Schwangerschaft, Stillzeit, Verhütung
Frauen, die Lithium, Valproinsäure, Carbamazepin oder Lamotrigin einnehmen, sollten verhüten. Bei allen vier Substanzen ist ein teratogenes Risiko bekannt. Werden sie in der Schwangerschaft eingenommen, besteht eine erhöhte Gefahr von Fruchtschäden.Laut ⇗EURAP-Register (pdf) ist die Missbildungsrate besonders bei der Behandlung mit Valproinsäure dosisabhängig stark erhöht. Bei hoher Dosierung reicht sie an 25% heran. Aber auch bei der Behandlung mit Carbamazepin und Lamotrigin ist von einer Missbildungsgefahr auszugehen, die mit der Dosierung steigt.
Valproinsäure, Carbamazepin und vermutlich auch Lamotrigin können darüber hinaus die Wirkung der Pille abschwächen. Frauen, die solche Medikamente einnehmen, sollten ihre Verhütungsmethode überdenken. Am besten verzichten Frauen im gebärfähigen Alter auf Valproinsäure ganz; erst recht, wenn Kinderwunsch besteht.
Depressionen, bei deren Entstehung anlagebedingte Faktoren eine große Rolle spielen, treten im Laufe des Lebens häufig mehrfach auf.
Gleiches gilt für die Phasen der Bipolaren Störung. Dabei wechseln sich depressive und manische Phasen ab. Um solchen Phasen vorzubeugen, kann man Mittel zur Phasenprophylaxe einsetzen. Häufig verwendet werden Lithium, Valproinsäure, Carbamazepin und Lamotrigin. Auch Olanzapin und Quetiapin können - vor allem zur Vorbeugung maniformer Phasen - eingesetzt werden.
Lithium kann die Häufigkeit und Ausprägung von manischen aber auch von depressiven Phasen eindrucksvoll mindern. Es gilt daher gemäß ⇗S3-Leitlinie der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde) als Mittel der ersten Wahl zur Vorbeugung wiederkehrender affektiver Störungen (Stand 2020). Da jedoch schon geringe Überdosierungen zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen können, setzt die Behandlung nicht nur einen gewissenhaften Umgang des Patienten mit der Medikation voraus, sondern auch spezielle medizinische Vor- und Kontrolluntersuchungen. Dazu gehören:
Die Kreatinin-Clearence, also die Fähigkeit der Niere, Kreatinin auszuscheiden, wird heute meist nicht im Sammelurin, sondern durch Annäherungsformeln bestimmt. Gängig sind die MDRD- und die Cockcroft-Gault-Formel.
Das therapeutische Fenster liegt zwischen 0,5-1,2 mmol/Liter. Für vorbeugende Zwecke sind 0,5-0,8 mmol/Liter meist ausreichend. Kontrollwerte sollten morgens, vor der morgendlichen Tabletteneinnahme ermittelt werden. In der Einstellungsphase sind häufigere Kontrollen sinnvoll, später sind drei-monatliche Kontrollen üblich, bei Wirkungslosigkeit oder starken Nebenwirkungen öfter.
Unter Lithiumtherapie sollte der Patient auf Folgendes achten:
Vorsicht
Setzt man Lithium plötzlich ab, ist die Gefahr von Rückfällen besonders hoch. Besteht kein Grund dazu, das Medikament plötzlich abzusetzen, sollte eine Lithium-Behandlung ausschleichend beendet werden.Zu den häufigen Nebenwirkungen zählen...
Zu den möglicherweise gefährlichen Nebenwirkungen zählen...
Lithium hat nur eine geringe therapeutische Breite. Darunter versteht man das Dosierungsfenster, bei dem der Blutspiegel hoch genug ist, um zu wirken, aber nicht so hoch, dass gefährliche Nebenwirkungen entstehen. Mit anderen Worten: Von der Wirkungslosigkeit bis zur Vergiftung ist es nicht weit. Ab 1,5 mmol/ Liter drohen Vergiftungserscheinungen. Werte über 3 mmol/Liter können tödlich enden.
Sofortmaßnahmen bei Lithium-Vergiftung
Bei der Lithiumvergiftung kommt es zu...
Wenn solche Symptome auftreten, sollte man das Medikament absetzen, viel trinken und sich in ärztliche Behandlung begeben.
Bei einer Reihe von Krankheiten und Umständen ist das Risiko gefährlicher Nebenwirkungen so groß, dass man Lithium möglichst ganz vermeiden sollte. Dazu gehören:
Valproinsäure ist eigentlich ein Mittel gegen Epilepsie. Es kann aber auch zur Behandlung manischer Phasen und zur Verhütung depressiver und manischer Phasen eingesetzt werden. Bei häufigen Phasenwechseln in der Vorgeschichte ist es einer Prophylaxe durch Lithium oft überlegen.
