Anpassungsstörungen werden durch biographische Entwicklungen oder problematische Umstände ausgelöst. Da der Erkrankte Träger der Symptome ist, ist er als erstes aufgerufen, Lösungen zu suchen. Anpassungsstörungen, die durch gesellschaftliche Umstände mitbedingt sind, sind aber keine individualpsychologischen Probleme, die nur Patienten, Ärzte und Therapeuten etwas angehen. Auch die Politik steht in der Pflicht.
Der Begriff Anpassungsstörung verweist auf die Polarität zwischen der Person und dem Umfeld, in das sie eingebettet ist. Damit etwas passen kann, bedarf es mindestens zweier Teile, die sich in zwei unterschiedlichen Zuständen begegnen können: einem unpassenden und einem passenden.
Passen geht auf Französisch passer = gehen, vorübergehen zurück; dem auch das Lehnwort passieren entspringt. Das französische passer wurzelt seinerseits im vulgärlateinischen Verb passare = Schritte machen, durchschreiten.
Passieren kommt in drei Bedeutungsvarianten vor:
Durch Bedeutungsentfaltung kamen im späten Mittelalter weitere Anwendungsbereiche des Begriffs passen hinzu: angemessen sein, stimmig sein, harmonieren.
Der psychiatrische Fachbegriff Anpassungsstörung verweist dementsprechend darauf hin, dass Person und Umfeld in einem Zustand fehlender Übereinstimmung zueinander stehen. Das Präfix an - ausgehend von lateinisch ad = hin, hinzu - benennt eine Richtung. Zur Anpassungsstörung gehört nicht nur die fehlende Angemessenheit, sondern eine dem Zustand inneliegende Tendenz, fehlende Harmonie wiederherzustellen.
Passen zwei Teile nicht mehr zueinander, kann es an beiden oder an einem der beiden liegen. Die Ursache einer Anpassungsstörung kann daher individualpsychologisch oder systemisch betrachtet werden.
Nach menschlichen Ermessen ist der Fötus im Mutterleib perfekt an sein Umfeld angepasst.
Das stimmt natürlich nur, wenn es sich um den Idealverlauf einer unkomplizierten Schwangerschaft handelt und die werdende Mutter weder raucht, riskante Medikamente einnimmt, übermäßig trinkt, sich keinem gewalttätigen Partner überlässt oder sonstige Dummheiten macht.
Allein, die Natur begnügt sich nicht damit, träumende Föten in schwingenden Frauenleibern durchs Leben zu schaukeln. Über kurz oder lang geht die perfekte Anpassung von Mutter und Kind verloren. Gemäß dem lateinischen Verb passare macht das Kind einen Entwicklungsschritt. Es durchquert den Geburtskanal und landet in einer Umgebung, deren Einstimmung auf seine momentanen Bedürfnisse erste Brüche aufweist.
Die leibliche Geburt ist der erste Entwicklungsschritt, der eine bestehende Harmonie beendet und einen Anpassungsbedarf begründet. Im besten Fall sind die ersten Brüche rein physikalischer Natur und werden von menschlicher Fürsorge ausgeglichen; zum Beispiel Abweichung der Umgebungstemperatur von der Körpertemperatur. Aber selbst dann kommen bald weitere Brüche hinzu. Die Abstimmung zwischen Mutter und Kind ist ein labiles Gleichgewicht, das stets neuer Anpassung bedarf.
Obwohl der Anpassungsbedarf des Individuums an sein Umfeld ein ununterbrochener Prozess ist, sind typische Entwicklungsschritte mit erhöhtem Anpassungsdruck benennbar, an deren Hürden sich gehäuft Anpassungsstörungen bemerkbar machen.
Neben den typischen Entwicklungsschritten gibt es weitere biographische Ereignisse, die typischerweise Anpassungsstörungen verursachen. Es liegt in der Logik des Anpassungsthemas generell, dass es sich dabei vorwiegend um Ereignisse handelt, die die Einpassung von Individuum und Umfeld in ein harmonisches Miteinander in Frage stellen.
