Der Kontakt
In allen Kapiteln der bisherigen Untersuchung hat das Ich seine Spur wie ein Graffitisprüher an Häuserwänden einer Großstadt hinterlassen. Es hat sich im Haupttext, den Fußnoten, auf Brückenpfeilern und S-Bahn-Wagons breitgemacht. Doch trotz seiner penetranten Omnipräsenz bleibt unklar, was sich hinter dem einförmigen Zeichen versteckt. Dabei ist es zum Verständnis des Ich-und-Du-Kontaktes dringend nötig zu klären, wo im Gefüge der Weltstruktur dieses Ich, das am Kontakt mit einem Du beteiligt ist, gedacht sein kann und als welcher Art Phänomen man es sich vorstellen könnte. Sicher ist diese Frage so komplex, dass sie nur als Skizze beantwortet wird und sicher wird eine solche Skizze ein Entwurf bleiben, der so sehr von subjektiven Wertungen wie ein Pullover von Wollfäden durchsetzt ist. Ein Subjekt kann das Wesen seiner Subjektivität eben nur subjektiv beschreiben. Eingedenk dieser Einschränkungen ist der Versuch, das Wesen des Ichs durch nähere Betrachtung zu objektivieren, jedoch reizvoll. Da ein geschlossenes Bild so oder anders nicht zu erreichen ist, wird das Thema durch ein Kaleidoskop unterschiedlicher Perspektiven angegangen. Diese Perspektiven ergeben in der Synopsis ein gedankliches Konstrukt, das zwischen seiner Unvollständigkeit und seinen Widersprüchen genug Platz für jenes lässt, was der Wahrheit eigentlich erst nahe kommt, was man zu denken jedoch nicht imstande ist.
Meist ist der Mensch egozentrisch. Er bildet sich ein, es sei eine große Tugend, das menschliche Leben als etwas über alle Maßen Wertvolles einzuschätzen. Nicht, dass man es nicht als wertvoll einschätzen sollte! Und gewiss gebührt dem menschlichen Leben von Seiten der Mitmenschen jeder erdenkliche Schutz und wer anders denkt, denkt bereits unmenschlich! Aber muss diese Einschätzung denn gleich als eine Tugend gelten? Ist sie wirklich ein Hinweis auf eine besonders feine Gesinnung? Wäre es nicht tugendhafter, zu bekennen, dass die humanistische Haltung nur die Facette eines Egoismus ist, eines Egoismus, der zwar legitim sein mag, der aber doch niemand anderem nützt, als dem Menschen selbst, der ihn vertritt. Ist der Mensch jenseits der Menschenwelt und ihrer Konventionen tatsächlich wertvoller als das Huhn, das er verzehrt, bloß weil er, zum ungestörten Genuss des Huhnes, es nötig hat, diese Frage schmatzend zu verdrängen, während dem Huhn der Wurm auch schmeckt, ohne dass ein Huhn sich einen Humanismus - nein, einen Ornithismus - zurecht legen müsste, der Würmer zur Kategorie stets verfügbaren Nutzviehs degradiert? Im humanistischen Ideal schmeichelt der Mensch seinem eigenen Bild, während er im Bewusstsein seiner hohen Menschlichkeit nur als zu oft mit Füßen tritt, was sonst noch lebt.
Egozentrisch ist aber der Mensch nicht nur als ein Tier, das mit dem Rest der Schöpfung skrupellos um die Gaben der gemeinsamen Mutter Erde buhlt. Egozentrisch ist der Mensch auch als ein Geist, der sich als einzig bekannter Hort der abstrakten Erkenntnis über seinen Platz und seinen Rang im Kosmos so manches Mal Gedanken macht. So kommt es, dass sich sämtliche Hochkulturen das Heiligste, das sich erdenken lässt, als Geist vorstellen, der allmächtig und allwissend über allem thront. Warum glaubt aber niemand, dass Gott ein rostiger Asteroid im Sternbild beta-Centauri ist und dass der heiligste Wert aller Zeiten und Welten im beharrlichen Schweigen und dem rauhen Charme des Eisenoxids begründet liegt? Beweisen ließe sich diese Theorie genauso wenig wie die vom allmächtigen Geistesgott. Also könnte sie erst recht so wahr sein, dass man sie einfach glauben muss.
Wem oder was nun auch immer von all dem, was im All existiert, Göttlichkeit zukommen mag, lässt sich nicht abschließend entscheiden. Berechtigt ist aber einstweilen die Behauptung, dass es als ein Indiz für den beengten Horizont des denkenden Menschen gelten kann, dass er ausgerechnet die Allwissenheit für göttlich hält und dieser Allwissenheit grenzenlose Allmacht zuschreibt; und zu allem Überfluss individuelle Subjektivität. Das kann wohl kein Zufall sein!
Just jener Aspekt des Menschen, mit dem er etwas vermuten kann, nämlich sein Geist, krönt die Seinsqualitäten seiner eigenen Attribute zum Großartigsten, was sich in extrapolativer Übertreibung angeblich denken lässt. Wie geistreich unser Geist doch ist, dass er gar nicht erst über sich hinausdenkt, wenn er nach dem Größten Ausschau hält, was es wohl so geben könnte! In aller Bescheidenheit meint er, dass das Heiligste im Grunde ganz ähnlich ist wie er, aus gleichem Fleisch und Blut gewissermaßen, verbunden als Menschengeist mit dem Geistesgott durch das Band einer gemeinsamer Aristokratie, die über dem Lehm wie eine stolze Fahne flattert. Könnte daran denn noch jemand zweifeln? Ganz im Gegenteil! Geister, die den Geist für göttlich halten und ihn völlig unbefangen über alles andere stellen, beweisen durch ihr Haltung nur, wie edel und vergeistigt sie schon sind. Ihre Egos haben klar erkannt, dass sie mit dem schnöden Stoff, aus dem ihre schwächlichen Körper bestehen, eigentlich noch niemals wirklich was zu schaffen hatten. Der Geist ist schließlich willig, nur das Fleisch zu schwach! Armer Geist, armes Opfer plumper Ketten! Die Wirklichkeit, die Dich in diesen Schund aus ranzigen Molekülen gesteckt und humpelnd über Stock und Stein geschickt hat, kann nur einem unverstehbaren Irrtum unterliegen. Warum hat sie Dich so albern verulkt und Deinen Schwingen die Schwerkraft ans Bein gebunden? Was treibt sie zu diesem Schabernack? Wo man im Himmel so unbeschwert mit den Engeln scherzen könnte! Oder will sie durch den Fluch des Fleisches gar, dass Du dich endlich ohne falsche Rücksichtnahme auf den Pöbel der Substanz ganz zu Deinem Adel bekennst und die Wirklichkeit samt ihrer profanen Stofflichkeit im Sprung zu Deiner wahren Größe überwindest?
