Kommunikation


  1. Begriffe
  2. Transparenz
  3. Kommunikationsstörungen
  4. Lösungen
Sich wahrnehmbar zu machen und wahrzunehmen, wie der Andere tatsächlich ist...
Das zu tun, ist bereits die halbe Miete.

Was von innen kommt, kommt von innen. Was von außen kommt, kommt von außen. Wo Leben ist, fließt beides ineinander.

1. Begriffe

Störungen der Kommunikation gehen mit Störungen der seelischen Gesundheit Hand in Hand. Sie bedingen und verstärken sich wechselseitig. Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass der Begriff Kommunikations­störung als Sammelbegriff verwendet wird. Tatsächlich ist Kommunikation im eigentlichen Sinne von anderen Formen des sprachlichen Austauschs abzugrenzen.

Kommunikationsbedarf

Tech­nische Projekte Bezieh­ungs­gestal­tung
Zur Lösung komplexer tech­nischer Probleme muss das Fach­wissen mehrerer Personen zusammen­getragen werden. Zur Gestal­tung zwischen­mensch­licher Bezieh­ungen müssen Informa­tionen über die jewei­ligen Sicht­weisen, Motive und Impulse ausge­tauscht werden.

Zur Benennung des sprachlichen Kontakts zwischen Personen gibt es verschiedene Begriffe.

Ihre jeweilige Bedeutung spiegelt unterschiedliche psychologische und interaktionelle Muster wider, die die Qualität des Kontakts entscheidend bestimmen.

1.1. Kommunikation

Kommunikation geht auf das lateinische communicare = gemeinschaftlich tun, mitteilen zurück. Communicare wiederum leitet sich von communis = allen gemeinsam ab, das seinerseits aus kon = mit, zusammen und munus = Leistung, Pflicht gebildet ist.

Bei der Kommunikation werden Informationen miteinander geteilt, um Pflichten zu erfüllen und Leistungen zu bewerkstelligen, die nur gemeinsam erbracht werden können. Erst das Zusammentragen von Informationen schafft die Basis, Aufgaben zu lösen, deren Lösung informativer Ergänzung und gemeinschaftlicher Absprache bedarf. Kommunikation weist ihrem Wesen nach auf weiterführende Ziele hin.

Taktik oder Ausdruck

Reden und Schweigen können Taktik oder Ausdruck sein. Sie sind Taktik, wenn der Schwerpunkt auf dem liegt, was sie beim Anderen bewirken. Sie sind Ausdruck, wenn der Schwerpunkt in dem liegt, was sie bei mir selbst bewirken. Ich merke, dass Reden und Schweigen Ausdruck sind, wenn die Tatsache, etwas gesagt oder geschwiegen zu haben, mich freier macht.

Je mehr das, was ich sage, auf andere einwirken soll, desto mehr hänge ich von anderen ab.

Dient die Kommunikation der Beziehungsgestaltung, spielen neben dem verbalen Ausdruck nonverbale Botschaften eine große Rolle. Mimik, Gestik, Sprachmelodie sowie die Qualität der benutzten Wörter und Wendungen entscheiden maßgeblich darüber mit, welche Inhalte gesendet und empfangen werden. Sind sie sachlich, polemisch, metaphorisch, abwertend oder schmeichelnd gemeint?

Unterschiede in den Kommunikationsmöglichkeiten ergeben sich auch durch das unterschiedliche Vokabular verschiedener Sprachen. Bei der Übersetzung komplexer Texte von einer Sprache in eine andere gehen Sinngehalte verloren oder sie verfärben sich.

1.2. Konversation

Wechselseitiger Vorteil

Was will ich beim Anderen bewirken, indem ich ihm dies oder das sage? Sich das zu fragen, verbessert zweierlei:

  1. die Selbsterkenntnis
  2. die Fähigkeit manipulationsfrei zu kommunizieren

Je weniger man versucht, verdeckt auf andere einzuwirken, desto weniger Gefahr besteht, neurotisch zu sein.

Konversation ist ebenfalls ein Begriff lateinischen Ursprungs. Er geht auf conversari = sich aufhalten, mit jemandem umgehen zurück. Auch hier ist die Silbe kon = mit, zusammen erkennbar; diesmal in Verbindung mit einer Abwandlung des Verbs vertere = wenden, drehen.

Der Begriff Konversation benennt eine zweifache Wendebewegung: Die Gesprächspartner wenden sich...

