Als politisch korrekt gilt ein Verhalten, das darauf ausgerichtet ist, Abwertungen Einzelner oder gesellschaftlicher Gruppen zu vermeiden, um die Harmonie des Zusammenlebens nicht durch Kränkungen und daraus folgenden emotionalen Reaktionen zu belasten. Ein Schwerpunkt der politischen Korrektheit besteht in der Wortwahl, die man im Umgang miteinander trifft.
Neben der Wortwahl umfasst politisch korrektes Verhalten auch die Themenwahl. Ob ein Thema erwähnt wird, wie viel Bedeutung man ihm beimisst sowie die Art und Weise, wie darüber öffentlich geurteilt wird, kann zu Debatten darüber führen, ob der Umgang mit dem Thema gegen das Gebot politisch korrekten Verhaltens verstößt oder nicht.
Politisch korrektes Verhalten hat individualpsychologische und psychosoziale Vorteile.
Einer der schädlichsten Abwehrmechanismen ist die Abwertung. Abwertungen dienen der Stabilisierung des Selbstwertgefühls. Sie sind Werkzeuge der narzisstischen Regulation.
Abwertungen zielen darauf ab, das eigene Wertgefühl zum Schaden anderer zu steigern. Wer abwertet, ordnet dem anderen einen geringen Wert zu, damit der eigene, im Kontrast dazu, als höher empfunden wird.
Da das erzielte Selbstwertgefühl vom vermeintlichen Unwert anderer abhängt, bleibt das abwertende Individuum in einer abhängigen, also untergeordneten sozialen Position, die es bewusst oder unbewusst als Wertdefizit deutet. Eine Heilung des Selbstwertzweifels durch Abwertungen ist daher nicht möglich. Wer abwertet, bleibt im Horizont seines Fehlverhaltens gefangen.
Pathologische Abwehrmechanismen, die oft mit Abwertungen einhergehen
Abwertung schadet oft | Abwertung schadet stets |
den Opfern. | dem Täter. |
Sich in politisch korrektem Verhalten zu schulen, bietet dem Individuum die Möglichkeit, sich aus dem Teufelskreis pathologischer Abwehrmechanismen zu befreien und ein autonomes Selbstwertgefühl zu entwickeln.
Nützliche Übungen im Alltag
Nur wenigen ist es vergönnt, nur von solchen Taten anderer zu hören, über die sie sich freuen. Wer den Blick auf andere richtet, findet leicht Anlass zum Ärger; weil andere nämlich Interessen verfolgen, die den eigenen arg zuwider laufen. Üblich ist es, sich dem Ärger darüber hinzugeben und sich bei der abwertenden Beurteilung fremder Eigenschaften kaum eine Grenze zu setzen.Es mag sein, dass Druck abzulassen, entlastende Wirkung hat: vorübergehend! Langfristig ist es besser, Druck gar nicht erst aufzubauen; weil Druck zwar die Unbotmäßigkeit anderer unterdrücken soll, tatsächlich aber den, der ihn aufbaut, belastet. Das kann man erreichen, indem man sein Denken in vernünftige Bahnen lenkt. Vernünftig sind Urteile über andere nur dann, wenn sie deren grundsätzlichen Wert im Auge behalten. Wer das tut, enthält sich abwertender Urteile, die seinen Ärger bloß noch schüren.
Individuen, die ihr Selbstwertgefühl durch Abwertungen stabilisieren, lösen im Umfeld bestenfalls zwiespältige Reaktionen aus, oder sie handeln sich Misstrauen, Ansehensverlust und Ablehnung ein.
Abwertungen verraten das mangelnde Selbstwertgefühl derer, die sich ihrer bedienen. Sie signalisieren, dass der Täter von negativen Affekten beherrscht wird. Beides untergräbt sein Ansehen.
Abwertungen rufen bei den Opfern Aggressionen hervor. Wer sich zu Abwertungen hinreißen lässt, erhöht den Widerstand anderer gegen sich selbst. Statt Verbündete zu finden, macht er sich unbeliebt. Er provoziert Abwertungen, die gegen ihn selbst gerichtet sind.
Durch politisch korrektes Sprechen und Handeln werden diese Probleme schon im Ansatz gelöst.
Wen der Schaden trifft
Wer sich politisch inkorrekt äußert, nimmt den Schaden anderer in Kauf. Oder er will ihn sogar bewirken. Ob er damit Erfolg hat, hängt vom Selbstbewusstsein der Opfer ab. Sind sich die Zielscheiben ihres Wertes bewusst und ist ihnen klar, dass ihr Wert nicht durch Urteile verändert werden kann, perlt die versuchte Kränkung an ihnen ab wie Tau an den Blättern des Lotus.
