Konfession


  1. Begriffsbestimmung
  2. Bekenntnis, Spaltung und Abwertung
  3. Abrahamitische Glaubensbekenntnisse
  4. Merkmale, Motive und Themen abrahamitischer Konfessionen
  5. Positive Aspekte konfessioneller Glaubensformen

Zwei Konzepte, die die Menschheit spalten

Nationalismus
und
Konfessionalität

Gehorsam ist Widerstand gegen Gott.

Wer erobern will, glaubt an Götter, die Unterwerfung fordern.

Wohlgemerkt

Konfessionelle Gemeinschaften sind für kulturelle Grundlagen verantwortlich, die Schaden verursacht haben. Das heißt aber nicht, dass man karitative Angebote ihrer Glaubens­organisationen umgehen müsste. Trotz fragwürdiger theologischer Vorgaben ist es zum Beispiel dem Christentum gelungen, wohlmeinende, kompetente und engagierte Menschen an sich zu binden, die im Auftrag ihrer Organisationen qualitativ hochwertige Angebote machen. Sollten Sie Hilfe brauchen, wenden Sie sich daher getrost an ⇗Caritas und ⇗Diakonie.

1. Begriffsbestimmung

Konfession (lateinisch con-fiteri = bekennen) heißt Bekenntnis. Im Horizont politisch-konfessioneller Religionen kommt ihm entscheidende Bedeutung zu. Der Gläubige hat sich zu dieser oder jener Lehre zu bekennen. Durch das Be­kenntnis schließt er sich der jeweiligen Glaubensgemeinschaft an. Tut er es nicht, gilt er in den Augen der konfessionellen Lehre zumindest eschatologisch gesehen als wertlos. Tut er es und befolgt er vorgegebene Regeln, ist ihm das Heil angeblich sicher.

Die Eschatologie (griechisch ta es-chata [ταεσχατα] = letzte Dinge und logos [λογος] = Lehre) befasst sich mit dem, was am hypothetischen Endpunkt der Menschheitsgeschichte entschieden sein wird. Gemäß eschatologischer Sichtweise wird dann über Wert und Unwert jedes Einzelnen abschließend gerichtet.

Zum abrahamitischen Kulturkreis gehören Judentum, Christentum und Islam sowie alle übrigen Abspaltungen, deren Selbstverständnis auf dem Mythos um den hebräischen Urvater Abraham basiert. In den Augen der entsprechenden Glaubensbekenntnisse wird der Unwert der Ungläubigen nicht erst am Endpunkt festgestellt und abschließend bestraft. Er wird vielmehr als gegenwärtig betrachtet, sodass die Benachteiligung und gegebenenfalls die Bekämpfung Konfessionsfremder als Auftrag Gottes gewertet wird.

Konfessionelle Religionen sind regelhaft dogmatisch. Konfession ist Bekenntnis zu einem Lehrsatz. Im Gegensatz zum mystischen Monotheismus behaupten Konfessionen, von Gott beauftragt zu sein, das politische Leben ganzer Völker oder gar der Menschheit insgesamt zu bestimmen. Jede konfessionelle Glaubenslehre strebt Macht über andere an; die eine durch die Ausrufung eines auserwählten Volkes, dessen angeblich gott­gewollten Zielen sich jeder zu beugen hat, die anderen durch die Behauptung univer­seller Verbindlichkeit für alle.

Vereinnahmte Begriffe
Offenbarungsreligionen haben wichtige Begriffe für sich vereinnahmt: Religion, Glaube, Gott, Jenseits. Sie tun so, als hätten sie das Recht, sie verbindlich zu deuten. Ihren angeblichen Auftrag definieren sie als Monopol. Um zu verstehen, was Religion tatsächlich ist, nützt es, sich auch mit dem zu befassen, was sie im Kern verfehlt. Wer solche Begriffe nicht aus der traditionellen Deutung befreit, verirrt sich, sobald er sie beim Denken einsetzt.
Der Buddhismus ist kein konfessioneller Glaube. Er verspricht niemandem einen Lohn dafür, dass er sich zum Buddhismus bekennt und er droht niemandem Strafe an, wenn er es bleiben lässt.

Üblicherweise wird der Begriff Konfession zur Unterscheidung christ­licher Glaubensparteien verwendet. Tatsächlich ist aber nicht nur das Christentum samt seiner Aufspal­tungen (katholisch, protestantisch, orthodox, anglikanisch, lutherisch, baptistisch, neuapostolisch, kop­tisch, mennonitisch usw.) konfessionell, sondern auch das Judentum und der Islam einschließlich seiner Unterteilung in Sunniten und Schi­iten. Jede Lehre, die Ungläubige ausgrenzt, ist konfessionell.

2. Bekenntnis, Spaltung und Abwertung

Bewässern heißt mit Wasser versehen. Bebauen heißt mit einem Gebäude versehen. Beschenken heißt mit einem Geschenk versehen. Analog dazu heißt bekennen mit einem Kennzei­chen versehen. Kennzeichen dienen der Unterscheidung. Durch das Kennzeichen wird das Gekennzeichnete von dem geschieden, was das Kennzeichen nicht trägt.