Genug gespottet! Betrachten wir nun die Dinge nüchtern: Der Mensch erwachte irgendwann in der flimmernden Savanne aus einem langen Affenschlaf und stellte fest, dass es in seinem Inneren etwas gab, das individuell die Welt erfühlte. Allerdings stellte er bald ebenso fest, dass dieses Ich - so nannte er das Etwas in Ermangelung einer klangvolleren sprachlichen Idee - winzig klein und schwach vor einer Übermacht von tausend Fakten stand. Das Ich erschien ihm bald merkwürdig anders als die sonstigen Dinge, die sich zu einer Welt aus festen Widerständen in immer neue Varianten zu verweben schienen. Das Ich konnte wünschen, aber die Welt war wie sie ist und nur allzu oft erwies sie sich seinen Wünschen gegenüber als erstaunlich gleichgültig. Das Ich stellte ferner fest, dass sich in einer ganz besonderen Nähe ein Körper befand, den es von innen heraus ein wenig beherrschte und dessen Verstrickung in das Gewebe der Stofflichkeit es trotzdem in absurder Ohnmacht ausgeliefert war. Das Ich fragte sich bald: 'Huch, wie komme ich bloß in diesen morschen Käfig? Wo komme ich her? Wann werde ich aus diesem Kerker be-freit, den ich mir nicht aussuchen durfte? Wo wird der Himmel sein, der jenseits mei-nes Zentaurendaseins gewiss doch auf mich wartet, ein Himmel, in dem es keine Schwere gibt, die mich an irgendeine Grenze bindet?'
Tatsächlich ist dieses sich selbst reflektierende Ich jedoch eine Emanation der animalischen Psyche, die schon hungrige Affen zu Bananenstauden steuerte. Im Gegensatz zum tierischen ist das menschliche Individuum jedoch zu einer solch komplexen Sozialität befähigt, dass sich die Loyalität seiner Psyche im Spannungsfeld der sozialen Interessensunterschiede vom Schwerpunkt des phylogenetischen Interesses seiner Spezies zu jenem des individuellen Exemplars hin verschiebt. Und diesen Schwerpunkt, der im Geiste ungefähr in seinem Körper liegt, nennt der Mensch dann "Ich"
Die Psyche wiederum ist das kybernetische Gefüge anwendbarer Kenntnisse, das die Lebenswelt des tierischen Organismus richtig interpretiert und dem durch eine teilweise Zentrierung auf ein einzelnes Exemplar der Spezies subjektive Ganzheit zukommt. Trotz der Ganzheit ist die individuelle tierische Psyche zur Spezies hin offen. Das Tier kann seine Art nicht verleugnen. Die Psyche, anders haben wir es jedenfalls noch nicht erlebt, macht sich nur am lebendigen Wesen bemerkbar. Lebendige Wesen sind molekulare Strukturen, die zur Aufrechterhaltung ihrer Komplexität eine Binnenaktivität entwickeln, die sich dem spontanen Gang der physikalischen Basisströmung, die die niederkomplexe Materie zu beherrschen scheint, widersetzt. Also kann die Psyche als ein Phänomen angesehen werden, das dem Grad der Ordnung materieller Strukturen entspricht. Es gibt jedoch keinen sinnvollen Grund, dieses Phänomen nicht ebenfalls als physikalisch aufzufassen. Auch Strudel im Fluss, die Wasser eine Zeit lang im Kreise und manchmal sogar flussaufwärts lenken sind physikalisch und kein moderner Mensch würde einen trotzigen Wassergeist am Werke vermuten, bloß weil sich aus einem gleichförmig entropisch hinabfließenden Gewässer Formen bilden, die der Entropie hörbar widersprechen. Als notwendiger Zufall türmt sich die Psyche aus der Materie in ihre Komplexität hinauf wie eine dräuende Gewitterfront schwarzer Kumuluswolken über der Einförmigkeit aufgeheizter Sümpfe. Das ist auch der Grund, warum Aminosäuren entstehen, wenn sich die Spannung der Wolke in einen Blitz überträgt, der durch den Einschlag im Sumpf die Materie zur Ausbildung von Formen ermuntert, die ihre Komplexität als lebendige Lawine selbst vermehren. Gott ist also kein Geist, sondern etwas, dass eine Sturmflut schlafender Atome auf den Berg des Daseins schleudert, die beim Rückfluss ins Nichts gemäß dem Gesetz der Entropie Strudel und komplexe Phantasmen bilden, in denen ein Geist erwacht, der im Untergang die Macht dessen ahnt, der ihn samt der Materie wie eine Hand voll Würfel auf den Spieltisch warf.