Sind sich die Opfer ihres Wertes unsicher, kann die abwertende Botschaft Schaden anrichten:
Was man tun kann, wenn man Zielscheibe von Abwertungen wird
Der Begriff Narrativ kommt von lateinisch narrare = erzählen. Ein Narrativ ist eine Realitätsdeutung, die man so für richtig hält, wie man sie erzählt. Das Narrativ ist weitgehend mit dem Selbst- und Weltbild deckungsgleich. Es bestimmt die Identität, die sich der Einzelne oder eine Gemeinschaft selbst zuschreibt. Die Identifikation mit der selbst definierten Identität erfolgt nahtlos. Der Einzelne sagt: Ich bin dies. Die Gemeinschaft sagt: Wir sind das.
Von der Wirklichkeit, wie sie jenseits subjektiver Deutungen vorliegt, kennt jeder nur Bruchstücke. Der größte Teil einer Realitätsdeutung besteht aus subjektiven Interpretationen, die der Wahrheit mehr oder weniger entsprechen. Wesentliche Bestandteile von Narrativen sind Geschichtsinterpretationen; entweder der persönlichen Lebensgeschichte oder der Weltgeschichte als Ganzes. Durch das Narrativ werden Fakten, Mythen, Vermutungen, Bewertungen und denkbare Kausalzusammenhänge zu einem Welt- und Selbstbild verwoben, das das Verhalten derer bestimmt, die daran glauben.
Darüber hinaus hängt die Bewertung von Kausalzusammenhängen von der momentanen Opportunität ab. Der uns zugängliche Geist ist an das Individuum gebunden. Daher unterliegt jede Bewertung von Kausalzusammenhängen den jeweiligen Interessen der Person, die die Deutung durchführt.
Da der menschliche Verstand begrenzt ist und seine Enge nur in günstigen Fällen erahnt, neigt er dazu, bloße Vermutungen und gesichertes Wissen gleichzusetzen. Oft hat er damit Recht:
Bei relevanteren Dingen als den Vorgängen im Gedärm possierlicher Bären, werden Vermutungen jedoch voreilig mit der Wahrheit gleichgesetzt. Bei Narrativen passiert das tausendfach.
Jede Person geht von einem individuellen Narrativ aus, durch das sie sich ihr Leben erklärt. Dass es mir heute so geht, wie es mir geht, liegt an den Erfahrungen, die ich damals gemacht habe. Persönliche Narrative stehen mit gesellschaftlichen in Wechselwirkung. Gesellschaftliche Narrative werden durch persönliche beeinflusst und umgekehrt. Persönliche Narrative werden hochgradig von gesellschaftlichen mitbestimmt. Das ist die Grundlage spezifischer Kulturen. Sichtweisen, die die Kultur als selbstverständlich voraussetzt, nimmt der Einzelne in sein Weltbild auf; oft bis zur nahtlosen Identifikation.
Projektion
Zum Grundmuster des egozentrischen Narrativs gehört die Deutung, dass die entscheidenden Ursachen des eigenen Befindens in der Vergangenheit oder den äußeren Umständen zu suchen sind. Das liegt am mangelnden Selbstbewusstsein. Menschen sind sich nur selten der Bedeutung bewusst, die ihre gegenwärtige Haltung der Wirklichkeit gegenüber hat. Verantwortung für Missstände wird daher ausgiebig nach außen projiziert oder sie wird Ereignissen zugeschrieben, die längst vergangen sind. Beides vertieft das Unbehagen, weil beides das Narrativ ohnmächtiger Abhängigkeit unterstützt.Wie es mir geht, hängt vom Selbstwertgefühl ab. Wenn ich dafür sorge, dass das, was ich heute tue, dem entspricht, was ich gutheißen kann, kann es mir ungeachtet tragischer Vergangenheiten und schwieriger Umstände gut gehen. Um herauszufinden, ob ich die Absichten, die mein Handeln bestimmen, tatsächlich befürworte, bedarf es beharrlicher Selbstbetrachtung. Ohne dass man sich selbst versteht, kann man sich nicht von den Irrtümern befreien, von denen das Umfeld besessen ist.
Während das persönliche Narrativ vorwiegend Ereignisse des individuellen Lebenswegs zu einem psychologischen Zusammenhang verwebt, machen gesellschaftliche Narrative Aussagen über historische Ereignisketten, über die daraus resultierende Position und die rechtmäßige Struktur der Gemeinschaft.
Obwohl sie keine bloß psychologischen Konstrukte sind, sondern soziologische, politische bzw. psychosoziale, entstammt das Material, aus dem gesellschaftliche Narrative ursprünglich bestehen, aus der Vielzahl der persönlichen Narrative ihrer Mitglieder. Ändern sich die Realitätsdeutungen der Mitglieder, wirkt sich das auf die kollektiven Narrative aus. Dabei ist klar, dass die Wirkung persönlicher Narrative auf gemeinsame Realitätsdeutungen von der gesellschaftlichen Position der Individuen abhängt.
