Ein Sämling kann die besten Anlagen haben. Wenn er sich auf nacktem Stein verwurzeln muss, sinkt die Chance, dass er seine Anlagen zur Blüte bringt.
Zwei Arten der Gesundheit
Seelisch gesund ist mehr als psychisch gesund. Psychisch gesund ist, wer mit der Normalität übereinstimmt; das heißt, wer sich als Rollenspieler im gesellschaftlichen Kontext so verhält, wie es den anerkannten Erwartungen des jeweiligen Kontextes entspricht. Da die Erwartungen gesellschaftlicher Umfelder unterschiedlich sind, ist psychische Gesundheit relativ. Seelisch gesund ist, wer mit sich selbst übereinstimmt. Da das absolute Selbst in der grundlegenden Ordnung der Wirklichkeit verankert ist, ist seelische Gesundheit eindeutig. Seelisch gesund ist, wer über den Kontext erhaben ist.Körperliche Erkrankungen und Funktionsstörungen kann man in der Regel auf eine oder wenige Ursachen zurückführen. Ohne dass man über den Tellerrand solcher Verknüpfungen hinausblicken müsste, ergeben sich daraus angemessene Therapien.
Bei seelischen Störungen ist das bis auf wenige Ausnahmen anders; zumindest wenn man weiter als bis zu bloßen Auslösern blickt. Psychische Erkrankungen oder seelische Störungen werden meist multifaktoriell verursacht. Multifaktoriell heißt: Es spielen viele Faktoren zusammen.
Monokausale psychische Störungen
Als erklärende Ursache eines Alkoholentzugsdelirs kann ein Alkoholentzug gelten. Als monokausale (griechisch monos [μονος] = einzig und lateinisch causa = Ursache) Bedingung einer Drogenpsychose kommt LSD, Psilocybin oder Meskalin in Frage. Vielen Formen der Demenz können eindeutige Ursachen zugeordnet werden. Zu nennen sind die spezifischen Infektionen des Zentralnervensystems, zum Beispiel durch den Erreger der Syphilis oder HIV, verschiedene Vitamin- oder Hormonmangelsyndrome, Hirntraumata oder Durchblutungsstörungen.
Da die Psyche im Gegensatz zu Steißbein, Lunge und Leber kein Ding mit definierbarer Normstruktur ist, sondern eine individuelle Funktionsdynamik, werden auch die entsprechenden Störungen durch jeweils individuelle Netzwerke partieller Cofaktoren hervorgerufen. Immerhin kann man die Ursachen fünf Kategorien zuordnen:
Der Mensch kommt nicht als leeres Blatt zur Welt. Persönliche Muster sind durch genetisch bedingte Konstruktionsunterschiede des Körpers gebahnt. Dazu gehören Begabungen, Temperament und Antrieb; aber auch Statur und Aussehen.
Die fünf genannten Faktoren haben einen erheblichen Einfluss auf den Werdegang der Person und damit auf Wahrscheinlichkeit und Ausprägung psychischer Störungen.
Auch wenn es kontrovers beurteilt werden mag: abstrakte, motorische und verbale Intelligenz, kognitive Flexibilität sowie spezifische Begabungen (Musikalität, eidetisches Gedächtnis, mathematisches Verständnis, räumliches Vorstellungsvermögen, Begabung für bildende Künste etc) sind, selbst wenn sie im Nachhinein erheblich geschult werden können, zunächst angeboren. Begabung ist in erste Linie Gabe. Erst dann kommt zusätzlicher Erwerb. Wäre es anders, gäbe es keine Evolution und die Pädagogik könnte aus uns allen Einsteins machen.
ZwillingsstudienZum Beispiel Angleitner, Spinath und Wolf: German Observational Study of Adult Twins, GOSAT, Studie der Universität Bielefeld. belegen, dass grundsätzliche Unterschiede in den Temperamenten auch genetisch verankert sind. Ob jemand zu melancholischen, cholerischen, sanguinischen oder phlegmatischen Reaktionsweisen neigt, wird ihm zum Teil bereits in die Wiege gelegt.
Mütter mehrerer Kinder können oft ein Lied davon singen: Schon vor jeder Prägung ist das Antriebsniveau der Sprösslinge unterschiedlich. Die einen blicken dem Dasein gelassen entgegen, die anderen drängen impulsiv auf es zu. Die ADHS scheint weitgehend genetisch gebahntAnita Thapar et al.: Rare chromosomal deletions and duplications in attention-deficit hyperactivity disorder: a genome-wide analysis, The Lancet. zu sein.
