vergleich der Begriffe Person und Individuum erkennbar. Im Alltag werden Person und Individuum meist synonym verwendet. Tatsächlich beschreiben die Begriffe aber verschiedene phänomenologische Einheiten.
Wir erinnern uns:
Während sich der Begriff Individuum mit dem unverlierbaren Merkmal einer echten Einheit befasst, nämlich ihrer Unteilbarkeit, setzt Person bereits eine Teilung voraus. Personen wenden sich einander zu, um über die Grenze, die sie trennt, hinweg, aufeinander Einfluss zu nehmen.
Geht man davon aus, dass die dualistische Ebene des Diesseits einem Absoluten Subjekt zugeordnet ist, das alles umfasst, erkennt man das Problem, das die Vorstellung einer Gottesperson, und aller daraus folgenden Konsequenzen, mit sich bringt.
Aus der Perspektive eines Absoluten Subjekts sind Personen keine eigenständigen Entitäten, von denen es etwas anders wollen könnte, als das, was sie bereits sind. Für das Absolute macht es keinen Sinn, von anderen etwas zu erwarten, weil es aus seiner Sicht keine anderen gibt. Aus Sicht des Absoluten ist jedes Individuum, das sich im dualistischen Erfahrungsfeld als Person verhält, bereits das, was es sich darunter vorstellt. Mehr noch: Es ist nicht nur das, was es sich darunter vorstellt. Es ist die Vorstellung selbst.
Wenn wir uns etwas vorstellen, besteht die Vorstellung als virtuellen Bildern. Wenn sich das Absolute etwas vorstellt, kann die Vorstellung aus materieller Wirklichkeit bestehen. Im Falle unseres Universums scheint das der Fall zu sein. Der Urknall war die Zustimmung des Absoluten zu einem Weltentwurf, in dem wir über das Absolute und unseren Bezug dazu nachdenken.
Die Assoziation springt über Abgründe hinweg, die sie spurlos verschlucken könnten. Selbst, wenn es so wäre, ist der Sprung amüsant: Auch in Explosion findet man das lateinische Verb plaudere, dem wir bei der Besprechung der Plausibilität begegnet sind. Sollte der Urknall tatsächlich einem Applaus entsprechen, so sehen wir es dem Absoluten in Anbetracht der Großartigkeit des Universums nach, dass es den Stapellauf des eigenen Entwurfs beklatscht. Wem sonst sollte es auch zu einer Leistung gratulieren, die nur ihm gelingt? Papperlapapp! So denken nur Partikel. Das Eine braucht keinen Beifall, den es sich zollt. Den zollen nur wir. Nicht weil wir müssen, sondern weil es uns guttut.
Das Bild einer Person stammt jedoch aus unserer Erfahrungswelt. Es ist von den wechselseitigen Wünschen, Begierden, Erwartungen und Forderungen geprägt, die Personen aneinander richten. Ein Wunsch spielt dabei eine große Rolle: Personen wollen von anderen als wertvoll anerkannt werden. Geliebt zu werden ist eine Sehnsucht ausgesetzter Partikel, die sich Schutz und Anerkennung wünschen. Bleibt die Anerkennung aus, fühlt sich das unbehaglich an, oder man wird sogar wütend.
Konzipiert man die höchste Ebene der Wirklichkeit als Gottesperson, schreibt man dem Absoluten analoge Motive zu. Prompt ist ein Gott entworfen, der Beifall heischt und jede Gewalt rechtfertigt, mit der sein Anspruch, anerkannt zu werden, zu erzwingen ist.
Wer Gott als Anbetung forderndes Gegenüber betrachtet, vertieft die dualistische Spaltung seines Weltbilds. Aus den Reihen derer, die die Anbetung des Anbetung fordernden Gottes fordern, stammen denn auch jene, die die Spaltung der Menschheit im vermeintlichen Auftrag ihres Gottes durch Mord und Totschlag vertiefen. Die Spaltung des Weltbilds, die dem Konzept einer Gottesperson inneliegt und die Spaltung der Menschheit verstärken sich wechselseitig.
Harmlos erscheint im Vergleich dazu die Vorstellung, man erweise Gott einen Dienst, wenn man ihm die Anerkennung seiner Vormacht, die er angeblich fordert, durch Lobpreis zukommen lässt. Gewiss weiß ein allwissender Gott um die Unantastbarkeit seiner Position und die Qualität seiner Schöpfung, sodass ihm die Zusicherung seiner Geschöpfe nichts hinzufügt, was er ohne deren Zustimmung entbehren würde. Insofern kann ihm die Anbetung zu nichts dienen, worüber er ohne sie nicht ohnehin verfügt.
Offensichtlich stecken hinter dem Lobpreis egozentrische Motive. Er dient nicht Gott, sondern den Lobpreisenden. Er dient den Lobpreisenden dazu, sich das Wohlwollen der Allmacht zu sichern. Psychologisch betrachtet, ist die Vorstellung eines Gottes, der sein Wohlwollen vom Lob abhängig macht, das man ihm zukommen lässt, als Projektion menschlicher Wünsche erkennbar. Man lobpreist, weil man glaubt, für den Lobpreis gelobt zu werden. Die Absicht, Gott dergestalt zu dienen, käme ohne den Eigennutz seiner Diener nicht auf.
Im intellektuellen Kosmos des personalisierten Gottesbilds wird Eigennutz aber so gründlich zum Gottesdienst verklärt, dass sich die Teilnehmer eines Gottesdiensts nach vollstrecktem Ritual für selbstlos und vom Eigennutz gereinigt halten. Nicht dass der Eigennutz des Einzelnen grundsätzlich eine Sünde wäre, die vollständig aus der Welt zu schaffen ist, um übler Strafe zu entgehen. Ihn zu verleugnen, bahnt jedoch ein Selbstbild, das den Fakten widerspricht. Das nützt weder Gott noch den Eigennützigen tatsächlich. Was dem Eigennützigen tatsächlich etwas nützt, ist das Eingeständnis, im Eigennutz gefangen zu sein.
Ohne Selbstbetrug kann man Gottesdienst und Eigennutz nur dann verbinden, wenn man über das personalisierte Gottesbild hinausgeht und das Absolute als das eine Selbst betrachtet, das das Prinzip der Subjektivität verwirklicht. Da ein solches Subjekt jeder Person und deren Eigennutz zugrunde liegt, muss er nicht verteufelt und verborgen werden. Es reicht, ihn so ins Ganze einzubetten, dass er die Präsenz des Ganzen im Partikel nicht verdunkelt.
Die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes (Theodizee: griechisch theos [θεος} = Gott und dike [δικη] = Gerechtigkeit) ist ein ungelöstes Problem der abrahamitischen Theologie. Seine scheinbare Unlösbarkeit ist Folge der irrtümlichen Definition des Göttlichen als allmächtige Person. Tatsächlich ist eine allmächtige bzw. allwissende Person jedoch keine Realität, sondern ein menschlicher Wunschtraum, in den er sich vor einer beängstigenden Wirklichkeit flüchtet.
Subjekt und Objekt
Personen sind begrenzt. Somit sind sie Objekte. Objekte werden durch Eigenschaften festgelegt. Eigenschaften machen Objekte zu dem, was sie sind: hart, weich, rund oder eckig. Für Objekte gibt es Vorgaben: Eine Gabel hat Zinken. Hat sie keine Zinken mehr, weicht sie von dem ab, wie sie sein sollte. Dinge, die Eigenschaften haben, sind vergleichbar; mit ähnlichen Dingen oder einem Soll, das ihrer Definition entspricht.
Definiert man das Göttliche als Person, setzt man es mit einem Objekt gleich. Wäre es ein Objekt, könnte man ihm Eigenschaften zuordnen, die sein ordnungsgemäßes Sosein festlegen. Man könnte sagen: Gott wird erst dann seinem Wesen gerecht, wenn er gerecht ist.
Erkennt man an, dass das Göttliche kein Objekt, sondern Subjekt ist, wird klar, dass die Frage nach seiner Gerechtigkeit ins Leere läuft. Die Begriffe gerecht und ungerecht bezeichnen Eigenschaften. Das Subjekt wird aber durch keine Eigenschaften zu dem gemacht, was es ist. Da das Subjekt keine Eigenschaften hat, ist es nicht vergleichbar; weder mit einem Soll, das es angeblich zu erfüllen hat, noch mit etwas, das ihm ähnelt. Das Göttliche ist einzigartig. Ihm ähnelt nichts.
Logischerweise wird nach der Gerechtigkeit Gottes nur dann gefragt, wenn etwas zu Unrecht erlitten wird. Hält jemand mutwillig die Hand ins Feuer, obwohl er weiß, dass er sich verbrennen wird, lastet niemand den Schmerz dem Himmel an. Jeder sagt: Da ist er selbst dran schuld.
Die Frage, wem die Schuld an einem Leid anzulasten ist, wer also dafür verantwortlich ist, für das Ende des Leidens zu sorgen, macht nur auf jener Ebene der Wirklichkeit Sinn, die in Gegensatzpaare, und damit Objekte aufgefächert ist.
Wohlgemerkt
Umgangssprachlich werden Realität und Wirklichkeit meist synonym gebraucht. Sie sind es nicht. Der Begriff Realität geht auf lateinisch res = Sache, Ding zurück. Die Realität entspricht der dualistischen Ebene, auf der unterschiedliche Gegenstände erscheinen, die in ein Netzwerk konkreter Gesetze eingebunden sind. Wirklichkeit umfasst mehr. Wirklichkeit ist das Reich jener Kräfte, die tatsächlich etwas bewirken. Man sagt: Die Sonne wärmt mich; so als täte sie etwas. Tatsächlich tut die Sonne selber aber nichts. Sie ist, wozu sie durch Naturgesetze gezwungen wird: wärmend. Die Wirkung der Sonne entspringt nicht ihr selbst, sondern Ursachen, die sie erscheinen ließen und jetzt scheinen lassen. Auch ein Berg ist keine Person. Niemand, der bei Verstand ist, lastet ihm an, dass er einen Schatten wirft.
Zurück zur Schuld: Damit der eine dem anderen etwas schulden kann, muss es zwei geben, die sich voneinander unterscheiden. Schuld setzt Dualität voraus; tatsächlich also separate Personen, von denen eine gegenüber einer anderen zu Recht Ansprüche erhebt.
Die Versuchung des Menschen, irdische Missstände einem Gott anzulasten, der trotz Allmacht und Allwissen Böses zulässt, ist das Produkt eines dualistischen Konkretismus, der sich das höchste Prinzip irrtümlicherweise als Person vorstellt, die für Wohl und Wehe anderer Personen zuständig ist.
Das Böse, über das sich der Mensch zu Recht beklagen mag, ist jedoch eine Konsequenz, die untrennbar mit den Existenzbedingungen seines Daseins verbunden ist.