Viele sind bereit, die Realitätsdeutungen dominanter Personen spontan zu übernehmen. Die Psychologie spricht von Konfluenz.
Das Selbstbild ist das Konstrukt der Narrative, die sich Individuen und Gemeinschaften über ihre Identität erzählen. Die Identität ist ihrem Träger so nah, dass er keinen Abstand zu ihr sieht. Er setzt sich mit ihr gleich. Das erklärt, warum eine Infragestellung von Narrativen meist auf heftigen Widerstand stößt. Der Träger einer Identität, also der Erzähler des Narrativs, fühlt sich durch Infragestellung angegriffen; und verteidigt es auch dann, wenn ihm die Erzählung wegen der Fehler, die darin eingewoben sind, in übelster Weise schadet.
Selbsterhöhung
Alle Narrative haben eine narzisstische Komponente; direkt oder indirekt. Das liegt an der Angst, die der Mensch vor dem Leben hat. Selbsterhöhung wiegt in Sicherheit. Klar: Wenn es denn so ist, dass ich einer Gemeinschaft angehöre, die hochwertige Eigenschaften hat, muss ich mich weniger fürchten. Wer dank seiner Eigenschaften oben ist, wird so schnell nicht untergehen! Um das Bild von den hochwertigen Eigenschaften abzusichern, macht es Sinn, störende Fakten auszublenden.
Jedem Narrativ entspringt der Impuls, unangenehme Wahrheiten aus der Welt zu schaffen. Kommt einer daher, der eine solche Wahrheit benennt, kann es sein, dass er seine Existenz vernichtet. Er gilt als Verräter an der gemeinsamen Sache.
Ein Tabu ist das Verbot, eine Wahrheit zu sagen oder sich so zu verhalten, dass eine verleugnete Wahrheit sichtbar wird. Ein erster Tabubruch liegt schon im Hinweis, dass es der Wahrheit zuliebe überhaupt Tabus zu brechen gibt. Die Wahrheit hat einen so guten Ruf, dass sich jeder mit ihr schmücken will und sich nur ungern sagen lässt, dass er sich und sie betrügt. Obwohl jeder bei Licht den Wert der Wahrheit lobt, hält er im Dunklen für sie einen Knüppel bereit.
Indirekte Selbsterhöhung
Alle Narrative haben eine narzisstische Komponente, durch die sie ihre Erzähler erhöhen? Im Fall der meisten Völker mag das gelten. Kaum ein Volk bildet sich nicht offen oder insgeheim ein, irgendwie besser als seine Nachbarn zu sein. Und konfessionelle Gemeinschaften fangen ohne das Narrativ der Überlegenheit gar nicht erst an. Für das deutsche Selbstbild trifft das aber doch nicht mehr zu! Oder doch?
In der Folge abscheulicher Verbrechen im Namen des deutschen Volkes galt es, Schuld und Schande einzugestehen und konsequent zu bereuen. Dass die Reue aber kein Ende nehmen soll und es zum Narrativ des geläuterten Deutschlands gehört, die Schuld tatsächlich Schuldiger zur kollektiven Erbschuld auch jener zu erklären, die nichts damit zu schaffen hatten, ist verdächtig.
Es ist verdächtig, weil die Medaille der fortgesetzten Schuldbetonung eine zweite Seite hat. Wer so beharrlich seine Schuld betont und bei jeder Gelegenheit bußfertig auf die Knie sinkt, der wird durch die Tugend unübertrefflicher Reue allen anderen moralisch überlegen. Wer ununterbrochen wiedergutmacht, gilt irgendwann als Bester.
Deshalb trifft es zu: Alle Narrative haben eine narzisstische Komponente. Im Falle Deutschlands mag sie indirekt sein. Trotzdem ist sie äußerst effektiv. Ein mea maxima culpa wird irgendwann zur Hintertür der Eitelkeit.
Konfessionelle Gemeinschaften halten durch Narrative besonderer Art zusammen. Wir sind uns einig: In des Kaisers Dienst zu stehen, sorgt für einen guten Ruf. Kaum eine Confiserie, die den Hof mit Pralinen beliefert, verzichtet darauf, sich auf dem Firmenschild dezent als Hoflieferant zu bezeichnen.
