Mittel zur Phasenprophylaxe / Stimmungsstabilisatoren


  1. Einsatzgebiete
  2. Gängige Substanzen
  3. Dosierung und Wirkstoffspiegel
  4. Wechselwirkungen
  5. Routineuntersuchungen
  6. Einnahmezeitpunkte
  7. Schwangerschaft und Stillzeit
Bitte beachten Sie die Allgemeinen Hinweise über den Umgang mit Psychopharmaka.

Treffen Sie Entscheidungen über den Umgang mit Psychopharmaka ausschließlich in Rücksprache mit dem behandelnden Arzt.

Schwangerschaft, Stillzeit, Verhütung

Frauen, die Lithium, Valproinsäure, Carbamazepin oder Lamotrigin einnehmen, sollten verhüten. Bei allen vier Sub­stanzen ist ein teratogenes Risiko bekannt. Werden sie in der Schwanger­schaft eingenommen, besteht eine erhöhte Gefahr von Fruchtschäden.

Laut ⇗EURAP-Register (pdf) ist die Missbildungsrate besonders bei der Behandlung mit Valproinsäure dosisabhängig stark erhöht. Bei hoher Dosierung reicht sie an 25% heran. Aber auch bei der Behandlung mit Carbamazepin und Lamotrigin ist von einer Missbildungsgefahr auszugehen, die mit der Dosierung steigt.

Valproinsäure, Carbamazepin und vermutlich auch Lamotrigin können darüber hinaus die Wirkung der Pille abschwächen. Frauen, die solche Medikamente einnehmen, sollten ihre Verhütungsmethode überdenken. Am besten verzichten Frauen im gebärfähigen Alter auf Valproinsäure ganz; erst recht, wenn Kinderwunsch besteht.

1. Einsatzgebiete

Der Sinn einer vorbeugenden Medikation wird von vielen Patienten unterschätzt.

Depressionen, bei deren Entstehung anlage­bedingte Faktoren eine große Rolle spielen, treten im Laufe des Lebens häufig mehrfach auf.

Gleiches gilt für die Phasen der Bipolaren Störung. Dabei wechseln sich depres­sive und manische Phasen ab. Um solchen Phasen vorzubeugen, kann man Mittel zur Phasenprophylaxe einsetzen. Häufig verwendet werden Lithium, Valproinsäure, Carbamazepin und Lamotrigin. Auch Olanzapin und Quetiapin können - vor allem zur Vorbeugung maniformer Phasen - eingesetzt werden.

2. Gängige Substanzen

2.1. Lithium

Lithium kann die Häufigkeit und Ausprägung von manischen aber auch von depressiven Phasen eindrucksvoll mindern. Es gilt daher gemäß ⇗S3-Leitlinie der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde) als Mittel der ersten Wahl zur Vorbeugung wiederkehrender affektiver Störungen (Stand 2020). Da jedoch schon geringe Überdosierungen zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen können, setzt die Behandlung nicht nur einen gewissenhaften Umgang des Patienten mit der Medikation voraus, sondern auch spezielle medizinische Vor- und Kontrolluntersuchungen. Dazu gehören:

Unter Lithiumtherapie sollte der Patient auf Folgendes achten:

Vorsicht

Setzt man Lithium plötzlich ab, ist die Gefahr von Rückfällen besonders hoch. Besteht kein Grund dazu, das Medikament plötzlich abzusetzen, sollte eine Lithium-Behandlung ausschleichend beendet werden.
Typische Nebenwirkungen
Unter Lithium kann eine ganze Reihe Nebenwirkungen auftreten.

Lithium hat nur eine geringe therapeutische Breite. Darunter versteht man das Dosierungsfenster, bei dem der Blutspiegel hoch genug ist, um zu wirken, aber nicht so hoch, dass gefährliche Nebenwirkungen entstehen. Mit anderen Worten: Von der Wirkungslosigkeit bis zur Vergiftung ist es nicht weit. Ab 1,5 mmol/ Liter drohen Vergiftungserscheinungen. Werte über 3 mmol/Liter können tödlich enden.