Die Neigung des Geistes, zwischen sich und der Materie den rätselhaften Abgrund mangelnder Gemeinsamkeit zu sehen, entspringt dessen subjektiv erlebter Ohnmacht gegenüber der mütterlichen Materie selbst. Das angeblich besonders große Rätsel, wie der Geist nämlich mit der Materie verbunden ist, ist bei unbefangener Betrachtung gar nicht größer als alle anderen Rätsel auch. Wie die Schwerkraft mit der Materie verknüpft ist oder die Zeit mit dem Raum können wir uns schließlich genauso wenig erklären wie die Frage, warum der Bauer in uns so fest an seiner Scholle hängt und trotzdem einst von seinem Land vertrieben wird. Solche Dinge kann man nur beschreiben und hinnehmen wie sie sind, ohne dass man sie dadurch verstünde. Verstünde der Mensch die Menschenwelt, könnte er kein Mensch mehr sein, denn der Boden des Menschseins ist das Rätsel, an dem sein Verständnis scheitert. Im Vergleich zu dem, was versteht, hat alles Verstandene keine Tiefe mehr.
Die Stelle im Weltengeheimnis, an der das Denken an der Frage nach der Naht zwischen Substanz und Psyche scheitert, gilt dem Geist nur deshalb als besonders esoterisch, weil es dabei um ihn selbst und um die von ihm entdeckte - oder erfundene? - Abstufung von Wert und Unwert geht. In Wirklichkeit ist das Phänomen der Schwerkraft oder das Schicksal der Mesonen im Teilchenbeschleuniger nicht weniger erstaunlich als die Neugier des Geistes, der nach seinem Ursprung fragt. In Wirklichkeit ist die Frage, warum es im Körper etwas gibt, das weiß, nicht rätselhafter als die Frage, warum es etwas gibt, das, ohne etwas von sich selbst zu ahnen, ist. Scheinbar ist dem Geist es peinlich, dass er sich nicht zu einem ungehemmten Eigensinn befreien kann, sondern dass ihn ein ontisches Gesetz, das dem Sein vor allem Stoff und jeder Psyche zugrunde liegen muss, durch die Leine der Substanzen im Zaume hält. Aus Ärger schleudert der Geist dann den Stoffen ein hochmütiges 'Weib, was habe ich mit Dir zu schaffen' entgegen und er erfindet sich zum Trost einen Gott, der das verleugnete Minderwertigkeitsgefühl - oder nennen wir es 'die Ohnmacht von allem was bloß denkt vor dem faktischen Zwang der Materie' - in der Phantasie wieder wettmacht.
So wissen wir nicht, ob Gott den Menschen nach seinem Abbild geschaffen hat, aber es besteht der Verdacht, dass sich der Mensch bei der Erschaffung seines Gottesbildes selbst Pate stand. Der deklarierte Gott wirkt verdächtig anthropomorph. Er erscheint wie das narzisstische Selbstobjekt der armen Kreatur, die sich minderwertig dünkt, falls es sich herausstellen sollte, dass ihr Vater kein hoher Herr, sondern eine einfache Mutter aus dem namenlosen Volk des Daseins ist. Es ist ein Subjekt, das weiß und kann. Es weiß alles und kann die Materie beliebig formen. Es ist die Phantasie der grandiosen Emanzipation der Psyche vom physikalischen Urgrund, der sie trägt. Der Gott des Geistes ist ein siegreicher Krieger, der sich ein Sein zu unterwerfen versucht, das ihm bereits zugrunde liegt. Dabei bekäme es ihm besser, einzusehen, dass der Stoff kein störrischer Diener, sondern sein treuester Bruder ist.
Ein erstes Motiv des Ichs, sein Weltbild zu verzerren, haben wir als seine Neigung erkannt, seine Verbindung zur Substanz zu verleugnen. Der beschränkte Gedanke 'Ich bin das Denken des Stoffs und die Neugier der Substanzen' ist dem Ich, das einst als Dreikäsehoch damit begann, seine Fähigkeiten auszutesten, bis ins hohe Alter unbehaglich. Es erscheint seiner nagenden Frage, ob es selbst Wert ist, im Schoße der Welt geborgen zu sein, nicht Antwort genug, als der Repräsentant einer Komplexität zu erscheinen, die ohne materielle Matrix nicht objektivierbar ist.
Wenn das reflektierte Bewusstsein der geregelten Anordnung unzähliger Moleküle entspricht, könnte es sich seines eigenen Wertes aber nur sicher sein, wenn es den Wert der Substanz respektierte. Und dies könnte es nur, wenn es in der Substanz keine blinde Masse sähe, über die es beliebig zum Zwecke seiner Selbsterhöhung verfügen dürfte. So dreht sich der Irrtum im Kreise. Je mehr das Ich sich Mühe gibt, sich über die Welt der missachteten Stoffe zu erheben, desto mehr fühlt es sich vage von einer fatalen Erniedrigung bedroht, die ihm zuletzt als eine Heerschar hungriger Würmer zu Leibe rücken wird.
Das führt zur These, dass es eine grundlegende Trennung zwischen Geist und Stoff nicht gibt und, dass Geist, mit dem man sich im Plauderton unterhalten kann, zwar nur bei besonders ausgeklügelter Verschachtelung materieller Gefüge in Erscheinung tritt, dass ein schweigender Geist jedoch auch im Baum, im Wasser und im Stein zugegen ist. Die Psyche, in deren Trieben, Empfindungen und Impulsen sich das Bewusstsein des Geistes und das Zusammenspiel der Moleküle begegnen, ist die Kontinuität zwischen dem Sein und dem Wissen, das das Sein von sich hat. Akzeptiert man das so, dann braucht das Ich sich seiner Verwandtschaft mit der proletarischen Sippschaft der Substanzen nicht weiter zu schämen, da es als denkende Materie am inkarnierten Geist beteiligt wäre und ihm daher sein winziges Plätzchen in der weiten Unendlichkeit sicher zusteht - eine Aussicht, in der es völlig ruhen kann, solange es unsinnigen Ehrgeiz vermeidet.
