Wahrheit ist die Substanz des Geistes. Je mehr er sich irrt, desto mehr leidet er an sich selbst.
Information geht auf das lateinische Verb informare zurück. Darin ist das Substantiv forma = Gestalt, Form, Gebilde enthalten. Somit heißt informieren eigentlich einformen.
Informationen sind formgebende Muster. Sie bestimmen die Gestalt dessen, der sie aufnimmt. Als Erbinformationen entscheiden sie über die leibliche Struktur jenes Individuums, das als geformte Gestalt in ein Umfeld hineingeboren und dort als Reaktion auf weitere Informationen Handlungen ausführen wird. Sinnlich oder mental übertragene Informationen prägen sein Bewusstsein, beeinflussen seine Meinungen, formatieren sein Weltbild und richten sein Verhalten auf bestimmte Ziele aus; ungeachtet dessen, ob sie zutreffen oder falsch sind.
Von der Information zur Manipulation
Information heißt Einformung. Information wird zur Manipulation, wenn ihr formender Effekt gezielt eingesetzt wird, um den Informierten in seinen Entscheidungen zu beeinflussen. Merkmale der Manipulation sind:Unparteiisch auszuwählen ist bei gesellschaftspolitischen Themen eine schwierige Kunst, Absichten offen einzugestehen eine seltene Tugend. Sowohl auf die Tugend als auch auf die Ausübung der Kunst wird gerne verzichtet, weil beide die Macht der Manipulation untergraben.
Informationen können zutreffen oder in die Irre führen. Eine Information ist zutreffend, wenn sie den Interessen des Informierten dient. Sie ist irreführend, wenn sie ihn von seinem eigentlichen Interesse ablenkt. Zutreffende Informationen verbessern die Möglichkeit des Informierten, im eigenen Interesse zu handeln. Sie richten seine Form so aus, dass sie wie ein Schlüssel zur Wirklichkeit passt, die ihm begegnet. Falsche Informationen erzeugen falsche Schlüssel. Falsche Schlüssel verhindern, dass die richtigen Türen geöffnet werden.
Man sagt: Ich verfüge über Informationen. Die ganze Wahrheit ist das nicht. Es stimmt auch umgekehrt: Informationen verfügen über mich.
Anselm hütete in Hintertupfingen Schafe. Er freute sich auf die Hochzeit mit Resel. Da hieß es, in Burundi sei Gold gefunden worden. Anselm starb am Sumpffieber.
Bertram erfuhr von Anselms Abreise. Während Resel auf Anselms Rückkehr wartete, machte Bertram ihr tröstliche Geschenke. Als man von Anselm nichts mehr hörte, gab Resel Bertram das Jawort.
Informationen formen nicht nur das Leben dessen, der unmittelbar durch sie beeinflusst wird, sondern auch das anderer Personen. Durch die Vernetzung zwischenmenschlicher Interaktionen steuern sie die Entwicklung ganzer Kulturen. Hätte Anselm nie vom Gold in Afrika erfahren, wäre Bertrams Leben anders verlaufen. Franzl, Bertrams Sohn mit Resel, wäre gar nicht auf der Welt.
Hätte Anselm von den Gefahren gewusst, die von der Anopheles-Mücke ausgehen, wäre er womöglich bei Resel und den Schafen geblieben. Anselm war unvollständig informiert.
Moment mal! Vielleicht sind wir unvollständig informiert... und Anselm wurde sogar gezielt falsch informiert. Wissen wir denn, woher das Gerücht über die Goldfunde in Burundi kam? Vielleicht war es ja Bertram, der es aus Eigennutz und ohne jede Wahrheitstreue in Umlauf brachte. Wir wissen es nicht... Aber immerhin wissen wir, dass es so gewesen sein könnte und hüten uns in Zukunft, Informationen, die unser Verhalten wesentlich beeinflussen, ungeprüft aufzunehmen.