Sofortmaßnahmen bei Lithium-Vergiftung

  • absetzen
  • viel trinken
  • zum Arzt gehen

Bei der Lithiumvergiftung kommt es zu...

Wenn solche Symptome auftreten, sollte man das Medikament absetzen, viel trinken und sich in ärztliche Behandlung begeben.

Anwendungsbeschränkungen / Kontraindikationen

Bei einer Reihe von Krankheiten und Umständen ist das Risiko gefährlicher Nebenwir­kungen so groß, dass man Lithium möglichst ganz vermeiden sollte. Dazu gehören:

2.2. Valproinsäure (Valproat)

Valproinsäure ist eigentlich ein Mittel gegen Epilepsie. Es kann aber auch zur Behand­lung manischer Phasen und zur Verhütung depressiver und manischer Phasen einge­setzt werden. Bei häufigen Phasenwechseln in der Vorgeschichte ist es einer Prophy­laxe durch Lithium oft überlegen.

Typische Nebenwirkungen

Wie alle Medikamente kann auch Valproinsäure eine Reihe von Nebenwirkungen verur­sachen. Dazu gehören:

Anwendungsbeschränkungen / Kontraindikationen
Wegen der Gefahr schwerer Nebenwirkungen sollte Valproinsäure unter anderem bei folgenden Erkrankungen vermieden werden:
2.3. Carbamazepin

Auch das Antiepileptikum Carbamazepin ist zur Phasenprophylaxe bipolarer Störungen zugelassen; wenn eine Behandlung mit Lithium nicht infrage kommt.

Typische Nebenwirkungen
Anwendungsbeschränkungen / Kontraindikationen
2.4. Lamotrigin

Das Antiepileptikum Lamotrigin ist besonders zur Vorbeugung depressiver Phasen geeignet, vor allem, wenn es zu raschen Phasenwechseln (rapid cycling) kommt. Die Eindosierung des Lamotrigins sollte extrem langsam erfolgen (beginnend mit 25 mg), da es sonst zu schweren Hautreaktionen kommen kann.

Typische Nebenwirkungen
Anwendungsbeschränkungen / Kontraindikationen
2.5. Olanzapin

Olanzapin ist ein atypisches Neuroleptikum. Es kann auch zur Phasenprophylaxe bei der Bipolaren Störung eingesetzt werden; und zwar dann, wenn eine manische Episode auf Olanzapin angesprochen hat und das Medikament bei langfristiger Anwendung gut ver­tragen wird.

Anders als bei Neuroleptika spielt die Messung der Wirkstoffspiegel der Stimmungsstabilisatoren eine wichtige Rolle; vor allem, wenn die Wirkung zu wünschen übrig lässt.
2.6. Quetiapin

Auch das ebenfalls atypische Neuroleptikum Quetiapin ist als Alternative zu den Stimmungsstabilisatoren einsetzbar; sowohl zur Vorbeugung maniformer, als auch zur Vorbeugung schwerer depressiver Phasen.

3. Dosierung und Wirkstoffspiegel

Dosierung und Wirkstoffspiegel der Stimmungsstabilisatoren

Dosierung
mg/Tag
Therapeu­tischer Spiegel
mg/l
Bemerkung
Lithium 400-1000 0,5-1,2 mmol/l Enges therapeutisches Fenster
Valproin­säure 1000-2000 50-100 mg/l Hohes Risiko für das ungeborene Kind
Carbama­zepin 200-800 6-12 mg/l Beschleunigt den Abbau vieler Medikamente
Lamo­trigin 100-400 3-14 mg/l Sehr langsam aufdosieren!

4. Wechselwirkungen

Bei der Behandlung der manisch-depressiven Erkrankung durch Stimmungsstabilisatoren kommt es oft zur Kombination mit anderen Medikamenten. Daher ist auf mögliche Wechselwirkungen zu achten.

5. Routineuntersuchungen

Um die Gefahr gefährlicher Nebenwirkungen zu vermindern, ist es sinnvoll, vor und während einer Behandlung mit Stimmungsstabilisatoren Routineuntersuchungen durchzuführen. Art und Häufigkeit hängen von der eingesetzten Substanz ab.