Ein- und Ausschluss

Bekenntnisse schließen nicht nur ein, was sich bekennt. Sie schließen zugleich aus, was kein Bekenntnis vollzieht. Deshalb ist jedes Glaubens­bekenntnis, das Bekennern einen höheren Wert zuspricht als Nicht-Bekennern, ein Akt, der Gemeinschaften spaltet.


Die Würde des Menschen

Jedes Denksystem, das den Wert eines Menschen von Kriterien abhängig macht, die seinem Menschsein nicht unverlierbar inneliegen, verachtet das Menschsein an sich. Dies trifft auf alle Konfessionen in gleicher Weise zu. Alle tasten die Würde des Menschen an, um sich selbst zu erhöhen.


Glaubensformeln sind dogmatische Bilder. Sobald sie sich für wahr erklären, irren sie. Wer Dogmen nicht hinter sich lässt, geht am Heiligen vorbei.

Moses hat die Hebräer nicht nur aus der Sklaverei Ägyptens befreit. Er hat sie zugleich in die Gefangenschaft eines abgeschlossenen Denksystems geführt.

Verbindung und Verbindlichkeit

Mystik verbindet mit dem Wesen des Seins. Dogmatischer Glaube macht sich für alle verbindlich. Verbindung macht frei. Verbindlichkeit fesselt. Wo zwei sich begegnen ohne sich freizusetzen, besteht keine Verbindung, sondern Zwang.

Ein Geist, der nicht entschlossen ist, über Konfessionalität hinauszugehen, ist nicht zu Gott entbunden.

Das Kennzeichen Mensch ist Wesensausdruck des Menschen selbst. So wie es die Schöpfung faktisch vollzogen hat, kommt das Kenn­zeichen Mensch jedem Menschen in gleichwertiger Ausdrucks­stärke zu. Es wohnt dem Menschen jenseits bloß menschlicher Begriffe inne.

Konfessionelle Glaubenslehren ordnen dem Kennzeichen Mensch andere Kenn­zeichen über: zum Beispiel Jude, Christ, Katholik, Moslem oder Zeuge Jehovas. Nicht mehr das Kennzeichen Mensch verbrieft in der Folge den Wert des Menschen an sich, sondern die jeweilige Gruppenzugehörigkeit, die durch das Zusatzkennzeichen benannt wird. Die Eigenschaft Mensch wird abgewertet, indem der Glaube den Wert des Menschen von sekundären Merkmalen abhängig macht.

Das führt dazu, dass der Wert von Menschen, die das Bekenntnis nicht vollzogen haben, gegebenenfalls radikal verkannt wird. Bibel und Koran bezeichnen sie als Schmutz, Tiere, Natterngezücht oder Gassenkot (siehe: Psalm 18 sowie Sura 8, 56 und Sura 9, 28). Solche Bezeichnungen erklären, warum jede Konfession die Gemeinschaft in sich wechselseitig entwertende Lager spaltet. Sie benutzen das gleiche Vokabular, das auch Nationalismen verwenden, um Menschen anderer Gruppen abzuwerten.

Verschwendeter Mut

Um dem Bekenntnis zu ihrem Glauben treu zu bleiben, haben Juden im Laufe der Geschichte unfassbares Leid ertragen. Ihr Mut hat unseren höchsten Respekt verdient. Allerdings war dieser Mut zu einem großen Teil verschwendet. Statt nachweisbarer Wahrheit treu zu bleiben, verlangt die biblische Theologie von den Gläubigen ein Bekenntnis zu unbeweisbaren Lehrsätzen.

Wahr ist, dass man nicht wissen kann, ob Moses von Gott beauftragt war. So wurden die Opfer statt der Wahrheit Dogmen dargebracht und dienten als Vorbild, die Wahrheit im Dienste von Anspruch und Willkür zu übergehen. Nur ein Mut, der sich zu dem bekennt, was er als wahr erkennen kann, statt sich an bloßen Behauptungen festzuklammern, ist ein Mut, dessen Tugend dem Laster keine Pforte öffnet.

2.1. Abwertung und Politik

Abrahamitische Religionen sind beispielhaft politisch. Politisch heißt: Ihr vorrangiges Ziel ist die Lenkung sozialer Gemeinschaften. Um soziale Gemeinschaften zu lenken, bedarf es politischer Macht. Zur Gründungszeit der abrahamitischen Glaubensgemeinschaften war Macht stets hierarchisch. Demokratische Ansätze gab es erst Jahrhunderte später in Griechenland. Macht kann umso besser hierarchisch ausgeübt werden, je geringer das Selbstwertgefühl der Regierten ist.

