Danken ist eine Abwandlung des Verbs denken. Beide gehen auf die indoeuropäische Wurzel teng- = empfinden, denken zurück, deren gedanklicher Inhalt auch im altlateinischen Verb tongere = kennen, wissen anklingt.
Denkakte können zwei Grundmustern folgen:
Man denkt an etwas:
Ich denke beim Verzehr der Schokolade daran, wie die Kakaobohnen vom Clan der Dindima geerntet werden.
Im ersten Fall ist das Denken ein Bewusstseinsakt, der etwas unmittelbar Wahrnehmbares mit etwas Gewusstem verknüpft, wodurch die sinnliche Erfahrung des Wahrnehmbaren mit einer gedanklichen Dimension verbunden wird. Das Gedenken an den Fleiß der Fulani bereichert die sinnliche Erfahrung des Schokoladengenusses um das Echo einer gedanklich erzeugten Empfindung: der Dankbarkeit.
Ohne das Gedenken bleibt der Genuss ein egozentrisches Ereignis, es sei denn man gedenkt in Unkenntnis der Fulani an die Kräfte der Evolution oder die Schöpfungsmacht des Absoluten, die gemeinsam unbekannte Hände dazu gebracht haben, Kakaobohnen zu pflücken.
Im zweiten Fall ist das Denken zusätzlich ein spekulatives Eigenprodukt. Es dient der Erforschung der Wirklichkeit, aus der heraus der Schokoladengenuss vergeben wird.
Im Interesse an der Wirklichkeit, der das Gute zu verdanken ist, wird aus bloß gedenkendem Dank womöglich tätiger Dank. Er könnte zuletzt darin bestehen, im Siedlungsgebiet der Dindima Sonnenkollektoren zu installieren oder besser noch: Schulen zu bauen, in denen die Kinder der Dindima lernen, wie man das macht.
Dankbarkeit bindet zurück. Sie ist eine Ausrichtung des Bewusstseins, die den Spender beim Empfang einer Gabe bedenkt. Dankbarkeit findet auf zwei Ebenen statt:
Er hat mir etwas gegeben. Das ist die Grundlage der sozialen Dankbarkeit. Ausgangspunkt der Verbindung ist hier der Austausch zwischen zwei Personen, die sich im sozialen Kontext begegnen.
Würden Daniel, Max und Maria-Luise die Gaben ihrer Freunde annehmen, ohne den Gebern Beachtung zu schenken, wären sie undankbar. Gottlob sind sie das nicht. Daher bekommen die Geber durch die Beachtung, die sie beim Geben ernten, etwas zurück, das mindestens so wertvoll wie das Verschenkte ist. Bei der sozialen Dankbarkeit entstehen Bündnisse zwischen den Beteiligten.
Ich bin mir selbst gegeben. Das ist die Grundlage der existenziellen Dankbarkeit. Während die Verbindung beim Austausch von Gabe und Dankbarkeit auf der sozialen Ebene zwischen autonomen Personen entsteht, reagiert das existenziell dankbare Ich auf den Empfang seiner selbst.
Das existenziell dankbare Ich gedenkt beim Vollzug seiner Existenz der Quelle, der es entspringt. Es betrachtet sein Leben nicht nur als einen Besitz, über den es nach der Inbesitznahme willkürlich verfügt, sondern als empfangene Gabe, aus der heraus es des Gebers bedenkt. Das existenziell dankbare Ich ist somit religiös. Religion ist existenzielle Dankbarkeit.
Grundformen der Dankbarkeit im Überblick
Soziale Dankbarkeit | Existenzielle Dankbarkeit |
Er hat mir etwas gegeben. | Ich bin mir selbst gegeben. |
Von Person zu Person | Von der Person zum Sein oder zu sich selbst, sobald es sich selbst als Ausdruck des Seins versteht |
Das Gegebene ist ein geformtes Etwas, eine Sache, die den Besitzer wechselt oder die spezifische Form eines Verhaltens, die dem Beschenkten dient. | Das Gegebene ist formloses Dasein an sich, das durch Formen gefüllt werden kann. Dank ist die Wahl der guten Form, zu der das Formlose gestaltet wird. |
Stärkung sozialer Zugehörigkeiten | Ausdruck religiöser Rückbindung der Person an die Wirklichkeit |
Die Dankbarkeit richtet sich im Diesseits nach außen. | Die Dankbarkeit richtet sich nach innen ins Jenseits. Von dort aus wirkt sie ins Diesseits zurück. |
Ich danke für das, was ich habe. Wertschätzung des anderen |
Ich danke für das, was ich bin. Wertschätzung des Selbst |
Religiöse Dankbarkeit ist auf zweierlei Art möglich:
Bei genauer Betrachtung wird erkennbar, dass sich beide Formen voneinander unterscheiden.
