Spiritualität


  1. Definition
  2. Psychologische Entwicklungsprozesse
  3. Spiritualität und seelische Gesundheit
  4. Störfaktoren der Spiritualität
  5. Methoden der Spiritualität
Sie sind, was ist, was war und was sein wird. Bedenken Sie das?

Ich bin nicht Sie, aber ich bin das, was auch Sie sind.

Spiritualität ist die Rückkehr des Ich aus dem Ego ins Selbst.

Sichtweisen

Profan

Die Welt ist Wirklichkeit, ich darin Partikel.
Ich durchquere die Welt.

Mystisch

Ich bin die Wirklichkeit der Welt.
Ich durchquere mich.


Was mit voller Achtsamkeit vollzogen wird, ist Gottesdienst (→ Fußnote).

In der Spiritualität gehen viele nicht weit genug. Sie wollen sich bloß sehen, statt sie selbst zu sein. Nichts von dem, was man sieht, ist man jedoch; außer alles.

Wirklich ist, wer sein Sosein nicht plant.

1. Definition

Spiritualität (lateinisch: spiritus = Seele, Geist) ist die Ausrichtung des Bewusstseins auf das Wesen des geistigen Raums. Um dessen Wesen zu erkennen, richtet sie den Blick zunächst auf die Inhalte und Strukturen der innerseelischen Dynamik, die beim Blick nach innen zu betrachten sind. Spiritualität untersucht die Psychologie der eigenen Person.

Subjektivität ist ihrem Wesen nach unbegrenzt. Der Blick nach innen führt über die Grenzen der Person hinaus.

Im Gegensatz zum bloßen Interesse an der Psychologie, die auch die Grundlage der Psychotherapie bildet, geht Spiritualität jedoch weiter. Sie setzt voraus, dass der Geist eine transpersonale Wirklichkeit begründet, die mehr ist als eine Funktion materieller Strukturen.

Als Wirklichkeit wird hier das verstanden, was tatsächlich wirkt. Fällt ein Regentropfen ins Wasser, bewirkt er damit nichts: weder Wellen noch eine Vermehrung der Wassermenge. Vielmehr ist er passives Element einer Ereignisfolge, die so abläuft, wie sie es eben tut. Wenn etwas wirkt, ist es jene Kraft, die die Ereignisfolge als primäre Ursache angestoßen hat. Wirklich ist nur das Unbedingte. Etwas bewirken kann nur, was frei ist. Unfreies ist bloß Mittel.

Spiritualität setzt außerdem voraus, dass der Gegenwart materieller Objekte eine Subjektivität zugrunde liegt, deren Wesen sich von allen Dingen unterscheidet. In dieser Subjektivität sieht sie die einzig verlässliche Sinnquelle des Lebens und die Grundlage der Realität.

Als Realität (lateinisch res = Sache, Ding) wird hier das Gefüge naturgesetzlich miteinander verbundener Objekte und Kräfte verstanden. Objektivierbare Aspekte der Person sind real.

Spiritualität geht über persönliche Inhalte, Belange und Strukturen hinaus. Sie ist transzendent (lateinisch transcendere = überschreiten).

Zu unterscheiden sind...

Raum und Inhalt
Geist Inhalte des Geistes
noch ungeformte Möglichkeit geformte Objekte und Strukturen
Fokus der Spiritualität Fokus der Psychologie
Des-Identifikation Identifikation mit diesem oder jenem: Gefühlen, Meinungen, Wertvorstellungen, Rollen

Spiritualität strebt Identitätsfindung im Ungeformten an. Sie beendet die Identifikation und vorrangige Beschäftigung mit Festgelegtem.

1.2. Spiritualität und Spiritismus

Von der Spiritualität ist der Spiritismus zu unterscheiden. Irrtümlicherweise werden beide oft gleichgesetzt.

Spiritualität

Ich suche eine Verbindung zu meinem Selbst.