Im Gegensatz zur Kommunikation fehlt bei der bloßen Konversation ein konkretes Ziel, das über das Gespräch hinausweist. Wie das Verb conversari es anzeigt, hält man sich bei der Konversation am Thema auf... und wechselt es, wenn der Umgang mit dem anderen durch ein Aufbrauchen des Gesprächsstoffs auseinanderzufallen droht. Konversation hat eine Binde-, aber keine progressive Gestaltungsfunktion.

Der englische Begriff small talk = kleines Gespräch bezeichnet die klassische Form der Konversation. Er zeigt an, dass Konversation als qualitativ untergeordnete Spielart des Gesprächs anzusehen ist, die nicht dem hohen Anspruch vollgültiger Kommunikation zu genügen hat.

1.3. Dialog

Dialog ist eine griechisch-stämmige Wortbildung. Sie setzt sich aus dia (δια) = durch, hindurch, zwischen und dem Verb legesthai (λεγεσθαι) zusammen. Legesthai geht auf legein (λεγειν) = aufsammeln, lesen, reden zurück, wovon seinerseits logos (λογος) = Vernunft, Wort abgeleitet ist.

Im Dialog werden Vorstellungsbilder durch sprachlichen Austausch begrifflich erfasst und aufgesammelt. Dialog führt zum Aufbau logisch stimmiger Anschauungen und somit zu Erkenntnisgewinn und Klärung persönlicher Positionen.

Der Nutzen des Dialogs ist zweifach:

  1. Durch Formulierung dessen, was man dem Anderen sagen will, unterzieht man die eigenen Anschauungen einer Überprüfung durch die Vernunft. Man formuliert Gedanken aus, die sonst verschwommen blieben... oder man sortiert Vorstellungen aus, die im Lichtschein des Gesprächs als unvertretbar erscheinen.

  2. Indem der Andere zum gleichen Thema Sichtweisen beisteuert, die aus einem anderen Erfahrungshintergrund heraus entstanden sind, bekommt man gedankliche Alternativen angeboten, auf die man selbst nur schwer gekommen wäre.

Wie das Wort Gespräch kann Dialog als neutraler Oberbegriff verwendet werden. Seine inhaltliche Bedeutung weist auf wesentliche Aspekte, Wirkungen und Funktionen sprachlicher Kontakte hin. In jedem Fall kommt dem Dialog eine beiläufig aufbauende Wirkung auf bewusste Vorstellungsbilder zu. Dialog macht bewusst, was man eigentlich denkt... oder was man zu wissen glaubt, aber doch nicht weiß.

1.4. Diskussion

Im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Begriffen, deren Grundtendenz konstruktiv aufbauend ist, hat die Diskussion einen destruktiven und feindseligen Charakter.

Diskussion geht auf lateinisch discutere = zerschlagen, zerteilen, zerlegen zurück. Bei der Diskussion geht es um keine Mitteilung von Wissen. Diskussion stellt nicht zur Verfügung. Es geht auch nicht um die Hinwendung zu einem Thema. Vielmehr dient Diskussion dem Versuch, die Sichtweise des Gegenübers zu zerschlagen; um an ihre Stelle die eigene zu setzen. Motiv der Diskutanten ist dabei die Überzeugung,

Wie die Kommunikation hat die Diskussion eine Zielsetzung, die über das Gespräch hinausweist: den Sieg über die gegnerische Meinung.

Konstruktion und Destruktion

Die Betonung bei der Diskussion liegt, wie der Name es verrät, auf der destruktiven Komponente. Trotzdem hat das Diskutieren auch einen aufbauenden und bewahrenden Charakter.

Zu guter Letzt gibt es auch Übergänge: Nicht jede Diskussion zielt so unverrückbar auf Sieg und Niederlage ab, als dass man im Streitgespräch nicht doch in der Lage wäre, der Sichtweise des Gegners etwas abzugewinnen.

1.5. Gespräch

Das deutsche Wort Gespräch kann als neutraler Oberbegriff der verschiedenen sprachlichen Kontaktformen verwendet werden.

Die Vorsilbe Ge- im Gespräch verweist auf die Zusammensetzung einfacher sprach­licher Elemente zu einem komplexen verbalen Kontaktablauf. Das Ge- im Gespräch signalisiert zugleich eine Versammlung von Personen zwecks Austausch sprachlicher Inhalte.