Wohlgemerkt

Die empfehlenswerte Häufigkeit von Routineuntersuchungen ist nur teilweise empirisch belegt. Teils beruhen die Empfehlungen auf subjektiven Einschätzungen erfahrener Kliniker. Die tatsächliche Häufigkeit wird im Einzelfall zwischen Arzt und Patient vereinbart.

Folgende Tabelle gibt einen Überblick empfohlener Untersuchungen (Modifiziert gemäß Otto Benkert und Hanns Hippius: Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie, Springer 2009).

Routineuntersuchungen beim Einsatz von Stimmungsstabilisatoren
Monate
vor Beginn 1. 2. 3. 4.-5. 6. ab dann
Carbamazepin
Blutbild x xxxx x x x x alle drei Monate [1]
Leberwerte
GOT, GPT, y-GT
xxxx x x x x x alle drei Monate [1]
Nierenwert
Kreatinin
x x x jährlich
Elektrolyte
Natrium, Kalium, Calcium
x x x x x x alle drei Monate [1]
EKG x x x jährlich
EEG (x) jährlich [2]
Carbamazepinspiegel im Blut xx x x x x alle drei Monate [3]
Lamotrigin
Blutbild x x jährlich
Leberwerte
GOT, GPT, y-GT
x x x x jährlich
Nierenwert
Kreatinin
x x jährlich
EKG (x) (x) (jährlich)
EEG (x) x jährlich [2]
Lithium
Lithiumspiegel im Blut xxxx x x x x alle drei Monate [4]
Nierenwert
Kreatinin
x xxxx x x x x alle drei Monate
Nierenfunktion Kreatinin-Clearence x jährlich [5]
Serumelektrolyte
Natrium, Kalium, Calcium
x x x
Schilddrüsenwerte
T3,T4,TSH
x x x x jährlich
Leberwerte
GOT, GPT, y-GT
x 3.
Wo­che
6.
Wo­che
12.
Wo­che
24.
Wo­che
alle drei Monate
EEG x x x jährlich [6]
EKG x x jährlich
Gewicht, Halsumfang x x x alle drei Monate
Valproinsäure
Blutbild x x monatlich bei auffälligen Vorbefunden alle drei Monate [1]
Leberwerte
GOT, GPT, y-GT, Bilirubin
x x monatlich bei auffälligen Vorbefunden alle drei Monate [1]
Nierenwert
Kreatinin
x x monatlich bei auffälligen Vorbefunden alle drei Monate [1]
Pankreaswerte
Amylase, Lipase
x x monatlich bei auffälligen Vorbefunden alle drei Monate [1]
Blutgerinnung
Quick, PPT, Fribrinogen, Faktor VIII
x x monatlich bei auffälligen Vorbefunden alle drei Monate [1]
EKG (x) (x) (jährlich)
EEG (x) jährlich [2]
Valproinsäure-spiegel im Blut xx x x x x alle drei Monate [3]

6. Einnahmezeitpunkte

Um bei guter Verträglichkeit die beste Wirkung zu erzielen, ist es oft sinnvoll, bei der Behandlung mit Psychopharmaka auf das zeitliche Verhältnis zwischen Einnahme und Nahrungsaufnahme zu achten. Vor allem sedierende Substanzen nimmt man besser abends oder zur Nacht. Für Stimmungsstabilisatoren werden Richtlinien genannt.

Nahrungsaufnahme und Einnahmezeitpunkt

Substanz Verhältnis...
... zur Nahrungs­aufnahme ... zur Tageszeit
Lithium unabhängig von der Nahrungsauf­nahme, aber mit genügend Flüssigkeit immer zur selben Tageszeit
Valproin­säure nicht retardierte Form: zur Nahrungs­aufnahme
retardierte Form: unabhängig von der Nahrungsaufnahme
Carbama­zepin zur oder kurz nach der Nahrungsaufnahme
Lamo­trigin unabhängig von der Nahrungs­aufnahme
Olan­zapin unabhängig von der Nahrungsaufnahme Hauptdosis abends
Queti­apin unabhängig von der Nahrungsaufnahme Hauptdosis abends

7. Schwangerschaft und Stillzeit

Wie bei anderen Psychopharmaka ist beim Einsatz von Stimmungsstabilisatoren in Schwangerschaft und Stillzeit Vorsicht geboten. Das gilt insbesondere für Valproat und Carbamazepin, in geringerem Maße aber auch für die übrigen.