Erwartungsvoller Dank richtet sich an eine Gottesperson, deren zukünftige Entscheidungen man durch den erwiesenen Dank beeinflussen will. Beim erwartungsvollen Dank legt man Wert darauf, vom Himmel als dankbare Person erkannt zu werden. Man erwartet, durch Dankbarkeit zukünftige Gunst zu bewirken.
Eigentlich ist der erwartungsvolle Dank, der sich an eine vorgestellte Gottesperson wendet, kein wahrhaft religiöser Dank, sondern ein sozialer. Die dualistische Vorstellung des Bezugs zwischen Schöpfer und Geschöpf beschreibt ein soziales Gefüge: das zwischen Herrscher und Untertan.
Der Dank eines Untertans gegenüber einem guten Herrscher ist nicht per se Verfehlung. Er kann für den Untertan wegweisend sein. Er bleibt aber ein Geschäft, wenn er nicht über die Berechnung von Vorteilen hinauskommt, die soziale Dankbarkeit einbringen könnte, und wenn er den Menschen auf die Rolle eines Untertans festlegt.
Selbstformender Dank ist ein Mittel, um sich selbst zu gestalten. Er bezweckt, die Achtsamkeit darin zu schulen, das als eigenes Sosein Gegebene durch Beachtung wertzuschätzen.
Zwei Formen religiösen Danks
Erwartungsvoller Dank | Selbstformender Dank |
Erwartet, beachtet zu werden. | Schult sich, zu beachten. |
Richtet sich an ein Gegenüber. | Richtet sich auf Werte aus. |
Will mehr. | Übt Genügsamkeit. |
Schaut auf die Zukunft. | Schaut aufs Jetzt. |
Sucht Sicherheit. | Sucht Wirklichkeit. |
Selbstformender Dank fokussiert die innere Wirklichkeit. Er räumt ihr mehr Bedeutung als der äußeren zu. Das führt zu einem verminderten Interesse an Gegenständlichem. Der eigentliche Wert wird nicht mehr in dem gesehen, was sekundär, als Gut oder Vorteil, in der Welt erworben werden kann, sondern in der primären Gabe des absoluten Gebers: dem Selbst und darin enthalten im Geber.
Vollgültig religiöser Dank geht mit der primären Gabe des Daseins, nämlich dem eigenen Selbst, so achtsam und wertschätzend um, wie es dem Wert der Gabe entspricht. Der religiöse Mensch beachtet sein Selbst, statt das, was er haben will oder erwerben könnte. Durch den dankbaren Umgang mit der primären Gabe wird der Geber anerkannt.
Soziale Dankbarkeit geht vom egozentrischen Selbstbild aus. Das egozentrische Ich sieht sich als abgetrennten Bereich der Wirklichkeit. Durch soziale Dankbarkeit festigt es Bündnisse mit anderen Personen, sodass ihrerseits abgetrennte Netzwerke entstehen, die dem wechselseitigen Nutzen der Beteiligten dienen. Soziale Dankbarkeit denkt politisch. Sie fördert Koalitionen zwischen Parteien der Wirklichkeit, die mit anderen Koalitionen konkurrieren.
Existenzielle Dankbarkeit betrachtet das Selbst als von je her mit allem verbunden. Sie sieht dieses Selbst als vom Ganzen vergeben. Sein Dank gilt daher nicht nur ausgewählten Teilen, sondern der Wirklichkeit als Ganzes. Das existenziell dankbare Ich nimmt der Welt gegenüber eine Haltung ein, die seiner Verbindung mit allem gedenkt.
Dankbarkeit und Wertschätzung gehen Hand in Hand. Wer den Wert einer Gabe nicht erkennt, wird keine Dankbarkeit empfinden, die dem Wert der Gabe entspricht. Das gilt für das geschenkte Fahrrad von Florian ebenso wie für das geschenkte Selbst, das Daniel von je her in sich trägt.
Wenn Daniel den Wert des Fahrrads verkennt, entsteht daraus ein Schaden, der vornehmlich die Beziehung zu Florian betrifft. Verkennt er den Wert seiner selbst, ist der Schaden größer. Sein Dasein wird davon durchsetzt.
Jedes Du solltest so oder anders sein ist eine Missachtung des gegebenen Ich bin. Umso wichtiger ist es, den Wert zu erkennen, der dem Leben vor jeder sozialen und persönlichen Formgebung inneliegt. Das ist eine Aufgabe, deren Erfüllung eher ein ganzes Leben braucht, als dass sie schnell zu erledigen wäre. Das normale Bewusstsein bedenkt nicht, dass eine solche Möglichkeit überhaupt besteht.