Der Mensch, in seiner Eigenart als kreatürliches Objekt, ist ein winziger Partikel in einem übermächtigen Erfahrungsfeld, das ihn der Vergänglichkeit unterwirft. Als biologischer Partikel lebt er in der Angst vor seinem Untergang. Aus der Angst heraus versucht er, sich durch Expansion zu stärken. Er versucht, sich etwas anzueignen, um die Balance zwischen sich und der drohenden Übermacht zu seinen Gunsten zu verschieben. Wenn sich Milliarden fast ohnmächtiger Partikel, ermächtigen wollen, indem sie sich von den begrenzten Gütern des Raums, in dem sie leben, möglichst viel aneignen, geraten sie in Konflikt. Die Rivalität, die der Angst vor dem eigenen Untergang entspringt, bringt notgedrungen das Böse hervor. Das Böse ist die Bereitschaft, sich auf Kosten anderer zu stärken; ohne dabei auch deren Wohl im Auge zu behalten. Je größer die Angst (indoeuropäisch anĝh = einengen), desto gründlicher blendet die Verengung des Sehfelds auf die eigene Rettung das Wohl anderer aus. Bricht in einem engen Raum Feuer aus, trampelt man panisch über Schwächere hinweg.
Personen sind Partikel. Überwindet man die archaische Vorstellung einer Gottesperson, löst sich die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes in Luft auf. Wo es keine separate Person gibt, der gegenüber andere Personen Ansprüche erheben können, gibt es auch keinen Rechtsfall, bei dem ein Unrecht der Aufklärung bedürfte.
Das Absolute Subjekt hat über Wahr und Unwahr entschieden. Wahr ist, dass menschliche Partikel dazu neigen, im Eifer ihrer Selbstermächtigung einander Böses anzutun. Wie der Mensch mit dem Bösen umgeht, das er von seinesgleichen erleidet und das er selbst verübt, ist jedoch nicht Sache eines Gottes, sondern Aufgabe des Menschen selbst; weil Recht und Schuld nur eine Bedeutung haben, wo zwei einander begegnen. Dem Absoluten Subjekt begegnet der Mensch nicht. Er wird von ihm durchdrungen. Indem er durchdrungen wird, fallen ihm Aufgaben zu, die er an Stelle des Absoluten zu lösen hat.
Was der Mensch unter Gerechtigkeit versteht, ist ein Merkmal interpersoneller Bezüge. Die Definition einer derartigen Gerechtigkeit ist ein Instrument, um Gemeinschaften zu gestalten. Der Mensch legt fest, was in der Gemeinschaft zu seinesgleichen als gerecht gilt.
Das Absolute ist kein Partikel. Das Absolute ist Einheit. Gut ist, was zur Einheit passt (indoeuropäisch ghedh- = zusammenfügen). Einheit ist die Versammlung des Guten an sich. Das Gute an sich liebt bedingungslos. Sein Wesen besteht nicht darin, Unterschiedliches unterschiedlich zu lieben, oder gar zu hassen, um einer Gerechtigkeit im Sinne menschlicher Personen gerecht zu werden.
Wahr ist, dass es Böses gibt. Das Böse muss aber vorübergehen, weil es nicht zur Einheit findet, die das Gute zu sich zusammenfügt. Das Böse geht am Ganzen vorbei. Es irrt umher. Es bleibt so lange auf der Suche nach einem Ort, an dem es bleiben kann, bis es sich in etwas Gutes verwandelt hat.
Wahr ist auch, dass der Mensch entdecken kann, dass er dem absolut Guten angehört. Wer versteht, dass er dem absolut Guten angehört, verliert die Angst vor seinem Untergang, und damit den Ursprung seiner Bereitschaft, Böses zu tun. Liebe steht nicht über der Wahrheit. Sie ist Ausdruck und Folge von deren Erkenntnis. Wer die Angst vor seinem Untergang verliert, findet sich selbst im endgültig Guten wieder.
Geht man davon aus, dass die Grundlage der Wirklichkeit subjektiver Natur ist und daher alles umfasst, ist zu beantworten, wie man sich das Verhältnis von Subjekt zu Objekt vorstellen kann.
Zuordnungen
Subjekt | Objekt |
Geist | Materie |
Fähigkeiten | Eigenschaften |
nimmt wahr, bewirkt | gibt etwas vor, begrenzt |
Objekte werden durch ihre Eigenschaften bestimmt. Eigenschaften sind Vorgaben. Sie geben vor, wie das Objekt ist und welche Grenze es in der Wirklichkeit setzt. Objekte übermitteln Vorgaben.
Subjekte sind dazu fähig, etwas zu erkennen und etwas zu bewirken. Das gilt für das Absolute Subjekt und es gilt für relative Subjekte, die als Emanationen des Absoluten in Erfahrungsfelder hinaus existieren, die in der Seinsform des Existierens erfahren werden. Existenz heißt herausragen aus und hineinragen in. Hineinragen heißt Begrenzung erfahren. Aus der Freiheit herausragen, heißt Freiheit verlieren.
Das Prinzip des Objekts ist begrenztes Dasein.
Das Prinzip des Subjekts ist unbegrenzte Freiheit.
Tatsache ist, dass wir Objekte sind, die wahrgenommen werden können. Tatsache ist ebenfalls, dass das Objekt, als das wir anderen begegnen, von einer Subjektivität begleitet wird, die es uns ermöglicht, unsererseits Objekte wahrzunehmen und etwas zu bewirken. Wir haben bereits abgeleitet, dass es ein Subjekt als echte Instanz nur einmal geben kann, weil ein zweites das erste zu einem Objekt machen würde. Wir gehen daher davon aus, dass jede Subjektivität, die im Universum wirkt, einem einzigen Subjekt zuzuordnen ist, sodass sich alle relativen Subjekte auf ein Absolutes beziehen; so, wie jeder Raum zur Unendlichkeit und jede Sekunde zur Ewigkeit gehört.
Da kommen Fragen auf:
Wir wissen, dass sich jeder Einzelne nur eines Ausschnitts der Wirklichkeit bewusst ist. Wir wissen, dass der Ausschnitt winzig ist. Wir wissen auch, dass andere Spezies, zum Beispiel Bienen, Falter und Tauben, Elemente der Wirklichkeit wahrnehmen, die unserer Wahrnehmung verborgen sind: ultraviolettes Licht, Pheromone oder Magnetfelder.
Das Wahrnehmungsfester, das einem Lebewesen offensteht, hängt offensichtlich von der Struktur der Materie ab, aus der sein Körper zusammengesetzt ist. Zwei Interpretation sind möglich:
Wahrnehmungsfähigkeit, also Subjektivität, wird durch die Konstruktion des Objekts erzeugt, sodass sie eine sekundäre Begleiterscheinung der Konstruktion ist.
Gehen wir davon aus, dass das Absolute Subjekt alles umfasst, dann entsprechen die Eigenschaften der Objekte dem, was es sich darunter vorstellt; und gewiss kann es sich vorstellen, wie es wäre, nicht allem gewahr zu sein, sondern nur eines winzigen Ausschnitts. Das Erfahrungsfeld der Milliarden Objekte wäre Ausdruck der Tatsache, dass das Absolute Subjekt nicht nur weiß, wie es ist, alles zu sehen, sondern nur so viel zu erfahren wie ein Stein, ein Mensch oder ein Schmetterling.
Sollte es ein Absolutes Subjekt sein, das seine Fühler als relative Subjektivität in uns ausstreckt, griffe es nicht nur manchmal, sondern ständig ins Diesseits ein; und auch nicht nur durch ein paar Auserwählte, sondern durch jeden, indem es als Tor seiner Eingriffe die Entscheidungsfreiheit nutzt, die es Komponenten des Diesseits jeweils zuweist; eine Entscheidungsfreiheit, die die Komponenten erweitern können, falls ihnen die Kompetenz zur Erweiterung ebenfalls anvertraut ist. Für das Absolute Subjekt gibt es keinen Anlass, anders in die Wirklichkeit einzugreifen, als durch die Entscheidungsfreiheit, über die es als Vielzahl relativer Subjekte verfügt. Der sogenannte Wille Gottes ist in die Gesetzmäßigkeiten der Wirklichkeit eingebaut, sodass Eingriffe darüber hinaus überflüssig sind.
Nicht nur, dass der Mensch um Freiheit ringen müsste, er ist auch dazu verurteilt. Er ist dazu verurteilt, als winzige Emanation des Absoluten Subjekts für den winzigen Ausschnitt der Wirklichkeit verantwortlich zu sein, den der Horizont seiner Entscheidungsfreiheit umfasst.
Subjekt geht auf lateinisch sub-iacere = darunter werfen zurück. In der Tat: Als relative Subjekte sind Personen einer Wirklichkeit unterworfen, die ihre Freiheit durch die Objektivität konkreter Grenzen einschränkt. Dem Subjekt in der Person ist die Freiheit gegeben, etwas auf Grundlage eigener Wahrnehmung und eigenen Gutdünkens zu bewirken. Im Vergleich zur Wirklichkeit, auf die sie einwirken kann, ist die Freigabe jedoch winzig. Das erklärt, warum die Person ihre eigene Subjektivität vor allem als Unterworfenheit empfindet und Objektives als Macht. Bis ins 19. Jahrhundert bezeichneten weltliche Machthaber ihre Untertanen als "Subjekte"siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Untertan.
In eschatologischer Hinsicht hat das Daruntergeworfene jedoch einen anderen Wert. Was darunter geworfen ist, wird zur Grundlage all dessen, was darauf aufbaut. Aus dieser Perspektive ist Subjektivität keine Knechtschaft. Im Gegenteil: Weil das Subjekt Grundlage all dessen ist, was auf seiner Präsenz aufbaut, ist es der eigentliche Bestimmer der Wirklichkeit, die ohne es nicht existieren könnte. Das grundlegende Wesen der Subjektivität ist endgültig. Es kommt als Absolutes Subjekt zur Geltung. Das Absolute Subjekt bestimmt die Wirklichkeit durch seine Präsenz in all dem, was sich auf Grundlage dieser Präsenz verwirklichen kann. Das beiläufige Wesen der Subjektivität ist vorübergehend. Es tritt als relatives Subjekt in Erscheinung. Als relatives Subjekt erleidet das Absolute die Macht, die es hat.
Das Haus ist, heißt im Haus ist Präsenz. Die Grundlage der Wirklichkeit ist Präsenz. Präsenz ist die Zugewandtheit eines erkennenden Subjekts. Das Absolute Subjekt erschafft die Welt, indem es sie erkennt und damit als Erscheinung anerkennt. Was aus dualistischer Perspektive als erschaffen erscheint, entspricht in monistischer Einheit reiner Erkenntnis. Erkenntnis ist hier nicht als Ereignis gedacht, das in einer Zeit geschieht. Erkenntnis verweist auf das Vermögen des Absoluten Subjekts die Welt zu verwirklichen, indem es weiß, dass es sie gibt. Die Substanz des Relativen ist das Wissen des Absoluten, dass es Relatives anerkennt. Das Haus entsteht, indem wir es erbauen. Die Welt entsteht, indem das Absolute Subjekt sie erkennt.