In der Folge ist die mythologische Grundstruktur abrahamitischer Religionen dergestalt, dass sie die Entwicklung eines unbedingten Selbst­wertgefühls erschweren. Den Grundstein dafür legte die Bibel mit dem Mythos der vermeintlichen Ursünde. Dort heißt es:

1 Moses 3, 22-23:*
Dann sprach er:" Ja, der Mensch ist jetzt wie einer von uns geworden, da er Gutes und Böses erkennt. Nun geht es darum, daß er nicht noch seine Hand ausstrecke, sich am Baum des Lebens vergreife, davon esse und ewig lebe. So stieß ihn denn Gott... hinaus, damit er den Erdboden bestelle, von dem er genommen war."

Der Mythos beschreibt als schwerste Sünde, dass der Mensch nach Qualitäten strebt, die göttlich sind. Indem er ihn mit dem Boden gleichsetzt, den er zur Abwehr seines Strebens nach Höherem zu bestellen hat, verneint der Mythos jede Möglichkeit, dass der Mensch nicht nur Gemachtes ist, also etwas der Willkür Ausgeliefertes, Austausch- und Wegwerfbares, sondern dass er am einzig unbedingten Wert teilhat, den seine Beschreibung des Kosmos enthält: dem göttlichen. Dass die Lehre den Satz vom kategorischen Unwert des Menschen gleich am Anfang betont, entspringt der Logik ihrer politischen Ausrichtung.

Für Machthaber ist es von Vorteil, Menschen im Glauben ihres Unwerts zu halten, weil sie dann leichter zu beherrschen sind und weil nur die These der vollständigen Profanität des menschlichen Wesens zu glauben erlaubt, dass Mord ein göttlicher Auftrag sein kann.

Im nächsten Schritt lockt der Glaube die Entwerteten mit dem diametral dazu passen­den Angebot: Wenn du dem Glauben, der deinen Unwert betont, kritiklos dienst, erwirbst du als Diener den Wert, den du aus dir selbst heraus niemals haben wirst. All das ist Komponente einer Gestalt. Die Gestalt heißt Machtpolitik.

Unbewusste Wahl

Es ist kaum davon auszugehen, dass die Wahl des Mythos bewusst erfolgte; so als hätten sich die Begründer des Glaubens gezielt einen Mythos ausgedacht, der das Menschsein entwertet. Eine Gestalt heißt vielmehr: Die Machthaber, die dem Vorsatz folgten, ganze Völker auszurotten, hatten bereits ein entwertendes Menschbild, dem der Mythos als Einfall aus dem Unbewussten ohne weiter reflektierendes Kalkül spontan entsprang. Der Mythos lag in der Logik ihres Denkens.

Zum politischen Vorsatz gehörte der Mord an den Kanaanitern. Der Gläubige konnte im Glauben morden, dass der eigentliche Wert, der einem Menschen zukommt, nicht in einem Menschsein liegt, das zu Recht an göttlichen, also unbedingten, Qualitäten teilhat, sondern in einem Auserwähltsein, das auch nur dann bedingten Wert verleiht, wenn man dem Glauben, dass es so ist, ohne Anspruch auf eigene Erkenntnis gehorcht. Ob es die eine Ursünde überhaupt gibt, sei dahingestellt. Zu den Sünden des Geistes gehört jedenfalls nicht der Griff zum Baum der Erkenntnis, sondern die Tatsache, dass er bloßen Glaubensbildern folgt, statt von den Äpfeln der Wahrheit zu essen, die die Schöpfung an die Bäume hängt.

Religion - Glaube - Mythologie
Der zentrale Bestandteil jeder abrahamitischen Glaubenspraxis besteht darin, Aussagen für wahr zu erklären, deren Wahrheitsgehalt man nicht überprüfen kann. Statt bei der Wahrheit zu bleiben, verbieten sie, an Mythen zu zweifeln. Dabei formulieren die Mythen, auf die sie sich berufen, stets den Machtanspruch der eigenen Glaubenspartei gegenüber allen anderen. Daher gefährdet jeder abrahamitische Glaube den Frieden. Er fordert seine Anhänger aus­drücklich oder immanent dazu auf, Andersdenkende zurückzusetzen. Jede Mythologie, die sich für wahr erklärt, verzichtet darauf, ernsthaft nach Wahrheit zu fragen. Da Religion nach letzter Wahrheit sucht, hat der Glaube an unüberprüfbare Mythen den Weg schon im Ansatz verfehlt.

Nur ein Glaube, der auf Mythen als Grundlage seiner Ansprüche verzichtet, ist ein Glaube, der Völker und Menschen vereinen kann, ohne dass die Einheit gewaltsam erzwungen werden muss.

2.2. Psychodynamik der Entehrung
Dogmatischer Glaube will Konformität. Mystischer Glaube will Identität.

Die Abwertung des Subjekts zu einem Objekt, dessen Aufgabe darin besteht, vorge­gebene Denkmuster zu vollstrecken, schwächt das Selbst­wertgefühl im Kern. Da die Würde des Menschen auf der Subjektivität beruht, also auf Selbstbestimmung, eigenständigem Urteil und individuellem Entwicklungspotenzial, übersieht Offenbarungsglaube den Wert des Menschseins an sich. Das führt bei dem, der die entsprechenden Lehrsätze verinnerlicht, zu einem Selbstwertzweifel, der kaum je bewusst erkannt, geschweige denn seiner Ursache zugeordnet wird.

