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Seele und Gesundheit |
Zu den großen Übeln, die das Zusammenleben vergiften, gehört die Abwertung anderer. Im soziologischen Sprachgebrauch wird der Begriff Diskriminierung verwendet.
Diskriminierung geht auf das lateinische Verb discriminare = trennen, absondern, ausgrenzen, unterscheiden zurück. Die primäre Bedeutung des Verbs fußt auf der Unterscheidung. Es ist klar: Erst, wenn das eine vom anderen unterschieden wurde, kann getrennt und abgesondert werden.
Unterscheidung an sich ist eine wertneutrale Aktivität des Geistes. Der Geist unterscheidet zwischen rot und gelb, Wasser und Öl, Polnisch und Chinesisch. Erst, wenn er im nächsten Schritt eine Bewertung vornimmt, verwandelt sich die wertneutrale Unterscheidung zu einer Aussage mit abwertender Komponente:
Was gesellschaftspolitisch als Diskriminierung bezeichnet und zurecht verurteilt wird, ist nicht die Unterscheidung an sich, sondern ihr Missbrauch zum Zwecke der Abwertung. Nicht die Unterscheidung ist schädlich, sondern ihre Verwendung zu unredlichen Absichten. Unterscheidung an sich ist eine so zentrale Komponente geistiger Aktivität, dass ein Geist, der nicht unterscheidet, schwer vorstellbar ist. Was sollte das für ein Geist sein, der keine Unterschiede erkennt und berücksichtigt?
Abwertungen sind zu vermeiden, das Potenzial der Unterscheidung zu verwerfen, kann auf Dauer aber keine Lösung sein. Im Gegenteil: Es ist gefährlich, weil es darauf verzichtet, Realitäten anzuerkennen, über die der Mensch nicht beliebig verfügen kann.
Diskriminierung ersten und zweiten Grades
| wertneutral | abwertend |
| Unterschiede werden anerkannt und weise berücksichtigt. | Unterschiede werden zu abwertenden Zwecken tendenziös fehlgedeutet. |
| Dominanz des Verstandes | Dominanz der Gefühle |
Was ein kluger Gärtner aus Erfahrung weiß: Tomaten und Kartoffeln gedeihen nicht im gleichen Beet. Trotzdem ist keine der Pflanzen besser als die andere. Was im Garten als Erfahrungswissen gelten darf - dass manches passt und manches nicht - gilt bei der Lenkung moderner Gesellschaften als Tabu. Der Schaden wird im Herbst zu ernten sein.
In der politischen Diskussion spielen Affekte eine große Rolle. Der nüchterne Verstand wird dadurch an der Arbeit gehindert. Das liegt an der psychologischen Grundstruktur des Menschen. Sie ruht auf drei Säulen:
Kaum ein Mensch, der noch nie erlebt hat, wie er missachtet wurde. Kaum ein Mensch, der sich noch nie ausgegrenzt gefühlt hat. Kaum ein Mensch, der noch nie erlebt hätte, wie ihm das Recht, über sich selbst zu bestimmen, vorenthalten wurde. Dementsprechend empfindlich reagieren Menschen, wenn die Erfüllung eines oder gar aller drei der genannten Bedürfnisse infrage gestellt wird.
Da diese Erfahrungen allen gemeinsam sind, kommt es bei der Begegnung unterschiedlicher Gruppen rasch zu Polarisierungen, durch die sich die Gruppen weiter voneinander entfernen und sich aus der Distanz zunehmend entwerten.
Es macht keinen Sinn, die Polarisierung primär als bewusst böswilligen Akt aufzufassen. Das zu tun, spaltet noch mehr. Vielmehr ist sie ein soziodynamischer Effekt, der durch die Begegnung von Gruppen unterschiedlicher Eigendefinition spontan angestoßen wird. Je mehr Gruppen aufeinandertreffen, die ihre Eigendefinition in den Vordergrund stellen, und je unterschiedlicher diese Definitionen sind, desto mehr Polarisierung wird ausgelöst. Und weiter: Je mehr Polarisierung ausgelöst wird, desto mehr wird die Eigendefinition divergenter Gruppen verschärft, um die Zugehörigkeit, die außen verlorengeht, durch versteifte Kohärenz im Inneren zu ersetzen. Ein Teufelskreis entsteht.
Nur Menschen, die vollständig sie selbst sind, sind vor der Gefahr, sich zu polarisieren, gefeit. Solche Menschen sind eine Seltenheit.
Paradoxer Effekt
Zugehörigkeit ist synonym zur Geborgenheit in einer schützenden Gemeinschaft und die Schutzverheißung einer Gemeinschaft ist umso größer, je weniger Trennlinien darin erkennbar sind. Das Wort scheiden verweist aber auf Trennlinien, die zwischen Unterschiedlichem bestehen. Zugehörigkeit und Unterscheidung verhalten sich daher tendenziell gegenläufig. Wer jemals geschieden wurde weiß, was das heißt.
Menschen, deren Sehnsucht nach einem umfassenden Miteinander dominiert, neigen dazu, die Bedeutung kultureller Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen zu verleugnen; oft so heftig, dass sie all jenen, die an die Tragweite der Unterschiede glauben, böse Absichten unterstellen. Wer auf Unterschiede verweise oder bezweifele, dass sie überbrückbar sind, tue das mit der boshaften Absicht, Minderheiten auszugrenzen. So heißt es. Das führt zu einem paradoxen Effekt.
Während das eigentliche Ziel der Sehnsucht die Integration aller, ungeachtet ihrer Unterschiede, in eine intakte Gemeinschaft ist, führt die Ausgrenzung derer, die an der Realisierbarkeit zweifeln, zum Gegenteil. Die Gesellschaft wird tiefer gespalten, als sie es bis dahin war. Aggressionen erreichen Stufengrade, die man nicht mehr für möglich hielt.
Guter Wille allein befreit nicht von der Verantwortung, für das, was man tut. Wer weiße Geister ruft, dem Ruf statt weiße aber schwarze folgen, ist immer noch verantwortlich dafür, dass er rief. Das habe ich nicht gewollt, macht eine Vase nicht mehr ganz, wenn sie einem aus den Händen fiel. Bevor man eine Vase in die Hände nimmt, sollte man prüfen, ob man damit umgehen kann.