Es kommt von irgendwoher und geht irgendwohin. Ich bin ein Steg, über den es geht.

Was das Jenseits für wahr hält, wird Form im Diesseits. Es ist das Bewusstsein des reinen Subjekts.

Selbstbewusst ist nicht, wer glaubt, überlegen zu sein. Selbstbewusst ist, wer sein Wesen erkennt.

Das Selbst der Dinge ist das, was ihr Sosein bestimmt und sie damit ins Sein setzt. Das Sosein kann auch als Quiddität bzw. Washeit bezeichnet werden. Es ist, was das diesseitige Wesen eines Phänomens ausmacht.

Raum ist auch Inhalt seiner selbst. Das Selbst bildet Raum, in dem es als jede Form erscheinen könnte.

Bewusstsein


  1. Feld und Form
  2. Tätigkeiten des Bewusstseins
  3. Ausrichtungen und Funktionsweisen
  4. Erkenntnis und Vorurteil
  5. Erdung und Verirrung
  6. Universelles Bewusstsein
  7. Ergänzungen

1. Feld und Form

Zum Bewusstsein gehören Inhalte. Wo es Inhalte gibt, gibt es einen Raum, der sie enthält. Während die Inhalte des Bewusstseins in rascher Folge wechseln, sind Veränderungen des Raums, der die Basis des Bewusstseins bildet, träge.

Pro Sekunde hört man zehn Regentropfen gegen das Fenster prasseln. Der Horizont des Bewusstseinsraums kann enger oder weiter werden. Seine Transparenz klart auf oder trübt ein.

Bewusstsein ist die Seinsart des dualen Erkennens. In der Lichtung des Bewusstseins erkennt das Selbst, was seiner Ganzheit nicht entspricht: reale und virtuelle Objekte. Objekte sind Entwürfe aus dem Ganzen.

Das Bewusstsein spaltet die Wirklichkeit in Ich und Welt. Es ist daher nicht nur passive Lichtung, sondern ein aktiver Prozess. Es ist kein reines Gewahrsein, sondern Werkzeug zur Interpretation. Es kann die Wirklichkeit auf zwei Weisen deuten:
  1. vom Objekt aus: Ich bin die Person.
  2. vom Subjekt aus: Die Person gehört zur Welt.

Inhalt ist Da-sein. Er ist auf den Raum angewiesen, in dem er sich befindet. Raum hängt aber von keinem Inhalt ab. Der Raum, der die Basis des Bewusstseins bildet, ist folglich grundlegend. Bevor Inhalte erscheinen, ist Raum da, der sie enthalten könnte. Dabei ist das "Dasein" des Raums anders als das seiner Inhalte. Raum hat keinen Ort, an dem er sich befindet. Er ist, was dem Inhalt Dasein gibt.

1.1. Raum

Der Bewusstseinsraum, in dem wechselnde Inhalte erscheinen, ist ein formloses Feld. Veränderungen des Bewusstseinsraums werden als Kontinuum verschiedener Grade des Wachseins, als Erweiterung oder Verengung erlebbar. Dem Wachsein entspricht die geistige Präsenz, also das Gegenwärtigsein des bewussten Selbst im jewei­ligen Hier-und-Jetzt. Wird die Präsenz nicht von Inhalten verdeckt, wird sie sich ihrer selbst gewahr. Sie wird dessen gewahr, dass sie vor jedem Inhalt ist. Die Intensität des Wachseins ist graduell veränderlich. Die Identität der Präsenz ist es nicht.

Das Bewusstsein braucht Inhalt. Übersieht es ihn innen, sucht es ihn außen.
1.2. Inhalt

Zum Inhalt des Bewusstseins zählen alle Formen, die im Bewusstseinsraum wahrgenommen werden. Es gibt mittelbare und unmittelbare Wahrnehmungen.

Mittelbare Wahrnehmungen sind Folge sinnlicher Eindrücke, durch die Informationen über die physikalische Realität ins Bewusstsein gelangen. Zu den mittelbaren Wahr­nehmungen zählen auch sprachlich vermittelte Botschaften über die geistigen Inhalte anderer, die durch Kommunikation übertragen werden. Dazu gehören deren Selbstwahrnehmungen sowie deren abstrakte Vorstellungsbilder.

Das unmittelbar Wahrnehmbare braucht keine Vermittlung durch Sinnesorgane. Es wird durch unbewusste Prozesse zum Bewusstsein gebracht und taucht spontan als Einfall oder erkennbare Qualität im Bewusstseinsraum auf; oder es wird vom Ich als gelenkte Vorstellung bewusst hervorgerufen. Zu den unmittelbaren Wahrnehmungen gehören Gedanken, Gefühle, Impulse, Erinnerungen und bildhafte Vorstellungen.

