Perfekt setzt sich aus zwei lateinischen Begriffen zusammen: Der Vorsilbe per- = hindurch, durch und durch, völlig und dem Verb facere = machen.
Per- zeigt zweierlei an: das Mittel als auch die Vollständigkeit des Zustands, der durch die Anwendung des Mittels erreicht wird.
Per Anhalter durch die Galaxis
Hier wird das Mittel zur Durchquerung der Milchstraße genannt.
Bei der Perforation (lat: perforare = durchlöchern) wird die Holzplatte nicht nur angeritzt. Sie wird komplett durchbohrt.
Man handelt pervers (lat: vertere = drehen), also nicht nur ein wenig daneben, sondern völlig verdreht. Das Verhalten weicht nicht nur leicht von der Norm abweicht, sondern vollständig.
Im Unterschied dazu geht Perfektionismus nicht vom sachlich Notwendigen aus. Er ist ein zwanghaftes Handlungsprinzip, das durch verborgene Ängste und Begierden verursacht wird.
Perfektionismus bezeichnet ein Verhaltensmuster, das den vollständigen Ersatz dessen, was spontan geschieht, durch etwas absichtlich Gemachtes betreibt.
Der unbekannte Bildhauer
Marcus Suprangelicus lebte in der Renaissance. Marcus hatte enormes Talent. Er war ebenso begabt wie sein Zeitgenosse Michelangelo. Während Michelangelo sich schließlich aber mit der Qualität seiner Werke zufrieden gab, wollte Markus alles besser machen.
Deshalb hörte er nie auf, an seinen Skulpturen herumzuschleifen. So kam es, dass niemand jemals eines seiner Werke zu Gesicht bekam; weil Marcus sie auf der Suche nach absoluter Perfektion zu Staub zerrieb. Heute ist Marcus fast vollständig vergessen. Würde er hier nicht erwähnt, fände selbst Google keine Spur mehr von ihm.
An disem Einschb zur europäichen Gunstgeschichte könnte noch fiel verbäßert werden. Erst mal hat der Auto aber Mut zur Lük ke.
Machen Sie den Test: Geben Sie Suprangelicus bei Google ein. Gerade mal 7 Treffer. Geben Sie Michelangelo ein: 66800000 Treffer. Was schließen wir daraus? Michelangelo war kein Perfektionist.
Es gibt Dinge im Leben, die man nur durch die perfekte Kontrolle aller Abläufe erreichen kann. Lässt man dabei größte Sorgfalt walten, wird das kein Fehler sein.
Perfektionismus ist etwas anderes. Perfektionismus ist eine psychologische Ausrichtung, die zwanghaft vollzogen wird. Der Perfektionist strebt nicht nur die Kontrolle darüber an, was tatsächlich optimaler Kontrolle bedarf. Er optimiert auch das, was ohne Optimierung ebenso gut oder besser liefe. Dazu greift er unentwegt in die Wirklichkeit ein, um deren Verlauf zu bestimmen. Er setzt drei Dinge voraus:
Grundlage des Perfektionismus ist Misstrauen. Das perfektionistische Ego misstraut dem Lauf der Dinge; sonst müsste es sich keine Mühe machen, ihn zu steuern. Grundlage des Misstrauens sind Angst und Gier. Das Ego fürchtet bedrohliche Entwicklungen, denen es nicht gewachsen ist; falls es sie nicht rechtzeitig verhindert. Das Ego fürchtet, Erfolge zu verpassen, ohne die es sich nicht wertschätzen kann.
Der Perfektionist glaubt, einen Zustand entspannter Zufriedenheit erreichen zu können, indem er die zukünftige Struktur der Wirklichkeit auf Grund bewusster Entscheidungen im Voraus bestimmt. Das ist eine Illusion.
Wie die eines jeden so stammen auch die Zukunftsentwürfe des Perfektionisten aus dem begrenzten Urteilshorizont seiner persönlichen Erfahrungen, Wünsche, Begierden und Ängste. Im Kleinen mag er erkennen, was günstig für ihn ist, im Großen und Ganzen geht das oft nicht.
Die Auswirkungen eines jeden Eingriffs in die Wirklichkeit sind langfristig nicht absehbar. Was kurzfristig Glück verheißt, kann sich langfristig als Fluch entpuppen.
So wird der Perfektionist zu einem Hamster, der unermüdlich in eine Zukunft eilt, die nicht eintreffen wird. Statt zu erkennen, dass jedes Dasein bereits die Ankunft im Innersten einer Gegenwart ist, die man beachten könnte, wendet er den Blick gleich dreifach in die falsche Richtung.
Es gibt drei Zielscheiben des perfektionistischen Eifers:
Obwohl es so aussieht, als blicke der Perfektionist zur Verbesserung des Lebens nach außen und zur Verbesserung seiner Person nach innen, schaut er tatsächlich nur nach außen. Die Person, deren Position er verbessern und deren Erfolg er steigern will, ist ein Teil der Außenwelt. Er behält sie ständig im Auge, um zu überprüfen, ob sie seinen Vorstellungen entspricht; oder ob er sie weiter bearbeiten muss.