Je erfolgreicher abrahamitischer Glaube dem Menschen unbedingte Würde abspricht und ihm als Ersatz die Wertschätzung seiner Konformität in Aussicht stellt, desto empfind­licher reagiert der Gläubige auf Kritik an dem, was ihm angeblich Ehre von außen verleiht. Er identifiziert sich mit dem Aggressor und verteidigt das, was ihn tatsächlich missachtet: Er verteidigt seine Unterwerfung unter einen Glauben, der ihn glauben macht, der Verrat an sich selbst gereiche dem Verräter zur Ehre.

2.3. Nationalismus und Konfessionalität
Jeder Nationalismus ist ein Ausdruck des Bösen, indem er sich ausdrücklich in ethnische Grenzen einsperrt und sich, darin gefangen, zu etwas aufbläht, das mehr Raum beansprucht, als ihm zusteht. Der gleichen Gefahr unterliegt jeder Glaube, der sich auf die Begrenztheit eines dogmatisch definierten Horizonts des Denkens festlegt. Jeder Glaube, der Menschen zugleich ein- und ausgrenzen will, bringt Böses hervor.

Während konfessioneller Glaube genau das behauptet, wird der Wert eines Menschen durch Zugehörigkeit um nichts erhöht. Es zu glauben ist genauso Fiktion, wie die Überzeugung eines Nationalisten, der meint, die Zugehörigkeit zu diesem oder jenem Volk mache ihn zu etwas Besserem als andere.

Zwischen Nationalismus und Konfessionalität gibt es enge Parallelen.

Motive

Das Bekenntnis zu einer Konfessionsgemeinschaft erfolgt kaum je auf Grundlage religiöser Motive. Normalerweise wird Kindern konfessioneller Glaube auferlegt. Sie bleiben dabei, weil sie sich niemals entscheiden. Kommt es erst später zum Beitritt, dann als Beitritt zu einer sozialen Gruppe, denn der Wahrheitsgehalt verschiedener Offenbarungsbehauptungen kann grundsätzlich nicht gegeneinander abgewogen werden. Es gibt keine Möglichkeit zu ermessen, ob irgendein Mythos stimmt. Religiös gesehen ist die Wahl eines Bekenntnisses bloßes Würfeln.

Der ausdrücklich politische Anspruch sowie die polarisierende Logik der konfessionellen Religionsauffassung bedingt darüber hinaus, dass Konfessionsgrenzen oft mit Staatsgrenzen zusammenfallen. So gibt es zwischen Serben und Kroaten nicht nur Konflikte an der ethnischen Grenze, sondern auch an der zwischen Orthodoxie und Katholizismus. Das ausgrenzende Potenzial von ethnischem Nationalismus einerseits und Konfessionalität andererseits verstärkt sich in der gesamten abrahamitischen Welt wechselseitig durch die Überlagerung beider Motive.

3. Abrahamitische Glaubensbekenntnisse

Der Gott des Egos ist allmächtig. Gott selbst ist allfrei.

Die einflussreichsten Konfessionen sind Judaismus, Christentum und Islam. Alle drei berufen sich auf Moses und dessen Lehre vom parteiischen Gott. Die Grundidee stammt aus Ägypten und Mesopotamien. Schon Pharaonen und babylonische Herrscher hielten es für selbstverständlich, Macht als gottgewollt zu deklarieren. Der Erste, der alle zum Glauben an einen einzigen Gott verpflichten wollte, war der Ägypter Echnaton. Er lebte etwa 1340 vor Christus, circa 100 Jahre vor Moses.

Die biblische Tradition ihrerseits beschreibt sich als Erbe des mythischen Urvaters Abraham. Für dessen Bereitschaft, seinen Sohn Isaac zu opfern, habe Gott Abrahams Nachkommen Landbesitz versprochen.

1 Moses 15, 18:*
An jenem Tag schloß der Herr mit Abram einen Bund: "Deinen Nachkommen werde ich dieses Land geben, vom Strom Ägyptens bis zum großem Euphratstrome...

Im Erfahrungshorizont der hebräischen Stämme des zweiten Jahr­tausends vor Christus umfasste das benannte Gebiet die ganze Welt. Judaismus, Christentum und Islam werden als abrahamitische Religionen bezeichnet. Ihr gemeinsames Selbstverständnis geht auf einen Mythos zurück, der unbegrenzten Gehorsam fordert.

Glaube, Anspruch und Konsequenz

Konfessionalität ist konsequent zu kritisieren. Die Konsequenz, die dabei an­gemessen ist, entspricht dem Anspruch konfessioneller Glaubenslehren, von au­ßen über das Leben des Einzelnen zu bestimmen und sich zu diesem Zweck zu Machtstrukturen zu verdichten. Zu glauben, was man glauben mag, ist legitim. Wenn die einen sich aber dazu berufen fühlen, aus ihrem Glauben her­aus Ansprüche zu verkünden, fällt es anderen zu, dem aus ihrer Sicht zu wider­sprechen. Das eine folgt dem anderen auf dem Fuß. Der Anspruch ruft den Widerspruch ins Leben. Das zweite ist die Konsequenz des ersten.

