Depersonalisation / Derealisation
Entfremdungserlebnis


  1. Begriffe und Zuordnungen
  2. Symptome
  3. Vorkommen
  4. Abgrenzungen (Differentialdiagnosen)
  5. Innerseelische Vorgänge
    1. 5.1. Abwehrstrategien
    2. 5.2. Nähe und Distanz
    3. 5.3. Zugehörigkeitsverlust
    4. 5.4. Normalität und Entfremdung
    5. 5.5. Verläufe
  6. Behandlung
  7. Selbsthilfe
Sich entfremdet zu erleben, ist unangenehm. Wer das Erlebnis der Entfremdung von sich weist, wird sich selbst nicht vertraut.

Um vertraut zu sein, muss man sich selbst vertrauen. Sich selbst zu vertrauen heißt, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen.

1. Begriffe und Zuordnungen

Das Begriffspaar Depersonalisation und Derealisation beschreibt Erleb­nisweisen mit veränderter Wahrnehmung; entweder der eigenen Person oder der umgebenden Umwelt. Die lateinische Vorsilbe de- (= ent-) zeigt an, dass etwas verloren gegangen ist.

Negative Halluzination
  • Das Entfremdungserleben bezieht sich auf eine Qualität der Wirklichkeit als Ganzes.
  • Eine negative Halluzination liegt vor, wenn ein einzelner Bestandteil der Wirklichkeit nicht wahrgenommen wird.

Beim Verlorenen handelt es sich nicht um ein geformtes Element des Wahrnehmungsfeldes, sondern um eine formlose Qualität, die in der Regel überhaupt erst wahrgenommen wird, wenn sie verlorengeht: der Wirklichkeitscharakter. Das Depersonalisations­syndrom und das Derealisationssyndrom sind eng miteinander verwandt. Sie gehen fließend ineinander über.

In der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) werden die Syndrome unter F48 abgebucht und somit dem Sammelbecken der anderen neurotischen Störungen zugeordnet. Dazu gehört eine uneinheitliche Gruppe seelischer Erlebnisweisen, die andernorts keine Heimat fand.

Andere neurotische Störungen gemäß ICD-10-Klassifikation der WHO

Name ICD
Neurasthenie

Der Begriff Neurasthenie geht auf Griechisch neuron (νευρον) = Nerv und asthenes (ασθενης) = schwach zurück. Er meint Nervenschwäche. Unter Neurasthenie versteht man ein unspezifisches Syndrom mit rascher subjektiver Erschöpfbarkeit psychischer und körperlicher Funktionen.

F48.0
Depersonalisation und Derealisation F48.1
Sonstige neurotische Störungen
  • Schreibkrämpfe (Graphospasmen)

    Verkrampfung der Hand- und Unterarmmuskulatur beim Schreiben

  • Dhat-Syndrom

    Das Dhat-Syndrom ist eine indische Spezialität. Es umschreibt die Angst, durch Ejakulation und den entsprechenden Verlust des Spermas an Lebenskraft einzubüßen. Offensichtlich handelt es sich dabei um keine eigenständige Krankheit, sondern um einen kultur­spezifischen Aberglauben von ähnlicher Bedeutung wie der Vampirglaube in Transsilvanien oder die Angst vor dem bösen Blick, der in anderen archaischen Kulturen weit verbreitet ist.

  • Psychasthenie

    Asthenie ist aus dem Griechischen abgeleitet und meint Kraftlosigkeit. Unter Psychasthenie versteht man eine unspezifische Kraftlosigkeit der Psyche. Der Unterschied zur Neurasthenie ist schwer zu benennen.

  • Psychogene Synkope

    Durch psychische Auslöser hervorgerufener Kreislaufkollaps

F48.8
Neurotische Störung, nicht näher bezeichnet F48.9

Als deutsche Sammelbezeichnung beider Syndrome kann der Begriff Entfremdungs­erlebnis verwendet werden.

2. Symptome

Beim Depersonalisationssyndrom erlebt der Kranke sich selbst verändert. Sein Körper und/oder seine innerseelischen Befindlichkeiten - Gefühle, Impulse, Denkabläufe - erscheinen ihm unwirklich, entrückt, losgelöst, entseelt, automatisiert oder mit einer schwer benennbaren Qualität behaftet, die vom eigentlich Erwarteten abweicht; zum Beispiel: wie in Watte gepackt. Auch Gedächtnisinhalte können betroffen sein. Der Kranke erinnert sich an biographische Ereignisse, als ob er nicht dabei gewesen wäre.

