Gemeinsamer Nenner aller Süchte
Was ich jetzt bin, genügt mir nicht. Zum Ausgleich muss ich etwas haben.
Der Begriff Eifersucht setzt sich aus zwei Teilen zusammen: Eifer und Sucht.
Thematisch haben Süchte durchaus mit suchen zu tun: Der Süchtige sucht nach der Erfüllung von Sehnsüchten, deren Erfüllung er von seinem Suchtmittel erhofft. Obwohl Sucht so klingt, als stünde das Motiv der Suche im Vordergrund, entstammt es tatsächlich aber dem Verb siechen. Im Streben nach dem, was er zur Erfüllung für unentbehrlich hält, siecht der Süchtige dahin, weil er andere Ressourcen des Lebens übersieht. Das Siechtum ist dabei Resultat von zweierlei:
Die Begriffe zur Bezeichnung der klassischen Süchte nennen das Suchtmittel in der Regel vorweg: Alkoholsucht, Drogensucht, Spielsucht, Magersucht. Bei der Eifersucht ist es ähnlich. Der Eifersüchtige erhofft sich die Erfüllung seiner Sehnsucht nach unvergänglicher Liebe vom Eifer, mit dem er das Objekt seiner Begierde bewacht. Er ist süchtig danach, alles zu tun, was die Person, deren Zuwendung er für unentbehrlich hält, daran hindern könnte, sich von ihm abzuwenden. Das Mittel, das zu seinem Siechtum führt, ist der Eifer, mit dem er hinter dem Menschen herjagt, den er für sich beansprucht.
Bittere Mühen
Unter Eifer versteht man ein intensives Bemühen. Sprachgeschichtlich geht das Wort auf althochdeutsch eifar = bitter, scharf, schmerzlich zurück (⇗Heinrich Tischner). Den bitteren Beigeschmack, der den Eifer des Eifersüchtigen begleitet, bekommen Täter und Opfer schmerzlich zu spüren.
Die Untersuchung des Verbs siechen gibt wesentliche Hinweise. Das althochdeutsche sichuan = lange Zeit krank sein wurde vorwiegend zur Beschreibung Aussätziger verwendet. Es ist kein Zufall, dass der Aussätzige sprachgeschichtlich mit dem Süchtigen in besonderer Verbindung steht. Den Aussätzigen zeichnen zwei Eigenschaften aus.
Wie beim Aussatz geht es bei der Sucht um Wert und Zugehörigkeit. Das gilt auch für den Eifersüchtigen.
Die Sprache hat der Familie suchtbedingter Formen des Siechtums eine Reihe weiterer Mitglieder zuordnet. Das ist stimmig. Das Elternpaar des Siechtums ist durch eine fruchtbare - oder nennen wir sie besser erfindungsreiche - Symbiose verbunden. Das Paar besteht aus zwei weltanschaulichen Komponenten, die gemeinsam das Grundmuster suchtbedingten Siechtums bilden:
Die Eifersucht haben wir bereits als Sprössling des unglücklichen Elternpaares benannt. Weitere Familienmitglieder heißen...
Im Titel ist von Verwandten verschiedenen Grades die Rede. Warum nicht von Geschwistern? Der Grund ist folgender: Das ursprüngliche Elternpaar, das die Sippe gegründet hat, ist für alle gleich. Wie in menschlichen Problemfamilien so kommt es aber auch in psychologischen gehäuft zu Inzest. So kann aus Sehnsucht Habsucht hervorgehen. Alkoholsucht und Gefallsucht werden zu Vater und Mutter der Eifersucht; obwohl sie bereits Geschwister sind. Und Eifersucht bringt schließlich Tobsucht hervor.
Problematische Mittel zum Zweck
Muster | Mittel |
Sehnsucht | schmachten erleiden |
Gefallsucht | verführen |
Tobsucht | drohen |
Habsucht | anhäufen |
Der jeweilige Verwandtschaftsgrad der Familienmitglieder zueinander ist unterschiedlich und im Einzelnen schwer zu orten. Die Geschwister können gleichzeitig Eltern oder Vettern und Cousinen verschiedenen Grades füreinander sein.
Wäre der Nachname der Sehnsucht nicht der gleiche, wie der ihrer Geschwister, könnte man übersehen, dass sie eine Schwester der Tobsucht ist. Während man auf die Tobsucht leichten Herzens verzichten kann, liegt in der Sehnsucht etwas Bittersüßes, ohne das die Menschenseele eine Dimension ihrer Tiefe verlöre. Problematischem kann offensichtlich Gutes innewohnen. Falls man im einen viel davon erkennt und im anderen kaum etwas, läuft man jedoch Gefahr, die Verwandtschaft zu verkennen, die beide miteinander verbindet; so wie es bei der Sehn- und der Tobsucht der Fall ist.