Spiritismus

Ich suche eine Verbindung zu übersinnlichen Wesen.

Der Spiritist deutet ungewöhnliche Erlebnisweisen als Kontakterfahrung mit Geistwesen oder als deren gezielten Einfluss auf die eigene Person. Oder aber, er glaubt an die Möglichkeit solcher Kontakte, wünscht sie herbei oder fürchtet sich davor.

Die Ursachen spiritistischer Deutungen sind vielfältig:

Mittler oder Mittelpunkt
Wohlgemerkt: Niemand kann beweisen, dass es keine Geistwesen gibt, die durch medial begabte Menschen persönlich ansprechbar sind, sodass die Betreffenden tatsächlich zwischen Diesseits und Jenseits vermitteln.

Ungeachtet dessen, ob es das gibt oder nicht, verweist der Begriff aber auch auf individualpsychologische Komponenten. Medium steht lateinisch für Mitte oder Mittelpunkt. Zweifelsohne führt das Etikett medial begabt zu einer psychosozialen Aufwertung der Person, die dadurch in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt. Ein unterschwelliges Gefühl, wenig zu bedeuten, wird durch die Vorstellung, medial begabt zu sein, gemildert oder überdeckt.

In der Mitte zwischen etwas zu stehen, spricht zudem das Zugehörigkeitsbedürfnis an. Der Spiritist erlebt sich nicht nur von aufmerksamen Laien umgeben, die ihn zum Diesseits hin abschirmen, sondern auch von Geistwesen, die zwischen ihm und einer jenseitigen Leere stehen, die der Spiritist womöglich als bedrohlich empfände, wäre sie nicht ihrerseits durch personale Anlaufpunkte bevölkert.

Spiritualität sucht Verbindung nach innen. Sie will die Grenzen des Egos durch Selbst­findung überschreiten. Spiritismus sucht Verbindung nach außen. Er verbleibt im Horizont des Egos, indem er eine Verbindung zwischen dem eigenen und dem Ego übersinnlicher Wesen herzustellen versucht.

Normalerweise lebt der Mensch in Unkenntnis seiner Identität. Er weiß nicht, was er ist oder gibt sich mit oberflächlichen Identifikationen zufrieden. Spiritualität versucht, die wahre Identität herauszufinden.

Was man hat, kann man loslassen. Was man ist, kann man annehmen. Das eine zu tun, verstärkt den Mut zum anderen. Man kann nur sein, was man ist, wenn man sich an nichts mehr festhält.

2. Psychologische Entwicklungsprozesse

Das Bewusstsein des Neugeborenen unterscheidet nicht zwischen sich selbst und der Welt. So beschreibt es die Entwicklungspsychologie. Erst im Laufe der Zeit ordnet es die Flut seiner Wahrnehmungen, sodass das Kleinkind den Unterschied zwischen Innen- und Außenwelt erkennt.

Da man zu lernen hat, sich in der Außenwelt zurechtzufinden, zieht sie das primäre Interesse junger Menschen auf sich. Es gilt, die Dinge zu begreifen, sie nach Nutzwert zu unterscheiden und sich im sozialen Umfeld einen Platz zu sichern. Junge Menschen glauben daher oft, aller Sinn des Lebens sei in dieser Außenwelt zu finden:

Verläuft die Entwicklung in üblichen Bahnen, wird der Glaube enttäuscht, dass die Außenwelt alle Sehnsucht erfüllen wird.

Als Reaktion auf die Enttäuschungen wird das Interesse an der Außenwelt oft durch ein verstärktes Interesse an der Innenwelt ergänzt. Die Suche nach Sinn und Erfüllung wird zu einer Suche nach sich selbst.

Bei vielen geht der Blick nach innen über das persönliche Dasein hinaus. Sie fragen nicht nur: Wer bin ich in Bezug zu den anderen? Sie fragen: Was ist der Boden meiner Existenz? Der Schwerpunkt ihres Interesses verschiebt sich von der Hoffnung auf Eroberung der Außenwelt zum Wunsch nach Übereinstimmung mit dem Urgrund des Daseins. Ihre Ausrichtung wird spirituell.