Im Gegensatz zu wahnhaften Veränderungen der Selbstwahr­nehmungen deuten die Kranken die veränderte Selbst­wahrnehmung als irreal. Sie haben nicht den Eindruck, jetzt endlich wahrzunehmen, wie sie wirklich sind. Sie gehen vielmehr davon aus, dass ihre Wahrnehmung gestört ist und sie nicht mehr in der Lage sind, die Wirklichkeit so zu erfassen, wie es sein sollte.

Beim Derealisationssyndrom bezieht sich das gleiche Phänomen auf die Außenwelt. Sie erscheint unwirklich, fassadär, entrückt. Auch hier betrifft die Veränderung die Wirklichkeit als Ganzes; während die Eigenschaften aller Einzelelemente - wie deren Größe, Form und Farbe - korrekt wahrgenommen werden.

3. Vorkommen

Isolierte Entfremdungs­erlebnisse als psychiatrische Syndrome sind selten. Meist treten sie vor dem 20. Lebensjahr auf, teils plötzlich, teils schleichend, teils episodisch. Zu den Auslösern gehören emotionale Belastungen, Panikattacken oder Drogenkonsum. Oft sind konkrete Auslöser nicht zu benennen.

Darüber hinaus kommen Entfremdungs­erlebnisse als Teilaspekte anderer Erkrankungen vor.

Veränderte Selbst- und Weltwahrnehmung

Depersonalisation
Derealisation
Mit meiner Wahrnehmung stimmt etwas nicht.
Trance
Besessenheit
Jetzt bin ich nicht ich selbst.
Rausch Meine Wahrnehmung ist verändert, aber ich weiß, woher es kommt.
Wahn Endlich erkenne ich, wie die Dinge wirklich sind.
Aha-Erlebnis Plötzliches Erkennen eines verborgenen Motivs, das bislang die Qualität des Verhaltens bestimmt hat.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Während das psychiatrische Syndrom mit echtem Krankheitswert selten ist, hat fast jeder schon Erfahrungen mit Erlebnisweisen gemacht, die Depersona­lisation bzw. Derealisation in manchem ähneln: nachdem er Alkohol getrunken hat oder Drogen einnahm.

Die veränderte Wahrnehmung im Alkohol- oder Drogenrausch - zum Beispiel unter Cannabis oder Opiaten - betrifft ebenfalls den formlosen Aspekt der Wirklichkeitserfahrung als Ganzes. Während die Wirklichkeit bei der Derealisation aber unwirklich, befremdlich oder entrückt erscheint, wird sie im Rausch meist vereinfacht, leibhaftig, zugehörig und intensiv erlebt.

So kommt es, dass die veränderte Wirklichkeits­erfahrung des Rauschs bewusst herbei­geführt und die Depersonalisation im Gegensatz dazu als befremdlich gefürch­tet wird.

4. Abgrenzungen (Differentialdiagnosen)

Mit der Einordnung der Entfremdungserlebnisse tut sich die Psychiatrie schwer. Wäh­rend die ICD-10 sie nicht den dissoziativen Störungen zuordnet, macht die ameri­kanische Klassifikation DSM-III genau das.

Stattdessen führt die ICD-10 unter F44.3 Trance- und Besessenheitszustände an, bei denen es zu einem Verlust der persönlichen Identität und der vollständigen Wahrnehmung der Umgebung komme. Zugleich betont sie, dass es sich nur dann um einen Besessenheits­zustand handelt, wenn er ungewollt ist und außerhalb von reli­giösen oder kulturell akzeptierten Situationen vorkommt.

Der unsystematische Gebrauch unscharf definierter Begriffe zur Einordnung von unterschiedlichen Wirklichkeitserfahrungen spiegelt ein grundsätzliches Problem wider: In der Wirklichkeitserfahrung begegnet das Bewusstsein formlosen Grundlagen der Realität, zu deren unverrückbarem Wesen es gehört, begrifflich nicht fassbar zu sein.