Der Sehnsüchtige ortet das Gute nicht in sich. Er erkennt es in etwas Äußerem, das fehlt und dessen Fehlen ihn dazu bringt, es sehnsüchtig zu erwarten. Dem Erwarten liegt etwas Passives inne: zu warten und während der Wartezeit nichts zu tun, als leidend und vermissend Ausschau zu halten, ob das Erwartete endlich kommt.
Bis dahin beschäftigt sich der Sehnsüchtige nicht mit Vergnüglichem oder mit dem, was sinnvoll wäre. Er verbleibt in saugender Ausschau und erzeugt in sich einen Unterdruck, der das Ersehnte wie Schwerkraft in seine Nähe zieht; oder seine Lebensfreude vollends implodieren lässt.
Der Sehnsüchtige hofft, das Gute zu erlangen, indem er sein Fehlen erleidet. Obwohl er beim Erleiden verschmachten kann, wirkt sein Schmachten durch Tragik geadelt. Immerhin: Er leidet etwas Gutem zuliebe.
Verflechtungen und Zusammenhänge
Je sehnsüchtiger der Sehnsüchtige auf das Objekt seiner Begierde gewartet hat, desto größer ist die Gefahr, dass er es eifersüchtig bewacht.
Der Eifersüchtige schäumt oft vor Wut. Um den Partner von Irrwegen abzuschrecken, droht er ihm harte Konsequenzen an.
Da es dem Gefallsüchtigen besonders missfällt, wenn sein Partner Gefallen an anderen signalisiert, wird er schnell eifersüchtig.
Wagt ein Eifersüchtiger es nicht, zu drohen, könnte es sein, dass er umso mehr zu gefallen versucht.
Auch der Gefallsucht haften die problematischen Gene ihrer Eltern an. Auch der Gefallsüchtige genügt sich nicht. Auch er will etwas von außen haben: Bestätigung, Anerkennung, Bewunderung. Statt aber passiv leidend abzuwarten, bis der Überbringer der ersehnten Wohltaten eintrifft, wird der Gefallsüchtige tätig. Er macht sich schön, um zu gefallen.
Auch hier erkennen wir, dass dem Laster Schönes entspringen kann. Man bedenke nur, was der Welt entginge, wenn weder Mann noch Frau ein Interesse daran hätten, anderen zu gefallen. Ohne hübsch um Rundungen drapierte Stoffe, ohne Kosmetikläden und Friseursalons, ohne jeden Widerstand betäubende Düfte aus dem Orient, wäre auch das Dasein des hartgesottensten Verfechters seelischer Gesundheit durch forcierte Selbstbetrachtung um so viel ärmer, dass er in einer Welt ohne die Blüten solcher Laster vorerst gar nicht davor warnen wollte, sich ihnen kopflos hinzugeben.
Gefallen zu wollen, ist noch keine Sucht. Es ist ein Treibstoff sozialer Dynamik. Es wird erst dann zur Sucht, wenn es für unentbehrlich gehalten wird und ungeprüft das Kommando über das Verhalten übernimmt. Dann kann eine narzisstische oder eine histrionische Persönlichkeit entstehen.
Das schwarze Schaf der Familie heißt Tobsucht. Wie alle Suchtbesessenen, glaubt auch der Tobsüchtige, bestimmter äußerer Umstände zu bedürfen, um in der Lage zu sein, sich wertzuschätzen. Der Lauf der Dinge sollte stets so sein, dass er Rang und Wert des Tobsüchtigen bestätigt. Läuft etwas seiner Forderung zuwider, zögert er nicht, alle Register der Einschüchterung zu ziehen, um die Unbotmäßigkeit des Umfelds zu korrigieren.
Eifersucht und wutschnaubende Entladung gekränkter Affekte schaukeln sich oft wechselseitig auf.
Während sich die Aggression bei der externalisierten Tobsucht nach außen entlädt, tobt die Wut bei der verdeckten Form zuweilen ganze Nächte lang im Verborgenen. Dort richtet sie durchaus Schaden an.
Der Mehrzahl wird es bekannt vorkommen: In ihrem Kopf entladen sich wüste Tiraden gegen Bezugspersonen, deren Verhalten sie empört; während sie im Kontakt gebotene Umgangsformen wahren. Zündfunke wütender Phantasiedialoge können auch soziale oder politische Umstände sein, da selbst eine redliche Politik kaum je in der Lage wäre, niemals für niemanden ein Ärgernis zu sein; und die Redlichkeit der Politik darüber hinaus leicht auf die schiefe Bahn gerät.
