Die psychiatrische Therapie kann auf allen Ebenen des Individuums und seiner Einbettung ins Umfeld ansetzen. Je nachdem, welche Ebene sie fokussiert, wendet sie verschiedene Heilmittel an. Folgende Tabelle gibt einen Überblick:
Therapeutische Ansatzpunkte | ||
Grundebene | Unterteilungen | Therapieansatz |
Soziales Umfeld | Beruf, soziale Absicherung | Sozialpsychiatrie |
Familie, Partnerschaft | Paartherapie, Systemische Familientherapie |
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Individuum | Körper | Psychopharmaka, EKT, MKT |
Verhalten | Klassische Verhaltenstherapie, Psychoedukation |
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Bewusstsein, Selbstbild, relatives Selbst, Selbstwertgefühl | Aufdeckende Verfahren: Kognitive Komponente der Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie, Psychoanalyse, Aufdeckende Verfahren der humanistischen Psychologie (Gestalttherapie, Transaktionale Analyse, Psychodrama), Meditation |
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Transpersonale Ebene | Absolutes Selbst | Spiritualität, Meditation |
Die verschiedenen Ebenen des Daseins und die ihnen zugeordneten Therapiemethoden sind theoretisch gut zu unterscheiden. Faktisch sind die Ebenen ineinander verzahnt. In der Praxis wird in der überwiegenden Zahl der Fälle eine Kombination verschiedener Ansätze angewandt. Außerdem ist zu bedenken, dass viele Therapiemethoden ihrerseits bereits eine Mischung anderer Ansätze beinhalten. Das gilt zum Beispiel für die systemischen Therapien und die kognitive Verhaltenstherapie (KVT), die sowohl am Verhalten als auch am Bewusstsein der Beteiligten ansetzen.
Viele psychiatrische Symptome werden wesentlich durch äußere Lebensbedingungen mitbedingt. Das gilt vor allem für Ängste, Depressionen, Suchterkrankungen, Schlafstörungen, Burnout- oder Boreout-Syndrome. Es gilt aber auch für Psychosen, deren aktueller Symptomdruck durch ungünstige Umfeldfaktoren verstärkt werden kann.
Andere Erkrankungen werden zwar nicht durch Umfeldfaktoren verursacht, sie führen jedoch ihrerseits zu einem sozialpsychiatrischen Handlungsbedarf. Zu nennen sind: Demenzerkrankungen, Autismus und andere schwerwiegende Entwicklungsstörungen sowie angeborene Minderbegabungen. Selbst bei Persönlichkeitsstörungen können sozialtherapeutische Therapiekomponenten angezeigt sein.
Pathogene Umfeldfaktoren
Alles, was die Kompensationsmechanismen einer Person überfordert, kann zu einem pathogenen, also einem krankmachenden, Umfeldfaktor werden:
Die wesentliche Methode der Sozialpsychiatrie ist die konkrete Unterstützung bei der alltagspraktischen Bewältigung der genannten Probleme. Die höchste Kompetenz liegt dabei in den Händen von Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Die notwendige Hilfe kann ambulant gewährt werden oder quasi stationär in einem sozialtherapeutischen oder schützenden Wohnheim. Zu den ambulanten Hilfen zählen:
Schwerpunkte
Problematisches Verhalten wichtiger Bezugspersonen kann sowohl systemisch, einzelpsychotherapeutisch als auch sozialpsychiatrisch Thema werden. Ist eine Patientin mit dem aggressiven Verhalten eines Partners konfrontiert...
ginge man systemisch vor, sobald man versucht, das aggressive Verhalten des Partners durch Paargespräche zu beheben.
Nicht nur das soziale Umfeld kann Quelle pathogener Kräfte sein, sondern auch das persönliche. Zum persönlichen Umfeld gehören: Freundeskreis, Partner und Familie. Hier setzen systemische Therapieformen an.
