Schlafstörungen


  1. Begriffe
  2. Einteilung
    1. 2.1. Gesteigertes Schlafbedürfnis / Hypersomnie
    2. 2.2. Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus
    3. 2.3. Schlafapnoe
    4. 2.4. Narkolepsie
    5. 2.5. Psycho-physiologische Ein- und Durchschlafstörung
  3. Psychodynamik der Psycho-physiologischen Schlafstörung
    1. 3.1. Festhalten und loslassen
    2. 3.2. Wachwerden und einschlafen
    3. 3.3. Egozentrische Deutung
  4. Umgang mit Schlafstörungen
    1. 4.1. Grundregeln
    2. 4.2. Medikamentöse Behandlung
    3. 4.3. Abkehr und Hinwendung
Am besten schläft man, wenn es egal ist, ob man es tut oder nicht.

Wer sich selbst lässt, wie er ist, wird auch die Dinge lassen, wie sie sind.

Wach zu sein, ist oft auch Widerstand dagegen, wirklich wach zu werden.

Früher schlief man, weil man müde war. Heute will man schlafen, um für morgen fit zu sein. Das Ego will den Schlaf missbrauchen. Es hält ihn für ein Werkzeug, das dem nächsten Tag zu dienen hat. Eitelkeit! Wer den Schlaf missbrauchen will, braucht sich nicht zu wundern, dass er sich dagegen wehrt.

1. Begriffe

Es ist nicht schwer zu erraten, welches Eigenschaftswort zur nächsten Verwandtschaft des Schlafes gehört: schlaff. Allein das lässt bereits erahnen, was hinter vielen Schlafstörungen steckt: der Versuch, sich gegen oder auf etwas zu versteifen.

Wer schlaff ist, verfolgt kein Ziel. Er versteift sich weder darauf, dass etwas passieren soll noch dass etwas nicht passieren darf. Er grübelt auch nicht über etwas nach, was bereits passiert ist und was auf keinen Fall erneut passieren sollte. Wer schlaff ist, lässt zweierlei passieren:

  1. was ihm passiert... was ihn also trifft
  2. was ihn passiert... was an ihm vorübergeht

2. Einteilung

Schlafstörungen sind die häufigsten psychiatrischen Symptome. Meist sind sie rein seelisch bedingt. Oft spielen aber auch körperliche Faktoren eine Rolle. Kaum jemand bleibt ein Leben lang davon verschont. Problematisch werden Schlafstörungen, wenn sie dauerhaft sind.

Die Schlafmedizin unterscheidet eine große Zahl verschiedener Formen. Diese können zunächst in primäre und sekundäre Schlafstörungen unterteilt werden.

Primäre Schlafstörungen

Gruppe Symptome
Dyssomnien
griechisch dys- [δυς] = normabweichend, fehlerhaft, schlecht und lateinisch somnus = Schlaf
Störung der Schlafmenge, der Schlafqualität oder des Schlafrhythmus
Parasomnien
griechisch para (παρα) = neben, während
Ungewöhnliche Ereignisse im Schlaf, z. B.: Schlafwandeln, Einschlafzuckungen, Wadenkrämpfe, Zähneknirschen (Bruxismus), Sprechen im Schlaf, Schnarchen

Bei den primären Formen ist die Schlafstörung Leitsymptom der Erkrankung.


Sekundäre Schlafstörungen

Primäre Ursachen Vorkommen bei...
Schlafstörungen bei körperlichen Erkrankungen schlafbezogene Kopfschmerzen und Epilepsien, Parkinson­erkrankungen, nächtlichen Herzschmerzen, Magengeschwüren, Reflux-Krankheit, Schmerzsyndromen aller Art, Störungen der Atmung (Asthma) etc.
Schlafstörungen bei psychiatrischen Erkrankungen Psychosen, Demenz, manischen und depressiven Störungen der Affektivität, Angst- und Zwangsstörungen, Suchterkrankungen

Bei den sekundären Formen ist die Schlafstörung Begleitsymptom der Erkrankung.

Die WHO klassifiziert Schlafstörungen uneinheitlich. Mal benennt sie bloß die Symp­tomatik, mal zählt sie gesonderte Krankheiten auf. Außerdem teilt sie symptomatisch gleiche Erscheinungsbilder nach der grundsätzlichen Ursache ein: organisch oder nicht-organisch, also psychisch bedingt.