Erinnerungstäuschungen
Das Gedächtnis ist keine Festplatte. Es ist ein dynamisches Geschehen. Dabei kann es auch zu Erinnerungstäuschungen kommen. Drei Formen seien hier benannt:

5. Innerseelische Vorgänge

Psychodynamisch können Entfremdungserlebnisse als Folge der Abspaltung (Dissozia­tion) übermäßig belastender Emotionen gedeutet werden. So scheint die Annahme plausibel, dass gefürchtete Gefühle und Impulse aus dem Bewusstsein abgespalten werden, um ein bestimmtes Selbst- oder Weltbild aufrechtzuerhalten.

Wahrscheinlich werden Gefühle im Vorfeld der Entfremdung aber nicht nur abgespalten, sondern auch durch andere Abwehrmechanismen (Verdrängung, Verleugnung, Affekt­isolierung) entkräftet.

5.1. Abwehrstrategien

Um sich vor gefürchteten Erlebnisqualitäten in Sicherheit zu bringen, hat das Bewusstsein verschiedene Möglichkeiten:

  1. Es kann die emotionale Qualität einzelner Erlebnisse durch Affektisolierung abspalten. Es erinnert sich zwar noch an den Hergang des Erlebnisses, fühlt aber nichts von dem, was im Zusammenhang damit gefühlt werden könnte.
  2. Es blendet das gesamte Erlebnis aus der Erinnerung aus. Diesen Vorgang könnte man als eine negative Erinnerungstäuschung bezeichnen, die ihrerseits Folge von Verdrängung ist.
  3. Es erlebt zwar den Hergang des Ereignisses, es empfindet die gesamte Wirklichkeit, in die das Ereignis eingebettet ist, jedoch ins Unwirkliche entrückt.

Durch die zuletzt genannte Strategie kommt es zum Derea­lisations- bzw. Depersonalisationssyndrom.

5.2. Nähe und Distanz

Das Fürchterliche ist umso fürchterlicher, je näher es uns kommt. Selbst schlangen­förmige Unterleibsparasiten mit Gliedmaßen-Verbreiungseffekt erschrecken uns wenig, wenn ihnen die Möglichkeit fehlt, ihren Heimatplaneten im Sternbild Orion zu verlassen. Die Abwehrstrategie der Entfremdungssyndrome beruht dementsprechend darauf, zum Gefürchteten Distanz zu schaffen. Läge der Heimatplanet der grässlichen Aliens nicht im Orion, sondern im Mittelmeer, hätte man zwei Möglichkeiten: entweder den Alienplaneten wegzubeamen oder sich selbst.

Glücklicherweise ist die Bedrohung durch Aliens zu vernachlässigen. Tatsächlicher Schrecken entstammt anderen Quellen:

  1. Der Natur- und Menschenwelt, von der wir umgeben sind.
  2. Dem Kosmos der Gefühle und Phantasien in unserem Inneren. Zweifellos entstammte Jens' entsetzliches Erleben seiner Phantasie, die dank der Droge den Bereich des bloß Gedachten überschritt und alptraumgleich als vermeintliche Wirklichkeit erschien.

Entsprechend der beiden Quellen des tatsächlich Erschreckenden, kann das Bewusst­sein zwei Arten von Sicherheitsabstand schaffen.

Da Gefühle reaktiv mit Ereignissen verbunden sind, und damit nicht immer klar zu ent­scheiden ist, ob der Schrecken von innen oder von außen kommt, gehen Derealisation und Depersonalisation oft fließend ineinander über.

5.3. Zugehörigkeitsverlust
Wüsste der Hering, dass auch der Thunfisch dem Wasser entstammt, könnte er denken, dass Wasser an sich für ihn gefährlich ist. Um sich vor seiner Angst vor Wasser zu schützen, könnte er ihm nicht leibhaftig entkommen, sondern nur durch die Phantasie, dass zwischen ihm und dem Wasser ein Abstand besteht.

Neben dem Gefühl, selbstbestimmt zu sein, ist das der Zugehörigkeit eines der beiden Grundbedingungen des seelischen Wohlbefindens. Die Abwehrstrategie der Entfremdung hat daher Nebenwirkungen. Sie hilft, gefürchtete Gefüh­le auf Distanz zu halten. Das Distanzgefühl, das sie bewirkt, bedeutet jedoch ein neues Unbehagen; und zwar umso mehr, je größer das Zugehörigkeitsbedürfnis des Betroffenen ist.