Hätte König Atahualpa nicht geglaubt, die weiße Haut Pizarros sei ein Zeichen göttlicher Herkunft, hätte er ihn nicht ungeschützt empfangen. Das Reich der Inka hätte die Begegnung mit Europa überlebt. Ganze Kulturen können untergehen, wenn das Maß ihrer Fehlinformation einen kritischen Punkt erreicht. Nichts drückt in der Geschichte mehr aufs Tempo als die Verirrung derer, die die Wahrheit übersehen.
Wissen beruht auf der Kenntnis realer Sachverhalte. Damit ist es Grundlage wirksamen Handelns. Man sagt zu Recht: Wissen ist Macht.
Wissen macht vor allem mächtig, wenn es sich auf Sachverhalte bezieht, die wir beeinflussen können. Wissen wir von Dingen, auf die wir keinen Einfluss haben, kann uns das ebenfalls stärken; indem es die Basis des Urteilsvermögens verbreitert und Erkenntnisse bahnt, die zu einem vertieften Verständnis der eigenen Position in der Wirklichkeit verhelfen.
Gewiss: Zu wissen, dass Insektenforscher Termiten und Schaben heute als eng verwandte Spezies betrachten, verändert keineswegs unseren Speiseplan, das Konzept einer Verwandtschaft verschiedener Arten untereinander erinnert uns assoziativ aber daran, dass wir selbst mit allem Leben verbunden sind.
Da Wissen nur mächtig macht, wenn es Wirklichkeit erkennt, stellt sich die Frage, woher es stammt. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, Wissen zu erwerben:
Wissen wird entweder unmittelbar durch eigene Wahrnehmung erworben oder es wird durch vorgefertigte Information vermittelt. Erfahren wir von einer Sache durch eigene Anschauung, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die gewonnene Kenntnis überwiegend der Wahrheit entspricht; zumindest soweit wir bei der Anschauung unvoreingenommen sind und uns nicht gegen die Zurkenntnisnahme der betreffenden Fakten sträuben. Auf dem Boden eines solchen Wissens entsteht ein Weltbild, aus dem heraus wir das Leben sinnvoll gestalten können.
Überprüfbare Anschauung ist zudem die beste Basis dafür, sich mit anderen auf eine übereinstimmende Interpretation der Wirklichkeit zu einigen. Nichts dient dem Frieden mehr als das.
Ein großer Teil unseres Wissens und unserer Irrtümer erreicht uns nicht durch unmittelbare Anschauung, sondern durch vorgefertigte Information. Vorgefertigte Informationen sind jedoch oft von zweifelhaftem Wert oder gar schädlich.
Information ist neben der Waffengewalt das wesentlichste Werkzeug der Macht. Man kann Menschen steuern, indem man ihnen Gewalt androht. Oder man steuert sie, indem man ihre Weltsicht so einformt, wie man es haben will. Früher lag das Informationsmonopol in der Hand weniger. Was für wahr zu halten war, bestimmten Kaiser und Kirche. Dementsprechend waren die meisten Menschen seelisch krank. Im Interesse Mächtiger wurde ihr Geist durch wirklichkeitswidrige Bilder verformt. Die Gewalttätigkeit vergangener Epochen ging mit der Verursachung seelischer Störungen durch monopolisierte Fehlinformationen Hand in Hand.
Heute ist manches besser. Das Recht zu informieren ist demokratisiert. Trotzdem ist eine gedankenlose Akzeptanz von Informationen nicht angebracht. Nein, in der Regel lügen Medien nicht. Informationen werden jedoch ausgewählt und vorenthalten. Der Endeffekt kann sehr ähnlich sein.
Viele haben den Eindruck, dass es solche Sender zunehmend als ihre Aufgabe ansehen, regierungsamtlich erwünschte Sichtweisen zu verbreiten. Vor allem bei kontrovers diskutierten gesellschaftlichen Themen werden sie zu Hütern politischer Konformität. Die Trennlinie zwischen Information, Meinungsäußerung und Belehrung verschwimmt. Gemeldet wird, was zur Wirkung passt, die der Sender bei seinen Zuschauern erzeugen will.