Schlafstörungen gemäß ICD-10-Klassifikation der WHO

Name ICD-Nummer
nicht-organische Ursachen
Nichtorganische Insomnie F51.0
Nichtorganische Hypersomnie F51.1
Nichtorganische Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus F51.2
Schlafwandeln [Somnambulismus] F51.3
Pavor nocturnus F51.4
Albträume [Angstträume] F51.5
organische Ursachen
Ein- und Durchschlafstörungen / organische Insomnie G47.0
Krankhaft gesteigertes Schlafbedürfnis / organische Hypersomnie G47.1
Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus G47.2
Schlafapnoe G47.3
Narkolepsie und Kataplexie G47.4
Sonstige Schlafstörungen G47.8

Bei genauer Betrachtung erweist sich, dass Schlafstörungen in weit mehr Varianten unterteilt werden können. Sie unterscheiden sich je nach Erscheinungsbild, Sympto­matik und Ursache. Die ⇗Internationale Klassifikation der Schlafstörungen (ICSD-2) zählt 81 Formen auf. Diese unterteilt sie in acht Gruppen:

  1. Insomnien
  2. schlafbezogene Atmungsstörungen
  3. Hypersomnien zentralen Ursprungs
  4. Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus
  5. Parasomnien
  6. schlafbezogene Bewegungsstörungen
  7. isolierte Symptome
  8. andere Schlafstörungen

Dem größten Teil der 81 Schlafstörungen liegen medizinische Ursachen zugrunde, die nur durch eine individuelle Diagnostik aufzudecken sind. Die höchste Trefferquote gelingt in einem Schlaflabor.

Alterserscheinungen
Die Regulation der Bewusstseinszustände basiert auf organischen Strukturen. Ein Blick in den Spiegel verrät, dass man heute nicht mehr so aussieht wie früher. Organische Strukturen mögen zu Beginn des Lebens reifen, ab sechzehn altern sie. Was für die Haut gilt, gilt auch für das Gehirn... und da Alterungsprozesse Funktions­verlust bedeuten, kann man davon ausgehen, dass die organische Grundlage einer erfreulichen Schlafregulation im Alter nicht besser wird.
2.1. Gesteigertes Schlafbedürfnis / Hypersomnie

Krankhafte Steigerungen des Schlafbedürfnisses sind eher selten. Folgende Formen werden beschrieben:

Vorübergehend kann es auch nach Missbrauch stimulierender Substanzen (z.B. Amphe­taminen, MDMA, Kokain) zu gesteigertem Schlafbedürfnis kommen. Der Konsument holt nach, was er unter Drogeneinfluss versäumt hat.

2.2. Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus

Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus können durch äußere wie innere Bedingungen gefördert werden. Zu den äußeren Bedingungen gehören der Zeitzonenwechsel bei Flugreisen, die Arbeit in Wechselschichten sowie die Abkopplung von sozialen Taktgebern bei sozial isolierten Personen.

Zu den inneren Bedingungen zählen organische Veränder­ungen des Gehirns: zum Beispiel im Rahmen demenzieller Entwicklungen. Bei dementen Patienten wird aber nicht nur die organische Steuerung des Schlaf-Wach-Rhythmus brüchig. Durch die Demenz vermindert sich auch die Ausrichtung auf das soziale Umfeld. Dadurch kommt es zu einer Abkopplung von äußeren Taktgebern.

Der demente Patient verliert seine Aufgaben im sozialen Gefüge. Da er von keinen Erfordernissen mehr beansprucht wird, sitzt er tatenlos herum. Er schläft ein, wenn er gerade mal müde ist. Da er tagsüber oft schläft, ist er nachts wach. Da er nachts wach ist, ist er tagsüber müde.

2.3. Schlafapnoe

Das obstruktive Schlaf-Apnoe-Syndrom beruht auf einem periodischen Verschluss der oberen Atemwege durch verminderte Muskelspannung oder anatomische Veränderun­gen im Kehlkopf. Durch den Verschluss kommt es zu wiederholtem Sauer­stoffmangel, der zum Aufwachen führt: meist begleitet von heftigem Schnarchen. Durch die ständigen Weckreize wird der Schlaf erheblich gestört, was zu Tagesmüdigkeit führt.

Die Schlafapnoe ist eine schwerwiegende Störung, die gefährliche Folgeerkrankungen und eine verkürzte Lebenserwartung nach sich ziehen kann. Sie bedarf eingehender Abklärung und Behandlung: entweder durch operative Eingriffe oder durch eine Überdruck-Beatmung (CPAP = Continuous positive airway pressure).