Vertrauen und Vertrautheit

Die emotionale Entsprechung des Zugehörigkeitsgefühls ist die Vertraut­heit. Entfremdung ist ein Fehlen von Vertrautheit. Vertrautheit heißt, sich anzuvertrauen.

Der Begriff trauen geht auf das indoeuropäische deru = Baum zurück. Zur gleichen Wortgruppe gehören das deutsche Treue sowie die englischen Wörter tree = Baum und truth = Wahrheit. Treue heißt: fest wie ein Baum zu etwas stehen. Der englische Begriff für Wahrheit benennt deren Unverrückbarkeit. Wie ein Baum bleibt Wahrheit dort verwurzelt, wo sie steht.

Die deutsche Sprache hat die indoeuropäische Wurzel deru nicht zur Bezeichnung des Baums übernommen. In der Endsilbe von Wacholder, Flieder und Holunder taucht sie aber auch im Deutschen auf. Der Wacholder ist ein "Wacholbaum".

Trauen heißt eigentlich fest werden. Vertrauen festigt Bindung. Mit jemandem vertraulich zu sein heißt: nahen Umgang zu pflegen; weil man darauf vertraut, dass der andere nicht untreu wird. Treu ist, wer zur Wahrheit einer Beziehung steht. Die Wahrheit einer Beziehung ist das, als was sie deklariert ist.

Die Beziehung zwischen Vater und Kind ist nicht als sexuell deklariert. Der Vater wird dem Kind untreu, wenn er es sexuell missbraucht. Das Kind kann dem Vater nicht mehr trauen.

Das Fehlen der Vertrautheit im Rahmen der Entfremdungserlebnisse zeigt einen Man­gel an Vertrauen an. Dabei misstraut der Betroffene entweder der Welt bzw. individuell bedeutsamen Elementen des Weltausschnitts, den er erfährt, oder der Art, wie er selbst die Wirklichkeit wahrnimmt. Er misstraut aber nicht offen. Dass er misstraut, ist ihm nicht bewusst; vielleicht, weil er glaubt, sich erklärtes Miss­trauen nicht leisten zu können. Denn: Misstrauen ist aktive Distanz in Beziehung. Wer misstraut, hält aktiv Abstand ein.

Weil das Zugehörigkeitsbedürfnis grundlegend ist, ist die Abwehrstrategie der disso­ziativen Entfremdung schwerer als andere Abwehrstrategien zu ertragen. Sie führt zu einem eigenständigen Krankheitserleben mit großem Leidensdruck.

5.4. Normalität und Entfremdung

Die normale Wirklichkeitserfahrung ist von einem gewissen Grad an Entfremdung ge­prägt. Emotionen zu entkräften, und damit deren Bedeutung für anstehende Entschei­dungen abzuschwächen sowie Wirkliches zu ignorieren, sind alltägliche Strategien der Psyche im Kampf um den Erhalt ihres jeweiligen Weltbilds. Je mehr Gefühle im Laufe der Zeit entkräftet werden, desto mehr entfernt sich das wahrgenommene Bild von der Wirklichkeit.

Mystische Vertrautheit
Die Entfremdungsqualität des profanen Bewusst­seins wird im Gefühl der mystischen Verbunden­heit durchbrochen. Das entsprechende Erlebnis ist Zielpunkt der Spiritualität. Der Mystiker erlebt die Einheit der gesamten Wirklichkeit. Die Welt ist für ihn kein Gegenüber. Er ist mit ihr vollständig vertraut.

Beim Gesunden entsteht die Entfremdung so schleichend, dass sie als Normalität empfunden wird und das Bewusstsein sie spontan nicht als Störung ausmacht. Daher kann man nur soweit vom Gesunden sprechen, wie man die geistige Verfassung der Normalität bereits als gesund definiert. Erst bei gezieltem Hinsehen erkennt der normale Mensch die eigene Entfremdung als...

Das manifeste Entfremdungserlebnis kann als Folge dissoziativer Prozesse gedeutet werden, die sich nicht wie beim Normalfall unterschwellig schleichend entwickeln, son­dern radikal und plötzlich, sodass der Verlust des Eingebettetseins unübersehbar wird.

5.5. Verläufe

Persönlichkeitsentwicklungen folgen vielfältigen Wegen. Die Integration gefürchteter Er­lebnisse kann auf unterschiedliche Weise abgewehrt werden. Je nachdem, welche Ab­wehrmethode zum Zuge kommt, treten Entfremdungserlebnisse auf; oder sie tun es nicht.