Die Funktion der Vorsilbe ge- zur Bezeichnung einer Versammlung zusammengehöriger Elemente ist in analogen Wortbildungen erkennbar: Gewässer, Gewölbe, Gebüsch, Gewürm.

Gespräch ist mehr als Zuruf. Hallo Du! kann Zündfunke sein. Ohne dass der Funke überspringt und zündet, kommt aber kein Gespräch zustande. Oft wird auch der Monolog mit dem Gespräch verwechselt; vor allem von dem, der ihn vorträgt. So mancher glaubt, er habe sich unterhalten, etwas vereinbart oder abgesprochen. Dabei hat er nur einseitig zum Ausdruck gebracht, was er mitteilen wollte; und das, was der Andere dazu sagte oder hätte sagen können, blieb völlig außer Acht.

Im Alltag gehen verschiedene Formen des Gesprächs oft ineinander über. Sie überlappen sich oder wechseln sich in unterschiedlichem Tempo ab.

Gesprächsformen im Überblick

Kom­mu­nika­tion Kon­versa­tion Dia­log Dis­kus­sion
Ziel­setz­ung aus­drück­lich auf­bau­end bei­läufig bin­dend bei­läufig auf­bau­end aus­drück­lich destruk­tiv
(bei­läufig auf­bauend)
Stör­anfäl­lig­keit +++ + + (+)
Stör­fak­toren Ego­zen­trische An­prüche Sozi­al­pho­bische Ängste vari­abel Abhäng­ige, ängst­lich-ver­mei­dende oder passiv-aggres­sive Ver­haltens­muster
Betrof­fene Funk­tion bei Stö­rung Gestal­tung enger Bezieh­ungen Kon­takt­anbah­nung
Kon­takt­pflege
vari­abel Austra­gung von Konflik­ten, Klärung unter­schied­licher Posi­tionen

1.6. Small-, Medium- und Bigtalk

Spricht man über Kommunikationsformen, ist auch eine alternative Einteilung denkbar. Bekannt ist der Begriff Smalltalk. Wenn es aber einen Smalltalk gibt, wieso dann keinen Bigtalk? Und wenn es beide gibt, was befindet sich dazwischen? Doch wohl Mediumtalk. Machen wir uns also daran, zu definieren, was unter den drei Varianten verstanden werden könnte.

Große, kleine und mittlere Themen

Small­talk Medium­talk Big­talk
Details der Wirk­lichkeit, deren Aufgabe sich als Inhalt einer Gesprächs­episode erfüllt Details der Wirk­lichkeit, denen eine weiter­führ­ende Bedeu­tung zukommt Wesen und Grund­struktur der Wirk­lichkeit
  • der Unfall in der Nachbar­schaft
  • das Spiel des Zweit- gegen den Erst­ligisten
  • Jenni­fers Benehmen am Grün­donnerstag
  • Wie läuft das Bewer­bungs­verfahren für Münster?
  • Was hat die Elektro­phorese ergeben?
  • Wie kann man unter Linux ein Laufwerk mounten?
  • Wo kommen wir her?
  • Wo gehen wir hin?
  • Was soll das Ganze?
  • Was sind wir?
  • Wie stehen wir beide zuein­ander?
kontakt­knüpfend problem­lösend selbst­findend

Die Funktionen der drei Talkvarianten sind hier so zugeordnet, als sei die eine kontaktknüpfend, die andere selbstfindend. Tatsächlich deckt die selbstfindende Variante aber auch die beiden anderen Funktionen ab und die problemlösende ist auch kontaktknüpfend. Mehr noch: Eine gemeinsame Problemlösung verbindet mehr als bloßes Geplauder. Ein Gespräch über das eigene Selbst tut das erst recht. Dementsprechend können Talkvarianten als Stufengrade der Intensität aufgefasst werden.

Stufengrade der Kontaktintensität

kon­takt­knüp­fend pro­blem­lösend selbst­find­end
Small­talk +
Medium­talk ++ +
Big­talk +++ ++ +

Grundtendenz: Je mehr Menschen zusammenkommen, desto oberflächlicher wird die Kommunikation, weil der gemeinsame Nenner mit der Zahl der Gesprächsteilnehmer schrumpft. Auf Partys wird eher über Unwichtiges gesprochen. Geht es um Wichtiges, sucht man das Gespräch zu zweit. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Kompromisse

Die Politik hat ein Dilemma: Viele befassen sich gleichzeitig mit Wichtigem. Da die Anwesenheit vieler echte Kommunikation erschwert, sind ihre Resultate oft kein Ergebnis vertieften Verstehens, sondern komplizierte Konstrukte.