2.4. Narkolepsie

Bei der Narkolepsie handelt es sich um ein neurologisches Krankheitsbild. Vermutlich liegt ihm eine Störung der Hypocretinsynthese zugrunde. ⇗Hypocretin ist ein Neuropep­tid, das in die Regulation der Wach- und Schlafsteuerung eingreift. Typische Symp­tome der Narkolepsie sind:

2.5 Psycho-physiologische Ein- und Durchschlafstörung

Während die bisher besprochenen Schlafstörungen vergleichsweise selten sind und ihre Behebung vor allem eine medizinische Aufgabe, ist die häufigste Form der Schlafstörung uns allen bekannt: die psycho-physiologische Insomnie. Der Umgang mit ihr bedarf vor allem psychologischer Einsichten.

Krankheit und Symptom

Physiologie ist die Lehre von der normalen Funktion des Organismus. Eine psycho-physiologische Schlafstörung liegt vor, wenn sie durch keine weitergehende krankhafte Störung verursacht wird, sondern der Logik einer angemessenen Funktionsweise der Psyche entspricht. Somit ist diese Schlafstörung keine Krankheit an sich. Sie ist ein Symptom, das erwartungsgemäß auch bei einer seelisch gesunden Person auftritt, sobald ungewöhnliche Umstände deren Psyche in Alarm versetzen.

Bei der psycho-physiologischen Insomnie handelt es sich um eine Ein- oder Durchschlafstörung. Sie bedarf in der Regel keiner besonderen Diagnostik. Sie wird durch erhöhte emotionale Anspannung verursacht, die bei der Auseinandersetzung der normalen Psyche mit der Realität entstehen kann. Mit anderen Worten: Es ist jene Schlafstörung, die auftritt, wenn uns Ängste und Sorgen bis ins Bett verfolgen; und es uns nicht gelingt, uns vom Kreisen der Gedanken abzuwenden.

Um die Ursache der psycho-physiologischen Schlafstörung zu verstehen, gilt es, uns eine wichtige Tatsache klarzumachen: Schlaf ist nicht nur zur Erholung da. Im Schlaf laufen Prozesse ab, die zu kognitiven Umformungen führen. Deshalb heißt es: Hat man erst einmal einen Sachverhalt überschlafen, sehen die Dinge oft anderes aus. Schlaf führt zu Veränderungen des Blicks auf die Wirklichkeit. Er bereitet Gewahrwerden vor: Nachdem Ulrich Stefans Vorschlag überschlafen hatte, war ihm klar, was ihm daran nicht gefiel.

Gewahrsein
Im Begriff Gewahrsein ist die Vorsilbe Ge- mit einem Abkömmling des althochdeut­schen wara = Aufmerksamkeit, Acht, Obhut verschmolzen. Die Vorsilbe signalisiert Versammlung. Im Gewahrsein des Gegenstandes der Betrachtung kommt es zu zweierlei Sammlungen:
  1. Man selbst sammelt sich, um den Gegenstand umfassend zu beachten. Man ist nicht zerstreut, sondern geistesgegenwärtig.
  2. Man versammelt alle Aspekte des betrachteten Gegenstands zu einem vollständigen Bild. Nichts wird außer Acht gelassen, was das Wesen des wahrgenommenen Objektes ausmacht.

Störungen des Gewahrseins entstehen durch Unvermögen oder Widerstand:

3. Psychodynamik der psycho-physiologischen Schlafstörung

... wenn uns Ängste und Sorgen bis ins Bett verfolgen. So wird das Problem umgangssprachlich beschrieben. Eine Sichtweise, die den Schlaflosen zum Opfer vermeintlicher Verfolger erklärt, steht der Heilung jedoch im Wege. Sie verdunkelt die Ursache und weist dem Schlafgestörten eine passive Rolle zu, in der er schein­bar Faktoren ausgeliefert ist, die er nicht durch sein Handeln selbst bestimmt. Statt zu verstehen, was er tut, kämpft er gegen Gespenster.