Physikalisch betrachtet ist Materie extrem verdichtete Energie (E = mc2). Ontologisch betrachtet sind Objekte extrem verdünnte Subjektivität. Es mag daher sein, dass das Selbst des Tropfens dasselbe Selbst wie das Selbst des Ozeans ist, man sollte Tropfen und Ozean aber nicht verwechseln. Im Tropfen gibt es keine Wale. Obwohl das relative Subjekt aus Absolutem besteht, ist das Gefälle extrem.
Relative Subjekte sind extrem engen Beschränkungen unterworfen, die die Objekte vorgegeben, denen sie faktisch begegnen und an die sie gebunden sind. Zu den Beschränkungen relativer Subjekte gehört es, durch Vorstellungen allein nichts verwirklichen zu können. Auch wenn Personen dem winzigen Horizont ihrer Befugnis durch den Glauben zu entfliehen versuchen, dass ihr Glaube Berge versetzt, ist das eine Illusion. Objekte durch geistige Akte zu bestimmen, ist reiner Subjektivität vorbehalten. Der Mensch kann tun, was er tatsächlich zu tun imstande ist. Was das ist, hängt davon ab, was er weiß; nicht was er glaubt.
Die Lehre, die die Macht verheißt, durch Glaube Berge zu versetzen, ist zugleich die Lehre, die blinden Gehorsam verlangt. Die Verheißung, durch Glaube die Macht zu erlangen, wie ein Gott über Objekte zu herrschen, kann dazu verlocken, der Lehre bedingungslos gehorsam zu sein.
Oben hieß es, Zeit sei eine subsumierende Abstraktion der Veränderlichkeit in einem Geist, der die Veränderlichkeit wahrnimmt.
Wir wissen, dass aus unserer Sicht Objekte veränderlich sind. Das Tempo ihrer Veränderungen hängt von objektiven Bedingungen ab, die gegebenenfalls auch chemische Reaktionen, biologische Prozesse und psychologische Erscheinungen umfassen.
Offensichtlich ist objektive Zeit an Objekte gebunden. Gäbe es keine Objekte, die sich verändern, gäbe es auch keine objektive Zeit, die man feststellen könnte. Im Grunde ist eine Uhr ein Objekt, das die Veränderung anzeigt, der es selbst unterworfen ist. Daher hat es Zeiger. Die Präsenz seiner Zeiger verweist auf ein wahrnehmendes Subjekt, das die Veränderung des Objekts am Stand der Zeiger abliest.
Ungeachtet des objektivierbaren Tempos zeitgebundener Prozesse der physikalischen Wirklichkeit, ist das subjektive Erleben der Zeit unterschiedlich. Mal vergeht die subjektiv erlebte Zeit wie im Fluge, sodass sie uns kurz erscheint. Dann kriecht sie dahin, sodass wir unter ihrer Länge stöhnen. Welche Bedeutung Zeit für es hat, hängt von der Position des Subjekts gegenüber den Inhalten ab, die es wahrnimmt.
Wendet sich das Subjekt Inhalten, die in seinem Blickfeld erscheinen, vollständig zu, fokussiert sich es sich so auf den Moment, der sie enthält, dass ihm die Zeit kurz erscheint; oder es sie sogar ganz vergisst. Zeit spielt in einem Bewusstsein, das nirgendwohin will, sondern zustimmend bleibt, wo es ist, keine Rolle.
Relative Subjekte leben in einer raumzeitlichen Matrix, in der Objekte nur neben- ober nacheinander wahrnehmbar sind. Da relative Subjekte Objekte nach ihrer Verwendbarkeit bewerten, sind sie im Hier und Jetzt kaum je vollständig präsent, sondern bereits auf der Suche nach dem, was ihr Wohl in der Zukunft sichert. Aus Sicht des relativen Subjekts ist ihm die objektive Wirklichkeit vorgesetzt, sodass es sich jedem Element gegenüber positioniert. Das Grundmuster, das es dabei verwendet, heißt Zugriff oder Ablehnung.
Das absolute Subjekt ist nicht versucht, irgendwo anders zu sein, als dort, wo es ist, weil sämtliche Inhalte, die ihm gegenwärtig sind, seiner Vorstellung entsprechen. Aus seiner Sicht ist ihm alles zugehörig und damit so, wie es sein soll. Das Absolute Subjekt ist keiner objektiven Zeit unterworfen, weil Zeit selbst eine seiner Vorstellungen ist. Jede Veränderung, die sich innerhalb der vorgestellten Zeit ergibt, ist der vorstellenden Instanz präsent.
Relative Subjekte sind nicht in der Lage, alles wahrzunehmen. Ihr Vermögen, subjektiv, also erkennend präsent zu sein, wird durch körperliche Schranken begrenzt. Vieles erkennen sie nur nacheinander. Das Absolute Subjekt ist vollständig präsent. Das macht seine Zeitlosigkeit aus. Das Absolute Subjekt umfasst den Inhalt jeder Zeit und ist doch jenseits davon.
Was sich das Absolute Subjekt auf der monistischen Ebene vorstellt, erscheint auf der dualistischen als Wirklichkeit. Was sich das Absolute vorstellt, wird Relativem vorgesetzt. Das Absolute Subjekt verwirklicht die Welt, indem es sich die Welt vergegenwärtigt. Indem es entscheidet, sich einer Möglichkeit zuzuwenden, stimmt es ihrer Verwirklichung zu. Erst die Gegenwart eines Subjekts macht Mögliches wirklich. Uneingeschränkter Geist kann aus sich selbst heraus Grenzen erschaffen, die einem eingeschränkten Geist als Objekte erscheinen. Die Realisierung von Grenzen, die relativen Subjekten vorgesetzt sind, verwirklicht sie selbst. Relative Subjekte sind Absolutes Subjekt, durch die es sich Grenzen vor Augen führt.
Relative Subjekte nehmen die Vorstellungen des Absoluten als sinnlich erfahrbare Realität wahr. In der Zweiheit sind Vorstellungen Objekte, die dem Subjekt als etwas Fremdes gegenüberstehen. In der Einheit gehören sie zum Selbst des Subjekts und sind ihm vertraut.
Was wir als Wirklichkeit deuten, ist nicht die Wirklichkeit selbst, sondern das jeweilige Bild, als das unser Bewusstsein die Wirklichkeit deutet. Wenn wir sagen: Ich sehe den Baum, sehen wir tatsächlich, was unser Bewusstsein als diesen Baum interpretiert. Wenn wir sagen: Das bin ich, sehen wir, wofür wir uns halten. Wir sehen nicht die Wirklichkeit, sondern das Bild, das der Verstand uns als Wirklichkeit vorstellt. Was uns der Verstand als Wirklichkeit vorstellt, hängt davon ab, welchen Ausschnitt er bei seiner Betrachtung ins Auge fasst. Tatsächlich erleben wir die Wirklichkeit nicht nur als das, was sie ist, sondern als das, was wir selbst daraus wählen. Indem wir die Wahl treffen, bestimmen wir darüber mit, was wir sind. Was wir als Wirklichkeit deuten, verwirklicht die Persönlichkeit, der wir - als wir selbst - gegenwärtig sind.
Raum und Wirklichkeit
Alles, was sich im Universum befindet, ist real. Es existiert tatsächlich. Das Universum selbst ist aber virtuell. Es ist die Vorstellung einer Instanz, deren Vorstellung seine Inhalte verwirklicht.Raum ist Vorstellung. Gäbe es ihn wirklich, müsste es einen Ort geben, an dem er sich befindet. Zeit ist Vorstellung. Gäbe es sie wirklich, müsste es eine Zeit geben, in der sie abläuft. Wenn das Universum tatsächlich existieren würde, wäre zu beantworten, wo es ist und wann es stattfindet. Die vorstellende Instanz ist nicht in Raum und Zeit zu finden, sondern Raum und Zeit in ihr.
Machen Sie die Probe aufs Exempel! Stellen Sie sich ein Paralleluniversum vor! Möglichst riesig sollte es sein. Nimmt die Vorstellung Ihres Universums Raum ein? Nimmt sie irgendetwas anderem Platz weg? Das tut sie nicht. Räume können vorgestellt werden, ohne dass sie selbst eines Raumes bedürfen.
Bekommen Sie beim Aufwachen regelmäßig Kopfschmerzen? Vermutlich nicht. Wenn doch, liegt es jedenfalls nicht daran, dass beim Erwachen in ihrem Kopf ein Bewusstsein entstünde, das zu einer Raumforderung führt. Geist kann sich Räume vorstellen. Er kann Raum erleben. Einen Raum, um das zu tun, braucht er aber nicht. Die Wirklichkeit, die sich Raum und Zeit vorstellt, ist raumfrei und zeitlos. Das Sein des Ungeteilten geht der Raumzeit voraus, in der das Aufgeteilte als Vorübergehendes erscheint. Das Aufgeteilte geht aus dem Ungeteilten hervor, ohne dass es das Ungeteilte je verließe. Die Raumzeit wird von dem geträumt, was raum- und zeitlos ist.
Der Verstand ist zunächst auf die Belange der Person zugeschnitten. Er begleitet den Körper und dient ihm als Rechner bei der Besorgung seiner Belange. Ein Dasein im Dienst einer Person ist ein Dasein, das sich auf den Horizont einer Person beschränkt. Die Beschränkung ruft einen Unfrieden hervor, der dazu drängt, sie zu überschreiten. Zwei Wege sind möglich:
Sich den Teil der Wirklichkeit einzuverleiben, dessen Einverleibung die Beschränkung sprengt.
Ungeachtet dessen, welchen Weg man wählt, der Drang, Beschränkungen zu überschreiten, entspringt der Tatsache, dass sie dem Wesen des Geistes nicht angemessen sind. Geist ist unendlich, weil er sich in keinem Raum befindet, in dem er auf endgültige Grenzen stößt. Geist ist unendlich, weil er sich in keiner Zeit befindet, die enden könnte. Trifft er in einem vorgestellten Raum auf Grenzen, sind sie ihm zwar gegenwärtig, als Inhalte einer Vorstellung sind sie aber nur Simulation. Was uns endgültig erscheint, ist für das Absolute nicht bindend. Grenzen, die es sich vorstellt, schränken seine Freiheit nicht ein. Unsere werden durch seine Vorstellung festgelegt. Die Freiheit, die wir haben, ist das, was uns das Absolute von sich anvertraut.
Bestimmtes bildet die Matrix der dualistischen Ebene jener Welt, aus der heraus wir, als jeweils ganz bestimmte Personen, entscheiden, was für uns wirklich ist. Sedna gibt es wirklich. Sedna ist ein konkret bestimmbarer Zwergplanet im Kuipergürtel, den wir von uns und dem Raum, der ihn umgibt, unterscheiden. Das Strukturprinzip der dualistischen Ebene heißt Entweder-oder. Entweder etwas ist das, was es im konkreten Fall ist oder es ist nicht. Alles, was sich in unserer Welt befindet, wird zugleich durch das bestimmt, was es ist, und durch das, was es nicht ist. Existiert etwas Bestimmtes, ist bereits entschieden, was und wie es ist. Etwas Bestimmtes entsteht, indem sich alles Übrige von ihm abzieht.