Dass auch die Habsucht mit der Eifersucht verwandt ist, ist leicht zu belegen. Beide wollen über Äußeres verfügen. Im Unterschied zum Eifersüchtigen, der Qualität in den Vordergrund stellt, setzt der Habsüchtige vorwiegend auf Masse.
Parallel dazu kann eine Spielart süchtigen Habenwollens beschrieben werden, die selektiert. Der Betroffene will nicht wahllos viel. Er will, was andere auch haben und was angesagt ist: Klamotten bestimmter Modelabels, Elektronikartikel mit 400% Gewinnspanne, Must-haves aller Art.
Bei dieser Art des Habenwollens stehen Neid und Gefallsucht Pate. Man will etwas Besonderes haben, weil man glaubt, nur zu gefallen, wenn man hippe Sachen hat.
Aber auch hier gehen die Dinge fließend ineinander über. Zwar will der Eifersüchtige zunächst eine besondere Qualität: nämlich den besonderen Menschen, dem er eifersüchtig nachstellt. Dann geht es aber auch ihm um Quantität. Von der Zuwendung seiner Zielperson will er einfach alles haben. Wehe, wenn diese einem potenziellen Konkurrenten auch nur ein harmloses Lächeln zukommen lässt. Blitzschnell kann sich der Eifersüchtige als tobsüchtig entpuppen und mit Entwertung, Liebesentzug oder Schlimmerem drohen. Nicht selten gehen dabei Türen, Tische, Tassen oder Smartphones zu Bruch.
Eifersucht ist mit der biologischen Struktur des Daseins verwoben. Ein Blick in die Natur belegt, dass sie nicht nur Menschen umtreibt. Sie taucht auf, wo Fortpflanzung geschlechtlich erfolgt. Spatzen sind eifersüchtig, Frösche und Geckos ebenfalls... und Hirsche erst recht. Zumindest verhalten sie sich so.
Im Tierreich ist Eifersucht vor allem eine männliche Funktion. Das ist logisch. Es verweist darauf, dass Eifersucht nicht nur ein Laster, sondern ein Werkzeug der Schöpfung ist.
Der Sieg über die Rivalen im Kampf um die Gunst des Weibchens ist ein Testlauf für die Kraft der Gene. Da sich Eigenschaften genetisch verbreiten, ist das Weibchen daran interessiert, nur starke Bewerber zuzulassen. Das steigert die Chance, dass seine Gene im Nachwuchs überleben.
Je wichtiger die männliche Rolle bei der Brutpflege wird, desto größer wird das weibliche Interesse, nicht nur seine Gene zu bekommen, sondern den ganzen Mann. Da die Aufzucht der Kinder beim Menschen sehr aufwändig ist, haben auch Frauen einen biologischen Grund dazu, eifersüchtig zu sein.
Zur biologischen Funktion der Eifersucht kommt beim Menschen eine psychologische Dimension dazu. Partnerschaft ist bei uns nicht nur Basis der Vermehrung. Kaum jemand will mit siebzehn eigene Kinder zeugen. Fast jeder hätte aber gerne einen Menschen, für den er etwas ganz Besonderes ist. Dafür gibt es zwei Gründe.
Der Mensch ist sich seiner Individualität bewusst. Als Individuum will er eindeutig erkennbar sein. Deshalb wünscht er sich einen Liebespartner, der ihn und nur ihn erwählt und ihm damit bestätigt, dass er ein ganz besonderes Etwas ist, dessen Wert durch die empfangene Liebe bewiesen wird.
Die biologischen und psychologischen Grundlagen der Eifersucht verweisen auf das zwischenmenschliche Terrain, dessen Boden für das Ausschlagen des Keimlings optimal geeignet ist: die intime Zweierbeziehung. Daneben gibt es aber Randbezirke, in denen sich die Eifersucht ebenso gründlich ausbreiten kann, wie die Wollhandkrabbe an der Unterelbe.
Das Kerngebiet der Eifersucht ist legendär. Es braucht kaum eigens beschrieben zu werden. Der leidenschaftlich Liebende begehrt oft mehr, als dass er liebt; ohne dass er zwischen beidem einen Unterschied bemerkt. Da er die Liebe instinktiv als Heiligtum erkennt, glaubt er, sein Anspruch auf Besitz sei sakrosankt. Die Folgen seines Irrtums füllen Regale voll romantischer Romane und des Öfteren sogar das Grab. Das Gros der weniger spektakulären Fälle ist eine leidende Legion, die ihre Seele an ihren Illusionen blutig reibt.
Zu den Randbezirken der Eifersucht gehören alle übrigen Beziehungsarten.