Die Informationsgesellschaft wird durch Medien mit Denkmustern gefüttert. Tatsächlich leben wir aber nicht nur in einer Gesellschaft, die jedem eine Vielzahl von Informationen zur Verfügung stellt, sondern auch in einer, deren Wertvorstellungen durch Interessengruppen selektiv beeinflusst werden. Das Weltbild solcher Gruppen wird durch Medien vermittelt, deren Zielsetzung es nicht selten ist, Verhaltensweisen und Entscheidungsmuster zu steuern, damit die sieben Geißlein vor dem Bildschirm folgsam sind.
Da die seelische Gesundheit durch irreführende und manipulative Informationen gefährdet wird, kann das Wohlbefinden des Einzelnen durch Medienkonsum beeinträchtigt werden.
Der Vergleich mit dem Begriff Propaganda macht deutlich, wie anspruchsvoll die Aufgabe eines guten Journalisten ist. Propaganda entspringt dem lateinischen Verb propagare = verbreiten, ausdehnen. Der Propagandist teilt nicht unparteiisch mit. Er selbst versteht sich als Partei. Er verbreitet, was dem eigenen Interesse entgegenkommt. Wer nicht aufpasst, tut das automatisch.
Bei der direkten Information ist der übermittelte Inhalt offensichtlich. Direkte Informationen haben einen unmittelbaren Sachbezug. Die Gefahr, durch einen Bericht über den Lebenszyklus einer Murmeltierkolonie fremdbestimmt zu werden, ist gering. Zu bedenken ist allerdings, dass auch direkte Informationen durch die Auswahl derer, die sie liefern, in die Irre führen können. Dazu zählt offene oder verkappte Propaganda für dieses oder jenes Weltbild. Immerhin fällt es relativ leicht, direkten Informationen gegenüber Stellung zu beziehen.
Anders ist das bei indirekten Informationen. Indirekte Informationen sind Einformungsmuster, die den Beiträgen der Medien beiläufig inneliegen. Dazu gehören suggestive Fehlinformationen der Werbung ebenso wie arrangierte, fiktive oder selektiv in den Vordergrund geschobene Beziehungsmuster, die durch Fernsehsendungen vermittelt werden. Indirekte Informationen werden oft unbewusst ins eigene Weltbild übernommen.
Direkt: Südsee-Tage im Kaufland: Mangos für 1,49.
Indirekt: Ein Mango verzehrender Adonis in Bermuda-Shorts wird von 149 Südsee-Schönheiten mit verzehrenden Blicken bewundert.
Der wichtigste Zweck der Information liegt in der Anwendung geeigneten Wissens bei der Steuerung äußerer Vorgänge.
Annabel will Bafög beantragen. Sie informiert sich im Netz, wie man das macht.
Das erklärt aber kaum, warum Millionen Nachrichtensendungen schauen oder Zeitung lesen; denn der Prozentsatz verwertbarer Informationen, die dort vermittelt werden, ist nicht größer als der Prozentsatz des Sonnenlichts, das der Mond reflektiert. Was treibt all diese Menschen also dazu, Informationen zu suchen, für die es keine pragmatische Nutzanwendung gibt? Zu vermuten sind psychologische Zwecke:
Wer informiert ist, gehört dazu. Wer keine Ahnung hat, steht außen vor. Hast du schon gehört?, ist eine nützliche Frage, um Kontakte anzuknüpfen.
Viele Informationen befassen sich mit dem Unglück anderer. Eigentlich ist es nutzlos zu wissen, dass es bei einem Busunfall auf Celebes zwölf Tote gegeben hat. Wer solche Informationen aber aufnimmt, kann Unzulänglichkeiten des eigenen Lebens besser ertragen. Man sieht ja, dass das Schicksal anderen noch übler mitspielt. Da kann das eigene gar nicht so schlecht sein. Oder gar: Zwölf Fresser weg, vor denen man sich fürchten könnte. Immerhin!