Quanteneffekte

Die Person kann sich keines Teils ihrer selbst bewusst werden, ohne dass sie durch die Bewusstwerdung verändert wird. Das Selbst kann alles wahrnehmen und bleibt immer gleich. Sobald die Person alles von sich selbst wahrgenommen hat, ist sie zu sich selbst geworden. Durch das, was es erkennt, wird das Ich zum Selbst.

2. Tätigkeiten des Bewusstseins

Bewusst zu sein ist eine Seinsart des Selbst. Das Bewusstsein ist dabei kein Raum, der bloß passiv enthält. Bewusst zu sein ist das Ergebnis einer Tätigkeit; sowie in sich selbst ein eigenes Tun. Die Tätigkeit, deren Ausdruck es ist, bezeichnete man im Mittelalter mit einem Verb: bewissen.

Nützlich beim Verständnis des Bewusstseins ist ein Blick auf weitere Verben, die mit der Vorsilbe be- anlauten:

Die Vorsilbe be- besagt, dass etwas zugefügt oder beigeordnet wird: Wasser, Licht, Aufträge, Lügen, Aussagen ...oder eben Wissen. Auch das Bewusstsein fügt hinzu und ordnet bei.

  1. Wahrnehmungen werden einander zugeordnet:
    Die Gestalt des Baums und das Rauschen seiner Blätter im Wind.
  2. Wissen wird Wahrnehmungen beigeordnet:
    Der Baum, den ich sehe, heißt "Birke". Er ist einhäusig getrenntgeschlechtig.
  3. Wissen wird Wissen zugeordnet:
    Ich weiß von der Transsibirischen Eisenbahn. Ich weiß, wo Birken wachsen. Ich vermute, dass die Transsibirische Eisenbahn durch Birkenwälder fährt.

Das Ich ordnet Bewusstseinsinhalten Wissen zu. Es sieht den Baum nicht nur als ästhetische Impression. Es bestückt die Oberfläche der reinen Impression mit tiefer gehender Bedeutung. Als bewusstes Sein knüpft es ein Geflecht von Zuordnungen, das es wie eine Landkarte nutzt. Die Form des Geflechts entscheidet darüber mit, wie das Ich auf die Welt reagiert. Dabei spielt die dualistische Deutung der Wirklichkeit eine große Rolle. Sie besagt: Ich bin eine separate Einheit, die in der Welt der Welt begegnet.

Eine abschließende Vorstellung von der Welt ist nicht möglich, weil die Bildung einer Vorstellung zu einer Erweiterung der erkenn­baren Welt führt, die in einem nächsten Schritt in eine umfassendere Vorstellung aufgenommen werden kann. Durch die Bildung des Bewusstseins entsteht ein Erfahrungsfeld, dessen Wesen darin besteht, sich zu erweitern. Nicht nur der Einzelne, selbst das Universum wächst, indem es in sich Teile schafft, die es erkennen.

Das Geflecht der Zuordnungen, aus dem sich das Weltbild der Person zusammensetzt, ist in ständiger Bewegung. Frische Wahrnehmungen werden eingefügt oder verworfen. Altes Wissen wird durch bewusste und unbewusste Prozesse neu geordnet. Neue Vermutungen werden angestellt, überholte zurückgenommen.

3. Ausrichtungen und Funktionsweisen

Das Bewusstsein kennt Ausrichtungen und Funktionsweisen:

3.1. Traum und Wirklichkeit

Je nachdem wie das Mischungsverhältnis von Wahrgenommenem und Vorgestelltem aus­fällt, können die Funktionsweisen des Bewusstseins in Grade unterschiedlicher Wachheit eingeteilt werden.

Ordnung ohne planendes Ich

Die unbewusste Aktivität des Bewissens, also die Arbeit am Geflecht bewusstseins­fähiger Zuordnungen, die im Schlaf nicht haltmacht, wird dem Schläfer sowohl als Traum bewusst als auch an den veränderten Sichtweisen, mit denen er die Dinge betrachtet, sobald er sie überschlafen hat. Was am Abend unklar war, erscheint am nächsten Tag in neuem Licht.

3.1.1. Tiefschlaf

Im Tiefschlaf ist die Bewusstheit des Personseins erloschen. Zu­mindest kann sich das aus dem Tiefschlaf erwachte Ich weder an Inhalte noch an einen offenen Bewusstseinsraum erinnern, in dem es sich als Person wahrgenommen hätte. Da es über seelische Ereignisse im Tiefschlaf keine Erinnerung gibt, bleibt man auf Schlussfolgerungen angewiesen.

Einige Fakten sprechen dafür, dass es im Tiefschlaf ein "unbe­wusstes Bewissen" gibt. Dieses Bewissen wird an Entscheidungen deutlich, die der Organismus im Tiefschlaf trifft.