Bestimmtem geht etwas Unbestimmbares voraus, das darüber entscheidet, welche Eigenschaften jeweils Bestimmtes hat. Indem die Entscheidung fällt, was etwas Bestimmtes ist, wird es real. Entscheidungen des Unbestimmbaren verwirklichen Bestimmtes. Bestimmtes fällt durch die Entscheidung des Unbestimmbaren auf die Ebene des Bestimmten herab. Existenz ist Aufstieg aus dem Nichts, aber Fall aus dem Ganzen.
Allerdings ist das Unbestimmte für uns nicht als ein Etwas bestimmbar, das entweder so oder anders ist. Sobald wir sagen: Es ist sowohl als auch, durchschauen wir die Grenzen unserer Logik und erkennen an, dass unsere Logik des Entweder-oder ein bestimmtes Werkzeug ist, mit dem wir Bestimmtes erkennen, aber das Unbestimmbare nicht greifen können.
Da Bestimmtes nur in Erscheinung tritt, wenn die Entscheidung steht, als was, hat es kein eigenständiges Selbst. Das Selbst des Bestimmten ist nichts Bestimmtes, sondern das Unbestimmte, das selbst keiner Bestimmung unterworfen ist. Bestimmtes ist das, was es ist. Unbestimmtes kann sein, was es will.
Bestimmtes ist konkret. Geist ist Abstraktionsvermögen. Abstraktionsvermögen ist die Fähigkeit, von Konkretem abgelöst zu sein. Geist ist absolut (lateinisch absolutus = losgelöst), weil er sich von Konkretem lösen kann.
Bestimmtes macht sich durch Sprache verlautbar. Unbestimmtes schweigt. Bestimmtes, das zu schweigen lernt, obwohl es sich verlautbar machen kann, macht dem Unbestimmten in sich Platz.
Das Absolute Subjekt verwirklicht reine Subjektivität. Reine Subjektivität ist das uneingeschränkte Vermögen, allem gegenwärtig zu sein. Sie kann durch nichts zum Objekt gemacht werden. Dem Absoluten objektive Eigenschaften zuzuordnen, heißt bereits an ihm vorbeizugehen. Denkt man über das Wesen des Absoluten Subjekts nach, meint man, es selbst sei das Objekt der Betrachtung. Das ist eine Illusion. Tatsächlich kann man nur Vorstellungen, die man vom Absoluten Subjekt entwirft, zum Objekt einer Betrachtung machen; nicht aber das Absolute Subjekt selbst. Das Absolute bleibt unverfügbar, unbegreiflich, unobjektivierbar. Nicht wir verstehen es. Es versteht uns. Wir sind da, wo das Absolute uns hinversteht. Erst wenn wir uns selbst verstehen, verstehen wir etwas von ihm. Je mehr wir von ihm verstehen, desto mehr lassen wir es in uns stehen. Je mehr wir es in uns stehen lassen, desto einfacher wird das, was wir tun.
Wenn wir versuchen, das bisher Gesagte zu einem Konstrukt zusammenhängender Hypothesen zu verweben, ist das Wort Mutmaßungen gut gewählt. Jeder hat die Freiheit, ein eigenes Bild über das Wesen des Absoluten zu entwerfen und sich dem Bild soweit anzuvertrauen, wie er den Mut dazu hat. Sich anzuvertrauen heißt, Risiken einzugehen. Sich anzuvertrauen, heißt einen Weg zu gehen, von dem man nur ahnen kann, dass er stimmt.
Versuch in wenigen Sätzen
Vielleicht sind wir uns einig: Es ist keine Pflicht, sich mit der Frage zu befassen, welche Konsequenzen ein hypothetisches Jenseits für das Leben im Diesseits hat. Man kann auch dann ein sinnvolles Leben führen, wenn man alle Fragen ausklammert, die darüber hinausgehen. Ein Leben ohne Religion ist vollwertig. Als das, was es ist, hat es den Wert, den es für den hat, der es führt und für die, die damit wertschätzend verbunden sind. Gibt es eine höhere Instanz, die über seine Existenz entschieden hat, wird mit der Entscheidung der Wert übertragen, den die Instanz darin sieht. Wert wird nicht durch Relatives zugewiesen, sondern durch das Absolute bestimmt. Von Relativem kann er nicht entzogen werden. Auch ein Leben ohne Religion ist ein Leben, dem das Absolute zustimmt.
Während die einen ohne Religion auskommen und daher keine Theorie über das Göttliche brauchen, gehört es zum Schicksal anderer, sich damit zu beschäftigen. Selten mag die Beschäftigung rein intellektueller Natur sein. Selten handelt es sich um bloße Neugier oder Ehrgeiz; z. B. um ein akademisches Interesse an einem geisteswissenschaftlichen Thema, das man als Soziologe untersucht, um eine Abhandlung über die religiösen Vorstellungen der Völker zu schreiben, durch die man ein Professor wird, der über den echten oder vermeintlichen Aberglauben der Menschheit ansonsten den Kopf schüttelt.
Im Regelfall steht hinter dem Interesse an religiösen Themen ein drängender Wunsch: das Leben auf etwas auszurichten, was über es hinausreicht. Religiöses Interesse betrifft alle Schichten der Person. Sonst ist es keins. Wer religiös lebt, versucht so zu leben, dass die Art, wie er lebt, so mit der Wirklichkeit übereinstimmt, dass sein Wohl über die Zeit hinaus gesichert wird. Religion ist umfassende Selbstfürsorge. Wer für sich sorgt, sucht die Verbindung zu dem, was ihm guttut und versucht zu werden, was sich selbst genügt. Er versucht, beide Grundbedürfnisse des Lebens, Zugehörigkeit und Autonomie, bis zur letzten Konsequenz zu erfüllen.
In religiösen Fragen ist der Mensch auf Hypothesen angewiesen, weil die Instanz, auf die er sich bezieht, nicht objektiv erkennbar ist. Hypothesen sind Vermutungen. Vermutung sind Glaube und Glaube oft Wunschtraum. Es ist leicht, zu glauben, was einem gut gefiele, aber schwer herauszufinden, wie weit ein Glaube der Wahrheit entspricht.
Ungeachtet dessen, wie viel ein Glaube von dem beschreibt, was tatsächlich stimmt, kann der Glaube, man verhalte sich so, dass man mit der letzten Wirklichkeit im Reinen ist, positiv auf das persönliche Befinden wirken. Wer glaubt, dass man zu bestimmten Zeitpunkten bestimmte Rituale vollziehen muss, um das höchste Heil zu erlangen, wird nach vollstrecktem Ritual weniger Angst vor der Zukunft haben, als jemand, der an der Wirksamkeit solcher Rituale zweifelt, selbst aber nichts hat, was ihn zuversichtlich stimmt. Eine religiöse Hypothese, an die man glaubt, muss nicht stimmen, um das momentane Wohlbefinden zu verbessern. Ein naiver Glaube an gute Elfen und Feen kann sinnvoller sein als ein bitterer Glaube an die vermeintliche Sinnlosigkeit jedes menschlichen Tuns.
Solange er momentan gut zu tun scheint, wird naiver Glaube nicht gerne hinterfragt. Zweifel verstärken Ungewissheit. Ungewissheit macht Angst. Zu glauben, ohne über den Wahrheitsgehalt des Glaubens nachzudenken, hat Vorteile. Ein Glaube, der dazu ermutigt, ist vielen willkommen, weil er sie der Mühe enthebt, mit eigener Kraft um die Wahrheit zu ringen. Etwas an der Wirklichkeit vorbei zu glauben, fällt umso leichter...
Tatsächlich ist die Wirklichkeit jedoch mehr als ein Störenfried, der die Verwirklichung von Wünschen verhindert; und die man, ausgerechnet beim Versuch mit ihr übereinzustimmen, getrost ignorieren kann. Je mehr ein Glaube bloßen Wünschen entspricht, an der Wirklichkeit aber vorbeigeht, desto mehr wird die Wirklichkeit zu einem Widerstand gegen den Fortschritt des Gläubigen zu seinem tatsächlichen Wohl.
Spaltender Glaube deutet den Widerstand der Wirklichkeit als Machenschaft diabolischer Kräfte. Er stachelt Gläubige dazu auf, den Widerstand der Wirklichkeit mit gesteigertem Widerstand gegen die Wirklichkeit zu beantworten. Resultat sind Glaubenssysteme, die umso stolzer auf sich sind, je trotziger sie vor der Wirklichkeit die Augen verschließen. Resultat sind endlose Konflikte zwischen Glaubensfraktionen, die ihren jeweiligen Gründungsmythos vergöttern, weil ihnen der Mut fehlt, sich dem zu stellen, was allen gemeinsam ist: die Wahrheit.
Befreiende Ernüchterung
Wir kommen als Kinder auf die Welt und bleiben es ein Leben lang; der eine mehr, der andere weniger. Hat ein Kind ein Bedürfnis, fragt es: Wer kann es mir erfüllen? Erst danach kommt: Was kann ich für mich tun? Kinder appellieren an jemanden, der mächtig ist und versuchen, brav zu sein, damit ihre Appelle erhört werden. Appelle, die kleine Kinder an ihre Eltern richten, werden meist hinreichend gehört. Wäre es anders, gäbe es niemanden, der noch appellieren könnte.
Im günstigsten Fall werden aus kleinen Kindern vollständig Erwachsene, im Normalfall große Kinder. Vollständig Erwachsene nehmen es hin, dass die Wirklichkeit als Ganzes kaum je auf Appelle hört, vielmehr auf Fakten und Taten. Große Kinder wenden kindliche Muster nicht nur auf ihre Mitmenschen an, sondern auch auf das Herz der Wirklichkeit, das wohl nur deshalb nicht mit Ungeduld reagiert, weil es nichts gibt, was es zur Ungeduld reizen kann.
Gründen große Kinder Religionen, glauben sie, dass ein Vater im Himmel auf ihre Appelle hört und pochen darauf, dass er für die Rufe anderer Kinder taub bleibt; so taub wie Pinguinmütter für die Rufe fremder Küken. Wo käme man auch hin, wenn ein Vater sich nicht nur um die eigene Brut, sondern auch um die Konkurrenten im Nachbarzelt sorgt? Bei den eigenen Küken käme weniger an!
Geschwisterrivalität ist nichts, was nur Kleinkinder kennen. Sie treibt auch die großen um. Der spezifischen Frequenz des Kükenrufs, an der die Pinguinmutter erkennt, welches Kind sie füttern soll, entsprechen spezifische Gebetsformeln, Gesten und Rituale, durch die große Kinder den Vater im Himmel anrufen. Daran soll er erkennen, wem seine Fürsorge zusteht.