3.1. Das jüdische Vorbild

Die Entstehung des jüdischen Glaubens ist untrennbar mit den politischen Zielen der damaligen Machthaber verknüpft. Die zentrale Aussage des Glaubens war, die hebrä­ischen Stämme seien von Gott auserwählt, ein Gebiet zu erobern, das bis dahin von den kanaanitischen Völkern bewohnt wurde.

Zu diesen Plänen passte ein spaltender Glaube, der kategorisch Gehorsam verlangt, Wert und Lebensrecht rivalisierender Völker verneint, die Kräfte des eigenen Volkes bündelt und alle religiösen Impulse dem politischen Vorsatz unterstellt.

2 Moses 32, 25-29:*
Moses bemerkte, daß das Volk zügellos war. Aaron hatte es nämlich ausarten lassen zur Schadenfreude ihrer Feinde. Da... rief (Moses): "Wer für den Herrn ist, trete zu mir!" Da scharten sich alle Leviten um ihn. Er sprach zu ihnen: "... es töte ein jeder selbst den Bruder, Freund und Nächsten!" Die Leviten handelten nach des Moses Befehl. So fielen an jenem Tag vom Volk gegen 3000 Mann."

5 Moses 33, 27:*
... der uralte Gott... hat geboten: Vertilge!... Heil, Israel, dir! Wer ist wie du? Ein Volk an Siegen reich durch den Herrn! Er ist... das Schwert, das dich erhöht.

Verbindung und Bündnis

Kein Glaube, der den Anspruch erhebt, auch gegen deren Willen für alle verbindlich zu sein, verbindet tatsächlich. Was als Verbindung erscheint, ist ein Bündnis, das andere ausschließt.

Religiöse Verbindung ist etwas anderes als ein politisches Bündnis. Durch die Verknüpfung beider Motive kommt es zu einer Vereinnahmung des religiösen Anliegens durch politische Kräfte. Der religiöse Inhalt wird in den Hintergrund gedrängt und durch ein Gefüge vereinheitlichter Verhaltens­weisen und Stellungnahmen ersetzt, das die kon­fessionelle Gruppe als äußeres Merkmal kenntlich macht. Durch die Kenntlichmachung wird die Par­teilichkeit gefestigt. Dem Gefüge spezifischer Ri­tuale wird eine religiöse Bedeutung zugeschrieben, die es inhaltlich nicht hat.

Der biblische Gott wurde als Waffe im Dienst nationaler Interessen entworfen. Resultat war der erste ethnisch begründete Völkermord der Geschichte, der ausdrück­lich als Endlösung geplant war.

5 Moses 7, 20:*
... bis die Übriggebliebenen vernichtet sind und auch die, welche sich vor dir versteckt haben...

5 Moses 19, 1:*
Wenn der Herr... die Völker ausrottet, deren Land der Herr... dir verleiht... und wenn du sie vertrieben... hast...

Nachdem die Verheißung vom Endsieg Israels nur für die Dauer des davidisch-salomonischen Reichs in Erfüllung ging, bildete sich die messianische Erwartung. Sie verhieß, dass ein König aus dem Hause David kommen wird, der die Feinde der Israeliten in einem apokalyptischen Krieg vernichtet oder sie in deren Knechtschaft zwingt.

Sacharja 12, 6:*
An jenem Tag mache ich die Sippen Judas gleichsam zu einem Feuerbecken im Holzstoß und zu einer Brandfackel im Garbenhaufen, so daß sie zur Rechten wie zur Linken alle Völker ringsum verzehren.

Sacharja 14, 14-18:*
Der Besitz aller Völker ringsum wird eingebracht, Gold, Silber und Kleider in großer Menge.

Isaias 61, 6:*
Dann stehen Fremde bereit, euer Kleinvieh zu weiden, Ausländer sind eure Bauern und Winzer. Euch aber nennt man "Priester des Herrn". Die Habe der Völker werdet ihr genießen...

Weil Könige im alten Israel bei ihrer Inthronisation gesalbt wurden, nannte man den erwarteten König Messias (hebräisch Maschiach [משיח] = der Gesalbte.)

Gefangenschaften

Dreimal geriet Israel in Gefangenschaft:

  1. in die assyrische
  2. in die babylonische
  3. in die mythologische

In die mythologische Gefangenschaft wurde es durch Moses geführt. Es sieht nicht so aus, als würde es sich bald daraus befreien. Der menschliche Wunsch heraus­zuragen, ist zu groß, als dass er bereitwillig das Gefängnis einer Vorstellung verließe, die ihm verheißt, etwas Besonderes zu sein.