Wenn es schon der Eitelkeit dient, Königshäusern nützlich zu sein, um wie viel nützlicher für die Eitelkeit ist dann der Glaube, man habe sogar von Gott persönlich Aufträge erhalten. Sobald man das Narrativ einer Confiserie infrage stellt, die angibt, sie sei von Gott beauftragt, Gläubigen paradiesische Delikatessen zu versprechen und Zweiflern die Hölle, kann das böse Folgen haben. Menschen leben gerne in der Vorstellung, etwas Besonderes zu sein. Je nachdem, über wie viele Wachleute die Confiserie verfügt, wird daher jeder Tor, der des Kaisers neue Kleider nicht sieht, in die Wüste geschickt damit er dort verdurstet.
Mit der Wahrheit ist es nämlich so: Wenn man sie zur falschen Zeit am falschen Ort sagt, kann das tödlich enden. Das ist die Macht der Narrative.
Gesellschaftliche Narrative sind politisch korrekt. Oft sind sie aber ontologisch inkorrekt. Zuweilen steht man daher vor der Wahl: Soll man mit der Wahrheit untergehen oder lieber mit der Lüge leben? Gottlob wird man hierzulande nicht mehr umgebracht. Und dann gibt es in der Wüste auch noch Wasserstellen.
Es liegt im Wesen des Menschen, dass er die Welt aus seiner persönlichen Perspektive sieht. Als biologischer Partikel ist er ab Geburt zu einer unbewussten Egozentrik verurteilt, die seinem Überleben dient. Sie ist der Keim, aus dem im Laufe der Zeit sein ich-bewusstes Ego entsteht. Wenn der Säugling Hunger hat, schreit er; egal ob das seine Mutter nervt oder nicht. Der normale Mensch misst seinem Vorteil eine größere Bedeutung bei als dem Vorteil anderer. Deshalb ist er an der Wahrheit oft nur soweit interessiert, wie er glaubt, dass sie ihm nützt.
Zwei Konzepte der Kommunikation
Politische Korrektheit | Ontologische Korrektheit |
Sagen, was Konflikte vermeidet | Sagen, was man für wahr hält |
Politik geht auf griechisch polis [πολις] = Stadt, Gemeinwesen zurück. Politik greift gezielt in die Abläufe des Gemeinwesens ein. Da sie Absichten verfolgt, ist sie fast immer parteiisch. Sie blendet aus. Sie sieht von dem ab, was ihr nicht opportun erscheint. | Ontologie ist die Lehre vom Sein (griechisch on [ον] = seiend). Sie untersucht, was tatsächlich wahr ist. Dabei versucht sie, jede parteiische Absicht zu vermeiden. |
Wie weit sich der Einzelne über den Horizont seines Egos erhebt, entspricht dem Grad seiner Reife. Zu behaupten, dass quasi jeder seinem Ego weitgehend treu bleibt, kann jedoch als ontologisch korrekte Aussage gedeutet werden; selbst dann, wenn mancher sie als politisch inkorrekt empfindet und nicht hören mag.
Wie bitte! Quasi jeder bleibt angeblich seinem Ego weitgehend treu? Ist das keine inkorrekte Behauptung, die den Wert all jener herabsetzt, die stets bereit sind, anderen Platz zu machen und den unteren Weg zu gehen?
Wer hinschaut, erkennt nüchterne Fakten. Gewiss: Es gibt ein Heer eingeschüchterter Menschen, die offener Rivalität aus dem Weg gehen und sich opferbereit anpassen. Was sie opfern, ist aber nicht ihr Ego, sondern dessen aufrechten Gang. Die Bereitschaft, den unteren Weg zu gehen, kann als Taktik eines Egos verstanden werden, das sich in der Summe mehr Vorteile von der Anpassung als vom Eigensinn verspricht. Wäre es anders, müsste das Mitlaufen als Tugend gelten.
Jeder deutet die Welt anders. Daher gehen die Meinungen darüber auseinander, was als abwertend zu gelten hat und was als legitime Kritik zu akzeptieren ist.
Da es bei der Konkurrenz politischer Interessen vor allem um die Vorteile geht, die der eigenen Gruppe zukommen, wird die Realitätsdeutung Andersdenkender schnell als unrechtmäßig abgetan. So kommt es, dass sich hinter dem Ruf nach politischer Korrektheit und der Empörung über jene, die sie gefühlt verletzen, oft ein handfester Egoismus verbirgt, der sich weder ontologisch noch inhaltlich politisch korrekt verhält.
Politische Korrektheit ist ein sympathischer Wert, dem man nur schwer sein Recht absprechen kann. Jeder ist daher versucht, die Motive dessen, was er tut, unter dem glänzenden Firmenschild einzureihen.