Wenn man das Rätsel der Verbindung zwischen Geist und Materie zu lösen vorgibt, indem man die Trennung leugnet, über deren Abgrund hinweg es überhaupt etwas zu verbinden gäbe, dann fragt man sich, was welcher Seite der Medaille entspricht. Mit der Logik des Menschen, die zwar immerhin imstande ist, das Einfache der Wahrheit zu begreifen, nicht aber ihre Paradoxie, gelingt die Beantwortung der Frage nicht, wenn man dabei meint, man müsse sich für die eine von zwei möglichen Antworten entscheiden.
Im allgemeinen neigt man dazu, das eigene Ich, die Psyche, den Geist als innen zu empfinden. Dieses Bild könnte allerdings einseitig sein und darauf beruhen, dass der Horizont des Ichs, innerhalb dessen es sein Selbst vermutet, durch Kurzsichtigkeit eingegrenzt ist. Die Entstehung des Lebens hat es mit sich gebracht, dass die Wahrnehmung der Tiere nach außen gerichtet ist, weil es für das einfache Tier und den Stamm seiner Gene wichtiger ist, Feinde von weitem zu sehen, als tief in sein Inneres zu blicken. Als Erben dieser Selektion sind wir heute zwar in der Lage die Galaxien im Weltraum zu erkennen, aber meistens nur wenig davon, was uns im Inneren zur Beobachtung der Galaxien tatsächlich bewegt. Das Unbewusste bleibt oft deshalb im Schatten, weil die Introspektion erst ein paar tausend Jahre alt ist und der Mensch sich diesen Sinn nur langsam schärft.
Vielleicht hat Kant ja Recht und es gehört zum Apriori des Geistes, dass er vor der Erfahrung bereits logische Strukturen der Geometrie und Mathematik für vorgegeben hält. Möglich ist aber auch, dass diese Aprioris, zum Beispiel, dass das Kleine ins Große passt, aber nicht umgekehrt, nur Einseitigkeiten sind, an die sich der Geist bloß gewöhnt hat, da er sich bereits seit langem an der Außenwelt versucht. Wie dem letztlich auch sei, der Mensch als ein Vertreter körperlicher Weltbewohner sieht draußen eine große Welt und stößt in sich rasch auf Grenzen. Daher ist ihm die Sichtweise, die die Psyche nach Innen verlegt und die Welt als das Draußen bezeichnet, vertraut, da das Kleine apriori nur im Großen sein kann.
Hat der Geist von heute ab eine Milliarde Jahre Zeit den Blick auf sich selbst zu üben, dann könnte es sein, dass sich die Verhältnisse in seinen Augen ins Gleichgewicht verschieben und er daraus schlösse, dass dem Draußen das Drinnen entspricht. Solange bis diese Zeit aber nicht vergangen ist und wir dadurch volle Gewissheit haben, schließen wir uns für die weiteren Ausführungen gutwillig der allgemeinen Ansicht an und gehen davon aus, dass die Psyche die innere Form der Materie ist. Zwar ist für den Menschen das psychische Element des Daseins erst dort deutlich erkennbar, wo es sich durch die komplexe Vernetzung unzählbarer materieller Komponenten in einem hochentwickelten Organismus zu Prägnanz und Intensität verdichtet, wird der Verstand jedoch durch gnädige Kräfte eine kurze Zeit geöffnet, dann ist die Präsenz des Geistes, wie andernorts bereits betont, in jeder krummen Wurzel, in jedem Teich und jedem Felsgestein bemerkbar. Allerdings scheint er dort in einem märchenhaften Schlaf zu ruhen.
Offensichtlich entsteht erst durch die Komplexität materieller Strukturen jenes Binnenklima im strukturierten System, in dem sich die Seele der Materie wie ein Gasgemisch im Dieselmotor so sehr verdichtet, dass sich das Gemisch von selbst entzündet. Hat es das getan, dann setzt sich das Gefährt von selbst in Bewegung, zumindest solange die Treibstoffversorgung funktioniert. Die Struktur wird in wahrsten Sinne des Wortes automobil.
Um die groben Bilder noch etwas auszufeilen, wird hier der Schwerpunkt der Psyche in den Binnenraum des Leibes und seiner biologischen Interaktionsfelder und der Schwerpunkt des Ichs in den Binnenraum zwischen dem individuellen Körper und seinem sozialen Umfeld verlegt. Das Ich ist die Binnenform der Interaktion des Individuums mit der polymorphen Du-Repräsentanz seiner Beziehungsbiographie.
Um nicht dem blanken Materialismus das Wort zu reden, der behauptet, das Bewusstsein sei ein reines Epiphänomen der Materie, sei betont, dass die Materie nicht zufällig einen Geist entwickelt, durch den sie sich dann erkennt, sondern die Tatsache, dass das Unterschiedliche in seiner wahren Ordnung zusammengehört, tritt als erkennendes Bewusstsein zu Tage. Erkenntnis ist die Koinzidenz des Unterschiedlichen in seiner geordneten Zugehörigkeit. Das Bewusstsein ist ein geordnetes Beisammensein unterscheidbarer Aspekte des Seins, das zeitgleich an der konkreten Materie und als Abstraktion der reinen Erkenntnis in Erscheinung tritt. Je mehr unterscheidbare Aspekte ein Bewusstsein als zusammengehörig entdeckt, desto weiter ist es als Wirklichkeit, in deren Weite die Wahrheit erscheint.
Der Materialismus behauptet dagegen, erst sei die Materie dagewesen und dann sei durch eine merkwürdige Kette von Zufällen oder auch durch die stumme Notwendigkeit barocker Naturgesetze Geist daraus entstanden. So soll es hier nicht gedacht sein.