Daraus kann man schließen: Der Organismus hat die Tätigkeit des Bewissens auch im Tiefschlaf nicht vollständig eingestellt.

Träume oder Schäume

Selbst wenn man bei vielen Träumen kaum den Sinn erraten kann, sind sie für das gesunde Bewusstsein wichtig. Weckt man einen Schläfer immer dann, wenn er zu träumen beginnt, kann man ihm ernsthaft schaden. Wer beharrlich am Traumschlaf gehindert wird, entwickelt psychische Symptome.

3.1.2. Traumbewusstsein

Im Traum wird das Bewusstsein auch ohne Wahrnehmung aktiv. Aus den Datenbanken des Erfahrungsschatzes zieht es Vorstel­lungen heran, die es zu erstaunlichen Kombinationen zusammen­setzt. Dabei überspringt es spielend logische Strukturen der Wirk­lichkeit, die seiner Phantasie am Tage Grenzen setzen.

Dringen Wahrnehmungen bis zum träumenden Bewusstsein vor, zum Beispiel Geräusche oder körpereigene Binnenwahrnehmungen, so werden sie unter dem Primat des Vorgestellten in die vorgestellte Szenerie verbaut; zumindest wenn sie nicht so beunruhigend sind, dass sie ein Erwachen erzwingen, wie zum Beispiel Harndrang oder alarmierende Geräusche.

Ist der Schläfer aus einem von der Logik entbundenen Traum erwacht, fragt er sich verdutzt, wie sein braver Verstand auf etwas derart Absurdes kommen konnte. Eine Antwort darauf könnte sein, dass sich das Traumbewusstsein die Freiheit nimmt, gedankliche Assoziationen auszutesten, die sein bewissender Vetter am Tage von vornherein für unsinnig hält. Zu rot passen Äpfel, Ferrari und die Feuerwehr. Also isst Fittipaldi Apfelkuchen bei Sirenengeheul und Brandgeruch.

Zwitter

Das sogenannte Wachbewusstsein ist ein Zwitter. Die Wirklichkeit, die sich im Wahrnehmbaren zum Ausdruck bringt, ist ihm zwar im Grundsatz zugänglich, zum normalen Bewusstsein der Person gehört aber auch, dass sie ausblendet, was keinem ihrer Ziele zu dienen oder zu schaden scheint. Einen Teil der Wirklichkeit, den es zu erkennen glaubt, erkennt es nicht, sondern es rekonstruiert ihn auf gut Glück aus der Erinnerung. Dass die Rekonstruktion oft nicht stimmt, erkennt es meist nicht. Insofern ist das normale Wachbewusstsein ein egozentrischer Traum. Es ist im Horizont persönlicher Belange gefangen.

3.1.3. Normales Wachbewusstsein

Das normale Wachbewusstsein mischt Wahrgenommenes mit Vorge­stelltem. Im Grundsatz ist es auf Wahrnehmbares ausgerichtet. Da das normale Wachbewusstsein aber größtenteils von der Person für deren egozentrische Ziele in Beschlag genommen wird, wird das Wahrnehmbare zum ebenso großen Teil durch gedankliche Vorstel­lungen überdeckt, die sich mit den jeweiligen Zielen befassen, die die Person, kaum aus dem Schlaf erwacht, ins Auge fasst.

Heute ist Donnerstag. Um sieben muss ich in der Firma sein. In der Mittagspause rufe ich beim Klempner an und frage, ob er morgen Nachmittag wegen der nassen Wand im Badezimmer vorbeikommen kann. Oder ich bitte Katja, das für mich zu erledigen.

Was tatsächlich wahrzunehmen wäre, bleibt dabei außer Acht. Es wird als belanglos erachtet oder als bekannt vorausgesetzt.

Das normale Wachbewusstsein nimmt die Wirklichkeit dualistisch wahr. Es orientiert sich an Gegensatzpaaren. Es betont die Unterschiede. Zur Orientierung in der physikalischen und sozialen Wirklichkeit sind diese Funktionen überlebenswichtig. Zunächst ist es besser zu wissen, was die Biene von der Praline unterscheidet, als zu erkennen, was beiden gemeinsam ist.


Mischungsverhältnisse
Modus Wahrnehmungen Vorstellungen
Tiefschlaf + ?
Traumbewusstsein (-) +++
Normales Wachbewusstsein + bis +++ + bis +++
Ekstatisches Wachbewusstsein +++ -

Je nach dem Mischungsverhältnis von Vorstellung und Wirklichkeit kennt das Wachbe­wusstsein ein Spektrum von Erscheinungsformen. Ein Beispiel mag das beleuchten:

3.1.4. Ekstatisches Wachbewusstsein

Das ekstatische (griechisch ex-histasthai [εξ-ιστασθαι] = aus sich heraustreten) Wachbewusstsein wird nur selten erreicht. Bei der Ekstase, die keines­wegs spektakulär erlebt werden muss, gibt das Ich die Identifikation mit seiner Person auf. Es tritt aus dem Interessenshorizont der Person heraus. Daher ordnet es den Zielen der Person keine vordringliche Bedeutung mehr zu, sodass es die Wirklichkeit absichtsfrei und damit ungetrübt wahrnehmen kann.