Der Mensch ist sehr anpassungsfähig. Aber nicht unbegrenzt. Und lange bevor ihre Anpassungsfähigkeit endet, ist Anpassung für die meisten Menschen nur noch zu einem hohen Preis erreichbar: dem Verzicht auf seelische Integrität.
Umfeldbedingungen, die die Anpassungsfähigkeit des Individuums überfordern, können ihren Schwerpunkt im psychosozialen Mikrokosmos haben oder es handelt sich um politische, gesellschaftliche und kulturelle Rahmenbedingungen.
Nicht die Europäer in Neuengland waren entwurzelt, sondern die Urbevölkerung, die bis dahin dort lebte. Zuwanderung in großem Maßstab führt nicht zur Entwurzelung der Zugewanderten, sondern zur Ausdehnung ihres angestammten Kulturkreises in neue Gebiete. Die Benennung dieses Sachverhalts gilt vielerorts als Tabubruch, dessen Berechtigung kontrovers diskutiert wird.
Das wichtigste Bezugsfeld des Einzelnen ist das soziale Umfeld, in das er durch unmittelbare zwischenmenschliche Kontakte eingebunden ist. Dort trifft er auf die psychologischen Strukturen anderer. Das Kommunikationsklima des entsprechenden Umfelds kann durch psychologische Probleme der Bezugspersonen derart belastet sein, dass eine symptomfreie Anpassung des Einzelnen massiv erschwert oder gar unmöglich ist. Das gilt vor allem für Kinder, weil deren Abhängigkeit vom Umfeld so groß ist, dass sie sich dessen pathogenem Einfluss kaum entziehen können.
Der psychosoziale Mikrokosmos ist seinerseits in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang eingebettet. Dadurch wirken kulturelle Rahmenbedingungen in den Mikrokosmos hinein; vor allem politischer, wirtschaftlicher oder religiöser Natur. Viele dieser Rahmenbedingungen beruhen auf Machtverhältnissen und Machtinteressen, denen das Wohlbefinden des Menschen an sich gleichgültig ist. Außerdem werden Machtstrukturen regelmäßig von Personen mitbestimmt, die ihrerseits keine seelische Integrität verwirklicht haben, sondern aus einem psychopathologischen Funktionsniveau heraus entscheiden.
Rund um den Erdball leiden Abermillionen unter Ängsten, Schlafstörungen, Getriebenheit, Erschöpfungszuständen und somatoformen Symptomen, die durch den Leistungsdruck der globalisierten Wirtschaft ausgelöst werden. All diese Menschen sind gemäß ICD-10 psychiatrisch erkrankt.
Der ausschlaggebende Kausalfaktor ihrer Erkrankung liegt in wirtschaftspolitischen Sichtweisen, die stetes Wachstum als unabdingbare Notwendigkeit einer funktionierenden Gesellschaft betrachten. Diese Sichtweisen werden vom Expansionsgedanken sogenannter Global Player bestimmt. Sie sind aus deren Perspektive folgerichtig, gesamtwirtschaftlich und gesellschaftspolitisch ist das Wachstumscredo aber problematisch. Zwei Umstände führen dazu, dass es die öffentliche Meinung trotzdem beherrscht:
Viele Politiker staatstragender Parteien folgen in wirtschaftspolitischen Fragen vorwiegend dem Rat international agierender Konzerne, aus deren Sicht grenzüberschreitende Expansion das A & O des Handelns ist.
Das Leben des normalen Menschen findet aber nicht auf dem Globus statt, sondern in Neukölln, Dresden, Bremen, Regensburg und Oberhausen. Überall dort leiden Menschen unter chronischen Anpassungsstörungen, weil eine Allianz aus Politik und Wirtschaftsmacht ihr Selbstbestimmungsrecht zunehmend enteignet.
Seelische Gesundheit braucht schützende Grenzen. Was sich nicht abgrenzen kann, wird vom Umfeld erschöpft. Das gilt für den Einzelnen und für ganze Völker.
Anpassungsstörungen machen sich meist durch emotionale Beeinträchtigungen oder Stimmungsanomalien bemerkbar, die als Reaktion auf eine Bedrohung der Zugehörigkeit erkennbar sind.
