Diesseits der Atmung erscheinen die Dinge. Jenseits davon sind sie.

Sich selbst erfahren kann sich das Ich nur, wenn es das Interesse am Konkreten, das sein Dasein ausmacht, überwindet und sich auf dem Weg zur Selbsterfahrung verwirklicht. Dazu muss es über alles hinausgehen, wodurch es zur Person verkleinert wird.

Das Ich, das nicht die Ursache seines Daseins ist, ist etwas Gemachtes.

Der erste Schritt heißt nicht, auf ein Ziel zuzugehen, sondern wahrzunehmen, was geschieht.

Meditation

Ergänzende Bemerkungen


  1. Ausgangslage
  2. Inhalte des Bewusstseins
  3. Meditationsobjekte
  4. Praktische Anleitung
    1. 4.1. Leitidee
    2. 4.2. Was man braucht
    3. 4.3. Wie man es machen kann
    4. 4.4. Was man erkennen kann
    5. 4.5. Was man unterscheiden kann
    6. 4.6. Vertiefung
  5. Grundsätzliches Ziel

1. Ausgangslage

Das Ich entsteht, indem das Selbst als Person ins Dasein tritt. Als Person erfährt das Selbst ein Dasein, das an konkrete Bedingungen geknüpft und durch konkrete Horizonte begrenzt ist. Deshalb ist das Ich grundsätzlich interessiert. Interesse setzt sich aus den lateinischen Begriffen inter = zwischen und esse = sein zusammen. Das Ich ist an den Sachverhalten interessiert, zwischen die es durch sein Da-Sein, also durch die Festlegung des Ortes, an dem es erscheint, eingewoben ist.

Interesse kommt dem zu, was zwischen anderem ist, sich von diesem anderen unterscheidet und durch anderes eingegrenzt wird. Durch spirituelle Meditation versucht sich das Ich selbst zu erfahren. Das eigentliche Hindernis, auf das es dabei stößt, ist sein Interesse an dem, was mit seinem Dasein als konkrete Person an einem konkreten Ort in der Raumzeit zusammenhängt. Die Themen dieses Daseins füllen hartnäckig sein Bewusstsein und verhindern so, dass das Ich seinen Blick auf die Wirklichkeit über sich hinaus erweitert. Das Ich kann sein Interesse an dem, was es persönlich betrifft, kaum hinter sich lassen, da das persönliche Ich mit dem Interesse an dem zusammenfällt, was es ausmacht. Das persönliche Ich ist eine Reduktion des Selbst auf das, was sich selektiv für sich interessiert.

Spirituell kann sich das Ich nur erfahren, wenn es versteht, dass es als persönliches Ich, also als Ego, nur eine Erscheinung ist, die einem Du oder Es begegnet, tatsächlich aber ein Selbst, das das Du und das Es ebenso umfasst wie beide ihm zugrunde liegen. Spirituelle Erkenntnis befreit aus der Enge des Egos. Aus dem Interesse an den Objekten wird ein Interesse für die Objekte.

Atommodell
Man kann die Person mit einem Atom vergleichen. Das Atom besteht aus einem Kern und einer Wolke Elektronen, die den Kern in einer Schicht umkreisen. Der Kern der Person definiert den Ort, an dem sie sich aufhält. Um den Kern herum befindet sich eine Wolke kreisender Ideen, die der Kern durch mächtige Kräfte in einen geistigen Horizont bindet, der, verglichen mit der Weite jenseits davon, ebenso eng ist, wie die Schicht der Elektronen, die den Atomkern umkreisen. Der Geist kann den Raum jenseits dieses Horizonts nicht erkunden, solange er vom Kraftfeld des Kerns an dessen persönliche Interessen gebunden ist.

2. Inhalte des Bewusstseins

Beobachtet man den Inhalt des eigenen Bewusstseins, erkennt man dort verschiedene Elemente, die oft miteinander verknüpft sind:

  1. Wahrnehmungen, die durch Sensoren des Körpers vermittelt werden

    Sensorische Wahrnehmungen informieren über Zustände der Außenwelt oder den Funktionszustand des Körpers.

  2. Gedanken

    Gedanken beurteilen Qualität, Nutzwert und Gefahrenpotenzial des Wahrgenommenen oder sie entwerfen Modelle der Wirklichkeit; z. B. in Form phantasierter Dialoge bzw. vorgestellter Handlungsabläufe. Ihr Fokus kann auf persönliche Belange ausgerichtet sein oder auf die überpersönliche Struktur der Wirklichkeit.