Das ekstatische Bewusstsein nimmt die Wirklichkeit als Einheit wahr. Es erkennt zwar die Unterschiede, die auch dem normalen Wachbewusstsein ins Auge fallen, hinter den Unterschieden sieht es aber zusätzlich die Identität ihres Ursprungs. So erkennt das Subjekt im ekstatischen Bewusstsein jedes Objekt als Ausdruck seiner selbst. Von dort aus kann es in ein Gewahrsein übergehen, in dem Dualität als Wahrnehmungsmodus erlischt.

Bewusstsein und Gewahrsein
Beim Bewusstsein spielt das Bewissen eine bestim­mende Rolle. Wirklichkeit wird zwar wahrgenommen, das Bild, das sich das Bewusstsein von ihr macht, wird aber überwiegend durch zugesetztes Wissen geprägt. Der Bewusste ist sich des Bildes gewahr, das er sich von der Welt macht, nicht aber, dass das Bild zu einem großen Teil im Dienste persönlicher Belange konstruiert ist.

Wohlgemerkt
Der Bewusste kann wissen, dass sein Bild der Wirklichkeit konstruiert ist; so wie er weiß, dass auf Sulawesi Koboldmakis leben. Er mag sich beider Tat­sachen bewusst sein. Wenn er aus der normalen Position der Wirklichkeits­betrachtung nicht entrückt ist, ist er der Konstruktion aber ebenso wenig gewahr, wie eines Makis, wenn er statt auf Sulawesi auf Spitzbergen sitzt. Wer seines Bewusstseins gewahr ist, vermutet keine Verzerrung, sondern erkennt sie.

Erlischt die Identifikation mit dem persönlichen Ich, wird auch noch bewusst, aber ohne verzerrende Selektion. Bewusst wird hier als Partizip Perfekt des Verbs bewissen verwendet, analog zu bewässert.

Im reinen Gewahrsein ist sich die Wirklichkeit unmittel­bar der Formen gewahr, die sie ausbildet; oder ihres formlosen Selbst. Reines Gewahrsein liegt jenseits von Gedächtnis und Wissen. Es ist die Matrix aller Formen des Bewusstseins, die ihrer­seits als verzerrte oder ein­geschränkte Spiegelbilder des Gewahrseins erscheinen.

3.1.5. Psychotisches Bewusstsein

Unter Physiologie versteht man die Lehre von den normalen Funktionsabläufen des Organismus.

Pathologie ist die Lehre von jenen Leiden, die nicht als Ausdruck eines normalen Erlebens aufgefasst werden.

Neben den vier physiologischen Formen des Bewusstseins, gibt es auch Funktions­zustände, die als pathologisch, also als krankhaft bezeichnet werden. Sie treten im Rahmen psychotischer Erkrankungen auf. Psychotische Bewusstseinszustände sind nicht einheitlich. Sie unterliegen einer großen Variabilität. Dabei können zwei Ausdruckspole unterschieden werden:

Die Ausdruckspole können in reiner Form auftreten. Oft sind sie vermischt.

3.1.5.1. Wahnhafter Pol

Das wahnhafte Bewusstsein versteift sich auf Vorstellungsbilder. Argumente, logische Schlüsse oder Wahrnehmungen, die das jeweilige Vorstellungsbild infrage stellen, werden systematisch ignoriert.

Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit und Selbstwertgefühl

Umgangssprachlich wird Selbstbewusstsein oft mit Selbstsicherheit verwechselt. Tatsächlich ist das Zweite aber eine Folge des Ersten. Selbstbewusstsein ist keine offensive Spielart des Auftretens, sondern eine Ausrichtung der Achtsamkeit. Man ist selbstbewusst, wenn man sich der Inhalte seiner selbst oder des Raums, der die Inhalte enthält, bewusst ist.

Je mehr man sich der inneren Dynamik oder dem Feld zuwendet, in dem sie abläuft, desto mehr erkennt man deren Wert. Selbstbewusstsein führt so zu mehr Selbstwertgefühl.

Je besser man den Wert der eigenen Gefühle, Impulse und Positionen kennt, desto sicherer kann man sie vertreten. Selbstsicherheit als Merkmal des Verhaltens ist das logische Resultat gesteigerter Selbsterkenntnis.

Um selbstsicher aufzutreten, muss man nicht so tun, als ob man es sei. Es gilt, die Achtsamkeit nach innen zu wenden.