Es liegt auf der Hand: Die problemlösende Funktion selbstfinden­der Gespräche bezieht sich nicht auf technische Fragen. Wie man sich an der Uni Münster bewirbt, lässt sich nicht klären, indem man sich gemeinsam über tiefergehende Fragen des Daseins austauscht. Selbstfindende Gespräche sind aber problemlösend, weil sich der Vollzug des alltäglichen Lebens vereinfacht, sobald man sich selbst erkennt und über sich selbst bestimmt.

Warum ist selbstfindender Bigtalk aber stärker kontaktknüpfend als selbstfindend? Weil man zur Selbstfindung viel introspektives Schweigen braucht.

2. Transparenz

Kommunikation ist Transparenz (lateinisch trans = hindurch und parere = sichtbar sein, erscheinen). Ihr Wesen liegt darin, dem Gegenüber Wissen zur Verfügung zu stellen, das ihm ohne aktive Offenlegung nicht zugänglich wäre. Kommuni­kation macht die Ich-Grenze durchscheinend.

2.1. Wesen und Funktionen

Kommunizierbares Wissen kann zwei Kategorien zugeordnet werden:

  1. Sachkenntnissen bezüglich der objektiven Realität

    Lukas berichtet Manuel, dass sich beim Colliding-Beam-Experiment Hinweise darauf ergeben haben, dass das Quark-Gluon-Plasma durch eine CP-Verletzung mit der scheinbaren Invarianz des Bso-Mesons interagieren könnte.

    Hätte Manuel die leiseste Ahnung davon, worüber Lukas spricht, wäre es denkbar, dass die Verbindung beider Wissensmengen den Bau eines Stargates ermöglichte, durch das man im Nu von Hattingen nach Wuppertal käme. Da Manuel aber das passende Wissen zu Lukas' Mitteilung fehlt, bleibt er auch weiterhin auf der A46 im Dauerstau stecken. Zur Abhilfe beschließt er, zunächst ein Buch von Richard Feynman zu lesen. Nach der Lektüre einer erhellenden Schrift Feynmans hat sich Manuels Verständnis der Quantenphysik um das 7,3-fache einer durchschnittlichen Bosonenmasse erhöht. Zu wenig, um den Bau des Stargates anzugehen. Im Stau versucht er nun, auf spirituellem Wege das Nirvana zu erreichen. Immerhin: Indische Mystiker gehen davon aus, dass das mindestens so lange dauert, bis im Verkehrsministerium zielführende Tatkraft keimt. So fügt sich ⇗Kalis Spiel zu Shivas Tanz.

  2. Informationen bezüglich subjektiver Befindlichkeiten

    Ulrike erklärt Holger, was sie beim Besuch bei Tante Adelheid dazu bewogen hatte, zwischen Hauptgang und Nachtisch auf die Terrasse eine rauchen zu gehen.

    Sie hatte sich darüber geärgert, dass ihr Holgers Tante ständig ins Wort fiel, wollte der alten Dame aber keine Vorhaltungen machen, weil sie ja wusste, wie sehr sich Holger über deren Einladung zum Abendessen gefreut hatte. Es gab Sauerbraten mit Schneebällchen (Rezept: siehe Fußnote) ohne Rotkohl, da der farblich nicht zu den Schneebällchen passt.

Alltagspraktische Angelegenheiten

Ulrike, weißt Du wo die Knoblauchpresse geblieben ist?

Zivilisatorische Errungenschaften

Wer hätte jemals eine Knoblauchpresse hergestellt, wenn ihm das grundsätzliche Wissen um Metallurgie und Schmiedekunst nicht von anderen vermittelt worden wäre?

Während die Kommunikation objektiver Sachkenntnisse nicht nur zur Bewältigung all­tagspraktischer Angelegenheiten beiträgt, sondern eine wesentliche Grundlage zivilisa­torischer Errungenschaften ist, verhindert die Kommunikation subjektiver Befindlich­keiten, dass sich die Menschheit wechselseitig vollends missversteht. Der Mensch ist ein Wesen, dessen Existenz sich in interpersonellen Netzwerken abspielt. Teilte der eine dem anderen nicht mit, was in ihm vorgeht, blieben Beziehungen oberflächlich.