Die absolute Körpergröße hat vermutlich nur wenig Einfluss auf das persönliche Erleben. Wohl aber deren Relation im Verhältnis zu anderen. In Thailand 1,60 zu sein, hat eine andere Bedeutung als in Holland. Archetypische Muster gehen darauf zurück: Da steht der gutmütige Riese, dessen schiere Statur Beachtung verschafft, drahtigen Napoleonen gegenüber, die überwertig um Beachtung kämpfen, weil ihre Statur unbeachtlich ist.
Ob jemand auffallend schön, ansehnlich, unauffällig oder gar mit deutlichen Schönheitsfehlern behaftet ist, kann einen großen Einfluss auf die Selbstsicherheit seines Auftretens haben. Wer sich für hässlich hält, hat ungeachtet dessen, ob er es in den Augen anderer tatsächlich ist, ein erhöhtes Risiko, sozialphobische Ängste zu entwickeln; und in deren Folge depressive Stimmungen.
Übrigens
Auffallend schöne Frauen werden nicht auffallend oft glücklich. Von jedermann begehrt zu werden, ist nur Chance, wenn sie nicht zu Kopfe steigt. Und wann sind junge Dinger am schönsten? Wenn sie noch so jung sind, dass es ihnen an Weisheit fehlt.
Eine große Bedeutung kommt dem Austausch von Botenstoffen zwischen den Hirnzellen zu. Offensichtlich spielen erworbene oder angeborene Unterschiede im Transmitterhaushalt eine große Rolle bei der Entstehung vieler Krankheiten. Besonders zu nennen sind endogene Psychosen (Schizophrenie) und die bipolare Störung. Im Grundsatz organisch bedingt scheinen auch demenzielle Erkrankungen zu sein. Hier setzen die Methoden der biologischen Psychiatrie an, vor allem die medikamentöse Behandlung mit Psychopharmaka.
Ab Geburt werden die angeborenen Muster durch Strukturen des unmittelbaren Umfelds ausgeformt. Dieser Mechanismus ist erheblich. Wie ein Kind sich und die Welt erlebt, hängt wesentlich vom familiären Klima und den Beziehungen ab, die es zum Umfeld knüpfen kann. Ob es auf Liebe und Zuwendung oder Ungeduld und Gleichgültigkeit stößt, hat großen Einfluss darauf, wie es der Welt als Erwachsener begegnen wird.
Auch wenn es zutrifft, dass selbst Persönlichkeitsmerkmale durch angeborene, also biologische Faktoren, mitbedingt sind, geht die Mehrzahl der Psychiater davon aus, dass Prägungen durch biographische Erfahrungen besonders in der (frühen) Kindheit, wesentlich für Entstehung und Ausgestaltung vieler psychiatrischer Störungen sind.
Das trifft vor allem für neurotische Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen zu, für Depressionen, Ängste, Essstörungen, Zwänge und Suchterkrankungen.
Die Aufarbeitung problematischer Prägungen und der Erwerb erfolgversprechender Verhaltensmuster sind die Domäne der Verhaltens- und Psychotherapie. Einschränkende Folgen traumatisierender oder einschüchternder Kindheitserfahrungen hinter sich zu lassen, gelingt oft erst nachdem man sich als Erwachsener bewusst damit auseinandergesetzt hat.
Nicht nur das, was uns früher prägte, spielt eine Rolle; auch die Strukturen der Welt, die uns heute begegnet. Ob man in Hamburg, Hühnerfeld oder Marzahn lebt, ob in der Parkallee oder am Ostbahnhof, ob man im Frisörsalon oder auf dem Baugerüst arbeitet, alles, womit man jetzt in Berührung kommt, bestimmt über das seelische Befinden mit; und somit auch über die Frage, ob eine manifeste psychische Erkrankung entsteht oder nicht. Dabei können zwei Wege der Beeinflussung unterschieden werden:
Unmittelbare Einflüsse entstammen den Beziehungen zu konkreten Personen und dem sozialen Gefüge, dem man persönlich begegnet.
Mittelbare Einflüsse werden über jene Personen und das unmittelbare soziale Gefüge vermittelt, dem man konkret begegnet und das seinerseits durch Wirkungskaskaden umfassender gesellschaftlicher Dynamiken mitbestimmt wird. Zu nennen sind dabei kulturelle, politische, rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen.