Denkbare Verläufe

Ausgangslage Auswirkung
Die Erfahrung wird von einem störenden Gefühl begleitet. Die Person erinnert sich kognitiv an die Erfahrung, ignoriert aber das zugehörige Gefühl. Affektisolierung:
Die übrige Wirklich­keits­erfahrung bleibt unberührt.
Die konkrete Erfahrung als Ganzes erscheint inakzeptabel. Die Person schneidet sie selektiv aus ihrem Erinnerungs­kontinuum aus. Verdrängung:
Die übrige Wirklich­keits­erfahrung bleibt unberührt.
Die Erfahrung erscheint so unannehmbar, dass nur die sofortige Abspaltung des Wirklichkeits­charakters Beruhigung verschafft. Das Entfremdungserleben folgt dem Ereignis unmittelbar.
Zunächst gelingen Verdrängung oder Affektisolierung. Im Laufe der Entwicklung kommt es zu einer erneuten Konfrontation mit den abgewehrten Inhalten. Da die bisherigen Abwehrstrategien versagen, wehrt die Person das Gefürchtete zunächst durch Entfremdung ab. Dann gibt es zwei Möglichkeiten:
  • Der Betroffene setzt sich mit den Inhalten auseinander, durchlebt seine Gefühle und integriert das ursprünglich Abgewehrte in sein Selbstbild.
  • Der Betroffene sträubt sich gegen das Durchleben der Gefühle, findet aber Wege, das Thema erneut zu verdrängen.
Es kommt zu einem vorübergehenden Entfremdungs­erlebnis.
Die abgespaltenen Inhalte drängen ins Bewusstsein. Der Betroffene sträubt sich gegen eine Integration. Er findet auf Dauer keine Möglichkeit, die abgespaltenen Inhalte durch Verdrängung oder Affektisolierung zu umgehen. Es kommt zu einen chronischen Entfremdungs­erleben. Auf Dauer ist eine hohe dissoziative Aktivität nötig, um das Selbstbild vor den gefürchteten Inhalten zu schützen.

6. Behandlung

Sich dem eigenen Misstrauen anzuvertrauen kann ein Element heilsamen Selbstvertrauens sein.

Eine spezifische medikamentöse Behandlung des Entfremdungserlebens ist nicht hinreichend belegt. Immerhin berichten Aliyev et al. im Journal of clinical psychopharmacology von positiven Ergebnissen durch Lamotrigin. Treten die Symptome im Rahmen von Depressionen, Psy­chosen oder anderen seelischen Erkrankungen auf, können Antidepressiva oder Antipsychotika hilf­reich oder gar problemlösend sein.

Auch physiotherapeutische Methoden können Erleichterung schaffen: Massagen, Entspannungsbäder, Fangopackungen oder ähnliches... Physiotherapeu­tische Anwendungen basieren auf unmittelbaren Berührungen zwischen Patient und äußerer Wirklichkeit. Je angenehmer die Berührungen empfunden werden, desto größer kann ihr Beitrag dazu sein, die Lücke zwischen dem Patienten und seinem Erleben der Realität zu verkleinern.

Der Schwerpunkt bei der Behandlung der Depersonalisation bzw. der Derealisation liegt in der psychotherapeutischen Aufarbeitung. Dabei können alle Methoden angewendet werden, die zu einer Einbindung abgewehrter Emotionen ins Selbstbild beitragen. Da klinisch bedeutsame Entfremdungssyndrome im Vergleich zu anderen seelischen Stö­rungen selten sind, sind Studien, die eine verlässliche Wirksamkeit spezifischer psycho­therapeutischer Ansätze nachweisen, kaum zu finden. Das heißt nicht, dass es keinen Weg aus der Unwirklichkeit zurück ins Vertraute gäbe. Allerdings muss in der Therapie das ursprünglich Gefürchtete zunächst identifiziert und dann integriert werden. Das kann ein langer Weg sein.

7. Selbsthilfe

Folgt man der amerikanischen Auffassung und fasst Entfremdungserlebnisse als disso­ziative Störungen auf, ergeben sich daraus die spezifischen Möglichkeiten der Selbsthilfe, die sich auch bei anderen dissoziativen Störungen als hilfreich erweisen.