Grundfrage des psychologischen Selbstbewusstseins
Was geht jetzt in mir vor?

Grundfrage des existenziellen Selbstbewusstseins
Was bin ich jenseits der Inhalte?

Der wahnhafte Pol des psychotischen Erlebens kann als extreme Variante des normalen Bewusstseins ver­standen werden. Dabei sind die Motive der wahnhaften Person, Wahrheit zu verleugnen, so übermächtig, dass sie Korrekturen an willkürlich festgesetzten Vorstel­lungen verweigert.

Wahn tritt auch auf Grund organischer Veränderungen auf; zum Beispiel bei der Demenz. Bei der Demenz kommt es zu wahnhaften Fehldeutungen, weil die Datenbanken des Erfahrungsschatzes verlorengehen. Oder Wahn ist Folge subtiler Stoffwechselstörungen; so wie man es im Falle der Schizophrenie vermutet.

3.1.5.2. Halluzinatorischer Pol

Das psychotische Bewusstsein kann auch von Wahr­nehmungen beherrscht sein. Dabei handelt es sich jedoch nicht um sinnliche Wahrnehmungen realer Objekte, die auch andere wahrnehmen könnten. Es handelt sich vielmehr um Halluzinationen, also um Trug­wahrnehmungen, die durch krankhafte Prozesse im Zentralnervensystem erzeugt werden.

Dem halluzinatorischen Erleben des psychotischen Bewusstseins liegen allem Anschein nach Störungen des Stoff­wechsels im Gehirn zugrunde. Sie können auch durch Drogen hervorgerufen werden.

3.2. Welt- und Selbstbewusstsein

Balanceakt

Je mehr ich innen erkenne, desto mehr kommen Innen und Außen ins Gleichge­wicht. Je mehr sie das tun, desto weniger schüchtert mich Äußeres ein.

Beim Neugeborenen werden die Sinne von Eindrücken überflutet, die es zunächst nicht ordnen kann. Erst im Laufe der Zeit erkennt es, was wozu gehört. Da die Sinne nach außen gerichtet sind, konzentriert sich seine Achtsamkeit auf die Ereignisse im Umfeld. Es wird weltbewusst. In der Vielzahl der Ereignisse erkennt es Muster, die sich wiederholen. Im Gedächtnis werden die Muster als Regeln abgespeichert. Ein Weltbild entsteht.

Die Ereignisse der Außenwelt sind nicht unmittelbar zu beeinflussen. Mal erscheinen sie uns angenehm, dann schmerzlich. Neben dem, worauf wir nur mittelbar Einfluss nehmen können, zum Beispiel durch eigene Muskelkraft oder die Aufforderung anderer, dies oder jenes zu tun, gehorcht uns anderes direkt. Was unserem Willen ohne weitere Hilfsmittel folgt, bezeichnen wir als Ich. Während der frühen Kindheit lernen wir zwischen innen und außen, zwischen dem Ich und dem Nicht-Ich (der Welt) zu unterscheiden. Das Weltbild differenziert sich. Ein Selbstbild entsteht.

Zunächst steht der Körper beim Selbstbild im Mittelpunkt. Ich bin mein Körper. Ich ging über die Straße heißt, mein Körper hat es getan. Dann werden andere Aspekte bewusst. Nicht nur den Körper können wir unmittelbar steuern; auch unsere Gedanken, Pläne und Absichten, unsere Achtsamkeit und den Umgang mit Gefühlen und Impulsen. Das Selbstbild erweitert sich um eine virtuelle Dimension. Das psychologische Ich, das Ego, ist entstanden.

3.2.1. Psychologisches und existenzielles Selbstbewusstsein
Relatives Selbst
Das, was das Ich unmittelbar wahrnehmen kann: Gefühle, Gedanken, Impulse.

Solange man glaubt, die Person zu sein, als die man der Welt begegnet, ist man in der Fremde gefangen.

Ich bin so und so und stehe der Welt gegenüber. Diese Vorstellung bildet die Grundlage des psychologischen Selbstbewusstseins. Das psychologische Selbstbewusstsein deutet die Inhalte des relativen Selbst als autonome Einheit. Das Ich sagt: Ich weiß wie und wer ich bin.

Das psychologische Selbstbewusstsein ist eine Vorstufe zum existenziellen. Während sich das psychologische mit den Inhalten des relativen Selbst identifiziert, fragt das existenzielle nach dem absoluten Selbst. Es fragt nicht nach den Inhalten, die im Bewusstseinsraum wahrnehmbar sind, sondern nach dem Wesen des Raums, der Inhalte enthält. Das Ich fragt nicht: Wer bin ich? Es fragt: Was bin ich?