Das teratogene Risiko der Lithiumsalze wird heute (2020) als geringfügig eingeschätzt (⇗embryotox.de), sodass eine Fortsetzung der Behandlung bei Schwangeren im Regelfall vertretbar ist. Über die Muttermilch erreicht Lithium den Organismus des Säuglings. Bislang wurden bei gestillten Kindern nur wenig Probleme beobachtet, sodass bei besonderer Überwachung des Säuglings gestillt werden kann. Da sich solche Einschätzungen ändern können, sollte man sich bei entsprechender Indikation stets über die aktuellste Einschätzung informieren.

Stimmungsstabilisierende Substanzen in Schwangerschaft und Stillzeit

Subs­tanz Teratogenes Risiko Anwendung in der Stillzeit
Lithium Das Risiko von Fruchtschäden gilt heute als gering. Die Fortsetzung der Behandlung ist in der Schwanger­schaft akzeptabel. Geht in die Muttermilch über. Stillen nicht grundsätzlich kontraindiziert.
Valproin­säure Sehr hohes dosis­abhängiges Risiko. In der Schwanger­schaft kontraindiziert. Geht in geringem Maße in die Muttermilch über. Stillen möglich.
Carba­mazepin Hohes dosis­abhängiges Risiko. In der Schwanger­schaft kontraindiziert. Geht kaum in die Muttermilch über. Stillen akzeptabel.
Lamo­trigin Keine eindeutigen Hinweise auf teratogenes Risiko bei Dosierung bis 200 mg. Risiko bei höherer Dosierung vermutlich leicht erhöht [7]. Wird bei Epilepsie für Schwangere empfohlen. Geht in Muttermilch über. Bislang wenig Auffällig­keiten bei gestillten Kindern bekannt. Stillen akzeptabel.
Olan­zapin Bislang nur vereinzelte Hinweise auf teratogenes Risiko. Bislang keine Hinweise auf Schäden bei gestillten Kindern. Wegen geringer Erfahrung Stillen unter Vorbehalt akzeptabel.
Queti­apin Gilt in der Schwanger­schaft als Neuro­leptikum der ersten Wahl. Stillen unter Vorbehalt akzeptabel.

Diese Tabelle kann mit der Zeit veralten. Alle Angaben sind daher ohne Gewähr. Besprechen Sie jede Medikation in Schwangerschaft und Stillzeit mit Ihrem behandelnden Arzt.


  1. Bei unauffälligen Werten im Vorbefund können halbjährliche Kontrollen ausreichen. (laut Benkert & Hippius)
  2. Bei Kombination mit möglicherweise hirnschädigenden Substanzen. Bei fehlenden Risikohinweisen auch deutlich seltener.
  3. Halbjährlich bei stabiler Einstellung.
  4. Bei Risikokonstellationen (zum Beispiel Fieber oder Durchfallerkrankungen) sowie bei Nebenwirkungen (zum Beispiel Zittern oder Verwirrtheit) auch öfter.
  5. Bei älteren Patienten eventuell öfter.
  6. Bei Kombinationen mit hirnschädigenden Substanzen auch öfter. Bei fehlenden Risikohinweisen auch deutlich seltener (laut Benkert & Hippius).

    Die S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Bipolaren Störung von 2012 [Verfasser: AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) im Konsens mit der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS) und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), abgerufen am 24.11.2018] benennt keine Notwendigkeit von EEG-Routinekontrollen unter laufender Behandlung mit Lithium. Laut Produktinformation von Hypnorex ret. sollten EEG-Kontrollen "bei Bedarf" erfolgen.

  7. Fauser, Susanne: Antiepileptika in der Schwangerschaft, Neurologie / Psychiatrie August 2015, Biermann Medizin