Das Konzept einer Gottesperson entspringt der Übertragung des kindlichen Bedürfnisses, sich einer überlegenen Instanz anzuvertrauen, die die Verantwortung übernimmt.
Niemand kennt die Zahl der Appelle, die seit ihrer Erfindung den Himmel erreichten. Gewiss sind es unfassbar viele. Wie viele wurden davon erhört? Wahrscheinlich gar keine. Warum? Weil Absolutes von Relativem nicht bewegt wird.
Seien wir nüchtern: Bekommen ungeimpfte Kinder die Masern, sterben davon bis zu fünfundzwanzig Prozent. Einen Zusammenhang zwischen den Gebeten ihrer Eltern und der Sterberate gibt es nicht. Bei den Geimpften sind Todesfälle eine Seltenheit. Das zeigt, dass die höchste Wirklichkeit nicht den belohnt, der konfessionskonform um Hilfe ruft, sondern den, der etwas von der Wirklichkeit versteht.
Leben ist immer ausgesetzt. Leben wird von der Wirklichkeit nur so lange geduldet, wie es zur Anpassung an das Umfeld fähig ist, dem es begegnet. Ein Lebewesen lebt immer nur so lange, wie es die Wirklichkeit, der es ausgesetzt ist, so gut versteht, dass es ihr die Antwort geben kann, die sein Dasein bis auf weiteres sichert. Was richtig erkennt, überlebt. Was nicht erkennt, geht unter.
Das Absolute begünstigt Partikel nicht dafür, dass sie gehorsam sind, sondern dafür, dass sie die Wirklichkeit verstehen. Durch Appelle bewegt Relatives Absolutes nicht. Das Absolute stellt es Relativem aber frei, Relatives zu bewegen; wenn es weiß, wie es geht. Wenn es weiß, wie es geht, kann sich das Relative auf die Erkenntnis des Absoluten zubewegen. Wenn das Absolute überhaupt etwas belohnt, dann nicht, dass wir uns unterwerfen, sondern dass wir es verstehen. Seinen Regeln unterworfen sind wir längst. Verstanden haben wir es nicht.
Gläubige, die alle Mythen hinter sich lassen und ihre religiöse Praxis danach ausrichten, was der Verstand über das Absolute mutmaßen kann, kommen nicht auf die Idee, einander aus religiösen Gründen zu bekämpfen. Sie betrachten sich als Verbündete beim Versuch, das Rätsel aller Rätsel zu lösen und jedem den Weg zu ebnen, der ihn zum Ursprung des Rätsels führt.
Wer die Mythen hinter sich gelassen hat, mag daher von Überlegungen profitieren, welche religiöse Praxis Erfolg versprechend sein könnte. Dabei ist eins zu beachten: Was in spirituellen Dingen hier und jetzt für den einen gilt, kann für den anderen bedeutungslos sein. Religiöse Praxis ist kein starres Korsett. Im Laufe einer spirituellen Entwicklung verändert sich, was jeweils sinnvoll erscheint.
Definition
Wer nach einer religiösen Praxis fragt, die Erfolg verspricht, muss zunächst festlegen, was er unter Erfolg versteht. Hier werden zwei Optionen aufgezeigt:
Eine religiöse Praxis ist erfolgreich, wenn sie im gegenwärtigen Dasein zu einer Übereinstimmung mit der Wirklichkeit führt, die ein zufriedenes Leben ermöglicht.
Zufriedenheit im Diesseits ist objektiv erkennbar, während die Realität höherwertiger Daseinsformen jenseits der sinnlich erkennbaren eine Hypothese bleibt, deren Setzung auf die Erlebnisqualität im Diesseits zurückwirkt. Sollte es das hypothetische Jenseits tatsächlich geben, kann Zufriedenheit im jetzigen Dasein andererseits ein Hebel sein, der eine Qualifikation für Zukünftiges bewirkt. Sicher ist, dass religiöser Glaube das Leben im Diesseits verändert. Möglich ist, dass er Einfluss auf ein Jenseits hat.
Der Begriff Zufriedenheit ist differenziert zu betrachten. Frieden mit dem Dasein zu machen, heißt, es jetzt so anzunehmen, wie es jetzt ist. Es anzunehmen, heißt, ihm einen Sinn zu unterstellen und zu versuchen, konstruktiv auf die Wirklichkeit zu reagieren. Zugleich wird religiöser Glaube von einer Unzufriedenheit begleitet. Der Gläubige sagt: Das Leben, wie es jetzt ist, ist nicht alles. Es gibt etwas Höherwertiges, und nur, wenn ich das erlange, kann ich tatsächlich zufrieden sein. Vorübergehend entspreche ich der Daseinsform im Diesseits. Vor dort aus bin ich für Höheres bestimmt.
Um zufrieden mit der Wirklichkeit übereinzustimmen bedarf es zweierlei:
der Zuversicht, dass die Wirklichkeit als Ganzes gut ist, sodass man sich ihr anvertrauen kann ohne in ständiger Angst zu leben.
Zahnschmerzen tun weh, der Verlust geliebter Menschen erst recht. Leben heißt auch Leiden. Derlei Leiden sind unvermeidbare Komponenten der Wirklichkeit, vor denen wir uns fürchten. Mit der Wirklichkeit übereinzustimmen, heißt, solche Leiden in der Erkenntnis hinzunehmen, dass persönliches Dasein ohne sie nicht möglich ist und im Glauben, dass sie letztlich sinnvoll sind. Sinnvoll heißt zielführend.
Ist Leben ohne Leid überhaupt möglich? Wahrscheinlich nicht. Warum isst ein Säugling? Warum bemüht er sich aufzustehen? Weil er leidet, wenn er es nicht tut. Weil er sich vom Hunger und der Unfähigkeit, für sich selbst zu sorgen, befreien will. Schaden und drohendes Leid abzuwenden, ist der entscheidende Beweggrund, der den Bestand eines jeden Lebens sichert und seine Entwicklung vorantreibt.
Das Leben des Menschen findet in der Enge seines Soseins statt. Daher ist er voller Begierden. Eine Begierde ist der Vorsatz, die Enge durch Aneignung zu erweitern. Der Enge des persönlichen Soseins entspringt eine Angst vor der Weite und Macht der Wirklichkeit. Daraus entspringt die Begierde, sich durch Wachstum gegen die Macht der Wirklichkeit zu wappnen. Zugleich setzen Begierden aber neue Ängste frei: die Angst, dass die Begierde unerfüllt und das Dasein in seiner Enge eingesperrt bleibt. Ein Teufelskreis entsteht. Angst bringt Gier hervor und Gier Angst.
Während die Angst vor den unvermeidbaren Leiden der Wirklichkeit die Übereinstimmung nicht grundsätzlich verhindert, wird der Mensch durch Ängste, die seiner Gier entspringen, in sich selbst so tief verstimmt, dass er mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen kann. Eine erfolgreiche religiöse Praxis führt aus dem Kreislauf von Angst und Gier heraus; indem sie den Praktizierenden davon überzeugt, nur vorübergehend eingesperrt zu sein.
Paradoxe Effekte
Zu den Werkzeugen, die den Menschen dazu bringen sollen, von seiner Gier abzulassen, gehört die angedrohte Hölle. Selbst wenn die Drohung tatsächlich gut gemeint ist, ist sie das Gegenteil von gut. Zweifellos erzeugt die Drohung, endloser Folter anheimzufallen, massive Angst; bei all jenen, die tatsächlich daran glauben. Angst bringt aber Gier hervor. Die transzendentale Angst vor der Hölle stimuliert eine besondere Gier: die Gier, sich durch gute Taten freizukaufen.
Gute Taten sind gut. Taten sind eindeutig gut, wenn ihre Folgen eindeutig gut sind. Gute Taten, die aus Gier nach guten Taten entstehen, haben ungute Nebenwirkungen. Wenn kopflos alles getan wird, was kurzfristig als gut erscheint, kann das langfristig Folgen haben, die keineswegs gut sind. Jedes Leid, das ein Klagender beklagt, für ihn zu beheben, führt dazu, dass hinterher noch mehr zu beklagen ist: vom Leidenden, dass er hilflos bleibt, vom Helfer, dass er endlos helfen soll.
Kategorischer Imperativ
Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.
Immanuel Kant
Variante
Tun Sie, was Sie für richtig hielten, wenn Sie die Macht wären, die Sie erschaffen hat.
So wie das Jenseits eine Hypothese ist, bleibt die Frage hypothetisch, welche Qualitäten für ein dortiges Dasein zu erwerben sind. Ja, es bleibt sogar hypothetisch, ob überhaupt bestimmte Qualitäten notwendig sind, um in das unterstellte Jenseits einzugehen.
Oben haben wir das Diesseits als eine Vorstellung des Absoluten Subjekts definiert und die Quintessenz der Jenseitigkeit als eine Einheit, der alles angehört. Entspricht das Bild der Wahrheit, gehört jeder bereits jenem Jenseits an, egal welche Qualitäten er im Diesseits hat oder entwickelt. Alles, was stirbt, wird, egal, was es bis dahin ist, zu dem, was es war und zeitlos sein wird: eine Möglichkeit, dessen Existenz sich das Absolute Subjekt vorstellen kann.
Sich ein Jenseits vorzustellen, in dem endgültig Vielheit besteht, widerspricht dem Prinzip des Absoluten Subjekts. Ein Jenseits, das von separaten Personen unterschiedlicher Ränge bevölkert wird, wäre kein absolutes Jenseits, sondern ein alternatives Diesseits, das zwar jenseits unserer sinnlichen Wahrnehmung läge, prinzipiell aber durch separate Komponenten objektivierbar. Einheit ist keine Einheit, wenn sie tatsächlich in Zweiheit zerfällt.
Objektivierbarkeit
Objektivierbar ist, was von außen als existent bestätigt werden kann. Damit etwas von außen als existent bestätigt werden kann, muss es Eigenschaften bzw. Kennzeichen haben, durch die es markiert wird. Markieren geht auf die indogermanische Wurzel mer[e]ĝ = Rand, Grenze zurück. Das Markierte ist dergestalt eingegrenzt, dass es anhand seiner Grenzen erkannt werden kann. Das Konzept des Absoluten Subjekts schließt eine zweite Instanz aus, die die Existenz der ersten anhand abgrenzbarer Merkmale bestätigen könnte.
Wir haben bereits postuliert, dass das Absolute Subjekt das Diesseits umfassend durchdringt und in jedem Partikel als dessen tatsächliches Selbst präsent ist. Hält man an der Vorstellung fest, dass eine Qualifikation von Partikeln für eine jeweils höhere Lebensform stattfinden kann, ist ein Denkmodell erforderlich, das das Bild vom Jenseits als komplementärer Umfassung des Diesseits differenziert und Diesseitigkeit neu definiert.