Vom Einfluss auf Einflüsse
Einflüsse fließen von außen herein. So verkündet es der Begriff. Niemand kann sich Einflüssen entziehen, weil eine vollständige Abschottung des Inneren vom Äußeren unmöglich ist. Trotzdem ist man Einflüssen nicht wehrlos ausgesetzt:Persönliche Entscheidungen, wie mit Eingeflossenem zu verfahren ist, bestimmen wesentlich über Qualität und Quantität der Folgen.
Die Entstehung vieler und die Ausgestaltung fast aller psychiatrischen Erkrankungen hängt mit den Bedingungen des unmittelbaren Umfelds zusammen. Sobald er in entsprechende Umfelder gerät, kann sich niemand dem Klima familiärer oder beruflicher Kommunikationsmuster entziehen. Will man diesen Zusammenhang bei der Diagnose eigens betonen, spricht man von einer Anpassungsstörung.
Großen Einfluss haben politische Strukturen und politische Ereignisse aller Art. Die unmittelbare Bedrohung durch staatliche Willkür kann das Erleben und Verhalten von Menschen tiefgreifend bestimmen. Das gilt in hervorstechender Weise für den, der faktisch bedroht wird. Es gilt aber auch für die Mehrzahl derer, über denen das Damoklesschwert der Bedrohung bloß als ständige Möglichkeit schwebt.
Auch politische Ereignisse punktueller Art kommen in psychiatrischen Praxen zur Sprache, sobald sie das Sicherheitsgefühl empfänglicher Patienten untergraben. Ein Wahlausgang, ein Terroranschlag, ein Krieg in weiter Ferne können Ängste schüren und Fässer zum Überlauf bringen.
Die beiläufigen Botschaften, die politische Systeme an ihre Bürger senden, wirken nachhaltig ins Selbstbild der Menschen hinein. Für uns von Bedeutung ist die hierarchische Struktur der repräsentativen Demokratie, die die Gleichheit der Bürger nur halbherzig anerkennt und ihnen ein Mitspracherecht bei wichtigen Entscheidungen vorenthält. Während Politiker in einer direkten Demokratie durchgehend mit den Bürgern im Austausch stehen, gibt die repräsentative Strukturen vor, die Rangunterschiede betonen. Ohne Zweifel: Das geringe Gewicht, das dem Einzelnen in der repräsentativen Demokratie zugestanden wird, wirkt sich bei der Regulation des Selbstwertempfindens nachteilig aus und fördert im nächsten Schritt wechselseitig abwertende Haltungen der Bürger untereinander. Das gesellschaftliche Klima ist umso besser, je weniger sie den Einzelnen übergeht.
Das erste Opfer...
... im Krieg ist die Wahrheit (Hiram W. Johnson). Auch Parteipolitik basiert auf der Rivalität konkurrierender Gruppen, deren Interessen sie einerseits vertritt, deren Aufspaltung sie im eigenen Interesse aber ebenso festigt. Wie beim Kampf um geographische Geländegewinne gerät die Wahrheit beim Ringen um politischen Einfluss in die Schusslinie der Macht. Alle naslang wird getrickst und gefälscht, weggelassen und betont; so routiniert, dass frisierte von echter Wahrheit oft nur schwer zu unterscheiden ist.
Redlichkeit
Dient die Rede der Darstellung von Tatsachen, ist sie redlich. Das Gesagte weist auf das hin, was ist. Hat eine Aussage die Funktion, den Zuhörer im Sinne parteilicher Interessen zu beeinflussen, wird sie von Absichten eingefärbt. Aussagen aus dem Umfeld politischer Parteien sind nicht dem verpflichtet, was ist, sondern dem, was angestrebt wird. Redlichkeit gelingt politischen Rednern nur mit besonderer Disziplin.Vielen gelingt es immer weniger, regierungsamtlichen Verlautbarungen so zu trauen, als stammten sie von Leuten, die sich dem Gemeinwohl konsequent verpflichtet fühlten. Für die Betroffenen schürt das ein Klima des Misstrauens, das zu chronischer Anspannung beiträgt. Die verzerrte Darstellung der Wirklichkeit durch parteiliche Interessen beschädigt die gesellschaftliche Solidarität; denn die Wahrheit ist das einzige, worauf man sich einigen kann. Sobald von ihr abgerückt wird, ist es mit substanzieller Einigkeit vorbei.