Der Glaube, das Christentum erfülle die Absichten Jesu, ist Kern des christlichen Selbstbetrugs. Tat­sächlich ist es das Werk Paulus'.
3.2. Die christliche Erweiterung

Jesus glaubte, der verheißene Messias zu sein. Er glaubte, er könne die Apokalypse, also ein Eingreifen Gottes, das alle Gegner vernichtet, durch sein Martyrium erzwingen; und dadurch den Endsieg Israels über die Nachbarvölker. Nach seinem Scheitern übertrug Paulus das abrahamitische Gottesbild auf die sogenannten Heiden. Ohne persönliche Kenntnis des historischen Jesus setzte er Textpassagen der Evangelien und des Alten Testaments für seine Lehre willkürlich zusammen. Das theologische Unrecht seiner Übertragung hebräischer Verheißungen auf die Gläubigen seiner Konfession liegt in der Bibel offen zu Tage. Es wird von den Kirchen verleugnet. Konfessioneller Glaube ist der Beschluss, störende Tat­sachen nicht anzuerkennen.

Matthäus 5, 29:*
Wenn dein rechtes Auge dir zum Ärgernis wird, so reiß es aus und wirf es von dir...

Traurig aber wahr

Viele Sklaven träumen nicht von der Freiheit, sondern von der Versklavung aller.


Islam heißt Unterwerfung. Unterwerfung heißt Unfreiheit. Unfreiheit heißt Unglück. Wer Unfreiheit propagiert, handelt dem eigenen Wohl zuwider.

Kein Mensch, der an die Liebe glaubt, hasst den, der ihn dafür verspottet.

Jeder Vorsatz, etwas zu unterwerfen. ist für andere gefährlich. Auch der Vorsatz, es mit sich selbst zu tun. Wer sich unterwirft, entwertet sich. Wer einen Menschen entwertet, ermutigt zur Entwertung anderer.

Die Ausgrenzung, die die alttestamentarische Theologie gegenüber fremden Völkern betrieb, übersetzte Paulus bei der Umdeutung der hebräischen Texte in eine Ausgrenzung jeder nichtchristlichen Kultur.

Matthäus 12, 30-32:*
Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich... wer aber wider den Heiligen Geist redet, dem wird nicht vergeben werden, weder in dieser noch in der zukünftigen Welt.

Während sich der alttestamenrarische Glaube für alle Hebräer verbindlich erklärte, beanspruchte das Christentum eine umfassende Kontrolle des Denkens sämtlicher Völker, die es erreichen konnte und das Bekenntnis aller zur Berechtigung seines Anspruchs. Solange es ihm möglich war, hat es nichtchristliche Kulturen systematisch beseitigt.

Apostelgeschichte 19, 19-20:*
Viele von denen, die Zauberei getrieben hatten, trugen ihre Bücher zusammen und verbrannten sie vor aller Augen; ... So entfaltete sich das Wort des Herrn mit Macht und gewann an Kraft.

Dank der Aufklärung wurde die Aggression des Christentums beschränkt. Ohne die Aufklärung hielte es auch heute noch an seinem Vorsatz fest, jeden zur Bestätigung seines Weltbilds zu verpflichten.

Dogmenglaube und Demokratie

Die Mehrheit der Christen glaubt heute, ihr Glaube sei mit Demokratie vereinbar. Tatsäch­lich ist ein demokratisches Christentum aber nur soweit möglich, wie es den prophetischen Anspruch der eigenen Lehre faktisch verwirft und sich auf die Vertretung moralischer Grundregeln beschränkt, für die andere Gesellschafts­ordnungen oder Kulturformen ebenso einstehen. Ein Christentum, das daran glaubt, von Gott beauftragt zu sein, ist nur mit einer Gesellschaftsordnung vereinbar, die das Individuum entmündigt.

3.3. Der islamische Entwurf

Mohammed gründete unter Berufung auf die jüdische und christ­liche Tradition eine dritte Variante der abrahamitischen Lehre. Auch sein Anspruch, nämlich Vollender des abrahamitischen Glaubens zu sein, entbehrt jeden Belegs. Er ist durch die Lektüre des Alten Testaments zu entkräften.

Da der Koran eine eigene literarische Schöpfung ist und die hebrä­ischen Texte nur erwähnt, um seinen Anspruch in der angeblichen Heilsgeschichte zu verankern, ist die unstatthafte Berufung Mohammeds auf die jüdische Tradition für seine Leser nur schwer erkennbar.

Mit komplizierten Argumen­ten, so wie es Paulus nötig hatte, brauchte Mohammed sich bei der Verkündung seiner Lehre nicht zu plagen. Stattdessen hat er die biblische Grundidee vom göttlichen Auftrag zur Machtergreifung für die eigene Sache in klare Worte gefasst. Den totalitären Charakter seiner Vorgänger hat er dabei übernommen.

Verbaler Maskenball

Die Unterscheidung zwischen Islamismus und Islam ist ein politischer Schachzug. Dass der Islam Frieden predigt und der Islamist daher gegen die Lehre verstößt, ist falsch. Es gibt friedliche Moslems, aber es gibt keinen friedlichen Islam. Islam heißt Unterwerfung und Unterwerfung heißt Krieg.