In der Politik ist es nun so, dass man Verbündete und Wähler braucht. Beides sind Leute, die man nur ungern vergrault; indem man Dinge sagt, die sie nicht hören wollen. Beim Verschweigen unerwünschter Wahrheiten, die der einen oder der anderen Gruppe nicht schmecken, ist das Konzept der politischen Korrektheit daher eine willige Hure, die man den Umworbenen spendieren kann. Der Übergang zwischen berechtigter Wertschätzung und korruptem Kalkül ist oft so fließend, dass man der optischen Auflösung eines Elektronenmikroskops bedürfte, um den Unterschied genau zu erkennen. Wir können sicher sein, dass die meisten Mitspieler auf dem politischen Parkett niemals daran denken, sich der Unbestechlichkeit eines derartigen Instrumentes auszusetzen.
Verdachtsmomente
Oben hieß es: Politisch korrektes Verhalten ist ein unumgängliches Mittel um ein friedliches Miteinander zu sichern. Der Satz bleibt wahr; ungeachtet aller Möglichkeiten, Mittel zu missbrauchen.
Es ist leicht, all jene mit Nettigkeiten zu bedenken, die man sich als Bündnispartner wünscht. Sind gesellschaftliche Flügel gegenüber Verbündeten jedoch betont harmoniebereit, während sie alle jene, die am Gemeinsinn der Harmoniebereitschaft zweifeln, mit bösen Blicken in die Ecke bannen, könnte es sein, dass die Friedfertigkeit der Akteure mehr Taktik als Wesen ihres Handelns ist.
Politische Korrektheit kann zu Lasten Dritter gehen. Ist das der Fall, besteht Verdacht, dass sie keine ist.
Zwischen politisch korrekter Sprache und der Meinungsfreiheit besteht ein Spannungsfeld. Es ist gewiss richtig, Meinungen grundsätzlich ohne Abwertung anderer Personen zu äußern. Versucht man jedoch bei allem, was man sagt, es jedem recht zu machen, hat die Wahrheit keine Chance. Sie wird der taktischen Manipulation des Umfelds geopfert; aus Eigennutz.
Nicht nur in Deutschland scheint sich im Mainstream die Vorstellung durchzusetzen, dass es zum Spektrum etablierter Realitätsdeutungen keine legitimen Alternativen gibt. Dem entsprechend entrüstet reagiert er auf jede Sichtweise, die mit den Narrativen der vermeintlich alleingültigen Wahrheit nicht in Einklang stehen. Die Empörung, zu der sich die Rechtgläubigen allenthalben erheben, hat das Zeug, die Meinungsfreiheit zu gefährden.
Zwischen Kritik und Abwertung
Wohin man die Grenze zwischen berechtigter Kritik und respektloser Abwertung setzt, bleibt individuell und von Fall zu Fall zu entscheiden. Trotzdem gibt es Regeln, die bei der Entscheidung helfen.Freiheit besteht aus zweierlei:
Ich kann anderen ihre Meinung belassen? Ah! Was für ein Segen! Es gibt keine Pflicht, in den Kampf zu ziehen.
Zu den Narrativen, die sich der Zeitgeist erzählt, gehört die Notwendigkeit, Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern semantisch zu bekämpfen. Immerhin haben sich die Geister der Gegenwart noch nicht dazu durchgerungen, bei der Verwendung des Plurals aus die Geister die Geister*innen zu machen; obwohl man behaupten könnte, dass der männliche Artikel des Begriffs Geist Frauen pauschal unterstellt, geistlos zu sein. Oh nein! Das sind sie nicht und das tut er nicht.
Während die einen jeden Gattungsbegriff im Dienst tatsächlicher, angeblicher oder vermeintlicher Gerechtigkeit sexualisiert wissen wollen, damit ja nicht vergessen wird, dass es sich bei Lebensmittelkonsumenten nicht nur um Männer, sondern auch um Frauen und intergeschlechtliche Personen handelt, gehen andere davon aus, dass die genderneutrale Verwendung von Gattungsbegriffen sowohl praktikabel als auch sprachlich besser verständlich ist. Immerhin ist die Existenz einer Geschlechtsidentität jenseits der männlichen seit Adam und Eva bekannt. Muss tatsächlich in jedem Absatz sechs Mal auf das Selbstverständliche verwiesen werden?
Obwohl dieselbe Person zugleich Lehrer, Konsument, Mann oder Frau, Wähler, Nicht-Wähler, Passant und Fernsehzuschauer sein kann, kann man zu ihrer Bezeichnung den Gattungsbegriff Lehrer wählen, sobald man über Schule spricht; sobald man schulische Themen also zu dem Wesentlichen erklärt, um das es gerade geht.
Um die Fokussierung auf das eigentliche Thema beizubehalten, macht es Sinn, parallele Eigenschaften der als Lehrer bezeichneten, auszublenden. Erst wenn man tatsächlich über das Verhältnis der Gattungen Mann und Frau spricht, kommt die ausdrückliche Unterscheidung zu ihrem Recht. An den übrigen Stellen ist sie eine Erziehungsmaßnahme, die jede Gelegenheit nutzt, ins Gespräch hineinzugrätschen.