Die Globalisierung ist ein besonderes Phänomen unserer Zeit. Einerseits ist sie eine unausweichliche Folge der Menschheitsentwicklung, andererseits wird sie von Teilinteressen beeinflusst, sodass ihr Fluch und ihr Segen ungleich verteilt sind. Den einen beschert die Globalisierung Wohlstand und Reichtum. Anderen nimmt sie den Arbeitsplatz und damit die Möglichkeit, mit den eigenen Begabungen tatsächlich ins gesellschaftliche Gefüge integriert zu sein. Die Mehrheit setzt sie einem Leistungsdruck aus, der sie über die Grenzen des Burn-out-Syndroms hinaus zu belasten droht. Daher sagen die einen: Beseitigt Grenzen. Grenzen hemmen unser Entwicklungspotenzial. Andere sagen: Bewahrt Grenzen. Sie schützen uns vor Kräften, denen wir sonst wehrlos ausgeliefert sind.
Globalisierung führt nicht nur zu einer Entgrenzung wirtschaftlicher Dynamiken, sodass mit der Produktivität zugleich der Leistungsdruck steigt. Globalisierung führt auch zu einer Erweiterung intellektueller Horizonte. Kaum jemand kann sich dem wachsenden Zufluss von Informationen entziehen, die bisherige Gewissheiten darüber, was er ist, was er für richtig hält und was er tun sollte, infrage stellen. All das schafft neue Möglichkeiten. Aber es schafft auch Ungewissheiten, die das Wohlbefinden vieler beeinträchtigen.
Während die Mehrzahl der psychischen Störungen Folge kontinuierlich einwirkender Ursachen ist, gibt es einige, die man akuten Ereignissen zuordnen kann.
Die akute Belastungsreaktion folgt einem konkreten Ereignis, das die betroffene Person soweit verunsichert, dass sie manifeste psychiatrische Symptome entwickelt. Meist handelt es sich dabei um Angst, Verwirrung, Konzentrations- und Orientierungsstörungen oder Schlafstörungen. Aber auch eine kurzzeitige psychotische Entgleisung ist in sehr seltenen Fällen möglich. Die Symptome klingen innerhalb von Stunden bis Tagen ab.
Die Posttraumatische Belastungsstörung wird ebenfalls durch ein einzelnes Ereignis ausgelöst, per Definition von einem Ereignis existenziell bedrohlicher Art. Dementsprechend ist die Erschütterung tiefergehend und kann zu langwierigen Verläufen mit massiver Beeinträchtigung des seelischen Gleichgewichts führen.
Das Delir kann durch plötzlichen Alkoholentzug entstehen, durch eine schwere körperliche Erkrankung, eine schwere Operation oder durch die Einwirkung eines delirogenen Medikaments.
Obwohl die Macht biologischer Vorgaben, biographischer Prägungen und gesellschaftlicher Umstände nicht zu verleugnen ist, sind wir nicht nur Opfer äußerer Umstände. Wir führen im eigenen Leben auch Regie. Was wir heute entscheiden, ist morgen ein Teil unseres Schicksals. Je klüger unsere Entscheidungen sind und je mutiger wir dazu stehen, desto eher werden wir mit uns selbst im Reinen sein.
Erkrankung und Ursachengefüge
Erkrankung | Vorgabe | Prägung | Umstände | Ereignis | Entscheidungen |
ADHS | ++ | ++ | + | - | ++ |
Anpassungsstörung | + | ++ | +++ | (+) | ++ |
Autismus | +++ | - | - | - | - |
akute Belastungsreaktion | - | + | - | +++ | - |
Posttraumat. Belastungsstörung | - | + | - | +++ | ++ |
Delir | ++ | - | - | +++ | - |
Persönlichkeitsstörung | + | ++ | - | - | ++ |
Depression | + | ++ | ++ | (+) | ++ |
Schizophrenie | +++ | + | + | - | - |
Demenz | +++ | (+) | - | - | + |
Sucht | (+) | ++ | + | - | +++ |
Bipolare Störung | +++ | +(+) | - | - | + |
Schlafstörung | + | + | ++ | ++ | ++ |
Wohlgemerkt
Die obenstehende Zuordnung verschiedener Teilursachen zu speziellen Krankheitsbildern versteht sich als Vorschlag. Wissenschaftlich ist sie nicht verpflichtend.
Anmerkungen
Ob ein Kind eher impulsiv oder zurückhaltend reagiert, ist teils angeboren. Familiäre Umstände verstärken entweder die Impulsivität oder eine ausgleichende Reflektivität. Ein Erwachsener, der eine ADHS hat, kann entscheiden, ob er Impulsen spontan folgt oder ob er sie abwägend wahrnimmt; auch wenn ihm genau das schwerfällt.
Die Anpassungsstörung ist zunächst ein situatives Problem. Ob Anpassung scheitert oder gelingt, hängt von Persönlichkeitszügen ab, die angeboren oder durch Prägung entstanden sind und von Entscheidungen, die der Betroffene in Problemsituationen trifft.