Andere Informationen befassen sich mit dem Glück anderer. Eigentlich ist es nutzlos zu wissen, dass Prinzessin Felicitas guter Hoffnung ist. Wer nach solchen Informationen Ausschau hält, schaut in eine heile Welt, die ihn eigene Unzulänglichkeiten besser übersehen lässt.
Informationen sind kostenlos und quasi in unbegrenzter Menge zu haben. Ich will mir etwas einverleiben. Ich will vom Leben etwas haben. Das sind orale Motive, die in der Psychologie des Menschen tief verankert sind. Analog zu den Mechanismen bei bestimmten Formen der Essstörung kann man eine informationelle Bulimie oder ein entsprechendes Binge-Eating beschreiben.
Selbstbestimmung ist eine unentbehrliche Grundlage seelischer Gesundheit. Sie ist so grundlegend, dass sie einen Pol des seelischen Grundkonflikts repräsentiert. Selbstbestimmung bedeutet zweierlei:
Das erste Thema fragt danach, wie die eigene Form ist, das zweite legt fest, wie sie sein soll. In beiden Fällen geht es um Formen. Deshalb gibt es eine Wechselwirkung zwischen Selbstbestimmung und der Einformung durch Informationen. Wofür ich mich halte und wie ich sein will, hängt von den Informationen ab, die ich aufnehme.
Grundregel
Je mehr man über Sie weiß, desto besser kann man Sie steuern. Vergrößerung der Datenmenge kann zur Verkleinerung der Freiheit führen; ohne dass man viel davon bemerkt.
Erfolgreiche Selbstbestimmung ist auf zutreffende Informationen angewiesen...
Wer herausfinden will, wie oder was er selbst ist, muss in der Lage sein, sich selbst wahrzunehmen. Er bedarf unvoreingenommener Achtsamkeit nach innen.
Wer wissen will, wie er sich der Wirklichkeit gegenüber selbstbestimmt verhalten kann, braucht zusätzlich zum Wissen über sich selbst zutreffende Informationen über die Außenwelt.
Fehlinformationen über beide Wirklichkeitsbereiche vereiteln erfolgreiche Selbstbestimmung. Sie machen seelisch krank. Mehr noch: Der seelisch kranke Mensch ist krank, weil er von irrigen Vorstellungen beherrscht wird; während das Substrat seines Wesens wahr ist.
Fehlinformation, also wirklichkeitswidrige Einformung des Welt- und Selbstbilds, stammt aus drei Quellen:
Da der geistige Horizont selbst des Klügsten um siebenundneunzig Zehnerpotenzen hinter der Komplexität der Erscheinungswelt und dem Gewebe ihrer Kausalitäten zurückbleibt, ist der Irrtum ein ständiger Begleiter menschlichen Tuns. Daher sind ein primärer Irrtum und Myriaden sekundärer Irrtümer an der Tagesordnung.
Der primäre Irrtum irrt sich über den grundlegenden Umfang der eigenen Erkenntnisfähigkeit. Der Geist kann zwar wissen, was er weiß, aber nur ahnen, was er nicht weiß. Da Ahnen blasser als Wissen ist, wird die Ahnung oft übersehen. Wir alle unterliegen der Versuchung, die Wirklichkeit mit dem zu verwechseln, was wir von ihr zu wissen glauben.
Beispiel eines sekundären Irrtums ist Anselms Glaube, die Reichtümer burundischer Flussläufe seien gefahrlos zu erbeuten. Das war ein fataler Irrtum.
Wir irren uns nicht nur, wir klammern uns sogar an unsere Irrtümer; denn die Wahrheit ist nicht immer das, was uns auf Anhieb wünschenswert erscheint. Das führt zum Selbstbetrug.