Sein tatsächlich Inneres - die Angst, einer übermächtigen Wirklichkeit unterlegen und damit entwertet zu sein - sieht der Perfektionist dabei nicht. So bemüht er sich, ohne wirklich zu wissen, was ihn nach vorne treibt.
Jedes Machen zielt in die Zukunft. Impuls und Motiv jeder Tat liegen im Jetzt, das angestrebte Ziel jedoch im Dann. So kommt es, dass der Perfektionist kaum je die Gegenwart beachtet. Stattdessen blickt er in ein virtuelles Später; und wenn er die Gegenwart doch einmal beachtet, dann nicht um sie wirklich zu erkennen. Er überprüft, ob sie bereits der gewünschten Zukunft entspricht. Die Achtsamkeit des Perfektionisten zielt nicht ins Jetzt; obwohl er sich selbst nur dort entdecken könnte.
Jede Absicht, etwas zu verbessern, setzt einen Plan voraus. Dieser Plan liegt in einer virtuellen Wirklichkeit: der Vorstellungswelt des Perfektionisten, der die tatsächliche Wirklichkeit dem Plan gemäß ausrichten will.
Je mehr der Perfektionist glaubt, dass die Dinge unbedingt so laufen müssen, wie er es für richtig hält, desto starrer schaut er auf den Plan in seinem Kopf; und damit einmal mehr vorbei an dem, was hier und jetzt geschieht. Wer eine Absicht verfolgt, sieht von dem ab, was nicht zu seiner Absicht passt; um alle Kraft auf das zu bündeln, was beabsichtigt ist. Deshalb heißt die Absicht Absicht. Je mehr Absichten man hat, desto weniger kann man von der Wirklichkeit erkennen. Wirklich sehen kann nur, wer nichts als Einsicht haben will.
Die Komplexität der Wirklichkeit ist groß, die Planungskompetenz des Menschen gering. Daher kommt es meist anderes als man denkt; vor allem, wenn es um Langfristiges geht.
Je höher man die Messlatte eigener Handlungserfolge legt, desto öfter wird man daran scheitern. Immerhin: Da der Perfektionist perfektionistisch ist, kämpft er mit großem Einsatz um die Bestimmung der Dinge. Das übt seine Fähigkeiten, sodass er in der Regel tatsächlich mehr kann als viele seiner Zeitgenossen.
Egal wie viel sich der Perfektionist jedoch im Kampf gegen den Eigensinn des Weltverlaufs übt, er wird der Übermacht bis ans Ende seiner Tage unterlegen sein. Anders als jemand, der seine Unterlegenheit gelassen akzeptiert, stößt der Perfektionist aber immer wieder bis zu jener Grenze vor, an der er scheitert.
Jedes neue Scheitern steigert seine Angst, nur Wasser in einem Ozean zu sein, der über sein Schicksal entscheidet. Wenn der Perfektionist diese Angst nicht wahrhaben will, heizt er seinem Eifer weiter ein. Er denkt: Es kann nicht sein, dass ich mich fürchte, sobald ich alles optimiert habe.
Perfektionismus ist keine psychiatrische Diagnose. Psychodynamisch ist er als eine Spielart zwanghaften Verhaltens aufzufassen. Somit ist er ein Symptom, das in unterschiedlicher Ausprägung bei verschiedenen psychiatrischen Störungen vorkommen kann. Zu nennen sind vor allem:
Bei der zwanghaften Persönlichkeitsstörung richtet sich der Kontrolleifer primär auf die Welt der realen Dinge. Der Zwanghafte...
Tatsächlich geht es beim Zwanghaften nur vordergründig um die Ordnung. Sein Bemühen um das perfekte Verhältnis der Dinge zueinander dient auch bei ihm der Abwehr von Angst. Der Zwanghafte glaubt: Wenn ich die einzig richtige Ordnung herstelle und es mir gelingt, mich nahtlos in diese Ordnung einzufügen, werde ich ganz sicher sein.
Dem Narzissten ist die perfekte Ordnung äußerer Dinge meist egal. Für ihn zählt, dass er an sich selbst keinen Makel feststellen kann. Dazu ist der Narzisst entweder kühn oder um die ständige Perfektionierung seines Könnens bemüht.
Ist er kühn, behauptet er kurzerhand, von je her ein perfekt gelungenes Resultat göttlicher Schöpferkraft zu sein. Dann befasst sich sein Perfektionismus damit, den Glauben an die verwirklichte Größe gegen innere und äußere Zweifel zu schützen.
Ist er weniger kühn, sind ihm Zweifel bekannt. Da ihm ein perfektes Ego aber als einzig sinnvolles Ziel erscheint, setzt er sich unter Druck, um das Beste aus sich herauszuholen. Oder er erwirbt neue Fähigkeiten, mit deren Hilfe er dem angestrebten Ziel persönlicher Perfektion näher kommt.