Ausrichtungen

Die Ausrichtung des Bewusstseins ist...
positionierend psychologisch spirituell
Schwerpunkt des Interesses
Strukturen der Außenwelt einschließlich des sozialen Umfelds, in das ich eingebettet bin
bestmögliche Positionierung meiner Person
Funktionsweisen des Egos
Psychodynamik der psychischen Strukturen, deren Thema die Positionierung der Person ist
Wesen des Geistes, der die Dynamik des Egos wahrnimmt
Ich will wissen, was Erfolg bringt. Ich will verstehen, wie mein Ego funktioniert. Ich will erkennen, was ich bin.
Aktivität
Selektive Wahrnehmung und Bewertung potenziell nützlicher und schädlicher Objekte und Entwicklungen im Umfeld
Überlegungen, wie aus nützlichen Objekten Vorteile zu ziehen sind und wie Nachteile durch schädliche Objekte und Entwicklungen abgewehrt werden können
Bestimmung selektiver Zugehörigkeit (Ich will da und dazu gehören.)
Wahrnehmung eigener Verhaltensmuster
Reflektion der Folgen eigener Muster auf die Position im Umfeld
Versuch, eigene Muster zu optimieren
Akzeptierende Wahrnehmung innerer und äußerer Objekte
Preisgabe positionierender Zielsetzungen
Akzeptanz umfassender Zugehörigkeit (Ich gehöre allem an.)
eingreifend, vereinnahmend, steuernd zulassend, erlebend, erkennend
Auswirkung
Verbesserte Positionierung der Person Selbsterkenntnis der Person
Verbesserte Anpassungsfähigkeit an schwankende Bedingungen
Transzendenz der Person
Überwindung der egozentrischen Sichtweise

2.1. Positionierende Ausrichtung

Die positionierende Ausrichtung ist ursprünglich. Normalerweise ist das Bewusstsein vollständig oder weitgehend positionierend ausgerichtet. Das heißt: Es befasst sich mit der selektiven Wahrnehmung vermutlich nützlicher Objekte und mit Überlegungen, wie es aus der Begegnung mit den Objekten Vorteile ziehen könnte. Je nach Temperament und persönlicher Erfahrung greift das Bewusstsein eher zu offensiven oder defensiven Mustern.

Für ein erfolgreiches Leben ist die positionierende Ausrichtung quasi unentbehrlich. Niemand wird ein selbständiger Mensch, wenn er nicht lernt, wie er seine persönlichen Bedürfnisse, also die Interessen seines Egos, aus eigener Kraft besorgen kann. Da das Ego aber nicht das Wesen des Subjekts umfasst, sondern nur dessen Werkzeug ist, ist die positionierende Ausrichtung nicht in der Lage, dauerhaft Zufriedenheit zu schaffen. Nichts, was das Ego in der Welt erlangen könnte, kann das Leiden der Person an ihrer Halbheit beheben.

2.2. Psychologische Ausrichtung

Die psychologische Ausrichtung kann Leid lindern. Wenn ich die Dynamik in meinem Inneren verstehe, kann ich meine positionierenden Bemühungen effektiver gestalten. Die Sehnsucht nach endgültigem Glück erfüllt sich zwar immer noch nicht, die Einsicht in den Regelkreis meiner psychologischen Abläufe federt die Wucht der Enttäuschung jedoch ab. Selbsterkenntnis führt zu einer Weisheit, die vor mancher Dornenhecke schützt, in die der blinde Eifer für den eigenen Vorteil führen kann, der die positio­nierende Ausrichtung ohne Selbsterkenntnis ausmacht.