Angst und Hyperaktivität
Mit gutem Recht könnte man die Psycho-physiologische Schlafstörung den Angst- bzw. den Hyperaktivitäts­störungen zuordnen. Ihre Symptomatik besteht in einer Hyperaktivität, die ihrerseits tiefsitzenden Ängsten entspringt:
  • dass man dem Leben nicht gewachsen sein könnte
  • dass man etwas verlieren könnte
  • dass man etwas verpassen könnte
  • dass man etwas Unabwendbares hinnehmen muss

Die Fliege an der Scheibe

Beim nächtlichen Grübeln über Probleme, die erst in der Zukunft zu lösen sind, sucht der Schlaflose durch Simulation und theoretischen Vorgriff auf das, was sich noch nicht in seiner Gegenwart befindet, nach einer vorgezogenen Lösung. Wie eine Fliege, die trotzig eine Scheibe durchqueren will, brummt das Denken des Schlaflosen bis zur Erschöpfung. Das Hindernis der Fliege ist die Scheibe, die sie nicht erkennt. Zum Hindernis des Grüblers gehört zweierlei:

  1. Die Tatsache, dass man viele Probleme nicht im gedanklichen Vorgriff, sondern nur durch Handeln im Konkreten lösen kann.
  2. Seine Weigerung, die Ungewissheit eines Ausgeliefertseins solange anzunehmen, bis die Situation, in der gehandelt werden kann, tatsächlich eingetroffen ist.

3.1. Festhalten und loslassen

Wenn am Horizont Probleme dräuen, alarmiert die Psyche das Gehirn. Sie beauftragt es, die Lage zu durchdenken um sich im Vorfeld auf Gefahren einzustellen. Sobald durchdacht ist, was im Voraus durchdacht werden kann, ist der Denkauftrag erfüllt. Die Psyche lässt die Dinge kommen, wie sie kommen mögen. Solange der Ausgang kommender Ereignisse offen ist, nimmt sie die Ungewissheit ihrer Lage hin. Sie stellt sich dem Problem, sobald es da ist; wenn es denn tatsächlich kommt.

Oft macht es ein solcher Denkauftrag erforderlich, ein paar Stunden Schlaf zu opfern. Krankhaft ist diese Form der Schlaflosigkeit nicht. Sie ist Folge einer vernünftigen psychischen Ökonomie. Investiere jetzt und ernte später.

Krankheitswertig kann die Störung aber dennoch werden; wenn sie chronisch wird. Während die gesunde Psyche nur begrenzt an gedanklichen Simulationen festhält und das Problem im Vertrauen darauf loslässt, dass man eine Lösung finden wird, sobald die gefürchtete Situation eintrifft, lässt der Kranke erst los, wenn seine Erschöpfung den Schlaf erzwingt. Daraus ent­steht ein Teufelskreis, der die an sich gesunde seelische Re­aktion auf Stress in eine chronische Symptomatik mit hohem Leidensdruck verwandelt.

Wie der Teufelskreis entsteht

Man schläft ein, wenn man müde ist und es nichts gibt, worum man sich kümmert. Müde wird man täglich von allein, egal ob man aktiv war oder nicht. Liegt nichts an, was man besorgen muss oder an dem man teilnehmen will, schaltet das Bewusstsein ab. Es überlässt die Welt ihrem Schicksal.

Auf akuten Stress reagiert auch der Gesunde mit psychischer Aktivität. Wer morgen eine Prüfung ablegt, vor Gericht muss, einem Streit mit dem Chef entgegensieht oder heiratet, beschäftigt sich am Vorabend mit dem Ereignis dergestalt, dass er keine Ruhe findet. Kaum ist der akute Stress vorüber, kommt der Schlaf von selbst zurück.

Hat man chronische Sorgen, laufen die Dinge anders. Chronische Sorgen rufen nach ständiger Wachsamkeit; um sie aus der Welt zu schaffen. Wer auf sich selbst vertraut, schläft aber auch mit chronischen Sorgen passabel. Er geht davon aus, dass er den Sorgen auch morgen standhalten wird und nichts verpasst, wenn er sich nachts nicht mehr darum kümmert.

Drei Schritte im Teufelskreis

  1. Ich kann nicht schlafen, weil mir Sorgen durch den Kopf gehen.
  2. Ich will schlafen, weil ich morgen fit sein muss. Doch je mehr ich mich bemühe, desto weniger gelingt es mir.
  3. Ich habe schlecht geschlafen und daher wenig Kraft, um meine Sorgen anzugehen.

... und zur schlimmsten Sorge wird, dass ich auch die nächste Nacht nicht schlafen kann!


Stehen und liegen

So mancher ist so müde, dass er im Stehen einschlafen könnte. Legt er sich aber hin, bleibt er wach. Warum? Weil man sich im Liegen schlecht verteidigen kann. Wer sich Umständen ausgeliefert sieht und das Ausgeliefertsein nicht hinnehmen kann, bleibt im Liegen auch dann noch wachsam, wenn er im Stehen vor Müdigkeit tot umfallen könnte.