Anders als bei nicht-systemischen Therapien werden Bezugspersonen bei der systemischen Therapie unmittelbar in den therapeutischen Prozess einbezogen. Es werden Paar- oder Familiengespräche durchgeführt. Zielsetzungen systemischer Ansätze sind zunächst:
Beiläufig kommt es dabei auch zu aufdeckenden Effekten, also zu Erkenntnissen der Beteiligten bezüglich ihrer persönlichen innerseelischen Dynamik. Solche Erkenntnisse verändern das Selbstbild der Beteiligten und das veränderte Selbstbild wirkt seinerseits auf die Kommunikationsstruktur des gesamten Systems ein.
Therapieformen, die unmittelbar am Körper ansetzen, gehören zur biologischen Psychiatrie. Die wichtigsten Methoden sind...
Vor allem bei der Behandlung akuter Psychosen und schwerer Depressionen sind biologische Ansätze kaum wegzudenken. Breite Anwendung finden Psychopharmaka auch bei der Behandlung von Angst- und Zwangserkrankungen, bei Bipolaren Störungen, Demenzerkrankungen und beim Suchtmittelentzug.
Die Psychoedukation informiert den Patienten über das Wesen seiner Erkrankung. Dabei steht das Ziel im Vordergrund, den Patienten zu funktionalen Verhaltensweisen im Umgang mit der Erkrankung zu befähigen. Damit ist die Psychoedukation eigentlich den verhaltenstherapeutischen Maßnahmen zuzurechnen.
Als Klassische Verhaltenstherapie bezeichnet man rein übende Verfahren, die ausschließlich auf das Verhalten fokussieren, ohne darunterliegende kognitive Prozesse zu betrachten. Verhalten ist dabei all das, was das Individuum tut, um das Umfeld in seinem Sinne zu beeinflussen.
Verhalten wird immer durch den Körper verwirklicht. Für die Existenz paranormaler Einflussmöglichkeiten, zum Beispiel Telekinese oder Telepathie, gibt es keine wissenschaftlichen Nachweise. Zum Verhalten gehören:
Da Verhalten dazu dient, das Umfeld im Sinne des Individuums zu beeinflussen, kann es erfolgreich oder erfolglos sein. Hier setzt die Verhaltenstherapie an. Statt von erfolgreichem oder erfolglosem Verhalten spricht sie von funktionalem bzw. dysfunktionalem Verhalten. Dabei geht sie davon aus, dass erfolgloses Verhalten die bestimmende Ursache seelischer Erkrankungen ist und erfolgreiches zum Verschwinden psychiatrischer Symptome führt. Oft hat sie damit Recht.
Zu Beginn ihrer Entwicklung vertraute die Verhaltenstherapie darauf, dass es genügt, funktionale Verhaltensweisen einzuüben, um psychische Symptome zu überwinden. Bei einfachen Problemkonstellationen - zum Beispiel einer Spinnenphobie - trifft das oft zu. Da die Mehrzahl psychiatrischer Probleme aber komplex ist, kam die Klassische Verhaltenstherapie an ihre Grenzen. Unter dem Namen Kognitive Verhaltenstherapie hat sich heute eine Fortentwicklung etabliert, die Bewusstseinsprozesse durch Betrachtung der kognitiven Hintergründe dysfunktionalen Verhaltens ausdrücklich miteinbezieht. Die Effektivität verhaltenstherapeutischer Maßnahmen wurde dadurch erhöht und ihr Themenspektrum auf komplexe psychiatrische Konstellationen erweitert.
Das erste aufdeckende Verfahren, das als spezielle Psychotherapiemethode entworfen wurde, war die Psychoanalyse. Sie kann als Mutter der aufdeckenden Verfahren gelten. Grundidee aufdeckender Verfahren ist die Vorstellung, dass psychische Symptome Resultat unbewusster oder unverstandener innerseelischer Prozesse sind. Indem Unbewusstes aufgedeckt, also bewusst gemacht und dadurch verstehbar wird, kommt es zur Veränderung des Selbstbilds, woraus sich dann funktionale Verhaltensweisen ergeben.
Die Klassische Psychoanalyse litt unter der Festlegung auf theoretische Konzepte, die Freud für alle Analytiker verbindlich machen wollte. Dazu gehören die herausragende Bedeutung...