Obwohl sie sich bereits mit Strukturen des Geistes befasst, kann die psychologische Ausrichtung rein egozentrisch bleiben: wenn mein Interesse an mir selbst bloß einer besseren Positionierung dient. Der Blick zu den Strukturen des Egos weist jedoch in dieselbe Richtung, der auch das spirituelle Interesse folgt: nach innen.

Grundregel

Je älter der Patient, desto mehr Sinn macht es, spirituelle Fragen in die Therapie einzubeziehen.

Psychotherapie
Der Ansatz der Psychotherapie ist in der Regel egozentrisch. Der Patient beklagt Symptome, die entweder einer unbefriedigenden Positionierung entspringen oder solche, die seine angestrebte Positionierung behindern. Der Patient fühlt sich minderwertig und möchte mehr gelten.

Bei der Verhaltenstherapie wird versucht, funktionales Verhalten einzuüben. Funktional ist ein Verhalten, das die Person erfolgreich macht. Bei der analytisch-tiefenpsychologischen Therapie wird Einsicht in innerseelische Abläufe angestrebt, damit die Person lernt, ihren egozentrischen Zielen nicht mehr im Weg zu stehen.

Um klassische psychiatrische Symptome zu beheben, reicht die egozentrische Sichtweise beider Therapieformen oft aus. Eine grundsätzliche seelische Gesundung ist aber nur erreichbar, wenn der Blick auf den spirituellen Rahmen der Existenz ausgeweitet wird.

2.3. Spirituelle Ausrichtung

Spiritualität rückt den Geist endgültig ins Zentrum des Interesses. Dazu gehört, dass sie sich mit dem Ego befasst; jedoch nicht um das Ego für seinen Kampf um Positionen stark zu machen, sondern um die Grenzen zu überwinden, die eine egozentrische Ausrichtung dem Leben aufzwingt.

Spirituelles Gewahrsein sieht den Zusammenhang zwischen der Neigung, sich zum Ego kleinzudenken und sich in der Folge groß zu machen.

Während die rein psychologische Ausrichtung das Ego zu verstehen versucht, um es anschließend im Eigeninteresse zu formen, versucht die spirituelle Ausrichtung das Ego durch Verständnis transparent zu machen. Die spirituelle Ausrichtung schaut durch das Ego hindurch. Indem sie es als Arbeitshypothese der Person begreift, misst sie ihm keine eigenständige Existenz mehr zu. Dem spirituellen Ich erscheint das Ego als vorübergehende Erscheinung, der nur noch ein vermindertes Maß an Bedeutung und Energie zuzumessen ist.

2.3.1. Desidentifikation und Identität

Ausgangspunkt der Entwicklung einer spirituellen Ausrichtung ist das positionierende Bewusstsein. Zum positionierenden Bewusstsein gehört die Identifikation des Ich mit äußeren Objekten, Rollen und Strukturen.

Bei genauer Betrachtung sind solche Identitäten zweifelhaft und austauschbar. Die Behörde könnte mir die Berufserlaubnis entziehen. Fehlen mir Kraft oder finanzielle Mittel, ist es mit dem Gärtnern vorbei. Mein tatsächliches Wesen kann also weder im Schreiner noch im Gärtner liegen.

Durch Desidentifikation von der flüchtigen Rolle, wechsele ich auf eine tieferliegende Ebene.

Das Subjekt meiner selbst verorte ich nun nicht mehr in der Rolle, sondern in jenem Selbst, das die Rolle spielt. Die Rolle wird ihrerseits zu einem Objekt, das ich von außen betrachte.

Wenn ich erkenne, dass meiner Person das gleiche Schicksal gebührt, wie allen Objekten der Welt, wird das Subjekt in mir seiner selbst bewusst.

Je mehr ich das Ego seinerseits zum Objekt meiner Wahrnehmung mache, desto weniger kann ich daran festhalten, dass es dem tatsächlichen Subjekt meiner Identität entspricht. Durch die Erkenntnis des Egos, erkenne ich das Ego als ein virtuelles Objekt, das ins Wechselspiel der übrigen Objekte eingebunden ist.