Wer wenig auf sich vertraut, will die Lösung des Problems sofort. Statt dass er im Bett Sorgen Sorgen sein lässt, denkt er endlos über Möglichkeiten nach, wie sie zu beheben sind. So richtet er seine Aufmerksamkeit genau auf das, was ihn beunruhigt. Wie soll er aber ruhen, wenn er sich das Beunruhigende ständig vor Augen führt?

Beginnt die Schlafstörung, ernsthaft an den Kräften zu zehren, wird sie selbst zum Problem. Der verhinderte Schläfer meint, schlafen zu müssen. Er setzt alles daran, den Schlaf zu erzwingen. Nicht nur, dass er die Schlaf­losigkeit als zusätzliche Sorge vor Augen hat, er mobili­siert auch noch Kräfte, um sie zu besiegen. Da ihm der Kampf um den Schlaf die Ruhe raubt, schläft er erst ein, wenn er die letzte Kraft verbraucht hat. Kurz danach rappelt der Wecker.

3.2. Wachwerden und einschlafen

Der gestörte Ausgleich zwischen Festhalten und Loslassen erklärt, wie der Geplagte sein Problem erzeugt. Nicht Sorgen und Ängste folgen ihm ins Bett. Er lässt sie nicht los, weil er sie bekämpfen will.

Wachen Sie auf. Dann können Sie schlafen.

Die Ursache der Psycho-physiologischen Schlafstörung lässt sich genauer beschreiben. Das Motiv des Kampfes ist grundsätzlich. Es liegt in der Weigerung, ohne Wenn und Aber wach zu werden.

Man ist wach, wenn man wahrnimmt, was wirklich ist. Oft wollen wir der Wirklichkeit aber gar nicht gewahr werden; wenn sie nämlich Gefühle und Tatsachen enthält, die wir nicht wahrhaben wollen. Dann fangen wir mit der Denkarbeit an; mit dem Ziel, die unangenehme Wirklichkeit von uns abzuwenden oder um unser Selbstbild gegen aufdringliche Fakten zu schützen.

Im Denken ist das Bewusstsein nur eingeschränkt wach. Es achtet nicht auf das, was wirklich ist: Es strebt nach einem Zustand, den es für besser hält; und es hält sein Ziel dabei im Auge. Tatsächlich muss man die Zukunft aber nicht schon in der Gegenwart bewältigen.

Unbewusster Widerstand

Schlaf führt zu Umformungen des Selbst- und Weltbilds. Schlaf bereitet das Gewahrwerden neuer Aspekte der Wirklichkeit vor. Was aber, wenn das Ego diese Aspekte nicht sehen will. Dann könnte es sein, dass es sich gegen das Schlafen sträubt; weil der Schlaf etwas mit ihm machen würde, was es nicht kontrollieren kann. Bewusst wird ihm das nicht. Auf der bewussten Ebene will es einfach nur zur Ruhe kommen. Auf der bewussten Ebene ist es Opfer. Es übersieht, dass es auch Täter ist, indem es sich selbst nicht aufgeben kann.

Solange eine Lösung durch Denken erreichbar ist, bleibt das Denken ein kreativer Prozess. Man leidet nicht wirklich darunter. Im Gegenteil: fruchtbares Denken macht Spaß. In fruchtloses Leid verwandelt es sich, wenn es zu einem Grübeln wird, das keine Lösung finden kann, sondern dazu dient, unliebsame Aspekte der Wirklichkeit aus dem Gewahrsein auszublenden.

Ebenen des Gewahrseins

Ebene Fokus des Bewusstseins
Tiefschlaf Weder die eigene Präsenz noch objektive Inhalte sind der Person gegenwärtig.
Nachttraum Unwillkürliche Vorstellungswelt mit stark vermindertem Abgleich an der äußeren Wirklichkeit
Tagtraum Willkürliche Vorstellungswelt mit relativ hohem Abgleich an der äußeren Wirklichkeit
Zielorientierte Wachheit Wechselspiel aus wahrgenommener Wirklichkeit und angestrebter Vorstellung
Selektives Gewahrsein Fokussierung der Achtsamkeit auf ausgewählte Elemente der Wirklichkeit
Gewahrsein der Person Gewahrsein aller Impulse und Vorstellungen, die die Person im jeweiligen Moment bestimmen
Mystisches Erwachen Gewahrsein der Identität des wahrnehmenden Subjekts mit dem formlosen Urgrund der Wirklichkeit
Gewahrsein des Gewahrseins

Normalerweise pendelt das Tagesbewusstsein zwischen Tagtraum, ziel­orientierter Wachheit und selektivem Gewahrsein hin und her. Selten kommt es zu einem vollständigen Gewahrsein der eigenen Person, fast nie zum mystischen Erwachen.