Die Kommunikation subjektiver Befindlichkeiten erfüllt wichtige Aufgaben:

2.2. Missbrauch

Liest man so viel Lobpreis über den Wert der Kommunikation, könnte man glauben, Transparenz, also die Mitteilung subjektiver Befindlichkeiten oder objektiver Tatsachen, sei immer und überall rat­sam. Das ist sie nicht. Kommunikation kann Probleme erzeugen und unangebracht sein.

Irreführung
Der Missbrauch kommunikativer Mittel ist von der Irreführung zu unterscheiden. Wird wahres Wissen zu anderen Zwecken mitgeteilt, als im Dienste einer gemeinsamen Sache, dann ist es pseudo-kommunikativer Missbrauch. Wird vorgetäuschtes Wissen übergeben und wahres Wissen dadurch verheimlicht, ist es Irreführung.

Um das zu verstehen, rufen wir uns den lateinischen Wortsinn ins Gedächtnis. Kommunikation heißt nicht nur, dass man anderen Wissen um dies oder das zugänglich macht. Der Begriff spricht auch von gemeinsamer Aufgabe, denn der Bestandteil munus verweist auf eine Leistung, die gemeinsam zu erbringen ist. Ohne ein gemeinsames Projekt, dem die Mitteilung dient, kann Kommunikation Miss­brauch sein oder bedenkliche Nebenwirkungen nach sich ziehen.

Sowohl Nele als auch Patrick stellen ihrem Gegenüber Wissen zur Verfügung, das sie sonst nicht hätten haben können. Ein Wesenszug von Kommunikation ist somit erfüllt. Trotzdem ist das, was beide tun, keine vollgültige Kommunikation. Der Zweck der Mitteilungen dient keiner gemeinsamen Beziehungsgestaltung, sondern der Abfuhr unangenehmer Affekte.

Zurückhalten oder nicht?

Auch wenn es nicht um die Abfuhr affektiver Spannungen geht, kann Abwägung geboten sein.


Ob Transparenz heilsam ist oder bedenklich, hängt von vielen Faktoren ab. Der Sender einer Mitteilung ist gut beraten, vor dem Versand zu überprüfen, ob der Empfänger die Botschaft überhaupt erhalten will bzw. ob er etwas Nützliches damit anfangen kann.

Grundregel

Je weniger das Wohlbefinden eines Menschen von bloßen Bildern abhängt, desto geringer ist die Gefahr, dass ihn die Mitteilung einer Wahrheit aus der Bahn wirft.

Am besten folgt man keiner starren Regel. Am besten übt man sich in Achtsamkeit und vertraut auf das, was man für richtig hält.

3. Kommunikationsstörungen

Störungen können bei allen Gesprächsformen auftreten. Umgangssprachlich kommt bei allen der Begriff Kommunikations­störung zum Einsatz. Eigentlich sind aber drei psychologisch begründbare Störungen der Gesprächsführung voneinander abzugrenzen:

Diskussionsstörung

Den Begriff Diskussionsstörung kennt die Sprache nicht; den der Kommunikations­störung sehr wohl. Das ist kein Zufall. Im Vergleich zum konstruktiven Anspruch der Kommunikation ist Diskussion nichts, bei dem viel misslingen könnte. Draufzuhauen ist leichter als gemeinsam etwas aufzubauen; zumindest, wenn man sich nicht vor dem Schlagabtausch fürchtet.

3.1. Eigentliche Kommunikationsstörung

Kommunikationsstörungen im eigentlichen Sinne kommen im Rahmen zwischen­menschlicher Beziehungsklärungen besonders häufig vor. Das ist nicht anders zu erwarten. Kommunikation ist die psychologisch anspruchsvollste Form des verbalen Kontakts. Es gilt, den Wissenstand zweier oder mehrerer Personen miteinander abzugleichen. Das geht nur bei wechselseitigem Respekt vor unter­schiedlichen Sichtweisen und tatsächlichem Interesse daran, zu erfahren, was der Andere fühlt, denkt, meint und will. Sowohl am Respekt als auch am Interesse mangelt es oft.

Kommunikationsstörungen werden durch Überaktivität des Ego verursacht.