  3. Gefühle und Stimmungen

    Gefühle und Stimmungen bewerten die Wirklichkeit, gemäß dem Bild, das sich der Geist zum Zeitpunkt der Bewertung von ihr macht.

  4. Impulse

    Impulse drängen dazu, Handlungen auszuführen, die in die Wirklichkeit eingreifen. Impulsen gehen bewusste oder unbewusste Urteile voraus. Sie können ihrerseits beurteilt werden.

  5. Urteile

    Urteile sind Bewertungen, die die Gedanken, Gefühle und Impulse gemäß der Kategorien richtig oder falsch bzw. gut oder böse einordnen. Urteile führen zu Meinungen über die Struktur der Wirklichkeit.

  6. Erinnerungen

    Erinnerungen sind bildhafte Darstellungen vergangener Erlebnisse. Sie entsprechen nicht 1:1 den tatsächlichen Ereignissen, sondern sind subjektiv mehr oder weniger stark überarbeitet.

Gedanken, sind vorübergehende Vorstellungen, die sich in immer neuen Varianten wiederholen und thematisch meist auf die Belange der eigenen Person verengt sind. Den Gedanken sind Gefühlsqualitäten zugeordnet, die das grundsätzliche Verhalten der Person durch Impulse, die der Gefühlsqualität entsprechen, in der Welt ausrichten.

Gefühl und Impuls

Im Modus des normalen Daseinsvollzugs wird das Bewusstsein durch eine kontinuierliche, ineinander verflochtene Abfolge von sensorischen Wahrnehmungen, Gedanken, Bewertungen, Gefühlen, Stimmungen und Impulsen ausgefüllt, die das Ich als unmittelbare Darstellung der Wirklichkeit deutet. Tatsächlich ist die Abfolge der Bewusstseinsinhalte aber ein Film, der aus flüchtigen Impressionen besteht. Er ist eine Wirklichkeitsdeutung und nicht die Wirklichkeit selbst. Als Hypothese steuert er die Person analog durch die Situationen, die sie zum jeweiligen Zeitpunkt durchquert.

Diese Steuerung ist weitgehend automatisiert. Die Entscheidungsprozesse, die dabei anfallen, werden nicht bewusst reflektiert, sondern anhand von Mustern vollzogen, die Ergebnis bisheriger Erfahrungen und daraus abgeleiteter Urteile sind. Nicht mehr reflektierte Urteile werden als Vorurteile bei der weiteren Realitätsdeutung als wahr vorausgesetzt. Sie erscheinen als selbstverständlich. Das heißt: Das Ich definiert sich auf Grund vermeintlich selbstverständlicher Urteile, deren Wahrheitsgehalt es nicht weiter prüft.

Zu den Vorurteilen der normalen Realitätsdeutung gehört die Hypothese: Ich befinde mich als Teil in der Welt und erfahre sie von da aus. Der spirituelle Mensch stellt diese Annahme in Frage. Das heißt: Er nimmt sie nicht ungeprüft an. Er geht zu dem, was er bislang als sein Ich aufgefasst hat, auf beobachtende Distanz. Er versucht sich durch die Untersuchung des Erkennbaren in eine Position zu entbinden, von der aus er das Wesen des Ich als das erkennen kann, was es tatsächlich ist.

3. Meditationsobjekte

In den Augen des befreiten Ich ist die Person ein Objekt der Betrachtung, dessen Eigenschaften Resultat der Umstände ist, die an der Stelle bestehen, an der die Person auftaucht.

Im normalen Modus hat der Bewusstseinsfilm eine enorme Suggestionskraft. Er hypnotisiert den Betrachter und bindet dessen gesamte Aufmerksamkeit auf die Phänomene und Inhalte aus denen der Film sich zusammensetzt. Durch die Bindung der Aufmerksamkeit steuert er das Verhalten nahtlos. Um das selektive Interesse von all dem abzulösen, was dem Ich durch sein Dasein an Thematik zufällt, benutzt der Meditierende sogenannte Meditationsobjekte. Dabei handelt es sich um Objekte auf die er seine Wahrnehmung bündelt um durch die Bündelung der Aufmerksamkeit auf das ausgewählte Objekt den Blick vom hypnotisierenden Film zu lösen.

Objekt und Phänomen
Die Begriffe Objekt und Phänomen werden hier als gleichbedeutend aufgefasst. Das Objekt - wörtlich das Entgegengeworfene (lateinisch jacere = werfen) - liegt dem Betrachter, also dem Subjekt, als erkennbares Phänomen vor Augen. Phänomen entspringt dem griechischen Verb phainesthai [φαινεσθαι] = sichtbar werden, erscheinen. Das sichtbar Gewordene steht dem Subjekt seinerseits als erkennbares Objekt gegenüber. Das gilt auch für innerpsychische Phänomene. Der Gedanke steht dem erkennenden Subjekt als erkennbares Objekt gegenüber. Gedanke und erkennende Instanz sind nicht dasselbe.