Im Gefolge der emotionalen Krise können weitere psychopathologische Auffälligkeiten auftreten, zum Beispiel kognitive Störungen, somatoforme Beschwerden oder Störungen des Verhaltens und der Interaktivität.
Symptome von Anpassungsstörungen
Ebene | Symptome |
Emotional |
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Kognitiv |
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Psychosomatisch Somatoforme Störungen |
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Verhalten Interaktivität Bezugsstörungen zum Kontext |
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Krankheitswertige Reaktionen auf Ereignisse und äußere Umstände unterteilt die ICD-10 in vier Kategorien:
Die Unterschiede liegen vor allem im zeitlichen Verlauf, der Symptomatik und der Bedrohlichkeit der auslösenden Faktoren. Bedroht der Auslöser Leib und Leben, ist er existenziell. Gefährdet er Rang und Zugehörigkeit ist die Bedrohung sozial.
Reaktionen auf schwere Belastungen
gemäß ICD-10-Klassifikation der WHO
Name | ICD | Bedrohlichkeit des Auslösers | Verlauf |
Akute Belastungsreaktion | F43.0 | uneinheitlich | kurz, vollständig abklingend |
Posttraumatische Belastungsstörung | F43.1 | existenziell | teils verzögert auftretend, protrahiert |
Anpassungsstörung | F43.2 | sozial | abhängig vom Bestand pathogener Faktoren und Bewältigungserfolg |
Andauernde Persönlichkeitsveränderung | F62 | existenziell | chronisch |
Auslöser dauerhafter Persönlichkeitsveränderungen
Während der Zusammenhang zwischen Auslöser und Erkrankung bei Belastungsreaktion, Belastungsstörung und der andauernden Persönlichkeitsveränderung so klar erkennbar ist, dass der krankhafte Zustand leicht vom gesunden zu unterscheiden ist, sind die Übergänge zwischen gesund und anpassungsgestört fließend. Das hat Gründe:
Die Ausprägung der Symptome von Anpassungsstörungen reicht von schwerer Beeinträchtigung jedweder psychosozialen Funktionalität bis zu chronischer Unzufriedenheit in einem formal funktionierenden Alltag.
Auch bei Anpassungsstörungen spielen der Zugehörigkeits-Autonomie-Konflikt und die Regulation des Selbstwerts herausragende Rollen. Das Kernproblem auf der emotionalen Ebene ist dabei Angst. Anpassung heißt Zugehörigkeit. Zugehörigkeit heißt Sicherheit. Gestörte Anpassung heißt Verlust an Sicherheit. Das macht Angst.
Die primäre psychologische Ursache von Anpassungsstörungen ist die Infragestellung des Zugehörigkeitsbedürfnisses. Zugehörigkeit kann auf zweierlei Weise verlorengehen:
Trennungsangst
Ich tue einen Schritt, der mich von anderen entfernt.
Es gehört zur organismischen Dynamik des Individuums, dass es aus bestehenden Zugehörigkeiten hinauswächst. Besonders an jenen Schwellen, die grundsätzlichen Wandel bedeuten und die die aktive Ablösung des Individuums aus vertrauten Kontexten erfordern, entstehen Ängste. Werden die Ängste durchlebt, schreitet die Entwicklung fort und neue Zugehörigkeiten entstehen. Man erinnere sich: Anpassung kommt von passare = Schritte machen. Sobald neue Zugehörigkeiten gewachsen sind, ist die Reifungskrise überwunden.
Zugehörigkeiten gehen aber nicht nur durch Entwicklungsschritte verloren, sondern auch durch mehr oder weniger traumatisierende Ereignisse, die das Individuum von außen treffen. Die entsprechenden Verlusterlebnisse verursachen Erfahrungen des Ausgesetzt- und Gefährdetseins sowie der Einsamkeit. Auch hier ist Angst die primäre emotionale Qualität, die von den oben genannten kognitiven, psychosomatischen und interaktiven Bezugsstörungen begleitet sein kann.