Spirituell wird meine Ausrichtung mit jedem Schritt, der mich aus der Identifikation mit meiner Person hinausführt. Solche Entwicklungen vollziehen sich schrittweise oder ruckartig. Vollziehen sie sich ruckartig, kommt es zu ekstatischen Erlebnissen, die von den spirituellen Traditionen als Erweckungs- bzw. Erleuchtungserlebnisse beschrieben werden.

Der psychologische Mechanismus der Ekstase (griechisch ex-histasthai (εξ-ιστασθαι) = aus sich heraustreten) ist die vollständige Desidentifikation des Ich von der Person, mit der es sich im normalen Bewusstsein gleichsetzt. In der Ekstase erblicke ich die Wirklichkeit aus einer Position, die jenseits meiner Person liegt.

Phasen der Spiritualität

Flucht Zielsetzung
Ich wende mich zu, um mich abzuwenden. Ich wende mich ab, um mich zuzuwenden.
Ich fliehe das Falsche. Ich sehe das Wahre.

2.3.2. Flucht oder Ziel

Spirituelles Interesse erwächst oft aus Bedrückung. Beim vor-spirituellen Verhalten überlässt sich der Mensch der Welt und ihren Wechselfällen. Er sucht in der Welt, was ihm vorteilhaft erscheint. Das ist normal. Normal ist aber auch, dass das Glück, nach dem der Mensch die Welt durchsucht, zumeist nur als Episode zu finden ist. Ernüch­terung ist die Regel, Enttäuschung sehr häufig. Das kann zur ersten Phase einer spirituellen Ausrichtung führen: der Flucht. Der von der Welt Enttäuschte sucht nach sich selbst, um vor der Welt zu flüchten.

Auf der Flucht ist die Suche ein Mittel zum Zweck, um dem Leid zu entkommen. In einer zweiten Phase kann aus Flucht Zielsetzung werden. Dann wendet sich der Bedrängte nicht dem Selbst zu, um vor der Welt zu flüchten. Er wendet sich von der Welt ab, um sich selbst zu finden. Wenn er sich jenseits von ihr gefunden hat, kehrt er aus dem Horizont des Egos befreit in die Welt zurück. Auch wenn die Welt nicht besser wurde, wird er darin glücklich sein.

3. Spiritualität und seelische Gesundheit

Spiritualität hat für die seelische Gesundheit Vorteile:

Erleben oder verwalten
Meist legen Menschen den Schwerpunkt ihrer Aufmerksamkeit nicht aufs Erleben der Wirklichkeit. Stattdessen verwalten sie ihre persönlichen Interessen. Sie sind mit der Achtsamkeit nicht im Jetzt, wo alle Wirklichkeit versammelt ist, sondern schweifen, beseelt vom Drang, sich Sicherheit und Geltung zu verschaffen, in der virtuellen Welt ihrer Vorstellungen, Meinungen und Erinnerungen umher. Dort fällen sie Urteile, sortieren das wenige, was sie von der Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen, nach Nützlichkeit und entwerfen Pläne, wie die Wirklichkeit verlaufen sollte, damit man sie "in Ordnung" finden kann. Verläuft die Wirklichkeit anders als erwünscht, meinen sie, etwas Schlimmes sei passiert. Sie glauben, es gebe Anlass, sich gegen den "fehlerhaften" Lauf der Realität zu sträuben. Das ist normal. Normalität ist aber auch das Saatbeet der Neurose und all der Leiden, die sie mit sich bringt.

Wenn Menschen wüssten, dass sie keine Insassen der Wirklichkeit sind, sondern deren Ausdruck, würden sie der Wirklichkeit und sich selbst anders begegnen. Da sie das Leben aber nicht erleben, sondern gewinnbringend verwalten, sträuben sie sich gegen sich selbst.