Aus dem Widerspruch gegen Freuds einseitige Interpretationen entstand eine Vielzahl therapeutischer Schulen und schließlich ein aufdeckender Ansatz, der unter dem Namen Tiefenpsychologische Psychotherapie das aufdeckende Grundprinzip schulübergreifend anwendet.
Viele Methoden der Humanistischen Psychologie (Gestalttherapie, Psychodrama, Transaktionsanalyse) vertrauen ebenfalls in großem Maße aufdeckenden Effekten. Auch deren Erkenntnisse sind in das Spektrum der tiefenpsychologischen Ansätze eingeflossen.
Verhaltenstherapie (VT) und Psychotherapie (PT)
Zwei ungleiche Brüder
Obwohl verhaltenstherapeutische und aufdeckende Ansätze in der Praxis oft kombiniert werden, entsprechen beide kategorisch verschiedenen Mustern. Beide streben Wohlbefinden an. Aber...
Verhaltenstherapie steuert auf das zu, was bewirkt werden soll. Psychotherapie deckt auf, was wirkt. Verhaltenstherapie formt den objektivierbaren Pol des Patienten. Psychotherapie zeigt dem formlosen Pol wie der objektivierte funktioniert.
Verhaltenstherapie | Psychotherapie |
Die Verhaltenstherapie sieht den Patienten als Rollenspieler, der durch sein Verhalten Wirkungen erzielt. Sind die Wirkungen zum Vorteil der Person, nennt sie sie funktional. Sie übt gezielt nützliches Verhalten ein. | Aufdeckende Therapie versucht, das relativen Selbst der Person zu erkennen, das hinter ihrem Verhalten verborgen liegt. Sie versucht zu ergründen, wie das Verhalten aus dem Selbstbild entsteht. |
Der Begriff funktional zeigt an, dass die Verhaltenstherapie den Patienten als Mechanismus betrachtet, der durch Anpassung optimiert werden kann. | Der Begriff aufdeckend zeigt an, dass das Selbst des Patienten freigelegt, aber nicht angepasst werden soll. |
Verhaltenstherapie richtet das Sosein der Person an der Wirkung aus, die erzielt werden soll. | Aufdeckende Verfahren richten den Patienten nicht an konkreter Wirkung aus. Sie decken auf, was ungeachtet erwünschter Wirkungen gegeben ist. |
Verhaltenstherapie greift in den Lauf der Dinge ein. | Psychotherapie setzt Identitäten frei. Sie sieht, versteht und nimmt an. Sie vertraut darauf, dass Selbsterkenntnis Prozesse in Gang setzt, die zu erfolgreichem Handeln führen. |
Zielführende Fragen | |
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Alle bisher genannten therapeutischen Ansätze haben eins gemeinsam: Sie fokussieren die als separate Einheit gedachte Person und versuchen, deren Funktionsweise zu beeinflussen. Dem steht ein anderer gedanklicher Ansatz gegenüber; der, dass seelische Erkrankungen durch die übermäßige Einengung des Bewusstseins auf persönliche Belange wesentlich mitverursacht werden.
Was diesem Gedanken logisch entspringt, ist eine transpersonale Betrachtung des Selbst und der Versuch, seelische Erkrankungen gerade dadurch zu heilen, dass die Bedeutung der Person zum Wohle ihres Selbst relativiert wird. Damit mündet die Psychiatrie in die Themenwelt der Spiritualität.
Tatsächlich ist dieser therapeutische Absatz nicht neu. Genau betrachtet ist er der älteste überhaupt. Meditations- und Kontemplationsmethoden, die nicht ausdrücklich auf die Begegnung mit einer Gottesperson abzielen, sind im Grunde aufdeckende Therapieverfahren. Sie versuchen die Dynamik des relativen Selbst zu erkennen und durch Des-identifikation eine Übereinstimmung mit dem absoluten Selbst zu verwirklichen. Ihre Kernmethode, absichtslose Achtsamkeit nach innen, wird zunehmend als wesentlicher Hebel seelischer Gesundung erkannt.