Das Ego als Anwalt der Person versucht seinem Mandanten Vorteile zu verschaffen. Nachteile anderer nimmt es oft bedenkenlos in Kauf. Menschen, die sich ihrer selbst nicht sicher sind, neigen dazu, dem Ego eine Menge Raum zu lassen. Sie erteilen dem Anwalt eine Vollmacht und überlassen dann alles andere ihm. Aus dem Gefühl heraus, sich selbst nicht zu genügen, suchen sie nach Bestätigung. Abweichende Sichtweisen erleben sie zurecht als Infragestellung der eigenen Position. Es fehlt ihnen aber das Selbstvertrauen, dieser Infragestellung gelassen ins Auge zu sehen.

Pilzgespräche

Pilzgespräche sind nach einer Szene in Tolstois Roman Anna Karenina benannt. Einer der Roman­helden geht mit seiner heimlich Angebeteten spazieren. Eigentlich ist der Moment gekommen, Liebe, Lust und Leidenschaft zu offenbaren. Aber ach! Der Held findet nicht den Mut... und redet stattdessen über die Pilze am Wegesrand.

Statt Kommunikation zu wagen, beließ er es bei bloßer Konversation. Statt sich zu vertiefen, bleibt die Beziehung der Liebenden flach.

Bei der echten Kommunikationsstörung sind zwei Kernsymptome festzustellen:

  1. Mangelnde Bereitschaft, tatsächlich zuzuhören.
    • Statt an der Information interessiert zu sein, die der Andere geben kann, warten die Beteiligten auf eine passende Lücke oder ein Stichwort, um die Sicht­weise des Anderen anzugreifen. Die Kommunikation fällt dadurch auf die Stufe einer Diskussion zurück.

  2. Mangelnde Bereitschaft, offen zu bekennen, was man denkt und fühlt.
    • Um sich nicht angreifbar zu machen oder um ein erwünschtes Bild in den Augen anderer zu erzeugen, werden wichtige Informationen zurückgehalten. Die Kommunikation verflacht und geht ins Manipulative über.

      Nicht selten liegt der mangelnden Kommunikationsbereitschaft ein individualpsychologisches Problem zugrunde: die fehlende Fähigkeit zur vertieften Selbstwahrnehmung. Nur, was ich von mir selbst weiß, kann ich auch anderen mitteilen.

Nicht wollen und nicht können, verstärken sich oft wechselseitig.

3.2. Störung der Konversationsfähigkeit

Vielen fällt es schwer, unverbindliche Gespräche anzuknüpfen. Im Zugabteil, im Fahrstuhl oder an der Bushaltestelle weichen sie Blickkontakten aus. Partys vermeiden sie grundsätzlich; und wenn eine Einladung nicht abzuwehren ist, greifen sie zu Alkohol und Zigarettenrauch, um Hemmungen zu beseitigen, die einem Smalltalk im Wege stehen.

Solche Störungen der Konversationsfähigkeit werden oft durch sozialphobische Ängste verursacht.

Sobald ich mich auf ein Gespräch einlasse, ziehe ich Aufmerksamkeit auf mich. Was ich im Gespräch von mir gebe, lässt Rückschlüsse zu, was von mir zu halten ist. Somit setze ich mich der Gefahr aus, beurteilt zu werden.

Ansprüche

Hinter der sozialen Phobie können Ansprüche stehen. Wer anderen gegenüber als etwas Besonderes gelten will, kann es sich nicht leisten, durchschnittliche oder gar belanglose Gesprächsbeträge von sich zu geben. Er setzt sich unter Druck, um sich mit Bemerkenswertem hervorzutun; und wenn ihm nichts Bemerkens­wertes einfällt, schweigt er. So kann ein verbor­gener Selbstwertzweifel einen narzisstischen Anspruch schüren, dessen Kehrseite als Schüchternheit und Hemmung in Erscheinung tritt.

Grundlage der sozialen Phobie ist zum einen das Bedürfnis, positiv beurteilt zu werden, zum anderen die Furcht, das Urteil des Anderen könnte gegenteilig sein. Aus beidem entwickelt sich eine Spannung, die zur Blockade der Fähigkeit führt, unverbindliche Gespräche anzuknüpfen.

Statt über beliebige Themen zu plaudern und dabei ungefiltert von sich zu geben, was ihm in den Sinn kommt, zensiert der Phobiker die eigenen Gedanken: Ist das, was mir gerade einfällt auch wirklich klug oder witzig genug, als dass ich riskieren kann, es zu sagen. Bis die Zensur den Fall entschieden hat, ist die Gelegenheit, den Gedanken auszusprechen, vorüber. Resultat ist betretenes Schweigen.