Spiritualität hat für die seelische Gesundheit aber nicht nur Vorteile. Für eine vollgültige Gesundheit ist sie sogar Bedingung. Es ist klar: Gehe ich bei der Definition dessen, was ich bin, in die Irre, kann ich mich kaum je meinem Wesen gemäß verhalten. Verhalte ich mich aber anders, als es meinem Wesen entspricht, entsteht in mir ein Widerspruch, der meine Gesundheit infrage stellt.

Der Mensch ist nicht nur Insasse des Universums, sondern dessen Eigenschaft. Der Himmel ist ge­stirnt, das Universum bemenscht.

Trifft zu, was mystische Traditionen als Verhältnis zwischen Ich und Wirklichkeit beschreiben, nämlich deren Wesensgleichheit, kann der normale Bewusstseinszustand des Menschen nicht als gesund begriffen werden. Nur wer sich selbst an keine Form mehr bindet, ist auch auf der seelischen Ebene seines Daseins gesund.

4. Störfaktoren der Spiritualität

In Anbetracht der heilsamen Wirkung der Spiritualität verwundert es, dass sich so wenige damit befassen. Verschiedene Gründe sind dafür verantwortlich.

Die Anerkennung der Identität von Ich und absolutem Selbst ist der eigentlich religiöse Akt. Jede Unterwerfung unter vorgegebene Werte bleibt ein Gehorsamsverhältnis zwischen Menschen.

5. Methoden der Spiritualität

Leitmotive

  1. Achtsamkeit
  2. Akzeptanz

Es gibt keine Wahrnehmung, die nicht wertschätzt und keine Liebe, die nicht sieht.

Spiritualität denkt nicht nach, urteilt nicht und strebt nicht nach Gewinn. Wer sich spirituell verhält, sieht das Ziel seines Tuns zunächst in der Erkenntnis dessen, was tatsächlich ist. Da alles, was tatsächlich ist, im Jetzt auftaucht, ist die Ausrichtung der Achtsamkeit auf das, was jetzt erlebbar ist, die erste Methode aller Spiritualität.

Das Jetzt wird dabei nicht nur als der Ort aufgefasst, an dem wahrnehmbare Inhalte auftauchen, sondern auch als das Wesen dessen, der als präsente Gegenwart das handelnde Subjekt der Wahrnehmung ist. Reine Spiritualität erlebt das Jetzt und den, der dessen Inhalte wahrnimmt, als wesensgleich.

Daraus folgt die zweite Methode der Spiritualität: die Akzeptanz dessen, was ist. Wenn das Präsens der Zeit wesensgleich mit der Präsenz des wahrnehmenden Subjekts ist, ist die Bejahung der Inhalte des Jetzt - einschließlich ihrer Widersprüche und persönlichen Tendenzen - zugleich Akzeptanz des Subjekts selbst. Nur wenn es zum Wesen des absoluten Selbst gehörte, sich zu verneinen, wäre der Widerstand gegen die Wirklichkeit folgerichtig. Der spirituell wache Mensch akzeptiert sich und die Welt, die ihm Widerstand leistet, in gleicher Weise.


Fußnote

Wohlgemerkt:
Es heißt: Was mit voller Achtsamkeit vollzogen wird... Volle Achtsamkeit ist mehr als bloß Achtsamkeit. Achtsamkeit mag ein Objekt erfassen, an dem Handlungen vollzogen werden. Solch eine Achtsamkeit übersieht aber leicht das Motiv, aus dem heraus gehandelt wird. Deshalb können auch böse Taten achtsam vollzogen werden, ohne dass sie damit etwas wären, was hier als Gottesdienst verstanden wird. Volle Achtsamkeit umfasst auch das Selbst dessen, der handelt. Wer sich seiner selbst und der Motive, die ihn bewegen, vollständig bewusst ist, begeht keine Taten, die einem Dienst am Ganzen widersprächen. Das Böse ist stets Folge eines Unverstands. Alles Böse meint ein Objekt zu sein, das sich gegen andere Objekte wehren muss.