Der ständige Einsatz gendersprachkonformer Verdoppelungen zur Betonung der Pluralität sexueller Identitäten unterbricht den reibungslosen Zufluss der eigentlichen Information oft derart, dass Zuhörer mental traumatisiert werden können. Gott bewahre! Hier entsteht ein neues Opferkollektiv. Wer soll das Schmerzensgeld bezahlen? Bund und Ländern droht neuer Streit.
Sprache ist ein gemeinsames Werkzeug zur Informationsübertragung. Sie erfüllt ihr Wesen optimal, sobald sie mit wenig Aufwand viel Wissen überträgt. Wird sie als Werkzeug verwendet, um längst Bekanntes immer wieder neu zu betonen, wird sie zu Zwecken missbraucht, die die Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe beeinträchtigen. Das hat Nebenwirkungen:
Zwei Formen des Sprachgebrauchs
inhaltlich korrekt | zweckentfremdet |
Das Gesagte vermittelt dem Zuhörer Informationen, die er noch nicht hat und die ihm nützen könnten. | Das Gesagte versucht das Weltbild des Zuhörers so zu verändern, wie es zu den Absichten des Sprechers passt. |
Die Aussage beschränkt sich auf das sachlich Notwendige. | Die Aussage wird technisch so präpariert, dass sie jenseits des sachlich Notwendigen auf den Hörer Einfluss nimmt. |
Das Interesse des Zuhörers steht im Mittelpunkt. Das Gesagte ist ein Angebot. | Das Interesse des Sprechers steht im Mittelpunkt. Das Gesagte enthält einen Übergriff. |
respektvoll von gleich zu gleich kommunikativ |
manipulativ von oben herab steuernd hierarchisch |
festigt Vertrauen | verstärkt Misstrauen |
Wer im Wissen verankert ist, dass es sich bei den Giraffen in der Namib nicht nur um Kühe und bei den Elefanten der Serengeti nicht nur um Bullen handelt, braucht weder von Giraffern und Giraffen noch von Elefant*innen zu sprechen, sollte er Individuen beider Gattungen zu einem Vortrag über politische Korrektheit in Deutschland begrüßen.
Vergangenheit und Gegenwart
Früher herrschte eine kulturelle Tradition, die Frauen in einer Weise Rechte absprach, deren Dreistigkeit uns überrascht. Heute ist eine systemische Ungleichbehandlung von Frauen kaum noch auszumachen. Trotzdem gehört es zu den Ritualen der Gegenwart, dieselbe zu beklagen und Quoten einzufordern, um sie abzuschaffen. Während man bei der Müllabfuhr, im Tiefbau und im Fernlastverkehr keine Quoten für notwendig hält, sehen viele das bei Führungspositionen anders. Ein Schelm, der sich dabei etwas denkt!
Argumente, die den Sinn einer geschlechtsspezifischen Karriereförderung per Quote infrage stellen, könnte man leicht nennen; wenn man bereit wäre, sich ontologisch korrekt in die Nesseln zu setzen. Wer ist das schon?
Daher sei hier nur eins gesagt: Wer miterlebt hat, wie oft Frauen unter weiblichen Vorgesetzten zu leiden haben, denkt zuweilen, es wäre besser für sie gewesen, sie hätten ihre männlichen behalten.
Den Parteigängern der sprachlichen Gendergerechtigkeit ist anzurechnen, dass sie darauf verzichten, den Gattungsbegriff Mensch zu feminisieren. Die Menschin und Mensch*innen bleiben der Menschheit bislang erspart. Sollte der Reformeifer den Menschen noch erfassen, wäre eine maskulinisierte Variante der Person zu erwägen; damit die Gerechtigkeit mit beiden Augen sieht.
Falls der männliche Artikel des Begriffs Mensch Frauen negiert, negiert der weibliche Artikel des Begriffs Person die Männer. Weist der Personalausweis uns genderübergreifend Eierstöcke zu? Hochsensitive Personen männlichen Geschlechts diverser Herkunft könnte das aus der Bahn werfen. Und nicht nur die!
Kein Zweifel: Politisch korrekte Sprache tut Not. Im Zeitalter der Globalisierung sind manche Bezeichnungen, vor allem für Völker in Übersee, aus der Zeit gefallen. Bezeichnungen, die man vor fünfzig Jahren arglos verwenden konnte, stoßen heute übel auf.