3.3. Störung der Diskussionsfähigkeit

Auch wenn die Sprache Diskussionsstörungen nicht kennt, gibt es das Phänomen durchaus. Die Angst, eigene Positionen im Wortgefecht offen auszutragen, bremst vor allem Menschen aus, die sich so abhängig vom Wohlwollen anderer erleben, dass ihnen der Mut fehlt, sich durch eine eigenständige Position aus der Gemeinschaft mit dem Gegenüber abzunabeln. Dazu gehören vor allem Personen, deren Bindungsbedürfnis überwertig ist; also solche, die entsprechenden Persönlichkeitsvarianten zugeordnet werden können:

Statt über strittige Fragen zu streiten, geben solche Persönlichkeiten ihrem Gegenüber Recht, ohne es im Herzen tatsächlich zu tun. Auch das kann einer echten Kommunikationsstörung entsprechen: sobald das Vermeidungsverhalten Informationen verbirgt, die für eine kreative Beziehungsgestaltung notwendig sind.

4. Lösungen

Schwere Kommunikationsstörungen sind als Ausdruck und Ursache komplexer Persönlich­keitsproblematiken eng mit Psychodynamik und Lebenserfahrung verzahnt. Sinnvolle Kommunikation kann als funktionales Verhalten eingeübt und erlernt werden. Dem blo­ßem Einüben stehen verborgene Ängste entgegen. Daher ist eine aufdeckende Therapie oft unentbehrlich. Aufdeckend ist eine Therapie, wenn sie unbewusste Motive bewusst macht. Zum Einsatz kommen sämtliche Verfahren der Psychotherapie.

Auch ohne therapeutische Hilfe kann man im Alltag aber einiges tun, um zumindest echte Kommunikationsstörungen zu beheben. Drei mögliche Mittel dazu sind...

  1. der verzögerte Dialog.
  2. die irrtumsfreie Kommunikation.
  3. der Verzicht auf verdeckte Beeinflussung.

Alle drei sind sich weitgehend überlappende Facetten einer erfolgversprechenden Kommunikation.

4.1. Verzögerter Dialog

Enge zwischenmenschliche Beziehungen leiden unter hohen Ansprüchen. Jede Seite erwartet von der anderen, sich so zu verhalten, wie es dem eigenen Wohlbefinden entspricht. Das Problem ist in der Partnerschaft am größten, weil die wechselseitigen Erwartungen hier besonders groß sind. Der Andere wird in Haftung genommen, das ersehnte Glück zu garantieren... und durch diese Erwartung überfordert.

Statt sich der Tatsache zu stellen, dass der Andere Wünsche nur teilweise erfüllen kann und durch echtes Hinhören in Erfahrung zu bringen, wer der Andere tatsächlich ist, versucht man ihn den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Kommunikation entartet in fruchtlose Diskussion. Statt die Sichtweise des Anderen stehen zu lassen, holt man sekundenschnell zum Gegenschlag aus.

Dem kann man entgegenwirken:

Vereinbaren Sie mit ihrem Partner feste Zeiten, in denen nur einer spricht. Wer mit dem Sprechen an der Reihe ist, kann ungehindert darstellen, was ihn bewegt. Vereinbaren Sie eine ausreichende Zeitspanne, die einzuhalten ist, bis der Andere zur Antwort berechtigt ist. Das können 15 Minuten oder 24 Stunden sein.

Durch die Verzögerung wird aus dem Schlagabtausch womöglich ein echter Dialog, weil das Gesagte durch die Verzögerung eine Chance hat, den Adressaten zu erreichen... und diesen dadurch befähigt, klüger zu antworten, als er es im Eifer eines hastigen Gefechtes jemals täte.

Irrtumsfreie Kommunikation ist nur möglich, wenn man nichts anderes bezweckt, als sich sichtbar zu machen.
4.2. Irrtumsfreie Kommunikation

Das klingt plausibel: Kommunikation hat eine umso größere Chance, fruchtbar zu wirken, je weniger sich der Mitteilende irrt. Nun ist es schwierig, Irrtum immer auszuschließen. Es gibt aber Bereiche, über die irrtumsfrei kommuniziert werden kann. Diese Bereiche sind darüber hinaus die, die für eine erfolgreiche Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen wichtig sind: die innerseelische Erfahrung, die der Mitteilende gerade macht.