Die menschliche Psyche betreibt ein ganzes Bündel sogenannter Abwehrmechanismen, deren Aufgabe es ist, Erkenntnisse auszublenden, die die Gestalt des bislang Gedachten in Frage stellen. Da jede Information die Form des Eingeformten verändert und jeder Eingeformte mit jener Form identisch bleiben will, mit der er sich gleichsetzt, haben die Abwehrmechanismen alle Hände voll zu tun, um ein gefühltes Fremdbestimmtsein durch unliebsame Erkenntnisse zu verhindern. Selbstbetrug gibt man nur soweit auf, wie man die Wahrheit an sich als heilsam erkennt, oder der Betrug unter dem Druck der Wirklichkeit unhaltbar wird.
Schon zweimal ging Roxanna fremd. Jedes Mal fand Manuel neue Gründe, die seinen Glauben stärkten, dass Roxana eigentlich nur ihn tatsächlich liebte. Beim dritten Mal wurde selbst sein Vermögen, die Wirklichkeit zu übersehen, auf halbem Wege aufgebraucht.
Absicht jeder Lüge ist die Fremdbestimmung des Belogenen; entweder um den Belogenen auszubeuten oder um eigenes Fremdbestimmtsein durch ihn abzuwehren.
Gelogene Wahrheiten
Die geschickteste Art zu lügen ist es, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen... wenn man die verkündete Wahrheit so auswählt, dass sie dem eigenen Vorteil auf Kosten anderer dient und Wahrheiten verschweigt, die dem widersprechen. Da man beim Verkünden der Wahrheit leicht übersehen kann, wie gut sich damit lügen lässt, ist kaum jemand, der über komplexe Zusammenhänge Wahres berichtet, in der Lage, der Wahrheit als Ganzes wirklich treu zu sein.
Als Tina Marcel fragte, ob er den Termin beim Arbeitsamt wahrgenommen hat, bejahte Marcel die Frage wider besseres Wissen. Er wollte verhindern, dass Tina ihm Druck macht.
Im Prospekt der Marke Bevölkerungsfahrzeug AG wurde mit sensationell niedrigen Verbrauchswerten geworben. In der Praxis stellte Marcel fest, dass bei seinem Wagen solche Werte nur erreichbar sind, wenn man ihn im Leerlauf die Eigernordwand hinunterstürzt.
Bestes Beispiel einer Lüge durch Wahrheit ist die offiziell genannte Arbeitslosenzahl. Eigentlich weiß jeder, der ein funktionstüchtiges Frontalhirn sein Eigen nennt, dass ihr bescheidenes Ausmaß ein Meisterwerk der statistischen Intrige ist. Doch wer an den Hebeln eines Mediums, das vom Wohlmeinen des Kaisers abhängt, spräche in dessen nackter Gegenwart jemals von Lüge? Er nennt eine Zahl, aber verschweigt, wie sie zustande kommt. Wohl dem, der beim Verkünden der Zahl kein Facecrime begeht!
Der Begriff informationelle Selbstbestimmung beschreibt nach aktueller Konvention das Recht, über Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten selbst zu entscheiden. Dabei geht es um den Missbrauch von Daten, die sich der eine über den anderen verschafft.
Darüber hinaus gibt es eine zweite Ebene, die dem Begriff der informationellen Selbstbestimmung zugeordnet werden kann: die Verschleierung von Daten, die die Gemeinschaft betreffen.
Selbstbestimmung
Bei der informationellen Selbstbestimmung geht es zunächst um die Frage, ob der Einzelne selbst bestimmen kann, wer wie viel über ihn wissen darf. Eigentlich geht es aber um mehr. Es geht nicht nur um das Verfügungsrecht über Daten. Es geht um das Verfügungsrecht über die Person. Es geht um die Freiheit des Einzelnen, über sich selbst zu bestimmen.
Ein eindeutig klinisches Phänomen mit Bezug auf die informationelle Selbstbestimmung taucht im Zusammenhang mit sogenannten Ich-Störungen auf. Psychotische Menschen haben den Eindruck, dass ihnen Gefühle und Gedanken von außen eingegeben werden.