Begriffe

Schlafstörung ist ein problematisches Wort. Oft spräche man besser von einer Störung der Selbstakzeptanz. So mancher verhindert den Schlaf, weil er ihn erzwingen will... und er will ihn erzwingen, weil er ausgeschlafen eine Rolle zu spielen versucht, die ihm nicht entspricht.


Wer ohne Widerstand zu dem erwacht, was wirklich ist, kann besser schlafen.

Das Grübeln des Schlafgestörten greift in die Dynamik des Tages­bewusstseins ein. Es stört dessen Regulation. Statt auch dessen ohne Widerstand gewahr zu werden, was sowohl unangenehm als auch momentan nicht zu verändern ist, strebt der Grübler störrisch auf jenes Ziel zu, das er sich in den Kopf gesetzt hat: jetzt im Bett einen Zustand zu erreichen, in dem er unerwünschter Tatsachen nicht gewahr werden muss. Zum Beispiel:

Wach zu werden heißt, dessen gewahr zu sein, was wirklich ist. Weil der Schlaf­gestörte vor wichtigen Fakten in ein Trugbild ausweichen will, statt ohne Wenn und Aber zu erwachen, kommt er nicht zur Ruhe. Wer auch die Existenz jener Aspekte der Wirklichkeit anerkennt, von denen er glaubt, dass sie nicht sein sollten, kann den nächtlichen Kampf im Kopf gegen Wachsein und Wachwerden beenden.

3.3. Egozentrische Deutung

Schlafstörung ist ein problematisches Wort. Es entspringt einer egozentrischen Deutung des Selbst. Sobald man das Wort Störung verwendet, hat man bereits etwas vorausgesetzt: dass der wirkliche Ablauf der Dinge vom richtigen abweicht. Woher wissen wir aber, ob es richtig ist, vom Zubettgehen bis zum Erwachen acht Stunden durchgehend zu schlafen? Tatsächlich wissen wir nur, dass es unserem Wunsch entspricht.

Was Sie nicht lernen können ist, wie man schläft. Was Sie lernen können ist, wie man sich ergibt.

Sobald sich das Subjekt als Person und damit als Objekt betrachtet, dessen vorrangige Aufgabe es ist, sich zur Festigung der eigenen Objekthaftigkeit ins Gefüge anderer Objekte einzupassen, wählt es das Wort Schlafstörung. Erkennt es, dass es kein Objekt ist, spricht es von einer Unterbrechung des Schlafes.

Wenn Sie nicht schlafen können, könnte es sein, dass Ihr Selbst meint, dass Ihre Person in die falsche Richtung läuft.

Der Wunsch durchzuschlafen, hat etwas mit Absichten zu tun. Der Schlaf soll unsere Kräfte erfrischen, um damit am nächsten Tag ungehindert persönliche Belange zu besorgen. Unsere persönlichen Belange halten wir aber nur deshalb für so wichtig, weil wir uns mit unserer Person - und dessen Anwalt, dem Ego - gleichsetzen. Wir glauben, wir seien die Person, die wir im Spiegel sehen und wir glauben, diese Person gehöre sich selbst.

Was aber, wenn unsere tatsächliche Identität nicht in der Person liegt? Was, wenn die Person sich selbst nicht gehört? Könnte es dann nicht sein, dass der Glaube, nur unterbrechungsfreier Schlaf entspreche einer stimmigen Regulation, einem falschen Selbstbild entspricht? Wenn es so ist, könnte es sein, dass die Störung des Schlafs Zielen dient, die über die prozessoptimierte Einpassung der Person ins soziale Rollenspiel hinausgehen.

Wirtschaftliche Vorgaben
Nachts 8 Stunden schlafen, tagsüber 16 Stunden aktiv sein: Das passt zur Optimierung wirtschaftlicher Effektivität, aber nicht immer zum organismischen Wohlbefinden. Der Begriff Schlafstörung ist in vielen Fällen ein Vorurteil. Er setzt als selbstverständlich voraus, dass der Mensch nur dann als gesund zu gelten hat, wenn er im Rhythmus wirtschaftlicher Vorgänge mitschwingt. Lebten die Menschen in diesem Rhythmus bevor der Teufel die Uhr erfand? Wohl kaum.

In vielen Fällen ist die Schlafstörung nur oberflächliches Symptom. Grundsätzlicher gestört ist das Verhältnis zwischen den individuellen Rhythmen des Subjekts und den dominanten Rhythmen einer Gemeinschaft deren Kommunikation einseitig um Produktion und Gebrauch von Objekten kreist.