Während Zugehörigkeit das primäre Grundbedürfnis ist, ist Selbstbestimmung jenes, dass zur Reifung der Persönlichkeit dazukommt. Störungen der Einbettung in Kontexte können auf zweierlei Art behoben werden:
Unter Beibehaltung oder Ausweitung der Selbstbestimmung
Unter Einschränkung der Selbstbestimmung
Der Verzicht auf Selbstbestimmung kann zu schweren biographischen und psychologischen Entwicklungsverzögerungen führen. Dann führt die Anpassung zur Behebung der gestörten Zugehörigkeit zu einer "Heilung" auf krankhaftem Niveau. Es erfolgt eine pathologische Problemlösung.
Durch die pathologische Problemlösung verwandelt sich die Anpassungsstörung zwischen der Person und ihrem Umfeld in eine gestörte Anpassung der Person an das Selbst des Individuums. Die Anpassungsstörung geht in eine Persönlichkeitsstörung über.
Viele kulturelle Umfelder pflegen einen aggressiven Gruppendruck, der auch weniger ängstliche Personen so mit Ausgrenzung und Abwertung bedroht, dass deren Anpassung nur unter Verleugnung tieferer seelischer Schichten möglich ist. Dann wird zwar Konformität erreicht, nicht aber Symptomfreiheit oder gar seelische Integrität.
Anpassungsstörungen werden oft von Selbstwertzweifeln oder Kränkungen des Selbstwertgefühls begleitet.
Progressive Schritte erfordern Selbstvertrauen. Wer nicht daran glaubt, Schwierigkeiten meistern zu können, wird physiologische Entwicklungsschritte vermeiden; was sein Selbstwertgefühl weiter untergräbt.
Zugehörigkeitsverluste, die von außen treffen - wenn der Partner geht oder man am Arbeitsplatz durch Mobbing ausgegrenzt wird - treffen das Selbstwertgefühl gelegentlich wie Mörsergranaten. Während bei Mobbing die abwertende Botschaft unmittelbar mitgeteilt wird, ist beim Weggang eines Partners klar: Alles in allem bin ich ihm nicht gut genug.
Nicht jede Anpassungsstörung bedarf gezielter Maßnahmen. Sind Umstände auszumachen, die die Störung begründen und deren Ende absehbar ist, genügt es häufig, abzuwarten; zumindest, wenn das spontane Ende des Auslösers nicht in allzu weiter Ferne liegt.
Selbst wenn das spontane Ende einer Anpassungsstörung absehbar ist und erst recht bei jenen, deren Auflösung zwingend Handlungsbedarf erfordert, sind gezielte Maßnahmen möglich. Sie können drei Kategorien zugeordnet werden:
Zu den symptomatischen Maßnahmen zählen Entlastung, Entspannungsverfahren und symptomdämpfende Medikation.
Doch Hand aufs Herz: Anpassungsstörung, das hört sich nicht so an, als sei der Gang zur Apotheke Mittel der ersten Wahl. Medikamente machen nur Sinn, wo heilende Anpassung unmöglich ist oder die Symptomatik so belastend, dass sie den Vollzug alltagspraktischer Erledigungen behindert.
Ist das nicht der Fall, sind Maßnahmen angezeigt, die die gestörte Abstimmung zwischen Individuum und Umfeld wiederherstellen, sodass Symptome überflüssig werden. Maßnahmen, die das Gleichgewicht wiederherstellen, können innen oder außen ansetzen... oder sowohl als auch.
Maßnahmen greifen in den Kontext ein, wenn sie an den äußeren Bedingungen ansetzen, die der Anpassungsstörung zu Grunde liegen.
Nachdem Simon vom Kriechen Zahnfleischbluten bekam, sah er ein, dass bloßes Abwarten nicht genügt. Er machte dem Chef die Lage klar. Zum Glück war der Chef keiner, der nur an den Umsatz dachte. Ab der fünften Woche wurde Simon Frau Springindiebresch zugeteilt, deren stringenter Arbeitsstil Simons Symptome im Nu im Nichts verschwinden ließ.
Nicht immer ist die Lösung durch Eingriffe in äußere Faktoren zu finden. Viele Auslöser oder Cofaktoren, die Störungen mitbedingen, können vom Einzelnen kaum beeinflusst werden. Dann kommt der selbstreflektierenden Möglichkeit zur Heilung ihre volle Bedeutung zu. Es gilt nicht, die Welt zu verändern, sondern sich im Umgang mit ihr so auszurichten, dass es einem gut geht.