Die Wirklichkeit ist unabsehbar komplex. Obwohl wir innerhalb der Vorstellung des Absoluten Subjekts allenthalben auf Grenzen stoßen, scheint dessen Vorstellungskraft unermesslich. Auch logisch spricht nichts dagegen, dass es neben dem Diesseits, das die Bühne unseres Daseins ist, weitere Vorstellungen des Absoluten Subjekts geben kann, die sich zu Bühnen anderer Daseinsformen realisieren. Alternative Räume und Zeiten können vom Absoluten Subjekt als Anschauungsformen seiner Vorstellung a prioriVergleiche Kant, Kritik der reinen Vernunft gesetzt werden. In der theoretischen Physik spräche man von Paralleluniversen bzw. einem MultiversumHugh Everett, 1957.
Vielleicht denkt das Absolute, obwohl es unentstanden ist, darüber nach, wie es entstanden sein könnte und probiert im Geiste - wo sonst - Trillionen Möglichkeiten aus, die ihm sekündlich dazu einfielen, wenn es einer Zeit unterläge.
Wie auch immer: Eine Qualifikation relativer Subjekte für höhere Lebensformen setzt dreierlei voraus:
Die Summe aller Raumzeiten, die das Absolute Subjekt objektiviert, ergäbe dann ein Diesseits seiner unauflöslich jenseitigen Einheit. Zugleich wären die verschiedenen Raumzeiten relativ zueinander jenseitige Räume, die wechselseitig objektiv unerkennbar blieben, obwohl sie prinzipiell objektiv erkennbar sind. Stiegen qualifizierte Subjekte von einer Welt in eine andere auf, dann wohl kaum als materielle Konstrukte, sondern als Konstruktionspläne, die das Absolute Subjekt handhabt, um sie in einem alternativen Vorstellungsraum zu realisieren.
Es bestehen Zweifel daran, ob Menschen in der Lage sind, den Wahrheitsgehalt derartiger Spekulationen durch Einblick zu prüfen. Wenn ja, sind Einblicke nur wenigen möglich, z.B. Personen mit meditativ extrem geschulter Introspektionsfähigkeit. Es gibt aber keine Handhabe, potenzielle Einblicke, die wenigen möglich sein könnten, anderen zugänglich zu machen. Zudem ist denkbar, dass das, was die Wenigen als Einblick erleben, tatsächlich kein Blick ins Jenseits ist, sondern das Ergebnis ihrer eigenen Vorstellungskraft. Die transzendentale Qualifikation bleibt für die erdrückende Mehrheit eine Frage des Glaubens, also letztlich eine Frage individuell plausibler Hypothesenbildung; einer Hypothesenbildung, die auch ihr Bedürfnis nach Gerechtigkeit zufrieden stellt.
Man könnte nun meinen, dass eine religiös motivierte Lebensführung für Leute, die die Theorie der transzendentalen Qualifikation verwerfen, keinen Sinn macht. Wozu sollte man sich die Mühe machen, das Leben an einem, wie auch immer gearteten Urgrund des Seins auszurichten, wenn einem die Mühe jenseits des persönlichen Daseins nichts einbringt; entweder, weil es nichts gibt, was die Schwelle des eigenen Tods überschreitet oder, weil der Platz im Jenseits, ungeachtet dessen, wie man das Leben verbringt, sowieso gesichert ist; ohne, dass man bis zur Ankunft weitere Mühen zu erleiden hätte, die man dank irdischer Verdienste mildert?
Die Meinung trügt. Egal, ob die Theorie der transzendentalen Qualifikation zutrifft oder nicht, kann ihre Akzeptanz weitreichende Folgen auf das Leben im Diesseits haben: im Guten wie im Bösen.
Im Gutem kann sie zu gesteigerter Achtsamkeit sowie einer Sensibilisierung für ethische und moralische Feinheiten im Umgang mit sich selbst und anderen führen, was das Leben reichhaltiger und harmonischer macht. Selbst wenn es jenseits der Welt nichts gibt, was die Mühe um das Gute erkennt und belohnt, kann ein Lohn der Mühe schon im Diesseits ausgezahlt und genossen werden. Ein Leben, das zusammenfügt, was zusammenpasst, ist konstruktiver als eins, das zum eigenen Vorteil gegen alle Flaggen segelt.
Der Vorstellung eines Aufstiegs in höhere Daseinsformen durch den Erwerb geeigneter Qualifikationen entspricht in der dualistischen Theologie der Glaube an einen Gott, der belohnt und straft.
Tatsache ist, dass sich im Leben bestimmte Verhaltensweisen lohnen, andere nicht und dritte sogar schaden.
Psychologisch lohnt sich alles, was zur Beseitigung innerseelischer Konflikte beiträgt und damit die Effektivität der persönlichen Lebensführung steigert.
Offensichtlich ist es nicht egal, was man tut. Vielmehr ist das Dasein in eine Ordnung eingebettet, in der nützliche von schädlichen Taten zu unterscheiden sind. Der Glaube an einen lohnenden Gott extrapoliert die entsprechende Erfahrung über das absehbare Dasein hinaus. Er stellt die Belohnung guter Taten, also geeigneter Verhaltensweisen, im hypothetischen Jenseits in Aussicht. Er stellt dem Einzelnen einen erweiteren Maßstab zur Verfügung, den er bei seinen Entscheidungen anwenden kann. Der Belohnungsglaube verheißt:
Ungeachtet dessen, ob die Extrapolation der Wirklichkeit entspricht, ist sie aus der Menschenwelt kaum wegzudenken. Zum einen verspricht sie, das Bedürfnis nach Gerechtigkeit zu erfüllen. Zum anderen ermutigt der Glaube an einen jenseitigen Lohn Menschen dazu, Härten zu ertragen, die sie ohne ihn nicht auf sich nähmen. Und er ermahnt dazu, Entscheidungen nicht nur auf unmittelbar egozentrische Vorteile auszurichten, sondern auf ein übergeordnetes Ganzes, das - wie auch immer - garantiert, dass das Leben überhaupt einen Sinn hat. Es ist schwer auszudenken, wie die Welt aussähe, wäre sie nicht von der Vorstellung durchdrungen, die Taten des Einzelnen hätten auch jenseits seines Todes Bedeutung für ihn; ja, sogar eine weitreichendere Bedeutung als alles, was ihm im Leben widerfährt.
Das Konzept eines transzendentalen Lohns taucht sowohl in dualistischen als auch im monistischen Welterklärungsmodell auf.
Das Bild der lohnenden und strafenden Gottesperson entspricht der kindlichen Erfahrungswelt. Die kindliche Erfahrungswelt findet im vergleichsweise kleinen Horizont der Familie statt. Sie besteht aus einer Handvoll Personen, die unmittelbar aufeinander bezogen sind. Je älter das Kind wird, desto mehr wird es mit der Weite des erwachsenen Erfahrungsraums konfrontiert. Es wird aus der Enge des Kinderzimmers in eine Weite ausgesetzt, die nur allzu oft erschreckt. Die Ausrufung eines persönlichen Gottes ist als Antwort auf das Erschrecken vor der anonymen Weite des Daseins verstehbar. Das Konzept des persönlichen Gottes wirkt wie ein Deckel, der die unermessliche Weite nach oben hin abschließt und damit die Wirklichkeit auf ein Maß verkleinert, das der Mensch besser aushalten kann.
Indem die dualistische Theologie das Bild der Wirklichkeit so weit vereinfacht, dass sich der Einzelne darin weniger verloren fühlt, erfüllt sie eine Funktion, deren Wert anzuerkennen ist. Zugleich hat sie paradoxe Wirkungen, die ihre Heilsamkeit begrenzen.
Einerseits ruft der Belohnungsglaube dazu auf, egozentrische Motive aufzugeben. Das eigene Verhalten auf die Belohnung jener separaten Einheit auszurichten, als die man sich selbst definiert, ist jedoch egozentrisch. Dieser Widerspruch ist im dualistischen Denken nicht auflösbar. Er führt zu innerseelischen Konflikten und psychosozialen Spannungen, die durch die fehlende Übereinstimmung von postulierter Moral und gelebter Wirklichkeit entstehen.
Die monistische Theologie teilt Gott und Mensch nicht in separate Einheiten auf. Dadurch fehlt die Grenze, die den Menschen gegen die Unendlichkeit abschirmt. Statt dessen verheißt sie eine unverlierbare Zugehörigkeit, die den Schutz durch ein separates Gegenüber erübrigt. Dafür verlangt sie einen Preis: der Versuchung zu widerstehen, sich klein zu machen, um durch Belohnung groß zu werden. Sie verlangt stattdessen, das Kleine anzuerkennen; im Vertrauen, dass das Kleine zu einem Selbst gehört, das alles überwindet.
Es liegt auf der Hand: Eine Lebensführung, deren Leitmotiv in der Ausrichtung auf das grundlegend Wahre liegt, bietet große Chancen. Je mehr der Einzelne die Tiefenstruktur der Wirklichkeit verkennt, desto öfter ist er als existenzieller Geisterfahrer unterwegs, der sich und andere gefährdet. Je mehr er darüber weiß, desto geschickter steuert er sich selbst durch das Netzwerk der Bezüge. Mehr noch: Desto weniger steuert er überhaupt, weil die spontane Abfolge seiner Impulse bereits einer harmonischen Einbettung ins Umfeld entspricht.
Es liegt ebenso auf der Hand, dass eine verlässliche Ausrichtung am grundlegend Wahren nicht durch den willkürlichen Glauben an diesen oder jenen Mythos gewährleistet wird, der je nach Zeitgeist, Tradition und Gutdünken örtlicher Mächte gepriesen, verpönt, verboten, bekämpft, erzwungen, als abwegig beurteilt oder vergessen wird. Im Gegensatz zur Wahrheit sind spaltende Mythologien nicht gemeinnützig. Manchen erleichtern sie das Leben, andere machen sie betrunken. Dritte ersticken sie.
Eine verlässliche Ausrichtung am grundlegend Wahren kann aus zwei Gründen nicht vereinheitlicht werden:
Das Ziel der Pilgerschaft liegt in einem Land, das keine Koordinaten hat.
Die folgenden Überlegungen zur Umsetzung einer rationalen Theologie können daher nur Vorschläge sein.
Theologien, die dualistische Gottesbilder vertreten, beschreiben das Verhältnis zwischen Gott und Mensch als interpersonelle Beziehung mit hierarchischem Gefälle. Das Grundmuster derartiger Modelle stammt aus der Antike. Offensichtlich ist das Bild zwischenmenschlichen Beziehungen nachempfunden, denen der antike Mensch mit besonderer Dringlichkeit ausgesetzt war: der Beziehung zwischen Tyrann und Untertan. Die Wurzeln dieser Beziehungsstruktur reichen bis in die Zeit der prähominiden Horde zurück, und darüber hinaus in das Gesetz der Steppe. Es galt bereits für Saurier.