Radikale Zuspitzungen können sich ergeben, wenn sich in Randbezirken zusätzlich Intimbeziehungen bilden.
Eifersucht ist ein häufiges Laster. Kaum jemand macht damit niemals Bekanntschaft. Wer die Höhen und Tiefen des Lebens durchquert hat, kann meist ein Lied davon singen. Im Regelfall kennt er das Problem aus zwei Perspektiven.
Der Hunger nach Bestätigung des eigenen Wertes führt dazu, dass man in Sachen Eifersucht schnell zum Täter wird. Besonders leicht ereifern sich in Liebesdingen junge Leute. Das hat Gründe:
Die Aufmerksamkeit junger Menschen ist nach außen gerichtet. Sich selbst nehmen sie wenig wahr, umso mehr das, was sie in der Welt gewinnen könnten.
Wer jung ist, hat seine Position im Leben noch nicht bestimmt. Die Bestätigung durch andere ist ein Geländer, an dem er sich nach vorne ziehen kann; oder das ihn in den Abgrund führt.
Wer seine Position noch nicht bestimmt hat, wird nach der Entbindung aus der Kinderwelt durch die Unverbindlichkeit des Daseins irritiert. Ungebremst glaubt er an das Paradies in Form eines Prinzen oder einer Prinzessin, die alle Ängste und Sorgen für immer vertreiben.
Das junge Glück, das man als junger Mensch erobern kann, verführt durch unverbrauchte Lebendigkeit besonders stark dazu, in dem, was man gewinnen könnte, das zu sehen, was den einzig echten Wert verbürgt, mit dem man sich zufriedengeben könnte.
Der Eifer, sich Partner wechselseitig auszuspannen, ist bei jungen Menschen größer.
Da das Bedürfnis nach Bestätigung mit wachsender Reife nachlässt, besteht auch bei unerträglichen Tyrannen die Chance, dass sie einst vernünftig werden. Dazu ist eine Entwicklung erforderlich, die nicht jedem gelingt.
Entweder man sammelt so viel Bestätigung von außen durch Erfolge und Eroberung, dass man glaubt, man hätte genug davon...
Der Vorteil der ersten Variante liegt darin, dass der Kampf um Erfolg und Eroberung zu Erfahrungen führt, die die Persönlichkeitsentwicklung fördern. Der Nachteil ist, dass man bei alleinigem Verlass auf Erfolge von der Bestätigung durch andere abhängig bleibt. Ganz erwachsen wird man dadurch nicht. Nur die zweite Variante führt dazu, dass man die Waffe des süchtigen Eifers endgültig aus der Hand gibt und sich im Unglücksfall weiser Trauer anvertraut.
Genauso schnell wie man zum Täter der Eifersucht wird, wird man zu ihrem Opfer. Ein bisschen Eifersucht mag die Lust an der Leidenschaft beleben. Wird man von seinem Partner aber dazu auserkoren, sämtliche Zweifel, die er an sich hegt, ratzekahl und für immer zu beseitigen, kann sich das Liebesglück in einen Alptraum verwandeln.
Manchmal ist das Opfer reines Opfer. Manchmal hat es einfach Pech gehabt. Der Partner, der anfangs reif erschien, entpuppt sich als Zweifler ohne echtes Selbstvertrauen und fordert als Heilmittel seiner inneren Wunde ständig neue Beweise dafür, dass keiner seiner Zweifel berechtigt ist.
Oft ist man aber nicht so schuldlos, wie es scheint. Wer sich seiner selbst nicht sicher ist, sucht sich eher einen Partner, der ihm Schutz verspricht. Beschützer in Liebesdingen sind aber kaum je selbstlos. Für ihre Dienste wollen sie Gegenwert. Meist ist damit die Freiheit des Beschützten gemeint. Vom Beschützer zum Gefängniswärter ist es daher nicht weit; und manchmal kann sich eine Frau vor ihrem Beschützer nur noch schützen, wenn sie eine einstweilige Verfügung erwirkt.
Eifersucht zeigt einen Mangel an Selbstwertgefühl. Da der Eifersüchtige seinen Blick nach außen richtet, zur Beute, die er bewacht und den Rivalen, die er fürchtet, bleibt ihm wenig Achtsamkeit nach innen, wo er den Wert entdecken könnte, von dem er wenig weiß. So düngt Eifersucht ihr eigenes Feld.
Um der Plage zu entrinnen, gilt es, den Prozess umzukehren. Es gilt zu unterlassen, was den Blick nach außen richtet und zu üben, wie man sich selbst erkennt und im Erkennen anerkennt.
Tun und lassen
Was man besser unterlässt | Was Sie tun können |
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