Suizidale Impulse können verschiedenen Quellen entstammen.
Dort, wo der Impuls aus dem Urteil eigenen Unwerts oder dem Empfinden einer Entwertung entsteht, wird das Gebot der Wertschätzung des Gegebenen verletzt.
Erlöst sich ein unheilbar Kranker von absehbar unerträglichem Leid, stammt das Motiv nicht aus einem Ego, das den Wert seiner selbst nicht erkennt. Im Gegenteil: Hier kann das Motiv wertschätzende Fürsorge sein. Das Selbst des Leidenden erlöst die Person aus sinnloser Qual.
Die Wertschätzung dessen, was einem Menschen als sein Selbst gegebenen ist, wird nur von religiösen Anschauungen vollzogen, die seinem Sosein kein verbindliches Soll überordnen, sondern dem Gegebenen mit vorurteilsfreier Achtsamkeit begegnen. Das Beste aus dem existenziell Gegebenen kann man nur machen, wenn man das Gegebene bereits als das Beste betrachtet, das zum jeweiligen Zeitpunkt vergeben werden kann.
Herr, hab' Dank für Speis' und Trank
Kein schlechter Gedanke! Wenn man den Dank jedoch als eine Schuld betrachtet, die man dem Himmel gegenüber zu begleichen hat, verkennt man dessen Größe. Der Himmel hat uns den Dank nicht ermöglicht, damit wir ihn damit bereichern, sondern damit wir die Gaben, die er vergibt, besser auskosten können.
Zwei grundsätzliche Muster im Umgang mit den Gaben des Lebens sind zu unterscheiden.
Kaum ein Mensch wendet nicht beide Varianten an. Die Zahl derer, die mehr über das Schlechte klagen als für das Gute dankbar zu sein, ist jedoch groß.
Da Dankbarkeit das Gute ins Bewusstsein rückt, macht sich der Dankbare durch seinen Dank ein Geschenk: eine Welt zu erleben, in der das Gute überwiegt.
Ob man den Gabentisch des Lebens für halbvoll oder halbleer hält, stellt die Weichen dafür, ob man unter denselben Bedingungen eher leidet oder frohgemut lebt. Umso wichtiger kann es sein, sich in Sachen Dankbarkeit bewusst zu schulen. Wer Gütern nachjagt, die er womöglich nie erreicht, übersieht das Gute, das ihm ständig zukommt. Wer das Gute ins Auge fasst, das am Wegesrand für ihn bereitliegt, dem wird der Verzicht auf das, was er nicht bekommen kann, leichter fallen. Dankbarkeit macht zufrieden. Zufriedenheit gibt Anlass, dankbar zu sein.
Dankbarkeit ist eine seelische Reaktion, die wohltuenden Erfahrungen folgt, als deren Ursache man eine wohlmeinende Instanz annimmt. Sie ist eine Einfärbung des Bewusstseins, die den Dankbaren an den Geber denken lässt. Dankbarkeit kann auf verschiedene Weise zum Ausdruck gebracht werden:
Informierender Dank
Informierender Dank beruht auf Handlungsweisen, durch die man dem Verursacher der Vergünstigung anzeigt, dankbar zu sein. Eine solche Handlungsweise dient als Rückmeldung, die dem Verursacher eine Information zuträgt und ihn auf diese Weise beeinflusst. Informationen sind Einformungen, die den verändern, dem sie zukommen. Zweifellos soll die Dankesbotschaft eine wohltuende Veränderung beim Adressaten hervorrufen, wobei allerdings zwei verschiedene Motive denkbar sind:
Entsprechende Botschaften können durch einfache Worte oder durch Gesten übertragen werden, die den Dank signalisieren. Die einfachste Botschaft überbringt das Wort Danke. Komplexere Überbringungsarten beruhen auf individuellen oder rituellen Gesten, die, falls der Adressat der Dankesbotschaft eine transzendente Instanz ist, gemäß den Vorgaben der jeweiligen Kultusgemeinschaften konstruiert sind.
Kompensierender Dank
Kompensierend sind Dankesformen, die dem Verursacher der Vergünstigung ihrerseits Gutes tun. Da sie Gutes tun, kann man auch von tätigem Dank sprechen. Tätiger Dank kann umso wirksamer sein, je mehr man das Wesen des Gegenübers erkennt.
Kompensierender Dank gegenüber einer jenseitigen Instanz kann als wohlmeinende Haltung gegenüber ihren diesseitigen Ausdrucksformen praktiziert werden. In Unkenntnis dessen, was dem Himmel selbst guttun könnte, tut der Dankbare einstweilen den Geschöpfen des Schöpfers gut.