Die Masse der Untertanen sah sich in der Antike absoluten Herrschern ausgeliefert, die ihren Anspruch auf Unterwerfung mit Gewalt erzwangen. Das Leben war prekär. Prekär geht auf das lateinische Verb precari = bitten, beten, anflehen zurück. Prekär ist das Dasein eines Menschen dann, wenn ihm ständig schwerer Schaden droht, sodass er gute Gründe dafür hat, die Schicksalsmächte anzuflehen und darum zu bitten, wenigsten für diesen Tag vor dem Übelsten verschont zu werden.
Mächte, die man anflehen konnte, gab es zweierlei: den irdischen Potentaten, dem man ausgeliefert war und jenseitige Mächte, denen man, in Ermangelung alternativer Denkmodelle, eine personale Grundstruktur und damit die gleichen Motive und Verhaltensmuster zuschrieb, die man von irdischen Herrschern zur Genüge kannte.
Das Hauptmotiv irdischer Herrscher war die Angst vor Machtverlust. Ihr Verhalten anderen Gegenüber bestand daraus, jedem zu drohen, der sich nicht unterwarf und jeden zu verschonen, der es tat und sich als Verbündeter anbot. Jeder Untertan, dem sein Leben lieber als die Wahrheit war, tat gut daran, sich daran auszurichten. Er zeigte dem Herrscher an, dass ihm dessen Herrschaft recht war. Gelang es dem Untertanen, sich das Wohlwollen des Herrschers zu sichern, war seine eigene Lage weniger prekär. Immerhin brauchte er die Wut des Herrschers nicht zu fürchten. Im günstigsten Fall gehörte er zu dessen Hofstaat.
Die Projektion irdischer Verhältnisse auf die Beziehung zwischen Mensch und Gott bestimmt das religiöse Denken der meisten Menschen bis heute, und damit, was sie tun, um ihren Glauben auszudrücken. Die Praxis dualistischer Religionsausübung zielt darauf ab, die vorgestellte Gottesperson zum eigenen Vorteil zu beeinflussen. Priester sehen sich als privilegierte Mitglieder eines göttlichen Hofstaats, denen besondere Aufgaben und Loyalitätspflichten obliegen. Sie lenken die Gemeinschaft in vorgeblich göttlichem Auftrag und legen dank ihres Zugangs zu den Tempeln der himmlischen Herrschaft beim jenseitigen Machthaber ein gutes Wort für treue Laien ein.
Komplementäre Ziele
Als wirksame Mittel zur Beeinflussung Gottes gelten Rituale, Gebete, Lobpreis und Unterwerfungsgesten, die entweder zu einer Handlungsabfolge verwoben werden, die als gemeinsamer Gottesdienst verstanden wird, oder die den Alltag der Gläubigen als individuelle Rückversicherung gegen den gefürchteten Verlust transzendentaler Unterstützung aus dem Jenseits durchziehen.
Werkzeuge zur Bewegung des Unbewegten
Rituale
Rituale können Einzelnen oder Gemeinschaften Strukturen geben, die die Orientierung erleichtern. Wenn das ihr Ziel ist, sind sie profan. Sie gelten nicht als Teil einer Liturgie, die sich an das Heilige wendet. Religiöse Rituale zielen über die Regulierung des Profanen hinaus. Spräche man ihnen keine Wirkkraft zu, die über das Profane hinausreicht, würde man sie nicht ausführen. Der Glaube, man könne das Jenseits durch Gebetsformeln, Bekreuzigungsgesten oder den spezifischen Vollzug liturgischer Abläufe dazu bringen, selektiv zu Gunsten derer ins Diesseits einzugreifen, die entsprechende Muster vollziehen, ist ein Glaube an die Kraft der Magie.
Gebete
Gebete können Teil magischer Rituale sein, zum Beispiel das Vaterunser. Ritualgebete werden als feststehende Texte rezitiert. Sie zielen darauf ab, die Gottesperson generell günstig zu stimmen. Mit dem Zitat des Gebets zeigt der Gläubige der himmlischen Macht seine Gefolgschaft an.
Neben rituellen kennt die dualistische Religionspraxis individuelle Gebete. Geraten Gläubige in Not, wenden sie sich mit situativen Bittgesuchen an die Gottesperson, in der Hoffnung, dass sie Partei ergreift und den Lauf der Dinge verändert. Partei kommt von lateinisch pars = Teil. Würde sich das Ganze auf die Seite eines Teiles stellen, wäre es aber kein Ganzes mehr, sondern nur noch Partei.
Lobpreis
Obwohl es vielen Gläubigen oftmals so schlecht geht, dass ihnen der Lobpreis himmlischer Beschlüsse nur schwer über die Lippen kommt, gilt es als großes Verdienst, Gottes Taten mit unbeirrbarer Inbrunst zu loben, ohne dass irgendein Zweifel an der Zustimmung erkennbar wird. Derart Lobpreis kann das Resultat tiefer Erkenntnis und großer Weisheit sein, die den Weisen davor behüten, gegen Windmühlen vorzugehen. Da die Weisheit der meisten Menschen zu wünschen übriglässt, ist zu vermuten, dass das Absolute Subjekt ihren Lobpreis als hilflosen Versuch der Bestechung erkennt und gelassen in seiner erhabenen Stille verharrt.
Unterwerfungsgesten
Wer niederkniet oder sich der Länge nach zu Boden wirft, vergrößert den Abstand zum Himmel um circa 1,80 Meter. Ihm mag das bedeutsam erscheinen, weil er die eigene Größe im Vergleich zum Himmel überschätzt. Der Himmel ragt aber soweit über die Größe des Menschen hinaus, dass es verwunderlich wäre, wenn ihm, trotz der Unangreifbarkeit seiner Macht, an zwei zusätzlichen Metern gelegen wäre. Es wäre ein besseres Zeichen des Respekts vor göttlicher Macht, wenn wir sie von der Eitelkeit freisprächen, sie habe es auf den Zuschlag unserer Höhe zu ihrer Größe abgesehen.
Jahrtausende lang mag es ein lässlicher Irrtum gewesen sein, an die Wirksamkeit der Werkzeuge zur Beeinflussung des Absoluten zu glauben. Immerhin: Wenn hundert Personen wegen schwerer Krankheit den Himmel um Heilung bitten, werden stets so viele wieder gesund, dass der Glaube an die Wirksamkeit des Gebets an die nächste Generation übertragen wird. Wäre die statistische Streuung jedoch als verlässliche Regel zu werten, müsste in Sankt Peter-Ording immer die Sonne scheinen.
Bis in die Neuzeit war es ein Leichtes, Indizien zu übersehen, die die Beeinflussbarkeit des Jenseits durch Appelle in Frage stellten. Meist war die Angst vor dem Leben Anlass genug, den Verdacht zu verdrängen, das Absolute sei unparteiisch und durch nichts auf die eigene Seite zu ziehen. Der Glaube, dass im Himmel ein persönlicher Vater sitzt, der mich wie sein braves Kind persönlich beschützt und zu guter Letzt alle Bösen bestraft, erschien den meisten unverzichtbar, um die Grausamkeit der Welt zu ertragen.
Mit Ausschwitz haben sich die Indizien, die man bis dahin mit vertretbarem Aufwand verdrängen konnte, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Gewissheit verdichtet. Zweifellos wurden dort Abermillionen Gebete in der Hoffnung zum Himmel geschickt, er möge der Barbarei Einhalt gebieten. Getan hat er es nicht. Die Barbarei beseitigt hat nicht der Himmel, sondern Amerika. Um das zu erreichen, mussten hunderttausende sterben.
Zieht man aus den Fakten Schlüsse, statt im Irrtum des dualistischen Gottesbildes zu verharren, hat das Konsequenzen für jedwede religiöse Praxis, der man Sinn zusprechen mag. Im Hinblick auf das, was die Logik über das Wesen des Absoluten schlussfolgern kann, sind die Konsequenzen folgerichtig.
Die dualistische Wirklichkeitsinterpretation misst der Person eine separate Identität zu, die sie nicht hat. Das persönliche Ich ist das Resultat eines Identifikationsvorgangs. Identifikation heißt Gleichsetzung des einen mit etwas anderem. Die Identifikationsfunktion ist ein Modus des Bewusstseins, durch den es sich mit Inhalten gleichsetzt, die es in sich selbst erkennt. Durch die Zuweisung einer separaten Identität überschätzt die Person die Bedeutung, die sie hat und glaubt aus der Fehleinschätzung ihrer selbst heraus, sie könne Gott zum Werkzeug ihrer persönlichen Interessen machen. Der tatsächliche Bezug zum Absoluten wird durch die Hybris des Relativen gestört.
Politik
Politik ist die Vertretung persönlicher Interessen, die zu kollektiven Strängen gebündelt werden, um ihre Durchsetzbarkeit zu erhöhen. Jede Politik ist parteiisch. Sonst wäre sie keine. Sich zum Anwalt höherer Mächte zu erklären, ist ein wirksames Mittel der Politik um ihre Macht zu steigern. Politischen Vorsätzen sind politische Theologien entsprungen, deren Fokus auf der Lenkung kollektiver Strukturen liegt, sodass die eigentliche Funktion der Religion, die Einstimmung des Einzelnen auf das Eine, in den Hintergrund rückt.
Während die Nähe des Einzelnen zum Absoluten vom Grad seiner Einstimmung abhängt, ist die Distanz des Absoluten zum Einzelnen immer gleich Null. Vom Absoluten aus gesehen ist niemand berechtigt, eine besondere Nähe zu ihm zu behaupten, aus der ein politischer Auftrag hervorgeht.
Theologien haben politische Wirkungen; allein schon, weil jede Theologie auf die Haltung einwirkt, mit der ihre Vertreter der Gemeinschaft begegnen. Theologien verfälschen jedoch das eigentliche Wesen des Religiösen, wenn ihre Wirkung auf dem Vorsatz politischer Absichten beruht und sie gesellschaftliche Strukturen gezielt aus der theologischen Theorie heraus definieren. Die politische Wirkung theologischer Theorien ist heilsam, wenn sie von der Einstimmung Einzelner auf das Absolute ausgeht, die dem Einzelnen von innen heraus gelingt. Sie wird zwiespältig, wenn sie von außen die Einstimmung des Einzelnen auf die jeweilige Theorie betreibt.
Erneut: Es kann nur ein Subjekt geben, das sein Wesen in reiner Form verwirklicht. Gäbe es zwei, wären sie füreinander Objekte. Ein Indiz für den Wahrheitsgehalt dieser Hypothese ist darin erkennbar, dass die Introspektion in allen spirituellen Traditionen das zentrale Werkzeug zu dem ist, was die einen als Gotteserkenntnis bezeichnen und andere als den Weg, der zur Befreiung des Individuums aus den Fesseln der Selbstbezogenheit führt.