Wie alle Medikamente kann auch Valproinsäure eine Reihe von Nebenwirkungen verursachen. Dazu gehören:
Auch das Antiepileptikum Carbamazepin ist zur Phasenprophylaxe bipolarer Störungen zugelassen; wenn eine Behandlung mit Lithium nicht infrage kommt.
Das Antiepileptikum Lamotrigin ist besonders zur Vorbeugung depressiver Phasen geeignet, vor allem, wenn es zu raschen Phasenwechseln (rapid cycling) kommt. Die Eindosierung des Lamotrigins sollte extrem langsam erfolgen (beginnend mit 25 mg), da es sonst zu schweren Hautreaktionen kommen kann.
Olanzapin ist ein atypisches Neuroleptikum. Es kann auch zur Phasenprophylaxe bei der Bipolaren Störung eingesetzt werden; und zwar dann, wenn eine manische Episode auf Olanzapin angesprochen hat und das Medikament bei langfristiger Anwendung gut vertragen wird.
Auch das ebenfalls atypische Neuroleptikum Quetiapin ist als Alternative zu den Stimmungsstabilisatoren einsetzbar; sowohl zur Vorbeugung maniformer, als auch zur Vorbeugung schwerer depressiver Phasen.
Dosierung und Wirkstoffspiegel der Stimmungsstabilisatoren
Dosierung mg/Tag |
Therapeutischer Spiegel mg/l |
Bemerkung | |
Lithium | 400-1000 | 0,5-1,2 mmol/l | Enges therapeutisches Fenster |
Valproinsäure | 1000-2000 | 50-100 mg/l | Hohes Risiko für das ungeborene Kind |
Carbamazepin | 200-800 | 6-12 mg/l | Beschleunigt den Abbau vieler Medikamente |
Lamotrigin | 100-400 | 3-14 mg/l | Sehr langsam aufdosieren! |
Bei der Behandlung der manisch-depressiven Erkrankung durch Stimmungsstabilisatoren kommt es oft zur Kombination mit anderen Medikamenten. Daher ist auf mögliche Wechselwirkungen zu achten.
Um die Gefahr gefährlicher Nebenwirkungen zu vermindern, ist es sinnvoll, vor und während einer Behandlung mit Stimmungsstabilisatoren Routineuntersuchungen durchzuführen. Art und Häufigkeit hängen von der eingesetzten Substanz ab.
Wohlgemerkt
Die empfehlenswerte Häufigkeit von Routineuntersuchungen ist nur teilweise empirisch belegt. Teils beruhen die Empfehlungen auf subjektiven Einschätzungen erfahrener Kliniker. Die tatsächliche Häufigkeit wird im Einzelfall zwischen Arzt und Patient vereinbart.
Folgende Tabelle gibt einen Überblick empfohlener Untersuchungen (Modifiziert gemäß Otto Benkert und Hanns Hippius: Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie, Springer 2009).
Routineuntersuchungen beim Einsatz von Stimmungsstabilisatoren | |||||||
Monate | |||||||
vor Beginn | 1. | 2. | 3. | 4.-5. | 6. | ab dann | |
Carbamazepin | |||||||
Blutbild | x | xxxx | x | x | x | x | alle drei Monate [1] |
Leberwerte GOT, GPT, y-GT |
xxxx | x | x | x | x | x | alle drei Monate [1] |
Nierenwert Kreatinin |
x | x | x | jährlich | |||
Elektrolyte Natrium, Kalium, Calcium |
x | x | x | x | x | x | alle drei Monate [1] |
EKG | x | x | x | jährlich | |||
EEG | (x) | jährlich [2] | |||||
Carbamazepinspiegel im Blut | xx | x | x | x | x | alle drei Monate [3] | |
Lamotrigin | |||||||
Blutbild | x | x | jährlich | ||||
Leberwerte GOT, GPT, y-GT |
x | x | x | x | jährlich | ||
Nierenwert Kreatinin |
x | x | jährlich | ||||
EKG | (x) | (x) | (jährlich) | ||||
EEG | (x) | x | jährlich [2] | ||||
Lithium | |||||||
Lithiumspiegel im Blut | xxxx | x | x | x | x | alle drei Monate [4] | |
Nierenwert Kreatinin |
x | xxxx | x | x | x | x | alle drei Monate |
Nierenfunktion Kreatinin-Clearence | x | jährlich [5] | |||||
Serumelektrolyte Natrium, Kalium, Calcium |
x | x | x | ||||
Schilddrüsenwerte T3,T4,TSH |
x | x | x | x | jährlich | ||
Leberwerte GOT, GPT, y-GT |
x | 3. Woche |
6. Woche |
12. Woche |
24. Woche |
alle drei Monate | |
EEG | x | x | x | jährlich [6] | |||
EKG | x | x | jährlich | ||||
Gewicht, Halsumfang | x | x | x | alle drei Monate | |||
Valproinsäure | |||||||
Blutbild | x | x | monatlich bei auffälligen Vorbefunden | alle drei Monate [1] | |||
Leberwerte GOT, GPT, y-GT, Bilirubin |
x | x | monatlich bei auffälligen Vorbefunden | alle drei Monate [1] | |||
Nierenwert Kreatinin |
x | x | monatlich bei auffälligen Vorbefunden | alle drei Monate [1] | |||
Pankreaswerte Amylase, Lipase |
x | x | monatlich bei auffälligen Vorbefunden | alle drei Monate [1] | |||
Blutgerinnung Quick, PPT, Fribrinogen, Faktor VIII |
x | x | monatlich bei auffälligen Vorbefunden | alle drei Monate [1] | |||
EKG | (x) | (x) | (jährlich) | ||||
EEG | (x) | jährlich [2] | |||||
Valproinsäure-spiegel im Blut | xx | x | x | x | x | alle drei Monate [3] |
Um bei guter Verträglichkeit die beste Wirkung zu erzielen, ist es oft sinnvoll, bei der Behandlung mit Psychopharmaka auf das zeitliche Verhältnis zwischen Einnahme und Nahrungsaufnahme zu achten. Vor allem sedierende Substanzen nimmt man besser abends oder zur Nacht. Für Stimmungsstabilisatoren werden Richtlinien genannt.