Ideal und Wirklichkeit
Sich zum Apostel des Respekts zu ernennen, ist ein Zeichen dafür, dass es einem selbst an Respekt gegenüber anderen mangelt. Viele haben keinen Respekt vor anderen, sondern vor dem Ideal, das verlangt, dass man Respekt vor anderen haben sollte. Als Inhaber des Ideals fühlt man sich der Wirklichkeit enthoben.Ob Farben zur orientierenden Einteilung von Menschen taugen, wird unterschiedlich gesehen. Obwohl "Weiße" ebenso wenig homogen weiß gefärbt sind wie "Schwarze" schwarz, setzt man sich mit dem einen Begriff schneller in die Nesseln als mit dem anderen; gleichwohl es niemandem gelingen wird, objektive Kriterien einer Wertabstufung von Farben zu nennen. Sobald man glaubt, dass darin welche zu finden sind, hat man das eigene Werturteil bereits projiziert.
Je nach persönlichem Temperament ist der Mensch zu einem Eifer fähig, der das Mittelfeld des Pragmatischen verlässt. Daher steigert sich das Bemühen, rassistische Untertöne zu vermeiden, zuweilen in solche Höhen, dass der eine staunt, der zweite schmunzelt und der dritte mit der Stirne runzelt.
Den Begriff Indianer kann man als Signal einer europäischen Überheblichkeit deuten, die die Welt als Missionsgebiet ihrer Kultur betrachtet hat und es immer noch tut. Viele Namen sind historisch gewachsen. Sie über Bord zu werfen um die Sprache zu entkolonialisieren, scheint jedoch ein Eifer zu sein, der sich mehr mit Symbolen als Inhalten befasst.
Was heißt eigentlich Frankreich? Frankreich heißt Reich der Franken. Der Begriff geht auf das Fränkische Reich zurück; das im Mittelalter von einem germanischen Stamm, den Franken, errichtet wurde. Wenn Deutsche ihr Nachbarland Frankreich nennen, impliziert das dann nicht, dass sie Gebietsansprüche erheben? Sollten wir Frankreich im Dienste eines guten Gewissens nicht umbenennen? Gallien, Gallo-Romanien oder Transrhenanien sind geeignete Kandidaten. Schließlich sollten wir unseren Nachbarn signalisieren, dass wir wirklich keine böse Absicht mehr hegen.
Apropos Deutsche
Glauben Sie etwa, dass Sie auf der sicheren Seite sind, sobald Sie den Begriff Deutschland verwenden? Torheit! Deutsch geht auf altfränkisch theodiscus = volksgemäß zurück; theodiscus seinerseits auf westfränkisch Þeodisk. Schon wieder die Franken! Offensichtlich haben sich die Vorfahren der Aschaffenburger nicht nur Transrhenaniens bemächtigt, sondern des Landes der Hessen, Friesen und Pfälzer gleich mit. Stämme Germaniens, steht auf! Setzt ein Zeichen gegen den Sprachimperialismus, der bis heute das Verhältnis der Völker Europas belastet.
Politisch korrekt wird Europa nicht indem es Wörter verändert, sondern den Geist und seine Haltung zur Welt. Statt die eigenen Werte im eigenen Lande ernsthaft ernst zu nehmen, geistert der Geist immer noch in der Welt umher und belehrt andere Völker von oben herab, wie deren Kultur zu gestalten ist.
Auch wenn man selbst nirgendwo anders als im Schutz europäischer Werte leben möchte, ist es politisch inkorrekt, anderen vorzuhalten, dass sie dazu ebenfalls verpflichtet sind. Mehr noch: Es ist nicht nur politisch inkorrekt. Es schadet den Werten, weil es andere gegen uns aufbringt.
Empörung geht wie empor und Empore auf den indogermanischen Verbalstamm bher- = heben, tragen zurück. Althochdeutsch hieß bor die Höhe. Auch gebären entspringt demselben Stamm. Der Geborene ist aus dem Mutterschoß emporgehoben.
Empörung ist ein psychosoziales Werkzeug. Empörung wird eingesetzt, sobald jemand etwas tut, das der Empörte missbilligt. Dabei erhebt sich der Empörte, um aus einer erhobenen Position, also einer Machtposition heraus, auf denjenigen Einfluss zu nehmen, über den er sich erhebt. Das Mittel der Empörung ist eine moralische Verurteilung, die zweierlei bezweckt:
Empörung ist eine seelische Reaktion, die spontan hochschießt. Der Empörte setzt dabei voraus, dass das moralische Urteil, das darin wirksam wird, über jeden Zweifel erhaben ist und nicht weiter überprüft werden muss.