Um irrtumsfrei kommunizieren zu können, sind vier Kriterien im Umgang mit sich selbst und dem Anderen unabdingbar:

  1. Ich muss erkennen, was in mir vorgeht.
  2. Ich muss in der Lage sein, tatsächlich Wahrnehmbares von Urteilen zu unterscheiden.
  3. Ich muss die volle Verantwortung für mein Erleben übernehmen.
  4. Ich muss bereit sein, das Erkannte unzensiert zu schildern.

Bei der irrtumsfreien Kommunikation spricht der Mitteilende immer nur über sich selbst. Er sagt nicht: Du hast oder Es ist so und so. Er sagt:

4.3. Verzicht auf asymmetrische Beeinflussung

Kernfrage

Was will ich beim Anderen bezwecken, indem ich ihm diese oder jene Botschaft sende?

Kommunikation stellt Wissen zur Verfügung. Sie dient primär dem Anderen. Dem Anderen wird etwas übergeben, das er dann für sich nutzen kann. Nur selten ist der, der sein Wissen übergibt, aber so selbstlos, als dass er bei der Übergabe nicht an den eigenen Vorteil dächte. Das ist kein Problem, solange der Adressat nicht manipuliert, sondern transparent informiert wird und es der Sender akzeptiert, wenn der Vorteil, den er sich für sich selbst wünscht, ausbleibt.

Kannst Du mal die Schubkarre holen? Ich glaube, sie steht hinter dem Gartenhaus. Mach' ich, aber ich lese erst noch die Seite zu Ende.
oder
Tut mir leid. Bin derzeit zu beschäftigt.

Derlei Art zu kommunizieren respektiert die Ebenbürtigkeit der Beteiligten. Kommunika­tionsepisoden, bei denen die Ebenbürtigkeit offen oder verdeckt missachtet wird, sind im Alltag aber gang und gäbe.

Bei der offenen Asymmetrie stellt sich der eine über den anderen und betrachtet Kommunikation als einen Transportweg von Handlungsanweisungen, die der Empfänger auszuführen hat. Er konfrontiert den Anderen mit Erwartungen und lässt nicht locker, bevor sie erfüllt sind. Das führt entweder...

Grundregel

Wenn Sie die Sicht- oder Verhaltensweisen eines Anderen durch unmittelbaren Druck oder verdeckte Mittel zu steuern versuchen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es besser für Sie wäre, das zu unterlassen.

Die verdeckte Asymmetrie kann ebenso schädlich für das Zusammenleben sein. Dabei wird der sachlichen Information eine manipulative Komponente beigemischt, die die Sicht- und Handlungsweisen des Empfängers steuern soll. Da wird etwas weggelassen, besonders betont, übertrieben dargestellt oder überhaupt nur gesagt um den Adressaten...

Auch bei der manipulativen Kommunikation stellt sich der eine über den Anderen. Er missachtet das Selbstbestimmungsrecht des Gegenübers, was nicht nur zu dessen Nachteil ist, sondern vor allem auch zum eigenen. Je mehr man zu beeinflussen versucht, was der Andere tun, lassen oder denken sollte, desto mehr Mühe kostet es, um genau das zu bewirken: eine Mühe, die sich nur selten lohnt und die umso öfter Beziehungen vergiftet.

Wenn sich in jedem zweiten Download ein Programmteil versteckt, das den Empfänger rücklings vereinnahmt, wird sich der Empfänger auf Dauer verschließen.


Fußnote

Ein Beispiel technischer Kommunikation ist die Mitteilung des Grundrezepts für saarländische Schneebällchen. Dabei handelt es sich um eine Variante festlicher Klöße, die zu allerlei Bratengerichten mit üppigem Soßenanteil gereicht werden kann.

Sie brauchen:

Vermengen Sie das Ganze zu einer homogenen Masse, formen Sie Klöße daraus und erhitzen Sie diese in einem großen Topf mit heißem Wasser. Das Wasser sollte dabei nicht kochen, sondern bloß simmern. Was die Mischungsverhältnisse von Kartoffel, Ei und Mehl betrifft, so ist zu sagen, dass die Klöße mit viel Mehl fester werden, mit weniger bleiben sie leichter und fluffiger. Nehmen Sie allerdings zu wenig Mehl, besteht die Gefahr, dass die Klöße im Wasser zerfallen. Die Schneebällchen sind fertig, wenn sie an die Wasseroberfläche steigen.