Genauso gut könnte man sagen, dass die Inquisition nicht christlich war und ultraorthodoxe Juden gegen die Thora verstoßen. Islamisten, christliche Fundamentalisten und Ultraorthodoxe sind vielmehr die, die sich strikt um die Befolgung ihrer Glaubensvorschriften bemühen. Die anderen laufen mit; ohne wirklich überzeugt zu sein. Die Friedfertigkeit liegt nicht in der Lehre, sondern im Charakter der Friedfertigen, die der Lehre unterworfen sind.

Auch der Islam ist eine ausgrenzende Weltanschauung, die sich durch ihre Grund­struktur dazu verurteilt, Andersdenkende niemals als vollwertig anerkennen zu können. Seinem Anspruch verpflichtet ruft er zu deren Bekämpfung auf.

Sura 8, 40:**
Und so bekämpft sie bis keine Verführung mehr ist und die Religion ganz Gottes.

Integration oder Waffenstillstand
Es liegt im Wesen jedes Offenbarungsglaubens, konkurrierende Weltbilder nicht als gleichberechtigt anzusehen. Keine Koexistenz zwischen Judentum, Christentum und Islam kommt über den bloßen Waffenstillstand hinaus. Eine Integration von Menschen der drei Kulturkreise geht immer nur soweit wie sich deren Mitglieder vom jeweiligen Glauben lösen; oder ihn niemals wirklich verinnerlicht haben.

Der Begriff Integration entstammt dem lateinischen Verb integrare = heilen, unversehrt machen, wiederherstellen. Jeder Offenbarungsglaube spaltet die Gemeinschaft in Gläubige und Ungläubige, in vermeintlich Rechtschaffene und angeblich Wertlose, in Heilsanwärter und Vernichtungskandidaten.

Offenbarungsreligionen spalten menschliche Gemeinschaften durch ihre schiere Gegenwart. Sie tun es erst recht, wenn sie aufeinandertreffen; weil sie sich in der Begegnung wechselseitig infrage stellen, sodass ihre grundlegende Aggression verstärkt wird. Der Bau von Moscheen, Synagogen und Kirchen ist kein Zeichen der Integration. Er ist zu Stein gewordene Zersplitterung. Nur ein Geist, der alle Propheten entthront, kann Gotteshäuser bauen, in denen jeder zuhause ist.

4. Merkmale, Motive und Themen abrahamitischer Konfessionen

Der dogmatische Grundsatz - Ich verkünde offenbarte Wahrheit - bahnt die Bereitschaft seiner Vertreter auch in nachgeordneten Fragen dogmatisch zu antworten. Wahrheit wird nicht erkannt; und soll es auch nicht werden. Sie wird willkürlich gesetzt. Ein Denksystem entsteht, das zum Wahn entgleisen kann.

Das Alte Testament nennt den Charakter des abrahamitischen Gottes klar beim Namen. Es handelt sich um einen Kriegsgott.

Jeremias 31, 35:*
Herr der Heerscharen ist sein Name.

Jeremias 48, 10:*
Verflucht, wer das Werk des Herrn nachlässig vollbringt, verflucht, wer sein Schwert zurückhält vom Blut!

Der gemeinsame Glaube der abrahamitischen Religionen an diesen Gott führt zu einem Bündel von Merkmalen, Motiven, Themen und Lehrsätzen, das alle Varianten miteinander teilen; ungeachtet der Wucht, mit der sie sich gegenseitig infrage stellen.

Dogmen

Dogmen sind prophetisch verkündete Lehr­sätze, deren Wahrheitsgehalt durch Argumente nicht zu belegen ist. Ihr immanenter Anspruch lautet: Ich allein verkünde die endgültige Wahrheit. Dogmatismus ist zugleich der Auftrag, alles zu ignorieren, was seine Behauptung widerlegen könnte. Da zwischen Wahrheits­anspruch und Beleg von Dogmen eine Lücke klafft, neigt jeder dogmatische Glaube dazu, gegebenenfalls Gewalt anzuwenden, um das Bekenntnis zu seinen Lehrsätzen zu erzwingen. Das kann Gewalt im Großen sein, zum Beispiel im Rahmen kriegerischer Expansionspolitik, oder im Kleinen, bei der Durchsetzung weltanschaulicher Konformität auf gesellschaftlicher oder familiärer Ebene.

Jeder Offenbarungsglaube erklärt seiner Logik gemäß, dass er und nur er die absolute Wahrheit über die wesentlichen Fragen der menschlichen Existenz verkündet. Damit sagt er zugleich, dass jede Diskussion über Wahrheit und Irrtum beendet ist. Egal was seine Lippen im Übrigen sagen, indem sich der Prophet zum Beauftragten Gottes erklärt, stellt er sich über andere. Er sagt: Ihr habt euch mir zu beugen. Damit hat er den Frieden bereits gebrochen.