Auch der Idealismus wird verworfen. Als Ursprung wird kein großer Geist postuliert, der sich als ein übergroßer Verwandter des Menschen jenseits des Weltalls durch Allmacht und Launen hervortat und aus schierer Langeweile an seiner eigenen Ewigkeit eine stoffliche Welt entwarf, damit er sich bei der Betrachtung des skurrilen Reigens ein wenig die Zeit vertreibt. Vielmehr wird Stoff und Erkenntnis als gemeinsamer Ausdruck einer Wahrheit gedacht, die in ihrer Existenz weder auf Atome und Felder noch auf Kognition und Emotion angewiesen ist. Wahrheit muss schließlich nicht erkannt werden um wahr zu sein und sie benötigt für ihr Wahrsein keine Inszenierung auf der Bühne der Realität. Wenn es denn wahr ist, dass sich Hinterlist und Ehrlichkeit schlecht vertragen, dann bleibt das wahr, auch wenn niemand mehr lebt, dem die Synthese der beiden Eigenschaften misslingt. Geist und Materie werden also als sich ergänzender Ausdruck einer Wahrheit gedacht, ohne dass diese Wahrheit durch die Entscheidung, welcher Aspekt der primäre ist, beide Aspekte ungleich bewertet.
Säßen wir schon immer in einer blassgelben Eierschale, in die auf ewig ein leises Summen dringt und in der es bei angenehmer Temperatur ganz schwach nach einem Omelett röche, wäre uns aus Mangel an wahrnehmbaren Unterschieden nichts bewusst. Das Bewusstsein ist nur dort zur Stelle, wo hell und dunkel, laut und leise, warm und kalt möglichst vielgestaltig aufeinandertreffen und es mal nach Bohnenkaffee, mal nach Omelett mit Speck und ein anderes Mal nach Vanillepudding riecht. Erst die Tatsache, dass es genügend Unterschiede festzustellen gibt, ruft die Erkenntnis auf den Plan. Die völlige Abwesenheit diskreter Unterschiede ist dem Bewusstsein jedoch ebenso abträglich, wie das strukturlose Chaos, das auch den tapfersten Eltern ein Dorn im Auge ist, wenn es im Kinderzimmer ihres sorglosen Sprösslings allzu heftig entsteht, weil der Sprössling Gefallen daran findet, seine jungen Wörter "wüst" und "werfen" mit wildem Leben zu erfüllen.
Wo eine Struktur beim besten Willen nicht zu entdecken ist, da hat das Bewusstsein keine Chance auszukeimen, denn das Wesen des Bewusstseins ist die abgestimmte Beziehung der Dinge, deren auseinanderfallendes Dasein es zu einem Ganzen verbindet.
So ist es kein Zufall, dass sich das Bewusstsein ausgerechnet dort bemerkbar macht, wo sich auch das Ich befindet. Ichs gliedern die soziale Realität in ein überaus vielschichtiges Feld diskret erkennbarer Strukturen, das sich aus ebenso vielen Unterschieden wie geordneten Zugehörigkeiten zusammensetzt. Die Polarisierung der Menschheit in unzählige Ichs, die auf ihre Unterschiede pochen, leistet dem Bewusstsein kräftig Vorschub. Das Ich wird zum Katalysator des Bewusstseins, weil es die Absonderung zu seinem Credo macht und gleichzeitig nach der Verknüpfung sucht.
Als sein Ich erkennt das Bewusstsein, dass sich die Zugehörigkeit des Unterschiedlichen zu einer Ganzheit fügt, deren Zentrum das Ich als Konsonanz aller integrierten Widersprüche bildet. Je mehr das Ich die Verknüpfung in sich zulässt, desto mehr sondert es sich vom Verknüpften ab. Was beim konkreten Menschen-Ich nur teilweise geschieht, nämlich soweit, wie der Mensch in seiner Begrenzung überhaupt in der Lage ist, Widersprüche in sein Ich zu integrieren, das geschieht ganz in jenem Binnenraum, der so viel Komplexität entwickelt, dass er alle Koinzidenzen aushält. Ein universales Subjekt ist daher trotz seiner Identität mit dem Sein von diesem völlig geschieden.
Meist ist der Mensch egozentrisch. So hieß es schon oben. Der Mensch ist aber nicht nur egozentrisch, weil er seinen "geistigen" Wert einseitig überschätzt und materielle Stoffe im gleichen Zug verachtet, sondern auch, weil er das Wesen der Zeit falsch einschätzt und sich so um die schaudernde Ahnung bringt, wie weit der Rachen jenseits der menschlichen Seifenoper gähnt, durch den die Welt fast sein gesamtes Spektakel mit einem unhörbar leisen "gulp" in den Bauch einer gleichgültigen Ewigkeit hinunterschlucken wird. Fasziniert von ihrer eigenen Geschichte und bemüht bei der Aufführung ihrer selbst keine Patzer zu machen, glauben die Darsteller, kaum dass sie auf der Bühne stehen, der Zeitverlauf, der die Akte und Bilder ihres Lebens bis zum erhofften Applaus gliedert, sei die einzig wahre Zeit da draußen in der Dunkelheit zwischen Sperrsitz und Loge.
Das, was man als Zeit benennt und von dem man glaubt, es sei der geregelte Fortgang des Ganzen, ist jedoch bloß ein Ausdruck dafür, dass jener Ausschnitt der unterschiedlichen Koinzidenzen, zu deren Erkenntnis der Mensch grundsätzlich fähig ist, sich in einer ihrer vier Dimensionen entlang des Bewusstseins entfaltet, in dem sein Ich zu Hause ist. So verkennt das Ich seine wirkliche Lage. Es glaubt, die ganze Welt marschiere wie eine anthropozentrische Kolonne entlang des weißen Streifens, den das Menschenhirn mit dem Fluss seines Denkens in den Kosmos schreibt. Dabei blickt der allergrößte Teil des stummen Publikums auf völlig andere Bühnen. So überschätzt das Ich den Teil seines Daseins, den es selbst erschafft und es übersieht, dass es sich zum größten Teil nur entlang seiner Wesenszeit entdeckt. Das ist der Grund, warum so viele Pläne scheitern. Der Mensch glaubt, Zeit seine eine physikalische Größe, die irgendwo von draußen kommt und der man bedauerlicher Weise unterliegt, sofern man nicht so clever ist, sie auszutricksen. Dass die Zeit, die wir kennen, aber nicht nur ein objektiver Faktor ist, mit dem man im Unterricht die Geschwindigkeit multipliziert, um die gefahrene Strecke zu ermitteln, sondern dass sie als realer Teilaspekt des beobachtenden Subjektes gelten muss, machen Einsteins Theorien deutlich. Das Bewusstsein durchlebt nicht nur die Zeit wie einen Regenguss von oben, sondern es ist auch der Wasserdampf, der dem Schauer von unten Nahrung gibt. So erleidet es die Zeit und bleibt trotzdem als die Halle, die ihre Weite birgt, bestehen.