Analoges gilt für die PTBS. Auslöser ist hier keine Situation, sondern ein einzelnes traumatisierendes Ereignis. Wie damit umgegangen wird, hängt von der Persönlichkeit und ihren Entscheidungen ab.
Autismus ist angeboren. Keine Entscheidung des Betroffenen hat Einfluss darauf.
Bei der bipolaren Störung scheint Vererbung eine große Rolle zu spielen. Welchen Verlauf die Schwankungen haben, hängt jedoch auch von der Persönlichkeit ab und von den Entscheidungen, die der Betroffene während und zwischen den Phasen trifft. So kann die gleiche biologische Vorgabe einmal in ein Wechselspiel schwerer Manien und Depressionen einmünden, ein anderes Mal in eine kompensierte Zyklothymie. Ein wesentlicher Faktor ist dabei die Frage, wie mit Schamgefühlen umgegangen wird, die manischen Phasen folgen.
Gewiss: Niemand entscheidet sich, dement zu werden. Der Lebensstil erhöht oder vermindert jedoch die Gefahr: Geistige Aktivitäten und Interessen, körperliche Bewegung und der Konsum von Suchtmitteln spielen neben anderen Faktoren eine messbare Rolle. Also hängt die Demenz auch mit persönlichen Entscheidungen zusammen; und letztlich auch mit den Prägungen, die man vom Umfeld vermittelt bekam.
Auch wenn Sucht oft als Schicksal betrachtet wird, so als sei der Süchtige ihr Opfer... Tatsächlich sind die wesentlichen Weichensteller konkrete Entscheidungen, die man trifft. Wer sich dagegen entscheidet, bei jedem Ungemach zu trinken, wird nicht alkoholkrank werden.
Gewiss: Man kann sich nicht dazu entscheiden, gut zu schlafen. Man kann aber einiges gegen Schlafstörungen tun, wenn man sich dazu entscheidet, nicht dagegen anzukämpfen.
Weltanschauungen bahnen den Umgang ihrer Vertreter mit sämtlichen Aspekten der Wirklichkeit. Das gilt für kollektive Weltbilder ebenso wie für individuelle.
Introjektion
Als Introjektion bezeichnet die Psychologie die unreflektierte Übernahme weltanschaulicher Sichtweisen. Sobald Introjekte bewusst überdacht und dem individuellen Urteil gemäß umgeformt, verworfen oder bestätigt werden, sind es keine Introjekte mehr.Kollektive Weltbilder können dogmatisch sein oder nicht. Die Leitlinien nicht-dogmatischer Weltbilder sind nur unscharf zu erfassen; weil ihnen eben kein Dogma, also keine festgelegte Lehre zugrunde liegt, die offiziell als verpflichtend gilt. Während Menschen die Lehrsätze dogmatischer Weltbilder zumeist in der Kindheit gezielt aufgenötigt werden, werden nicht-dogmatische Weltbilder beiläufig übernommen.
Undogmatische Weltbilder werden in pluralistischen Gesellschaften größtenteils vom Zeitgeist transportiert. Wer sich daran erinnern kann weiß, wie deutlich sich der Zeitgeist 1957 oder 1973 vom heutigen unterschied. Die Auswirkungen des Zeitgeists auf das, was psychiatrisch als normal gilt, sind zum Teil bemerkenswert.
Eine grundlegende Weiche an der Weggabelung zwischen psychisch krank und seelisch gesund ist das individuelle Selbstbild. Zu vermuten ist, dass es fast so viele Selbstbilder gibt, wie Personen. Trotzdem verweist die grundlegende Weiche in zwei Richtungen. Das Selbstbild ist entweder materialistisch oder spirituell. Der philosophische Streit, welches Bild von Mensch und Wirklichkeit das richtige ist, ist alt und bislang unentschieden.
Für die anderen sind das Selbst des Einzelnen und die Wirklichkeit eins. Für sie ist die Wirklichkeit ein bekörperter Geist.
Welches Bild der Einzelne für glaubhafter hält, und vor allem welches er verinnerlicht hat, entscheidet fundamental über seinen Umgang mit sich und der Welt.
Psychisch gesund ist, wer sich als Partikel so in die Welt einfügt, dass seine persönlichen Bedürfnisse im Rahmen dessen, was als normal gilt, erfüllt sind.
Seelisch gesund ist, wessen Umgang mit sich und der Welt dem eigenen Wesen entspricht.