Das heißt zugleich: Objekte sind Erscheinungen. Sie erfüllen ihr grundsätzliches Wesen, nämlich die Erkennbarkeit, erst in Gegenwart eines Betrachters.

Das wohl am häufigsten ausgewählte Meditationsobjekt ist die Atmung. Vordergründig hat sie den Vorteil, immer und überall dabei zu sein. Sie kann leicht bewusstgemacht werden und bietet ein überschaubares Feld der Betrachtung.

Die Atmung hat aber auch eine tiefe Bedeutung. Sie ist das Tor zwischen Leben und Tod und damit das Tor zwischen Sein und Erscheinung. Diesseits der Atmung befinden sich die Erscheinungen und damit das, was vom Sein vorübergehend verwirklicht ist. Jenseits der Atmung liegt zeitlose Möglichkeit. Da die Grenze zwischen Leben und Tod zugleich die Verbindung zwischen beiden Bereichen ist, durch die das eine jeweils ins andere übergehen kann, eignet sich die Fokussierung des Atems in besonderer Weise dazu, über die bloße Erscheinung hinauszublicken und nach dem Ausschau zu halten, was zeitlos ist: die Wahrheit, die einzig dazu führen kann, dass sich das Ich in ihrem Spiegel richtig erkennt.

Meditationsobjekte sind Mittel um sich der Stelle zu nähern, an der der Übergang ins Zeitlose wahrscheinlicher wird. Der Übergang ins Zeitlose kann durch mangelnde Objektkonstanz verhindert werden. Mangelnde Objektkonstanz ist ein Begriff der Entwicklungspsychologie. Er verweist auf die Tatsache, dass kleine Kinder Angst bekommen, wenn die Mutter (das schützende Objekt) ihr Blickfeld verlässt. Das verängstigte Kind weiß nicht, dass die Mutter nur vorübergehend verschwunden ist und bald wieder auftauchen wird. Mangelnde Objektkonstanz kann als Erklärung dafür dienen, warum die Ablösung von Äußerem an der Schwelle zur Zeitlosigkeit in der Regel nicht gewagt wird.

4. Praktische Anleitung

4.1. Leitidee

Ich achte auf das, was jetzt in meinem Bewusstsein geschieht. Nichts davon muss ich verändern. Je mehr ich erkenne, desto mehr wird diese Erkenntnis die Art, wie ich die Wirklichkeit erlebe, verändern.

4.2. Was man braucht
  1. Eine Sitzgelegenheit: je nach Vorliebe einen bequemen Sitzplatz, ein Sitzbänkchen oder ein Sitzkissen.
  2. Eine Meditationsuhr, auf der man einstellen kann, wie lange man meditieren will.

Es ist besser, täglich drei Minuten zu meditieren, als ab und zu fünfzehn. Längere Meditationszeiten sollte man erst wählen, wenn man sie nicht als Pflicht empfindet, die man abzuleisten hat, sondern als Freiraum, in den man eintaucht. Besser man erkennt, wie schwer es jetzt ist, sich zu konzentrieren, als dass man sich beim Versuch, es zu tun, einem Zwang unterwirft.