Die Beziehung des Ichs zu seiner Zeit ist noch von einer anderen Krankheit befallen. Deutlicher als in allem anderen erkennt das Ich in der Vergänglichkeit wie klein und überschaubar es doch ist. Und das ist bereits der beste Anlass, die Erkenntnis beharrlich zu verdrängen. Hier und jetzt reicht der Blick nur bis zum Horizont. Das Gehör ist darauf angewiesen, dass etwas anderes genügend Lärm für sein Funktionieren macht. Die Kraft des Armes wirft den Stein gerade bis zum nächsten Baum und beim freien Pinkeln an der Autobahn schafft man es letztlich nie so weit, als dass nicht doch ein paar Tröpfchen Pisse auf die Schuhe spritzten.
Statt diese kleine Welt als ein vollgültiges Stück Biographie zwischen der profanen Erleichterung und der gelinden Weite wertzuschätzen, ist der Mensch darauf bedacht, zwanghaft über seine Grenzen hinwegzuschauen. Das Hier-und-Jetzt als das er sein Ich empfindet, erscheint ihm viel zu klein, als dass er glaubt, er könne darin Erfüllung finden. So wird Vieles viel zu viel missachtet, weil es in der Nähe liegt und ihm der Ruch bescheidener Endlichkeit anhaftet. Demgemäß gehört zur festen Grundausstattung menschlicher Philosophie meist auch die fragwürdige Ansicht, das Ewige sei mehr als der Augenblick und das Endliche gehe asymptotisch gegen nichts. Dabei ist die Vorstellung einer Unsterblichkeit der bestehenden Struktur, die das begrenzte Inventar des einzelnen Bewusstseins ausmacht, grauenhaft. Was für eine Hölle wäre es, unendlich lange der und der zu sein, ohne das Recht darauf aus Langeweile wegzusterben! Es wäre für jeden Wurm doch eine Gnade, dass ihn, nachdem er das gesamte Erdreich hunderttausend Mal gefressen, verdaut und hinter sich gelassen hat, endlich eine Krähe frisst, denn würde der Wurm nicht zur Beute, dann lernte er auch nie als eine Krähe über das ganze Geschiss, das er um sich selbst gemacht hat, befreit hinwegzufliegen. Der endlosen Dauer wird bloß deshalb gehuldigt, weil der Mensch nicht erkennt, wie winzig sein Horizont durch die Erfüllung seines Anspruchs auf ewiges Leben würde.
Das Ich ist jener Teilaspekt der Psyche, der seine Trennung vom Kontext kultiviert. Je mehr das Ich sich aus dem Kontext löst, desto klarer erkennt es aus der Ferne die Umrisse jenes Seins, aus dem es selbst entsteht. Sofern es sich dabei nicht um die Wahrheit betrügt, erkennt es, dass es eigentlich ein Ausdruck des Kontextes ist und dass dieser tatsächlich im Dogma seiner Wahrheit wurzelt.
Je größer die Individualität des Ichs dann wird, desto mehr wächst die Faszination, mit der es nach seiner Quelle blickt. Hätte das Ich unterwegs den Mut, ganz auf jede Sicherheit zu verzichten, die ihm seine Begrenzung bietet, löste es sich soweit ab, dass es als reine Erkenntnis des Wahren vom bloß scheinbaren Teil der Welt aus reinem Desinteresse nichts mehr wüsste. Deshalb ist Religion als reine Form des Kontaktes die natürliche Ergänzung und unausweichliche Bedingung der Individualität. Ohne Religion kann der Mensch seine Individualität nicht erfüllen.
Da das Ich aus einer Wirklichkeit entsteht, die letztlich in transzendenter Wahrheit ruht, bleibt es dieser Wahrheit stets verpflichtet und man kann gewiss erwarten, dass die Struktur einer gesunden Psyche, der Struktur der transzendenten Wahrheit entspricht. Es wird daher kein seelisches Gleichgewicht geben, wenn man sich nicht explizit zu einer Wahrheit als überpersönliche Richtschnur bekennt.
Wenn man das Richtige tut, ist das Handeln eine Hinwendung zur Wahrheit. Richtiges Handeln ist ein aktives Wahrsein. Jede Gesundung ist eine Hinwendung zu dem, was wirklich ist. Seelische Gesundheit ist der unverbrüchliche Bezug auf eine Wahrheit, in der sich die Welt stets daran erinnert, dass auf die eine heilige Weise jedes einzelne im Ganzen stimmig ist. An diesem Bezug hält jedes Individuum - auch wenn es nichts davon weiß - durch alle Leiden und Freuden des Daseins hindurch fest und es zweifelt nur deshalb daran, um die Verzweiflung kennenzulernen, ohne die seine Religiosität naiv bliebe; denn das Entsetzen, dass die Wirklichkeit diese eine Wahrheit auf Dauer verfehlen könnte, ließ das Nichts erst ins All explodieren.