Nahrungsaufnahme und Einnahmezeitpunkt
Substanz | Verhältnis... | |
... zur Nahrungsaufnahme | ... zur Tageszeit | |
Lithium | unabhängig von der Nahrungsaufnahme, aber mit genügend Flüssigkeit | immer zur selben Tageszeit |
Valproinsäure | nicht retardierte Form: zur Nahrungsaufnahme retardierte Form: unabhängig von der Nahrungsaufnahme |
|
Carbamazepin | zur oder kurz nach der Nahrungsaufnahme | |
Lamotrigin | unabhängig von der Nahrungsaufnahme | |
Olanzapin | unabhängig von der Nahrungsaufnahme | Hauptdosis abends |
Quetiapin | unabhängig von der Nahrungsaufnahme | Hauptdosis abends |
Wie bei anderen Psychopharmaka ist beim Einsatz von Stimmungsstabilisatoren in Schwangerschaft und Stillzeit Vorsicht geboten. Das gilt insbesondere für Valproat und Carbamazepin, in geringerem Maße aber auch für die übrigen.
Das teratogene Risiko der Lithiumsalze wird heute (2020) als geringfügig eingeschätzt (⇗embryotox.de), sodass eine Fortsetzung der Behandlung bei Schwangeren im Regelfall vertretbar ist. Über die Muttermilch erreicht Lithium den Organismus des Säuglings. Bislang wurden bei gestillten Kindern nur wenig Probleme beobachtet, sodass bei besonderer Überwachung des Säuglings gestillt werden kann. Da sich solche Einschätzungen ändern können, sollte man sich bei entsprechender Indikation stets über die aktuellste Einschätzung informieren.
Stimmungsstabilisierende Substanzen in Schwangerschaft und Stillzeit
Substanz | Teratogenes Risiko | Anwendung in der Stillzeit |
Lithium | Das Risiko von Fruchtschäden gilt heute als gering. Die Fortsetzung der Behandlung ist in der Schwangerschaft akzeptabel. | Geht in die Muttermilch über. Stillen nicht grundsätzlich kontraindiziert. |
Valproinsäure | Sehr hohes dosisabhängiges Risiko. In der Schwangerschaft kontraindiziert. | Geht in geringem Maße in die Muttermilch über. Stillen möglich. |
Carbamazepin | Hohes dosisabhängiges Risiko. In der Schwangerschaft kontraindiziert. | Geht kaum in die Muttermilch über. Stillen akzeptabel. |
Lamotrigin | Keine eindeutigen Hinweise auf teratogenes Risiko bei Dosierung bis 200 mg. Risiko bei höherer Dosierung vermutlich leicht erhöht [7]. Wird bei Epilepsie für Schwangere empfohlen. | Geht in Muttermilch über. Bislang wenig Auffälligkeiten bei gestillten Kindern bekannt. Stillen akzeptabel. |
Olanzapin | Bislang nur vereinzelte Hinweise auf teratogenes Risiko. | Bislang keine Hinweise auf Schäden bei gestillten Kindern. Wegen geringer Erfahrung Stillen unter Vorbehalt akzeptabel. |
Quetiapin | Gilt in der Schwangerschaft als Neuroleptikum der ersten Wahl. | Stillen unter Vorbehalt akzeptabel. |
Diese Tabelle kann mit der Zeit veralten. Alle Angaben sind daher ohne Gewähr. Besprechen Sie jede Medikation in Schwangerschaft und Stillzeit mit Ihrem behandelnden Arzt.
Die S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Bipolaren Störung von 2012 [Verfasser: AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) im Konsens mit der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS) und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), abgerufen am 24.11.2018] benennt keine Notwendigkeit von EEG-Routinekontrollen unter laufender Behandlung mit Lithium. Laut Produktinformation von Hypnorex ret. sollten EEG-Kontrollen "bei Bedarf" erfolgen.