Zwei Ebenen des Selbstbewusstseins

Psychologisch Existenziell
Identifiziert sich mit dem relativen Selbst. Identifiziert sich mit dem absoluten Selbst.
Betrachtet sich als virtuelles Objekt. Betrachtet sich als Subjekt.
Wie bin ich? Wer bin ich? Was bin ich?
Relatives Selbstwertgefühl Absolutes Selbstwertgefühl

Grundidee
Ich bin etwas wert, weil ich den Vergleich mit anderen nicht zu scheuen brauche. Ich bin mir so viel wert, dass ich mich mit niemandem mehr vergleiche. Das Selbst ist die Wirklichkeit all dessen, was jemals existieren könnte.

Während sich das psychologisch selbstbewusste Ich als abgetrennte Einheit und somit als Objekt betrachtet, nimmt sich das existenziell selbstbewusste Ich als Subjekt wahr. Dadurch ist es aller Zweifel an seinem Wert enthoben.

4. Erkenntnis und Vorurteil

Wer den Schlüssel ins Schloss steckt, öffnet die Tür. Wer es tut, ist egal. Wichtig ist nicht, wer es tut, sondern was vorgeht.

Die Aufgabe des Bewusstseins ist es, Wirklichkeit zu erkennen und das Erkannte so zu deuten, dass nützliche Entscheidungen möglich sind. Am besten wird das gelingen, wenn es die Grundfunktion des Erkennens nicht durch Absichten verengt.

Absichtsfrei ist ein Bewusstsein, wenn es von keinem Aspekt, den es wahrnehmen kann, grundsätzlich absieht. Das reine Gewahrsein nimmt alles so wahr, wie es ist, ohne Wahrnehmbares eigennützig auszuschließen. Beim Bewissen des Wahrnehmbaren deutet es gewissenhaft. Das heißt: Es achtet beim Bewissen darauf, was es wirklich wissen kann. Es setzt Glauben, Vermuten und Meinen nicht mit Wissen gleich.

In der Regel ist das Bewusstsein durch die Absichten des Ego verengt. Das Ego ist ein Produkt des Bewusstseins selbst. Es umgrenzt jenen Ausschnitt, der sich als Partei der Person empfindet. Es sieht sich als abgetrennte Existenz, die mit anderen um Vorteile kämpft. Als Partei wendet es sich den Dingen zu, die es der Person nützlich machen will. Dabei engt es den Fokus des Bewusstseins ein und konzentriert es auf ausgewählte Zwecke. Weil es parteiisch ist, sieht es von allem ab, dessen Nutzen es für sich selbst nicht sieht. Es bewertet die Welt in einem eingeschränkten Horizont, statt wertfrei zu erkennen, wie sie ist.

Trennen und Verbinden

Das Ego verengt das Bewusstsein auf den eigenen Vorteil. Es macht es zu einer Funktion seiner Zwecke. Tatsächlich ist das Ego aber eine Funktion des Bewusstseins. Ist die Ordnung wiederhergestellt, ist der Zyklus abgeschlossen.

Das Bewusstsein des Säuglings lernt zwischen Ich und Nicht-Ich zu unterscheiden. Dabei entsteht das Ego. Dessen Ziel ist der eigene Vorteil. Dazu beugt es das Bewusstsein unter seine Herrschaft. Durch die Vorstellung einer klaren Trennung von Ich und Nicht-Ich wird das Bewusstsein egozentrisch. Ich bin hier, die Welt ist dort. Wir sind Konkurrenten.

Das Ego ist eine Funktion des Bewusstseins. Beim Versuch, die Verhältnisse umzukehren und das Bewusstsein zum Werkzeug des Egos zu machen, entsteht eine Spannung. Um zu verhindern, dass das Bewusstsein den Horizont des Egos überwindet und damit die Ordnung wieder herstellt, setzt das Ego Abwehrmechanismen ein. Die unbewusste Anwendung dieser Mechanismen führt zu psychischen Symptomen.

Sobald das Ich den Versuch aufgibt, das Bewusstsein einzuschränken, ist die Ordnung wieder hergestellt. Die strikte Trennung zwischen Ich und Nicht-Ich wird als Illusion erkannt. Welt- und Selbstbild verbinden sich zu einem Ganzen. Das Ich sieht sich als Ausdruck dieser Einheit. Meine Person ist zwar hier und die Welt ist dort, beide bilden aber eine Einheit.

Das bewusste Subjekt unterscheidet die Elemente der Welt. Dann erkennt es ihren Zusammenhang. Wenn es unterscheidet, begegnet es der Welt und nennt sich "Ich". Wenn es nicht mehr unterscheidet, wird es namenlos. Das Ego ist an den Körper gebunden. Es entsteht mit ihm und teilt sein Geschick. Das Selbst durchsetzt die Welt und ist aus ihr entbunden.