Bei der Empörung wird punktuell viel Energie freigesetzt. Empörung ist explosiv. Da Reflektion Zeit braucht und somit die Energiefreisetzung streckt, droht jede Reflektion die Macht der Empörung zu schwächen. Grund genug für den Empörten auf ein Nachdenken über den Sachverhalt und seine Reaktion darauf zu verzichten. Das nach im Verb nachdenken verweist auf die verzögernde Zeitspanne, die die gebündelte Energiefreisetzung der Empörung abmildern könnte.
Empörung nimmt auf gesellschaftliche Entwicklungen Einfluss indem sie den Bestand moralischer Positionen festigt. Moral beruht jedoch nicht auf streng wissenschaftlicher Erkenntnis. Sie ist eine Vorgabe, die der Mensch aus eigenem Gutdünken heraus definieren muss. Das tut er auch dann, wenn er glaubt oder vorgibt, sie beruhe auf göttlichem Dekret; denn der Glaube an die göttliche Herkunft einer Moral entspringt seinerseits persönlichem Gutdünken.
Letztendlich sind moralische Setzungen Willkürakte. Der Einzelne misst ihren Wert an persönlichen Maßstäben; die er kaum je vom Interesse am eigenen Vorteil trennen kann. Empörung betrachtet sich immer als Anwältin politischer Korrektheit. Sie geht stets davon aus, dass das, was sie tut, rechtmäßig ist. In Wirklichkeit kann darüber kein Konsens bestehen.
Wo Empörung...
... immer sinnvoll ist. | ... oft überheblich ist. |
Wenn jemandem ohne Notwendigkeit ein schwerwiegender, dauerhafter oder unumkehrbarer Schaden zugefügt wird, der dessen Möglichkeit einschränkt, sein Leben fruchtbar zu gestalten. | Wenn jemand Sichtweisen äußert, die jener widersprechen, die man selbst für unwidersprechbar richtig hält. |
Empörung an der falschen Stelle trägt dazu bei, die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen. Langfristig ist sie zum Schaden aller; auch derer, die sich empören.
Gewiss: Es gibt moralische Setzungen, über die es kaum gegensätzliche Meinungen gibt. Daher kann die Empörung Werten dienen, auf die vernünftige Menschen nicht verzichten mögen. Empörung kann aber auch missbraucht werden; und sie wird es. Sie kann dazu missbraucht werden, jedweder Meinungsäußerung, die den persönlichen oder politischen Interessen der Empörten widerspricht, den Stempel einer vermeintlichen Verwerflichkeit aufzudrücken. So ist die Empörung auf der einen Seite Anwältin der politischen Korrektheit und eines solidarischen Miteinanders. Auf der anderen Seite ist sie das maskierte Gegenteil davon.
Die Gipfelstürmer der politischen Korrektheit haben sich Sauerstoffflaschen beschafft, um damit die letzten Zwölftausender der Moral zu bezwingen. Musikinstrumente zu spielen, die andere Völker erfanden, oder Kopfschmuck zu tragen, der auch bei fremden Völkern als modisch gilt, wird als kulturelle Aneignung gebrandmarkt, derer sich der weiße Mann schuldig macht. Die Gipfelstürmer haben als Beschützer bestohlener Kulturen einen solchen Ruf erworben, dass sich die Zwölftausender bis zum Basislager vor ihrem Edelmut verbeugen. Die Sauerstoffflaschen wurden dadurch überflüssig.
Gipfelstürmer, die sich selber ernst nehmen, verfassen ihre Schriften neuerdings in Runen. Beim lateinischen Alphabet handelt es sich nämlich um eine kulturelle Aneignung, die sich Germanien zur Zeit der Varusschlacht zu Schulden kommen ließ. Es ist höchste Zeit, dass eine Delegation Berliner Intellektueller nach Italien reist, um den rechtmäßigen Erben der geschädigten Nation die unterschlagenen Buchstaben zurückzubringen.
Ob dabei auch das Recht auf die eigenständige Zubereitung von Spaghetti aus den Händen deutscher Usurpatoren an italienische Gastwirte zurückzugeben ist, wird kontrovers diskutiert. Soweit Positionspapiere in Runenschrift in den sozialen Medien entziffert werden konnten, weist ein Arbeitskreis aus Schwäbisch-Gmünd darauf hin, dass italienische Kulturpiraten seinerzeit Marco Polo nach China schickten, um den eigentlichen Patentinhabern der Spaghettispeise die besten Rezepte abzuluchsen.
Die Rückgabe der Pastakochbefugnisse an Italien könnte das Verhältnis zu China belasten, das als Erstgeschädigter das deutsche Ansinnen als Einmischung in seine inneren Angelegenheiten empfinden könnte. Mitbürgern chinesischer Herkunft gemeinsam mit italienischen Postfaschisten ihre Kultur zu rauben, wird von der chinesischen Führung völlig korrekt als politisch inkorrekt bezeichnet.