'Tee haben!' gehört zu den frühen artikulierten Äußerungen des Menschen, mit deren Hilfe er gezielt Kontakt zu seiner Umwelt herstellt. Einige Zeit später ist aus dem gleichen Munde ein 'Ich will mehr Brei!' zu hören und wenn man es recht bedenkt, kann man aus beiden Sätzen und dem situativen Gefüge, in dem die Worte fallen, die wesentlichen Probleme herauslesen, die sich im Kontakt des Ichs mit seiner Welt entzünden. Obwohl sich nämlich im ersten Satz das Ich weder selbst benennt, noch ausdrücklich kundtut, dass es die Erfüllung eines Wunsches fordert, verstehen die Eltern meist genau. Die Botschaft des Kindes betrachtet dessen subjektive Wahrnehmung der Situation nicht nur spielerisch und mitteilsam, sondern sie ist informativ gedacht. "Informativ" heißt aber "einformend". Der Informierte wird von dem, was er erfährt, geformt. Durch seine Botschaft trachtet das Kind also danach, den Handlungsimpuls der Eltern so zu formen, wie es ihn für sich selbst am besten gebrauchen kann.
Oft parallel zum Ermüden der elterlichen Bereitschaft, sich tagaus tagein den Wünschen des Kindes anzupassen, schreitet die Sprachentwicklung desselben soweit voran, dass es ihm gelingt, dem fordernden Charakter und der Ichbezogenheit seiner Weltsicht durch die Wörter "Ich" und "wollen" mehr Nachdruck zu verleihen, sodass zumindest vorübergehend die Dienstbarkeit der Eltern mit rollenden Augen weitere Reserven mobilisiert.
Ist die erste Begeisterung der Eltern, sich selbst im Kind erneut als unverbrauchte Chance auf der Welt zu sehen, verblasst, drängt sich der elterliche Eigensinn vermehrt in den Vordergrund und das wesentliche Problem am Schnittpunkt von Wahrnehmung und interpersoneller Kommunikation reißt manchmal lauthals auf. Das Problem liegt darin, dass der Kontakt das Medium ist, durch dessen Kanäle man eigene Bedürfnisse zu erfüllen sucht, dass durch dieselben Kanäle jedoch umgekehrt Informationen hereindrängen, die den Bedürftigen auf fremde Ziele auszurichten trachten und, wenn sie raffiniert gesteuert sind, ihm sogar vorgaukeln, sie kämen seinetwegen herbei....damit der Bedürftige unvorsichtig wird und seine Schleusen weiter aufmacht. Vom Informiertsein über kindliche Wünsche frustriert, machen sich die Eltern daran, dessen fordernde Rufe nach Brei, Tee und Kinderwurst, nach Kurzweil durch elterliches Faxenmachen und der hundertsten Betrachtung des Finger-, des Rügen- und des Baggerbuches, zu ignorieren und stattdessen die gemeinsamen Kanäle ihrerseits verstärkt zur Einformung des Sprösslings auf Ziele hin zu nutzen, die dem Ruhebedürfnis der Eltern dienlich sind. Die Erziehung ist somit geboren und der Kampf um die Hebel an den Schleusen entbrennt nun manchmal bis aufs Blut.
Bei der normalen, also der halbwegs gesunden Entwicklung, gibt es keinen klaren Sieger, doch das Gerangel um die Macht auf dem Feld des Kontaktes endet dabei nie. Durch einen dialektischen Prozess der Annahme erwünschter und der Abwehr unerwünschter Informationen bildet sich ein Rahmen aus, dessen bewusster Horizont von jenem Wissen abgesteckt wird, das den Kompromiss fordernder Formung und Gegenformung als Beziehungsform begründet und dadurch nachhaltig mitbestimmt, wie das Ich und das Du sein kann. Zwischen dem, was bewusst ist und dem was als Beziehung möglich, vermittelt das, was gesagt und verstanden wird. So bestimmen sich Sozialität und seelische Gesundheit des einzelnen durch das morphologische Kontinuum mitteilbarer und bewusstseinsgängiger Wahrheit gegenseitig. Was vom Wahren im Kontakt mitgeteilt werden kann, ist gemeinsames Schicksal von Seele und Gesellschaft.
Das Selbst ist eine hochkomplexe Gestalt. Es umfasst den Bauplan des Leibes, die Logistik seiner physiologischen Dynamik, die Geometrie des sozialen Kommunikationsgefüges, an dem das Individuum bis in alle Verästelungen teilhat und die reichhaltige Vernetzung des Organismus in den übrigen Kontext der evolutiven Lebenswelt, soweit diese mit der Existenz des Organismus in Verbindung steht. Es erstreckt sich somit in die biologische Gärung materiell-organischer Vorgänge, die ihrerseits in den chemischen und physikalischen Naturgesetzen verankert sind. Dort fußt es auf der Unverrückbarkeit primärer Wahrheiten. Durch die Vererbung genetischen Wissens ist das Selbst außerdem mit der Vergangenheit und der Zukunft verbunden.
Da all dies prinzipiell auch für das Tier zutrifft, ist auch die tierische Psyche in eine Individualität zentriert, deren faktische Außengrenze nicht mit dem körperlichen Horizont des Tieres zusammenfällt, sondern die sich in das gesamte Gefüge alles Seienden entwirft, so wie umgekehrt das Einzeltier Entwurf des gesamten Gefüges ist. Beim Tier gibt es jedoch noch keinen Bruch, der seine Individualität und die Umwelt, in die sie verwoben ist, einander gegenüberstellt.
Beim Menschen hat sich aus rätselhaften Gründen innerhalb der Psyche jedoch eine Instanz ausformt, die dazu fähig ist, aus dem Strom der Ereignisse herauszutreten und der Welt, in der sie lebt, als einer Linse zu begegnen, die das Bild dieser Welt in einem freien Standpunkt bündelt. Diese Fähigkeit der menschlichen Psyche ist das Ich. Das Ich ist die Aktivität eines Organismus, durch den er die Zielrichtung seiner Handlungen auf ein spezielles Interesse ausrichtet, für das es sich im Fokus seines Weltbildes entscheidet. Durch das Ich kann der einzelne sein Schicksal aus dem gemeinsamen Interesse der Spezies und dem Wohl des Biotops, aus dem er kommt, herauslenken. Zwar ist die Fähigkeit, im Interesse des einzelnen Exemplars und entgegen den Interessen des Umfeldes zu handeln auch bei den Tieren in gewissem Maße erkennbar, doch erreicht deren Freiheit nur ein bescheidenes Ausmaß. So gibt es keinen tierischen Egoismus, dessen Freiheit sich selbst gefährden könnte.