Die Selbstbestimmung, um die es beim Datenmissbrauch geht, reicht über das Schicksal der Daten hinaus. Es geht um die Selbstbestimmung dessen, dessen Daten preisgegeben bzw. von anderen in Besitz gebracht werden. Je mehr der eine über den anderen weiß, desto besser kann er Maßnahmen ergreifen, um das Verhalten des anderen gezielt zu beeinflussen. Wir können sicher sein, dass er dabei im Regelfall eher den eigenen Vorteil bedenkt, als den des Beeinflussten.
Im Falle der Werbung handelt es sich bei den Maßnahmen um direkte und indirekte Informationen, also Einformungsmuster, die dem Ausgespähten zugeführt werden, um sein Verhalten fremdzubestimmen.
Was im Falle der Werbung harmlos klingt, wird brisant, sobald man vom Mangokonsum ins Politische weiterdenkt. Primäres Ziel politisch motivierter Datensammler ist ebenfalls Fremdbestimmung. Sie verschaffen sich Macht über andere, um deren Selbstbestimmung zu beschränken. Die Gefahr ist dabei groß, dass der Obrigkeit der Schutz des Einzelnen weniger am Herzen liegt, als der reibungslose Ablauf staatlicher Funktionen.
Früher gab es einmal ein Briefgeheimnis. Da heute der Großteil der mittelbaren Kommunikation über das Internet läuft und der Staat es zulässt, dass Jedermanns Kommunikation überwacht wird, ist das Briefgeheimnis de facto abgeschafft. Falls es Sie grämt, dass niemand Sie beachtet, können Sie diesen Umstand für sich nutzen: Verschicken Sie ein paar Emails, in denen die Begriffe Bombe, Umsturz und Trinitrotoluol vorkommen. Schon beachtet Sie der BND. Wollen Sie internationale Anerkennung, setzen Sie USA und Präsident dazu. Ganz Wagemutige grüßen mit Allahu akbar!
Wenn sie die Gefahren nicht sieht, die sie selbst verursacht, läuft unsere Form der Gesellschaft Gefahr, sich abzuschaffen, indem sie sich verteidigt. Viele sprechen arglos von Big Data. Manchen meinen den totalen Staat.
Informationelle Selbstbestimmung fußt auch auf dem freien Zugang zu allen wichtigen Informationen, die die Gemeinschaft betreffen und damit die Möglichkeit, die eigene Position selbst zu bestimmen. Gegen dieses Selbstbestimmungsrecht wird in großem Stil verstoßen.
Gewiss: Es kann nicht angehen, dass im Netz eine detaillierte Liste aller Standorte der Bundeswehr und der Zugangscodes zu deren Waffenschränken zugänglich ist. Dass Informationen zwecks Steuerung der öffentlichen Meinung durch statistische Tricks verfälscht oder der Öffentlichkeit ganz vorenthalten werden, hält die Täter im Regierungsamt aber keineswegs davon ab, sich selbst als Gralshüter der Meinungsfreiheit aufzufassen.
Hypernormalisation
Hypernormalisation ist ein Begriff, der ursprünglich eine Funktionsweise des Sowjetsystems beschrieb. Eigentlich wusste dort jeder, dass offiziell erlaubte Sichtweisen auf Illusion beruhen. Um Repressionen zu vermeiden, taten aber alle so, als wüssten sie es nicht. Dass der Kaiser nackt war, konnte partout niemand erkennen; zumindest 70 Jahre lang.
Auch bei uns werden die Kleider des Kaisers immer fadenscheiniger. Auch bei uns gibt es Repressionen, wenn man auf Fakten verweist, die dem offiziell erwünschten Bündel widersprechen. Um es den Regierten zu erleichtern, auf die Mühen des Widerspruchs zu verzichten, wird so manches Faktum vor ihren Augen versteckt. Keine Sorge. Alles läuft ganz normal.