4. Umgang mit Schlafstörungen

Bei der Behandlung von Schlafstörungen kommen unterschiedliche Mittel zum Einsatz:

4.1. Grundregeln

Erfahrungen zeigen, dass die Einhaltung bestimmter Regeln eine Menge gegen Schlaf­störungen bewirkt. Dabei sind allgemeine Regeln der Schlafhygiene von der spezi­fischen Grundhaltung gegenüber Einschlafstörungen zu unterscheiden.

Mittel zur Selbsthilfe bei psycho-physiologischen Schlafstörungen

Allgemeine Regeln Spezifische Grundhaltung
  • Schaffen Sie im Schlafzimmer eine angenehme Atmosphäre. Entfernen Sie, was nicht dorthin gehört.
  • Testen Sie aus, was für Sie besser ist: festgelegte Bettgehzeiten oder flexible je nach Müdigkeit.
  • Führen Sie im Vorfeld des Zubettgehens persönliche Rituale ein.
  • Seien Sie täglich körperlich aktiv.
  • Vermeiden Sie ab mittags Kaffee, schwarzen Tee, Cola u. ä.
  • Schauen Sie bei Durchschlaf­störungen nicht ständig auf die Uhr.
  • Verbringen Sie so viel Zeit im Bett, wie Ihnen guttut; egal ob Sie dabei schlafen oder nicht.
  • Trinken Sie keinen Alkohol.
  • Essen Sie so spät und so viel, wie es Ihnen persönlich guttut.
  • Konsumieren Sie nur Medien­angebote, die Ihnen guttun.
  • Bevorzugen Sie in den Abend­stunden schummeriges Licht.
  • Ist abzusehen, dass Sie längere Zeit nicht einschlafen werden, dann nutzen Sie die Zeit zu etwas Sinnvollem. Lernen Sie Spanisch. Können Sie schon? Dann eben Schwedisch oder C++. Oder nehmen Sie wahr, was im Hier-und-Jetzt geschieht.

Versuchen Sie nicht, sich zum Schlafen zu zwingen. Schlaf ist ein Zustand der Gelassenheit. Gelassenheit und Zwang widersprechen sich. Falls Sie nicht zur Ruhe kommen, nutzen Sie die Zeit, Ihr Bewusstsein zu schulen. Wenn die Gedanken um Themen des Alltags kreisen, nehmen Sie die Unruhe wahr. Versuchen Sie nicht, sie zu bekämpfen. Steigen Sie aus dem Karussell der Gedanken aus, ohne den Versuch, das Karussell zu stoppen. Stellen Sie fest, worum die Gedanken kreisen.

Jetzt denke ich über die Lage in der Firma nach...
Jetzt geht mir das Gespräch mit Mutter durch den Kopf...
Jetzt mache ich mir Sorgen um meine Finanzen...

Richten Sie die Aufmerksamkeit nicht auf das ungelöste Problem, sondern auf die Art, wie Sie auf das Problem reagieren. Fragen Sie sich: Wie fühlt es sich an, wenn man finanzielle Sorgen hat? Was geht in mir vor, wenn ich an Mutter denke? Beurteilen Sie Ihre Gefühle nicht. Fühlen Sie. Erkunden Sie. Geben Sie Gefühlen Raum, sich zu entfalten.

Wenn das Leben will, dass Sie nachts wach sind, dann gehen Sie mit dem Leben mit. Das Leben weiß sowieso alles besser als Sie. Respektieren Sie die Zeit, in der das Leben seiner selbst bewusst sein will.

Den allgemeinen Regeln und der spezifischen Grundhaltung können Grundprinzipien beigeordnet werden:

  1. Die Aufmerksamkeit vom bloß Gedachten zum wirklich Wahrnehmbaren hinlenken.

  2. An den Formen vorbei auf das Formlose achten. Formlos sind Dunkelheit, Leere, Stille, Raum und Gegenwart. Wenn es Ihnen nicht gelingt, auf Formloses zu achten, dann achten Sie auf Monotones: zum Beispiel den Atem. Wohlgemerkt: Achten Sie auf den Atem. Nicht darauf, ob Ihnen die Beachtung des Atems beim Einschlafen hilft. Das wäre keine Beachtung des Atems, sondern eine List, um das Leben auszutricksen. Das wird das Leben nicht belohnen. Das Leben will beachtet sein; nicht ausgetrickst.