Nachdem Simons Chef beim Versuch, ihm die Lage zu schildern, einen Hörsturz bekam und Frau Springindiebresch blieb wo sie war, stand Simon vor der Wahl: Entweder er reibt sich für die Firma auf, oder er schafft es, seinem Perfektionismus bei der Erledigung beruflicher Aufgaben Einhalt zu gebieten. Damit er versteht, woher sein Perfektionismus kommt, arbeitet er beim Therapeuten seine Mutterbindung auf.
Nein, Daniel hat keinen Studienplatz bekommen. Er hat aber die Möglichkeit, seine Einstellung zur Wirklichkeit so auszurichten, dass die aufgetretene Störung der Anpassung zwischen ihm und der Welt überwunden wird. Dazu ist es das Beste, er betrachtet sich selbst.
Eine solche Selbstbetrachtung gehört zum zentralen Ansatz aller tiefenpsychologischen Psychotherapieverfahren. Neben einer Aufarbeitung prägender Schlüsselerlebnisse können vier Themen ins Auge gefasst werden, die sich aus den möglichen Verwendungen des Begriffs passieren ableiten lassen:
Es liegt in der Logik der Anpassungsstörung, dass die begriffliche Wurzel, die bei ihrer Benennung zur Sprache kommt, Hinweise dafür liefert, wie die Störung bewältigt werden kann.
Es passiert mir heißt: Es stößt mir zu.
Menschen, die sich in Anpassungsstörungen verheddern, gehen oft davon aus, dass das Leben nach einem bestimmten Plan zu verlaufen hat. Sie glauben, nur der Verlauf, den sie erwartet haben, könne ein guter sein. Kommt es anders als gedacht, glauben sie an einen Irrtum des Schicksals. Statt sich Ereignissen zu stellen, wie sie kommen, weichen sie vor unerwarteten Entwicklungen aus. Statt weiterzugehen, bleiben sie stehen und warten darauf, dass das Schicksal seinen vermeintlichen Irrtum richtig stellt. Während sie vergeblich warten, kochen Frust, Angst und Ärger hoch.
Ich passiere es heißt: Ich gehe weiter.
Nicht mit allem, was geschieht, muss man sich endlos beschäftigen. So mancher hält sich im Leben mit vergleichsweise Belanglosem auf, weil er alles, was ihm zustößt, zu einem perfekten Ende bringen will. Zuweilen genügt es, an Umständen vorbeizugehen und neue Wege zu probieren.
Es passiert mich heißt: Es geht an mir vorüber.
Ereignisse an sich vorübergehen zu lassen heißt zweierlei:
Man braucht nicht in alles eingreifen, was geschieht. Viele beschäftigen sich intensiv mit Dingen, auf die sie keinen Einfluss haben. Lässt man Ereignissen Gelegenheit, ungehindert vorbeizuziehen, verhindert man, sich erfolglos an ihnen aufzureiben.
Eine Facette, etwas nicht an sich vorüberziehen zu lassen, liegt im Versuch, andere festzuhalten, wenn die sich aus einer Bindung lösen wollen. Sich anzupassen, heißt hier loszulassen.
Ich passiere mich heißt: Ich werfe Ballast ab. Und: Ich gehe an mir selbst vorbei.
Anpassungsstörungen sind Lebenskrisen. Ist die Anpassung nicht durch Eingriffe in die Struktur des Umfelds zu erreichen, stehen innerseelische Entwicklungen an. Bei solchen Entwicklungen geht es darum, sich von überholten Vorstellungen, Hoffnungen, Gewohnheiten und Erwartungen zu trennen. So wie der Koch die Soße durch ein Sieb passiert, um grobe Teile herauszufiltern, so können Umstände, die zu Anpassungsstörungen führen, als Siebe verstanden werden, durch die das Selbst- und das Weltbild bereinigt wird. Wer Anpassungsstörungen überwindet, lässt nutzlos gewordenes im Sieb zurück. Bereinigt von Illusion und Anspruch geht er weiter.