4.3. Wie man es machen kann
  1. Der Begriff aufhalten ist vielsagend. Bei der Meditation gilt es, sich der Wirklichkeit zu öffnen um die Enge der Vorstellung zu verlassen. Sich aufhalten heißt offen sein.
    Suchen Sie sich einen bequemen Platz, an dem Sie sich gerne aufhalten.
  2. Setzen Sie sich bequem hin.
  3. Legen Sie die Hände so, wie es Ihnen angenehm ist.
  4. Schließen Sie die Augen.
  5. Richten Sie die Aufmerksamkeit auf den Atem.
  6. Beobachten Sie, wie der Körper von allein ein- und ausatmet.
  7. Versuchen Sie, den Fokus der Aufmerksamkeit beim Atem zu belassen.
  8. Sobald Sie wahrnehmen, dass im Bewusstsein ein Gedanke aufkommt, der Sie vom Atem ablenkt, bestimmen Sie, womit sich der Gedanke beschäftigt. Machen Sie sich klar: Das ist ein Gedanke an dies oder jenes. Gedanken sind Vorstellungen. Es ist in Ordnung, dass sie kommen und gehen. Kehren Sie, sobald das Thema des Gedankens bestimmt ist, zum Atem zurück.
  9. Sobald Sie wahrnehmen, dass ein Urteil aufkommt, machen Sie sich klar: Das ist ein Urteil. Es urteilt über dies und das. Es ist in Ordnung, dass Urteile aufkommen. Sie sind jeweils eine Möglichkeit, die Wirklichkeit zu deuten. Kehren Sie dann zum Atem zurück.
  10. Sobald Sie wahrnehmen, dass ein Gefühl auftaucht, verweilen Sie eine Zeit lang beim Gefühl, um zu erfahren, wie es sich anfühlt. Machen Sie sich klar: Gefühle sind Interpretationen der Wirklichkeit. Sie begleiten die Vorstellungen, die man von ihr hat und die Urteile, die man über sie fällt. Je nachdem, aus welcher Perspektive man sie betrachtet, hat die Wirklichkeit einen unterschiedlichen Geschmack. Kehren Sie dann zum Atem zurück.
  11. Sobald Sie wahrnehmen, dass eine Sinneswahrnehmung im Bewusstsein auftaucht, machen Sie sich klar: Das ist eine Sinneswahrnehmung. Sinneswahrnehmungen kommen und gehen. Sie liefern Informationen über den Zustand der materiellen Welt. Kehren Sie dann zum Atem zurück.
  12. Sobald Sie merken, dass ein Handlungsimpuls aufkommt, machen Sie sich klar: Das ist ein Impuls. Er kann ausgeführt werden oder eben nicht. Bestimmen Sie, wozu er Sie bewegen will. Kehren Sie dann zum Atem zurück.
  13. Sobald eine Erinnerung aufkommt, bestimmen Sie, mit welchem Ereignis sie sich befasst. Kehren Sie dann zum Atem zurück.
4.4. Was man erkennen kann

Prinzipiell ist alles, was man erkennen kann, ein Objekt. Das Subjekt ist kein Objekt. Das Subjekt ist die Instanz, die die Objekte erkennt. Als primäres Meditationsobjekt wird meist der Atem gewählt. Weitere Objekte, die im Bewusstsein auftauchen, sind...

  1. Sinneswahrnehmungen
  2. Gedanken
  3. Urteile, Meinungen
  4. Gefühle, Affekte und Stimmungen
  5. Impulse
  6. Erinnerungen

Alle Objekte, die man erkennen kann, sind nachrangige Wirklichkeit. Die Instanz, die erkennt, ist vorrangige Wirklichkeit.

Grundmuster der Wirklichkeit

Die Welt hat drei wesentliche Eigenschaften.

Diese Eigenschaften gründlich zu erkennen, befreit das Subjekt aus falschen Vorstellungen, die einen großen Teil seines Leidens verursachen.
  1. Alle Objekte, die beobachtet werden können, sind vergänglich. Sie sind nur vorübergehende Erscheinungen. Sie sind nur bedingt wirklich und haben daher nur eine zweitrangige Position in der Wirklichkeit. Dass sie erscheinen, liegt an vorübergehenden Bedingungen. Solange die Bedingungen erfüllt sind, erscheint das Objekt. Wenn die Bedingungen nicht mehr erfüllt sind, verschwindet es.
  2. Da alles Bedingte der Vergänglichkeit unterworfen ist und daher sowieso wieder verlorengeht, kann man mit Bedingtem auf Dauer niemals zufrieden sein. Sucht man das Gute bloß im Bedingten, kann man niemals dorthin kommen, wo man mit sich und seinem Leben wirklich zufrieden ist. Je mehr Bedingtes man hat, desto realer ist die Gefahr des Verlusts.

  3. Nichts Objektives hat ein eigenständiges Selbst. Nichts vom dem, was als Objekt erkannt werden kann, ist dasjenige, das es erkennt. Da das Selbst den Körper erkennen kann, ist der Körper nicht das Selbst. Das Zentrum des Selbst liegt jenseits aller Objekte, die man beobachten kann.
4.5. Was man unterscheiden kann

Im üblichen Modus der Wirklichkeitsdeutung setzt sich der Mensch mit seiner Person gleich. Er identifiziert sich mit dem Körper und den mentalen Prozessen, die mit dem Körper verbunden sind. Im üblichen Modus glaubt man: Ich selbst und meine Person sind deckungsgleich.

Das ist eine verkürzte Sichtweise auf die Struktur der Wirklichkeit. Tatsächlich erscheint das Selbst in der und als die Person, deren Rolle die Person im Erfahrungsfeld der Wirklichkeit spielt. Das Selbst geht aber über die Person hinaus. Die Person erscheint als erkennbares Objekt in der Zeit. Das Selbst liegt als erkennende Instanz jenseits davon.