  3. Die Wirklichkeit ohne Widerstand so erleben, wie man sie erlebt. Wer die Wirklichkeit erlebt hat, hat mehr Kraft, sie zu verändern.

  4. Den Blick nach innen wenden. Schlaf bleibt aus, wenn man die Außenwelt für so wichtig nimmt, dass man den Blick nicht von ihr lässt. Schlaf ist totale Innerlich­keit; so innerlich, dass das Bewusstsein erlischt, in dem sich Person und Außen­welt begegnen könnten.
4.2. Medikamentöse Behandlung

Sind Schlafstörungen nicht durch Anwendung der Grundregeln zu beheben, denkt man über Medikamente nach. Dazu steht eine Palette von Substanzen zur Verfügung. Um Nebenwirkungen und Wirkverlust durch Toleranzentwicklung und Gewöhnungseffekte zu verhindern, empfiehlt es sich, zunächst pflanzliche Medikamente einzusetzen:

Dabei sind auch Kombinationen verschiedener Pflanzenextrakte sinnvoll. Die Wirkstärke pflanzlicher Substanzen unterscheidet sich stark von Person zu Person. Zuweilen muss man vieles ausprobieren.

Sollten pflanzliche Mittel nicht helfen, ist an den Einsatz homöopathischer oder anthroposophischer Präparate oder auch an Schüßler-Salze zu denken.

homö­opa­thi­sche Mittel an­thro­poso­phische Mittel Schüß­ler-Salze
  • Avena sativa
  • Chamo­milla
  • Coccu­lus
  • Coffea arabica
  • Hyo­scyamus
  • Passi­flora
  • Zincum iso­valeri­anicum
  • Aurum metal­licum
  • Ferrum-Quarz
  • Kalium phospho­ricum
  • Aurum chloratum
  • Calcium phospho­ricum
  • Kalium bromatum
  • Magne­sium phospho­ricum

Für solche Substanzen besteht zwar keine wissenschaftlich nachgewiesene Wirksam­keit, aus der Erfahrungsmedizin sind jedoch zahlreiche Berichte erfolgreicher Anwendung bekannt.

Darüber hinaus stehen synthetische Schlafmittel zur Wahl. Deren Einsatz sollte mit dem Arzt abgesprochen werden, da bei vielen Substanzen ein Suchtpotenzial, mögliche Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu beachten sind.

4.3. Abkehr und Hinwendung

Eine grundsätzliche Änderung im Umgang mit Schlafstörungen liegt in der Abkehr von der egozentrischen Deutung. Das Ego glaubt, der Wert des Schlafes liege im Dienst am Wachsein. Es glaubt, das Wesen der Person erfülle sich darin, Person zu sein. Da sich die Person im Tagesbewusstsein entfaltet, meint sie in egozentrischer Weltsicht, das Tagesbewusstsein sei der höhere Zustand und Schlaf nur Funktion, die dem Erfolgsstreben des Tagesbewusstseins zu dienen hätte. Sie meint, man schlafe, um fit zu sein. Das ist eine Festlegung, die nicht nur Schlaf verhindert, sondern die die Person in Verblendung gefangen hält; denn diese Deutung stellt die Person über ihr Selbst.

Im Tiefschlaf ist das absolute Selbst bei sich. Der Person ist dieser Zustand nicht bewusst, solange sie ihr Selbst nicht kennt. Im Tiefschlaf entzieht sich das Selbst der Person. Ohne vom Selbst erfüllt zu sein, ist die Person inexistent.

Man schläft nicht nur, um am Tage wach zu sein. Man ist wach, um Erfahrungen zu sammeln, die man im Schlaf nach Hause bringt.

Betrachten Sie die Dinge anders: Schreiben Sie dem Tiefschlaf einen höheren Wert als wachbewusster Tagesgeschäftigkeit zu. Versuchen Sie, Schlaf nicht zu missbrauchen. Versuchter Missbrauch des Schlafs liegt vor, sobald er vorrangig dazu dienen soll, sich der Welt besser zuzuwenden. Schlaf ist Abwendung von Welt und Person. Er ist Zuwendung zum Selbst. Das ist Wert an sich; ohne jedes Dienstverhältnis. Versuchen Sie nicht zu schlafen, um als ein vom Schlaf Gestärkter in der Welt Erfolg zu haben. Haben Sie gestärkt vom Schlaf Erfolg, um ihn im Schlaf dem Selbst zu opfern. Betrachten Sie Schlaf als religiösen Akt, als Abwen­dung von weltlichen Dingen, als Heimkehr zu dem, was wesentlich ist.