5. Erdung und Verirrung

Das Bewusstsein hat zwei Möglichkeiten, Welt- und Selbstbild auszuformen: Es formt sie, indem es Neues wahrnimmt oder indem es Vermutungen anstellt, deren Wahrheits­gehalt es als mehr oder weniger gesichert ansieht.

Wer wahrnimmt, erdet sich in der Wirklichkeit. Wer denkt, um unangenehme Erkenntnisse zu umgehen, riskiert sich zu verirren.

Die Wahrnehmung neuer Realitäten ist oft unangenehm. Das hängt mit dem Selbstbild zusammen. Je fester wir uns mit einem bestimmten Selbstbild identifizieren, desto mehr sträuben wir uns, Realitäten anzuerkennen, die es infrage stellen. Wir fühlen unsere vermeintliche Identität bedroht, wogegen wir uns wehren. Statt zu erkennen, dass wir die Realität nicht annehmen wollen, erleben wir sie als unangenehm. Wir werten sie als ungut ab. Das Unangenehme ist aber keine Eigenschaft der Wirklichkeit, sondern Ausdruck unserer Haltung gegenüber Dingen, die sind, wie sie sind und Folge der Begrenzungen, die unser Dasein ausmachen.

Zur Freiheit des Denkens gehört die Freiheit, sich beliebige Konstrukte auszudenken. Um neue Wege im Geiste auszutesten, bevor man sie in der Wirklichkeit riskiert, ist diese Freiheit wertvoll. Oft wird sie aber missbraucht, um unangenehme Erkenntnisse zu vermeiden. Statt wahrzunehmen, was wahrnehmbar ist, drehen sich die Gedanken im Kreise.

Was man erkennen könnte und wie man die Erkenntnis umgeht

Ereignis Mögliche Erkenntnis Gedanklicher Fluchtweg
Sabine telefoniert heimlich mit ihrem Ex. So fühlt es sich an, wenn man weniger geliebt wird, als man es sich wünscht. Wie kann sie mir das antun, wo sie mich doch liebt? Wahrscheinlich liegt es am Einfluss ihrer Mutter, die ihren Ex mehr mag als mich.
Ich habe Sabine beschimpft. Wie kränkbar, abhängig und unbeherrscht ich bin. Ist doch kein Wunder, dass ich ausraste, wenn sie mich so schamlos hintergeht.
Ich habe bei der Arbeit einen Fehler gemacht. Ich war mir meiner selbst zu sicher. Ich hatte einen schlechten Tag. Außerdem hat man mir die Aufgabenstellung nur lückenhaft erklärt.
Der Chef hat mir schon wieder Überstunden aufgedrückt. Da ist sie wieder: meine Angst, mich durch ein "Nein" mal unbeliebt zu machen. So eine Sauerei. Was fällt dem ein, immer nur mich und nie die Schulze zu fragen? Wahrscheinlich hat er was mit der.

Wer nachdenkt, sucht nicht immer nach Wahrheit. Manchmal denkt er nach, um sie zu umgehen. Wenn man nicht zur Ruhe kommt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die Suche im Kopf mit Vermeidung beschäftigt. Dann dient die Mühe des Denkens nicht Erkenntnis und Wissenserwerb, sondern dem Versuch, das Bewusstsein zu verengen.

6. Universelles Bewusstsein

Die Naturwissenschaft betrachtet das Bewusstsein als eine Funktion des Gehirns. Sie geht somit davon aus, dass das Bewusstsein eine jeweils individuelle Lichtung ist, auf der psychische Inhalte in Erscheinung treten. Sie geht zugleich davon aus, dass es zwischen den einzelnen Bewusstseinslichtungen keine Verbindungen gibt. Vieles spricht dafür, dass es so ist, nur wenig, dass es anders sein könnte.

Was dafür spricht:

  1. Die Bewusstseinsinhalte des einen sind für andere nicht unmittelbar erkennbar.
  2. Ein wissenschaftlicher Nachweis parapsychologischer Fähigkeiten ist bislang nicht erbracht.
  3. Substanzen, die auf das Gehirn einwirken, können Bewusstseinsinhalte verändern.
  4. Schädigungen des Gehirns können zum Verlust des Bewusstseins führen.
  5. Unterschiedliche Bewusstseinszustände korrelieren mit messbaren Veränderungen physikalischer Abläufe (z.B. veränderte Hirnströme)
  6. Die Reizung von Hirnarealen mit Elektroden kann Bewusstseinsinhalte hervorbringen.

Was spricht dafür, dass es anders sein könnte? Eigentlich nur die Berichte meist religiös motivierter Personen, die von Erlebnissen berichten, bei denen es zur Erfahrung der Einheit mit einem als unbegrenzt erlebten geistigen Raum gekommen sei. Dabei wird der Evidenzgrad der Erfahrung als derart überzeugend beschrieben, dass die Betroffenen keinen Zweifel am Wahrheitsgehalt des Erlebten haben.