Beim Menschen steht die Fähigkeit der Psyche, dem Kontext zuwiderzuhandeln, ganz im Vordergrund. Sie ist das spezifisch menschliche Charakteristikum, das ihn am deutlichsten vom Tier unterscheidet. Das Motiv des Ichs, aus dem es dem Kontext zuwiderhandelt, ist der Wunsch, sich aus den Zwängen der Wirklichkeit zu befreien, damit es das Bild von sich selbst mit der Art, wie es der Welt begegnet, in Übereinstimmung bringen kann. Das Ich sucht die Freiheit, in Ausdruck und Eindruck authentisch zu sein. Dabei ist das reflektive Bewusstsein kein bloßes Epiphänomen des materiellen Aspektes einer lebendigen Dynamik, sondern abstrakte Binnenstruktur der Tatsache, dass sich organische Systeme hoher organisatorischer Komplexität aus dem Zwang des Kontextes, dem sie entspringen, befreien. Anders ausgedrückt: Das Bewusstsein ist die Freiheit jenes Systems, in das es eingebunden ist, aus dem es entbunden wird und dessen Entbindung es in Korrelation zu sich selbst betreibt. Die individuelle Freiheit wird erst dann wieder ein gemeinsamer Nenner der Individuen, wenn sie die Gemeinschaft als wesentliches Element ihrer eigenen Individualität ins Bewusstsein integriert haben. Niemand kann nämlich wirklich freier werden, ohne damit auch die Freiheit der anderen wirklich zu wollen.
Die Freiheit des einzelnen geht mit seiner Bereitschaft Hand in Hand, das Unumgängliche zu akzeptieren, denn erst Systeme, die das Faktum der Notwendigkeit in ihren Aufbau adsorbieren, werden nach außen hin frei.
Solange ein Tier, abgesehen von ein paar kleinen Schwankungen, immer nur tut, was seiner Art schon seit Alters her gemäß ist, ist der Kontakt zu seiner Umwelt kein Thema, um das es sich eigens scheren müsste. Das Tier und sein Kontext bleiben eine verschmolzene Einheit, in der sich die Frage erübrigt, ob das einzelne Tier seinem Umfeld verantwortlich begegnet oder nicht.
Das bewusste Ich kann jedoch nur als ein Phänomen verstanden werden, das einem Du begegnet und das sich in der Begegnung zwischen Solidarität und Rivalität aktiv entscheidet. Sobald die Freiheit eines Organismus also jenen Grad erreicht, ab dem seine individuelle Autonomie sich zum Bewusstsein eines Ichs eröffnet, öffnet sich im gleichen Zuge die jedes Ich stets plagende Frage, wie es im Interesse seiner Freiheit den Kontakt zu jener Umwelt gestaltet, in der und von der es frei wird. Das Ich muss sich entscheiden, wann es gegen die Umwelt und wann es nur mit ihr frei sein kann. Die Form seines Kontaktes zur Umwelt entscheidet dabei, inwieweit sich die Freiheit, die es erringt, mit den Notwendigkeiten des Kontextes vereinen lässt. Da das Ich einst aus dem Kontext entstanden ist, führt ein Versuch, sich ohne Rücksicht auf seinen Ursprung aus den Fesseln zu befreien, zu Verwirbelungen in ihm selbst, die seine Kraft zum Ausbruch in unauflöslichen Widersprüchen versickern lassen und zwar in dem Maße, wie es gegen die Regeln der Einbindung verstößt.
Da alle Ichs aus demselben Kontext entstanden sind, in den sich das Selbst jedes Ich erstreckt, kann sich das Ich zwar durchaus ohne Schaden gegen ein anderes stellen, nicht aber gegen das Selbst dieses anderen Ich. Die Freiheit des Ichs kann nur nachhaltig wachsen,soweit es die Freiheit des Du damit fördert.
Trotz seiner prinzipiellen Freiheit ist das Ich durch den Egoismus seiner Perspektiven eingeengt. Das Ich erkennt nicht, dass es tatsächlich erst frei würde, wenn es sein Selbst und den vom Selbst durchtränkten Kontext als sein wahres Interesse erkennt. Meist denkt es zu viel ans Rivalisieren. Da es sich so immer ein wenig im Krieg befindet, beschließt es, den Fluss der Information zum Bewusstsein im egozentrischen Interesse zu zensieren. Das Ich verteidigt seine Position durch die Beengung des Bewusstseins. Wo käme es denn auch hin, wenn es die Informationen, die durch den Leichtsinn der Sinne angeliefert werden, nicht nach ihrem subjektivem Wert sortieren würde und wenn es nicht einfach aussortierte, was nicht zu ihm passt! So unterwirft es das Bewusstsein, das sich auf Befehl des Ichs mit diesem gleichsetzt.
Das Bewustsein neigt jedoch dazu, Neues aufzunehmen und da es mit jeder Verknüpfung des Neuen mit dem bisherigen Gewebe verstandener Bezüge wächst, droht es aus seiner immanenten Dynamik heraus, die einmal geronnenen Strukturen des Ichs zu sprengen und seinen Vormund zu entmachten.
So braucht das Bewusstsein zwar ein Ich, damit in dessen Egoismus die Idee der Freiheit entsteht, zur Verwirklichung echter Freiheit muss das Bewusstsein das Ich und dessen Motive jedoch übersteigen. Erst wenn das Bewusstsein das Spielbrett der Bauern, Springer und Türme verlässt und sich mit dem Kontext füllt, kann es eine königliche Subjektivität empfinden, die dem Abgrund der echten Trennung standhält.