Nach jahrzehntelanger Anstrengung im Kampf darum, der Beste zu sein, das Beste zu geben und das Beste zu bekommen, entwickelt sich gehäuft ein Burnout-Syndrom. Dabei handelt es sich um einen Erschöpfungszustand, bei dem sich depressive Symptome mit psychosomatischen mischen. Die Kraft ist weg, Antrieb und Siegeszuversicht erloschen, der Blutdruck liegt bei 180. Allenthalben tauchen Symptome auf, für die jeder Arzt eine andere Diagnose hat.
Auch dem Borderline-Syndrom liegt in gewissem Sinne ein Perfektionismus zugrunde. Man könnte das Borderline-Syndrom als einen scheiternden Beziehungsperfektionismus bezeichnen.
Auch beim Borderline-Syndrom geht es um die Abwehr von Angst. Das Grundproblem liegt dabei im Streben nach absoluter Harmonie in zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Borderline-Persönlichkeit setzt voraus, dass Personen perfekt aufeinander ausgerichtet sein sollten. Da der Glaube daran immer wieder blind macht, die Verwirklichung aber an den Realitäten scheitert, schwankt die Borderline-Persönlichkeit emotional zwischen Begeisterung und Wut.
Seit sich der Mensch nicht mehr mit der Hoffnung auf ein jenseitiges Paradies begnügt, ist eine neue Seuche ausgebrochen. Glaubte man früher, um das Gute im Jenseits zu erlangen, müsse man auf seinen Genuss im Diesseits verzichten, denkt der Zeitgeist heute nicht mehr gotisch. Stattdessen glaubt er, dass man im Diesseits alles steigern, verbessern und optimieren muss, damit man am Guten überhaupt teilhat.
Die Angst, morgen nichts Besseres zu bekommen als heute, ist zur zentralen Triebkraft gesellschaftlicher Prozesse geworden. Auf allen Ebenen wird auf Gedeih und Verderb optimiert.
Wächst das Bruttosozialprodukt 0,4 % langsamer als im Herbstgutachten angekündigt, fordert die Opposition den Rücktritt des Wirtschaftsministers.
Ist davon auszugehen, dass auch nach zwei Uhr nachts jemand eine Büchse Cola kaufen könnte, werden die Öffnungszeiten ausgeweitet.
Steht in Pisa der Turm schief, wird die Schulzeit verkürzt, der Lehrstoff erweitert, die Dokumentation verbessert und die Effektivitätsreserve des Lehrkörpers inkludiert.
Da Bahnkunden potenzielle Wähler sind, denen man nichts anderes als perfekte Transportbedingungen zumuten kann, werden ihre Rechte erweitert; was den Leistungsdruck der Bahnbediensteten auf neue Höhen treibt.
Durch flächendeckende Verbesserungen im Pflegebereich kann die Lebensqualität der Senioren systematisch gesteigert werden. Die Wertschöpfung im Gesundheitswesen steigt durch die Behandlung der erschöpften Altenpfleger ebenfalls. Das gibt zur Hoffnung Anlass, dass die geplante Steigerung des Bruttosozialprodukts doch noch zu erreichen ist.
Die Umsatzbesteuerung der 12 Varianten des Schnittblumengestecks wird durch die §§ 34e - 57f, Absatz 3 des Besteuerungsgrundlagenvereinfachungsgesetzes (BGVG) geregelt. Dadurch werden die Interessen der Finanzverwaltung perfekt mit denen des Wirtschaftsressorts abgestimmt. Die Steuergerechtigkeit erklimmt Gipfel, aus deren erhabener Höhe selbst die Steuergewerkschaft zufrieden ins Flachland blickt.
TV-Dokumentationen über Leben und Brutgeschäft der Bachstelze verkünden, dass der brütende Altvogel durch sein Federkleid perfekt vor den Blicken der Räuber getarnt ist. Das Vorbild solcher Erfolge ermutigt uns, im Leben ebenfalls nach Perfektion zu trachten; und somit den Gefahren des Daseins ein für alle Mal zu entkommen.
Perfektionismus heißt Verbessernwollen. Verbessernwollen heißt Machenmüssen. Machenmüssen heißt, von einer Zielsetzung beherrscht zu sein. Beherrscht zu sein, ist ein Zustand, der dem Wesen des Lebens widerspricht. Perfektionismus verinnerlicht den Zustand, gegen den er sich eigentlich wehrt. Dagegen können Sie etwas tun.
Sobald Sie spüren, dass Sie unter Druck stehen, stellen Sie sich folgende Frage: Von welcher Zielsetzung werde ich gerade beherrscht?
Solche Zielsetzungen können große Dinge sein. Dann liegen sie vermutlich in der Ferne. Meist wirkt der Optimierungsdruck jedoch auf kleine Distanz.
Dann werden Sie von versteckten Zielsetzungen beherrscht, deren gemeinsamer Nenner im Bemühen liegt, irgendeinen Abschnitt Ihres Lebens durch Kontrolle zu optimieren. Das ist bereits ein Symptom des Perfektionismus.
Wohlgemerkt: Es muss kein neues Ziel sein, sich keiner Zielsetzung mehr zu unterwerfen. Es reicht zu sehen, welcher Zielsetzung man sich unterwirft. Erkennt man das, verändert sich manches wie von selbst.