Das Konzept eines universellen Bewusstseins ist aus solchen Berichten hervorge­gangen. Es geht davon aus, dass es eigentlich nur ein Bewusstsein gibt, das sich in viele individuelle Bewusstseinsfenster verästelt, in deren Lichtung das Individuum dann die jeweils eigenen psychischen Inhalte erkennt.

7. Ergänzungen

Zu sehen, heißt nicht bewegt zu werden.

Wer irgendwo hinwill, kann nicht hier sein.

Normalerweise ist das Bewusstsein an die Wahrnehmung von Objekten gebunden. Man ist sich dessen bewusst, was man sieht, hört, riecht, schmeckt oder fühlt. Auch Gedanken sind Objekte. Schließt man die Augen und sitzt in einer Stille, die kaum sinnliche Wahrnehmungen vermittelt, rücken Gedanken automatisch in den Fokus des Bewusstseins. Bei der Meditation wird der permanente Fluss flüchtiger Gedanken als störend empfunden. Die Aufdringlichkeit der Gedanken hat psychologische Gründe.

Die Bindung des Bewusstseins an Objekte gibt ihm Orientierung. Es weiß gewissermaßen, wo es ist. Ohne Bindung an wahrnehmbare Objekte fürchtet das bewusste Ich in einer unbestimmbaren Weite verlorenzugehen. Hier kann eine Parallele zur Agoraphobie vermutet werden. Das Ich hat Angst vor den Gefahren der Welt. Es klammert sich an etwas, das ihm vertraut erscheint und ihm Halt gibt: das überschaubare Repertoire der immer wiederkehrenden Themen seines persönlichen Horizonts.

Endgültige Befreiung aus der Angst durch Bindung an Konkretes ist unmöglich, weil alles Konkrete seinem Untergang entgegengeht.

Die Fokussierung auf Objekte macht das Ich zugleich unfrei. Es bleibt gebunden. Die Sicherheit, also die Befreiung von der Angst, die es durch die Bindung an Konkretes sucht, fesselt es zugleich an das Leid, das Kleinem inneliegt; weil Kleines Großem ausgeliefert ist.

Wer sich sträubt, fühlt sich ausgesetzt. Wer sich will, fühlt sich freigesetzt.

Die Befreiung vom Leid, die der Buddhismus als Erreichen des Nirwana bzw. des Nibbana (Pali - निब्बन) verheißt, kann als Ablösung des Bewusstseins von der Bindung an Objekte gedeutet werden. Beim befreiten Menschen ist die Begierde, sich an Objekte zu binden, erloschen. Das Bewusstsein erfährt sich als ungebunden und damit als nicht mehr ausgeliefert. Im Moment der befreienden Erkenntnis ist es sich nicht mehr irgendwelcher Objekte bewusst, sondern seiner selbst. Es erfährt, dass es selbst kein Objekt ist. Es gibt die Identifikation mit Objektivem auf.

7.1. Wissen

Im Laufe des Lebens werden dessen Erscheinungsformen - mehr oder weniger richtig - erkannt. Aus jeder Erkenntnis entsteht ein Wissen, das von da ab dazu dient, weitere Erscheinungsformen, die im Bewusstsein auftauchen, schneller einzuordnen. Jedes Wissen ist ein Vorurteil. Es kann mehr oder weniger richtig sein, je nachdem wie genau die Erkenntnis der Wirklichkeit entspricht. Anders ausgedrückt: je reiner die Erkenntnis ist. Das heißt: je weniger sie durch irrige Vermutungen verfälscht wird.

Manuel weiß etwas über Australien. Sein Wissen ist weder vollständig noch entspricht es reiner Erkenntnis. Vermutlich wird es durch Vorstellungen verfälscht, die Manuel seinem Bild von Australien zugeordnet hat, ohne sich dessen bewusst zu sein. So glaubt er, das Verbreitungsgebiet des Beutelteufels erstrecke sich über ganz Australien. Tatsächlich lebt der Beutelteufel aber nur noch in Tasmanien. Immerhin: Manuel weiß, dass der Beutelteufel seinen Beutel nicht dazu benutzt, um darin seine Beute zum Bau zu transportieren.

Wissen wird im Körper abgespeichert. Mit dem Niedergang des Körpers kann es verloren gehen. Das Ich denkt: Ich weiß etwas. Ob das zutrifft, ist unklar. Es hängt davon ab, was das Ich ist. Insofern der Körper Ausdruck des Ich ist, stimmt der Satz. Vielleicht ist es aber so, dass nicht das Ich, sondern der Körper etwas weiß, und dass das Ich sein Wissen nur erkennt. Wie das Ich die Wirklichkeit deutet, hängt davon ab, als was es sich selbst deutet.