Jedes ich-bewusste Wesen ist durch die Tatsache introspektiv, dass es sich der Polarität zwischen Ich und Nicht-Ich bewusst ist und dabei das Ich als Inneres und das Nicht-Ich als Äußeres verortet. Es nimmt sich als sich selbst wahr. Bei der Besorgung alltagspraktischer Belange bleibt die Selbstwahrnehmung meist oberflächlich. Im Vordergrund der Wahrnehmung stehen situative Konstellationen des Umfelds, auf die das Ich zum Vorteil der eigenen Person reagiert. Die egozentrische Beeinflussung des Umfelds hat Priorität. Eine derartige Lebensführung befasst sich ausschließlich mit den profanen Aspekten der Wirklichkeit.
Die Selbstwahrnehmung, die im profanen Lebensvollzug bereits im Ansatz vorhanden ist, kann in zwei Stufen vertieft werden, sodass aus der beiläufigen Selbstwahrnehmung eine systematische Selbsterforschung wird.
Anlass zur psychologischen Selbsterforschung ist die Erkenntnis des Einzelnen, dass persönliche Verhaltensmuster einen erheblichen Einfluss auf Art und Effektivität seiner Handlungen haben. Daher untersucht er seine Muster, deren Zusammenhang mit kognitiven Grundannahmen über die Wirklichkeit sowie biographische Erfahrungen, die zur Entwicklung bestimmter Grundannahmen geführt haben. Die gewonnenen Einsichten ermöglichen es ihm, untaugliche Muster zu erkennen und durch taugliche zu ersetzen. Das Individuum wird selbstbewusster. Es weiß, was in seiner Psyche vorgeht. Es wird selbstbewusster, weil es seine inneren Abläufe reflektiert und selbstbestimmt modulieren kann.
Das Hauptaugenmerk der psychologischen Selbsterforschung liegt auf der Position der Person im sozialen Kontext. Ihr Ziel ist, das Verhalten so auszurichten, dass die Person in der Gemeinschaft erfolgreicher wird. Die psychologische Selbsterforschung versucht die psychosoziale Kompetenz einer konkreten Person zu verbessern. Sie fokussiert das Ich; ohne es vom Selbst zu unterscheiden.
Während die psychologische Selbsterforschung vor allem auf den Erfolg der Person in der Gemeinschaft ausgerichtet ist, geht die spirituelle weiter. Sie fragt nicht nur nach der sozialen, sondern darüber hinaus nach der existenziellen Position des Ich, also nach dessen Platz in der Wirklichkeit als Ganzes. Anlass zur spirituellen Selbsterforschung ist die Erkenntnis, dass selbst die günstigste Positionierung des Einzelnen in der sozialen Gemeinschaft nicht zu einem tragfähigen Einklang mit dem Dasein führt. Egal wie groß der Erfolg in der Welt sein mag, durch Erfolg allein findet der Einzelne auf Dauer keinen Frieden. Daher fragt er nicht nur, wie er seine Beziehung zu anderen Menschen verbessern kann. Er fragt nach dem Fundament der Wirklichkeit. Er versucht, das Wesen der Wirklichkeit zu verstehen, um systematische Verzerrungen seines Selbst- und Weltbilds aufzulösen, die durch irrtümliche Interpretationen der Wirklichkeit zu einem Unfrieden führen, der durch soziale oder wirtschaftliche Erfolge immer nur ungenügend oder vorübergehend gedämpft werden kann.
Die spirituelle Selbsterforschung versucht das Wesen der personalen Existenz im Kontext der Wirklichkeit zu verstehen, um die Begrenzungen dieser Existenz zu überwinden. Dabei geht von der Hypothese aus, dass das Fundament der Wirklichkeit geistiger Natur ist. Sie fragt nach dem Selbst, das dem persönlichen Ich zugrunde liegt, aber nicht mit ihm identisch ist.
Die psychologische Selbsterforschung kann durch Gespräche oder Selbstbetrachtungen, die die Muster der Person zum Inhalt haben, gewährleistet werden. Sie bekommt einen nachhaltigen Schub, wenn die Selbstbetrachtung durch meditative Techniken vertieft wird.
Die spirituelle Selbsterforschung kommt kaum je ohne meditative Techniken aus. Erst in der Meditation und oft erst nach langer Übung, werden Strukturen der Wirklichkeit erkennbar, deren Erkenntnis die gewünschte Befreiung aus der egozentrischen Selbstbezogenheit eines jeden ermöglicht, der Ich und Selbst gleichsetzt. Dabei genügt es nicht, den Unterschied zwischen Person und Selbst intellektuell, also als Denkmodell, nachzuvollziehen. Es bedarf der Einsicht in das Wesen der Wirklichkeit, um das Verhältnis von Ich und Absolutem Selbst so wahrzunehmen, dass das Verhalten der Person dem Verhältnis entspricht.
Jenseits der Meditation wird das Ich von Bewusstseinsinhalten gesteuert. Sie sind Hebel der Welt, durch die die Welt auf das Ich einwirkt. In der Meditation erkennt das Ich Bewusstseinsinhalte als Teile einer Welt, die an ihm vorübergeht und keinen Einfluss auf es hat. In der Meditation wird die Identifikation mit Konkretem gelockert und zuletzt aufgelöst. Die Realität wird als virtuelle Erscheinungsform der Wirklichkeit erkannt.
Jede Praxis, die man zu Recht als religiös bezeichnet, ist selbstbestimmend. Traditionen, deren Fokus nicht auf der Selbstbestimmung des Individuums liegt, sondern auf dessen Anpassung an vorgegebene Normen, sind inhaltlich nicht religiös im eigentlichen Sinne. Sie sind politisch; auch dann, wenn sie behaupten, ihre Normen seien auserwählten Personen unmittelbar von einer Gottesperson mitgeteilt worden, um alle Übrigen darauf zu verpflichten.
Wir alle kennen Bewusstseinsinhalte, denen kein reales Objekt entspricht: z.B. Träume. Viele machen darüber hinaus halluzinative Erfahrungen; sei es durch Drogen oder durch ungewöhnliche Prozesse im Zentralnervensystem, die man durch Medikamente beeinflussen kann. Wir wissen, dass es Individuen häufig misslingt, zwischen Realität und Vision zu unterscheiden.
Ob die Offenbarungsbehauptung der tradierten Theologie derartigen Phänomenen entspringt, lässt sich abschließend nicht entscheiden. Sicher ist jedoch, dass die Offenbarungsbehauptung ein erdrückendes Gewicht in die politische Waagschale wirft. Ob das Motiv, auf Gedeih und Verderb daran festzuhalten, nicht genau darauf beruht, ist eine Frage, die ihre Vertreter durch ernsthafte Selbsterforschung wohl niemals zu klären versuchen.
Traditionelle Theologien verwenden den Gottesbegriff für dualistische Zwecke, ohne die tatsächliche Beziehung zwischen dem zu verstehen, der den Begriff verwendet und dem, worauf er verweist. Resultat sind tausendjährige Kämpfe zwischen Glaubensfraktionen, die auf ihre jeweils "selbstbestimmte" Glaubenspraxis pochen, die in Ermangelung vertiefter Einsicht in ihr eigenes Wesen aber kaum etwas von sich selbst verstehen. Wer die ernsthafte Infragestellung von Glaubenssätzen für sündhaft hält, handelt eher als Marionette unverstandener Introjekte, statt tatsächlich selbstbestimmt.
Bedeutungsfacetten
Der Begriff Selbstbestimmung ist vielschichtig. Drei wesentliche Bedeutungsfacetten sind erkennbar:
Ich finde heraus, wer oder was ich überhaupt bin.
Die erste Bedeutungsfacette setzt voraus, dass der selbstbestimmte Mensch weiß, wer oder was er selbst ist. Wie sonst könnte er das, was er tut, mit dem abgleichen, was ihm tatsächlich entspricht? Es ist aber nicht selbstverständlich, dass der Einzelne weiß, was er tatsächlich ist. In der Regel bestimmt der Mensch seine angenommene Identität durch Identifikation, also durch die Gleichsetzung mit dem, was er nach der Gleichsetzung für sich selbst hält. Dabei orientiert er sich an äußeren Vorgaben, die er unüberlegt übernimmt und die keineswegs dem entsprechen, was er bereits vor der Gleichsetzung war. Die angenommene Identität weicht von der authentischen meist deutlich ab. Zudem werden die Vorgaben, die spontan übernommen werden, durch dominante Personen und kulturelle Strömungen des Umfelds gebahnt. Das führt dazu, dass der vermeintlich selbstbestimmte Mensch viel fremdbestimmter handelt, als er meint.
Angenommene Identitäten in Frage zu stellen, ist Teil einer Selbstbestimmung, die sich nicht an andere wendet, sondern das Bild überprüft, das der Einzelne von sich selbst hat. Das wahre Selbst ist der Wesenskern all dessen, was ist. Der zentrale religiöse Akt besteht im Bemühen, herauszufinden, was diesen Wesenskern tatsächlich ausmacht. Während alle angenommenen Identitäten austauschbar und damit vorgespiegelt sind, ist das wahre Selbst in der Unverlierbarkeit verankert. So verstandene Selbstbestimmung ist der Zielpunkt eines Selbsterkennungsprozesses, der konsequent über die psychischen Muster hinausgeht, die bei sozialen Interaktionen zur Anwendung kommen. Sie fokussiert nicht die Person, sondern das, was hinter der personalen Ebene liegt. Indem sie transpersonal ist, ist sie transzendent. Sie geht über die Person hinaus und wendet sich jener Ebene der Wirklichkeit zu, die jenseits der Welt liegt, in der die Person persönliche Ziele verfolgt und als Partikel dem Gesetz von Angst und Gier unterworfen ist.
Durch spirituelle Selbstbestimmung werden Angst und Gier durch reines Interesse ersetzt. Der befreite Mensch interessiert sich für die Wirklichkeit, ohne durch persönliche Urteile verbogen, verzerrt, beschränkt und geknebelt zu sein. Urteil ist Einteilung in Ja und Nein. Urteil ist Spaltung des Ganzen in Teile. Interesse ohne persönliche Wahl ist reine Liebe.
Auch der dreifach selbstbestimmte Mensch erlebt Leid und Schmerz, es bleibt ihm aber die Tragik erspart, für den größten Teil des Leids, das er zu ertragen hat, selbst verantwortlich zu sein ohne je einen Ausgang zu finden. Aufgabe der Theologie ist es, dem Einzelnen bei der dreifachen Selbstbestimmung behilflich zu sein.
Drei Aspekte der Selbstbestimmung | ||
Was bin ich? | Was denke ich? | Was tue ich? |
Weil sie das Selbst eines jeden als gleichwertigen Aspekt des Absoluten Selbst anerkennt, fördert eine Theologie, die den Einfluss beliebiger Mythen hinter sich lässt...
Der Begriff Selbstbestimmung geht weit über die Ermächtigung Einzelner oder separater Gruppen hinaus, egozentrisch über andere hinwegzugehen. Vollgültig selbstbestimmt handelt nur, wer das Selbst als gemeinsamen Nenner aller anerkennt.