4.6. Vertiefung

Absolut man selbst zu sein, ist etwas anderes, als das relative Selbst, also sich selbst als Person zu erkennen. Als Person ist man ein bestimmtes Sosein, das da, wo es ist, so ist, wie es ist. Jedes Dasein wird durch die Umstände bestimmt, in die es eingebunden ist.

Um die Person durch meditative Betrachtung zu erkennen, empfiehlt die bisherige Anleitung, den Atem zu fokussieren, den Inhalt auftauchender Gedanken zu bestimmen, die Qualität auftauchender Gefühle zu erleben und das Ziel entsprechender Impulse zu erkennen. All das macht Sinn um das relative Selbst als Objekt und Konstrukt zu verstehen.

Solange das Interesse aber an den Inhalten des Bewusstseins und damit an den konkreten Eigenschaften des Ich aufrechterhalten bleibt, bleibt auch die Bindung an etwas Bestimmtes und damit Verengtes bestehen. Wer weiter will, kann weiter gehen. Dabei helfen die Wörter bloß und nur.

Bloß und nur

  • Bloß hat zwei Bedeutungsfacetten, die miteinander verbunden sind. Bloß heißt zum einen nackt, unbedeckt, unbewaffnet, unverhüllt, zum anderen unvermischt, ausschließlich, nur. Vermutlich geht bloß auf Griechisch phlydaros [φλυδαρος] = matschig, weich und lateinisch fluere = fließen zurück.

    Was bloßliegt, liegt offen zu Tage und kann erkannt werden. Damit ist es ausgesetzt. Was ausgesetzt ist, ist der Vergänglichkeit unterworfen. Es fehlt ihm an eigenständiger Festigkeit. Es fließt vorüber. Als Erscheinung ist es unvermischt, nur und ausschließlich das, als was es erscheint. Hinter ihm steht aber die Möglichkeit, alles andere sein zu können.

  • Nur hebt mit dem Verneinungspartikel n- an. Es geht auf das mittelhochdeutsche newære zurück, in dem man unschwer den Konjunktiv, also die Möglichkeitsform des Verbs sein - also wäre - erkennt. Nur heißt eigentlich: Es wäre nicht, es sei denn dass...

    Das Adverb nur weist dem, was damit charakterisiert wird, eine bloß bedingte Daseinsform zu. Das ist nur ein Baum heißt: Er wäre nicht, wenn es keine Ursachen gäbe, die sein Dasein ermöglichen. Der konkrete Baum ist dabei bloß eine Möglichkeit von vielen. Als bestimmter Baum ist er zwar etwas Besonderes, es fehlt ihm aber die Bedeutung des Grundsätzlichen.

In der vertieften Meditation, wird nach dem Grundsätzlichen gefragt. Es geht nicht um die konkrete Person, die als relatives Selbst durch bestimmte Inhalte festgelegt wird. Es geht um die Entbindung vom bloß Konkreten ins Absolute, also ins abgelöste Sein an sich.

Deshalb heißt es jetzt:

  1. Richten Sie die Aufmerksamkeit auf den Hintergrund, vor dem der Atem schwingt. Der Hintergrund bleibt trotz des Atems unberührt
  2. Sobald Sie wahrnehmen, dass ein Gedanke aufkommt, machen Sie sich klar: Das ist ein nur ein Gedanke.
  3. Sobald Sie wahrnehmen, dass ein Urteil aufkommt, machen Sie sich klar: Das ist nur ein Urteil.
  4. Sobald Sie wahrnehmen, dass ein Gefühl auftaucht, machen Sie sich klar: Das ist bloß ein Gefühl.
  5. Sobald Sie etwas hören, machen Sie sich klar: Das ist bloß ein Geräusch.
  6. Sobald Sie merken, dass ein Handlungsimpuls aufkommt, machen Sie sich klar: Das ist nur ein Impuls.
  7. Sobald eine Erinnerung aufkommt, machen Sie sich klar: Das ist nur eine Erinnerung.

Nichts von alldem ist jenseits der Erscheinung. Nichts von alldem ist wahres Sein.

5. Gundsätzliches Ziel

Aufgabe der spirituellen Meditation ist die Suche nach einer geistigen Position, die den Meditierenden davon überzeugt, dass er keine Angst zu haben braucht. Wer keine Angst mehr hat, braucht nicht mehr eng zu sein. Er kann sich der Wirklichkeit unbefangen öffnen. Er kann sich sowohl für das öffnen, was ist, wie es ist als auch für das, was sein kann, wie es sein will.

Ängste, die entfallen können