Ein bemerkenswertes Phänomen sind sogenannte Ich-Störungen. Betroffene Personen geben an, dass ihnen Gefühle und Gedanken von außen eingeflößt werden, ohne dass es tatsächlich ihre eigenen Gefühle und Gedanken sind. Wer so etwas von sich behauptet, macht sich prompt verdächtig, an einer Psychose erkrankt zu sein. Man spricht von einer fehlenden Meinhaftigkeit des individuellen Erlebens.
Es ist zwar kaum davon auszugehen, dass die projektive Zuordnung des Ursprungs eigener Gedanken an die Außenwelt einer Realitätsdeutung entspricht, mit der der Alltag zielführend zu bewältigen wäre, trotzdem sollte man die Erlebnisweisen des Psychotikers nicht einfach nur als krankhafte Verirrung abtun, in der kein Funken Wahrheit enthalten ist. Denn ist es nicht auch so: Viele unserer Gedanken haben ihren Ursprung tatsächlich in einer Außenwelt, jener nämlich, die genau die Denkmuster wesentlich mitbestimmt, aus denen heraus dann konkrete Gedanken ins Bewusstsein drängen.
Vielleicht ist der Schizophrene so sensibel, dass er den Zusammenhang bemerkt und wir uns unserer selbst so sicher, dass wir ihn übersehen. Vielleicht sind die Inhalte unseres relativen Selbst viel weniger unsere eigenen, als wir das glauben. Wir könnten uns informationell besser selbstbestimmen, wenn wir den blinden Glauben fahren ließen, dass unsere tiefsten Überzeugungen tatsächlich unsere sind.
Medienprodukte sind Treibstoff, wenn sie darauf ausgerichtet sind, Affekte und Impulse zu fördern, die das eigentliche Erleben des Betrachters dergestalt ersetzen, dass er dabei von sich abkommt.
Selbstbestimmung ist nicht selbstverständlich. Das Selbst, das bestimmt werden kann, erstreckt sich über mehrere Etagen. An der Oberfläche besteht es aus Gedanken und Vorstellungsbildern, weiter unten aus Gefühlen, Stimmungen und Impulsen. Noch tiefer wird man auf persönlichkeitsprägende Urteile, Wertvorstellungen und grundsätzliche Überzeugungen treffen; und jenseits davon mündet das Selbst in ein ewiges Geheimnis, dem man sich nur mit größter Achtsamkeit nähern kann.
Medienkonsum ist heute gang und gäbe. Dadurch füllt sich die Oberfläche des Bewusstseins mit fernab erzeugten Bildern. Die Bilder können thematisch nah am Leben des Betrachters liegen. Dann bereichern sie ihn, ohne ihn von sich selbst zu entfremden. Die Bilder können den Betrachter aber auch in eine Ersatzwelt führen. Entweder sind das Ausflüge, von denen er schadlos zurückkehrt, oder er vergisst sich im Trubel virtueller Erlebnisse und induzierter Gefühle. Dort gibt es keine Chance, mit sich selbst im Reinen zu sein.
Der Vergleich sei erlaubt: Ihr Gehirn entspricht der Hardware, Ihre Psyche dem Betriebssystem. Informationen sind Programme, die das Betriebssystem ausführt. Sie sind die Instanz, der Hard- und Software dienen sollten.
Informationsvergiftung
Auch bei der Datenmenge, die die Psyche erreicht, macht die Dosis das Gift. Kommt mehr Information, als die Psyche verarbeiten kann, sind Funktionsstörungen zu befürchten.
Halten Sie es für empfehlenswert, es Unbekannten auf der anderen Seite der Informationskanäle zu überlassen, welche Programme bei Ihnen installiert und ausgeführt werden? Wohl kaum. Schützen Sie sich durch eine Firewall:
Kurzum: Wählen Sie achtsam aus, womit Sie Ihre Psyche füttern. Beachten Sie, was Informationen mit Ihnen machen. Entscheiden Sie selbst, welche Information Sie einformen darf.