4.1. Propheten

Der Begriff Prophet geht auf Griechisch pro-phanai (προ-φαναι) = vorhersagen, verkünden zurück. Gemeinsamer Nenner konfessio­neller Glaubenslehren ist die Behauptung, Wahrheit werde nicht vom menschlichen Geist gesucht und entdeckt, sie werde ihm vielmehr offenbart und aufgezwungen. Dies geschehe durch auserwählte Verkünder, die den Übrigen im Auftrag Gottes mitteilen, wie die Wirklichkeit fortan zu deuten ist. Ein Prophet ist der personifizierte Machtanspruch der Lehre, die sich auf ihn beruft.

Du bist und du sollst

Tatsächlich gibt es keine Religionsstifter. Es gibt Sektengründer. Religion ist eine universelle Wissenschaft: die Wissenschaft von der Hinwendung des Einzelnen zum Urgrund seines Wesens. Dabei kann der Urgrund als Schöpfergott gedanklich personifiziert werden oder man geht von einem transpersonalen Prinzip aus, das die Erscheinungswelt hervorbringt.

Wie das Gebiet anderer Wissenschaften kann auch das Gebiet der Religion erforscht und gewonnene Erkenntnisse können weitergegeben und angewendet werden. Ebenso wenig wie Chemie, Geologie oder Teilchenphysik ist Religion jedoch ein Stiftungswerk. Gestiftet wird nicht Religion. Gestiftet werden allenfalls mythologische Interpretationen, die als Krücken des Verstehens dienen können oder als Vergleiche, die endlos hinken.

Es gibt viele Mythologien, so viele wie die menschliche Phantasie erfinden mag. Aber es gibt nur eine Religion. Mythologie als verpflichtendes Programm ist Selbstermächtigung politischer Kräfte. Was an Glaubenslehren politisch ist, ist Politik, aber keine Religion. Du bist ist Religion. Du sollst ist Politik.

Da Verkündungen aus dem Mund göttlich Beauftragter als unfehlbar gelten, ist jeder Widerspruch im Ansatz sinnlos. Mehr noch: Widerspruch wird zu diabolischer Sünde, was die Vertreter des Glaubens vermeintlich verpflichtet, gegen abweichende Sicht­weisen mit aller Härte vorzugehen.

Der Logik des Propheten­tums entspringt die Anwendung von Gewalt.

Auf Griechisch phanai = sprechen geht auch das Wort Bann zurück. Beide sind mit Indoeuropäisch bhā- = sprechen verwandt. Im Auftrag der Propheten wird im Alten Testament gegen Abweichler, Kriegsgegner und Widersacher der Bann ausgesprochen. (Ver-)bannen heißt: aus der Gemeinschaft verstoßen. Der Bann wurde entweder durch Totschlag vollstreckt oder als Ausschluss und Vertreibung vollzogen.

4 Moses 21, 1-2:*
Da legte Israel dem Herrn ein Gelübde... ab: "Wenn du dieses Volk in meine Gewalt gibst,... vollstrecke ich an ihren Städten den Bann." Der Herr erhörte das Rufen Israels... und man vollstreckte... den Bann.

5 Moses 2, 34:*
Wir nahmen... all seine Städte ein und vollstreckten überall an Männern, Frauen und Kindern den Bann. Niemand ließen wir übrig zum Entweichen.

Das Bannen, also der Aufruf zur Ermordung Andersdenkender oder zu deren Ausgrenzung, geht mit Auftritt und Wirken sogenannter Propheten Hand in Hand.

4.2. Predigten und Priester
Der Begriff Missionar kommt von lateinisch missio = die Entsendung. Die Anwerbung weiterer Bekenner ist grundsätzlich kein religiöser, sondern ein politischer Akt.

Achtsam wahrzunehmen, ist der Empfang des Wahren aus Gottes Hand. Etwas gesagt zu bekommen, ist eine Mitteilung einer Meinung aus Menschenmund.

Echte Religion verweist auf das Absolute. Glaubenslehren, die ihre Werkzeuge oder sich selbst als heilig bezeichnen, erklären sich zu Objekten der Anbetung. Den Rang des Absoluten, machen sie dem Heiligen streitig.

Als nachgeordneter Vertreter von Glaubensdogmen etabliert sich im Gefolge von Propheten ein professioneller Priesterstand. Er hat den Auftrag, die verkündete Lehre zu verbreiten. Demselben Zweck dient ein weiteres Merkmal: die religiöse Früherziehung der Kinder. Das Einschärfen eines lehrsatzkonformen Weltbilds ist die wesentliche Aktivität, mit der sich der Klerus beschäftigt.

2 Moses 13, 8:*
Du sollst es [das Gesetz] deinem Sohne einschärfen...

Predigen entstammt dem lateinischen prae-dicare = vor-sagen. Der politi­sche Charakter dogmatischer Lehren bringt es mit sich, dass konfessionelle Religionen es gar nicht erst zulassen, dass sich beim Kind ein eigenständi­ges religiöses Interesse entwickelt. Das Kind wird ab Geburt auf ein Denkmuster eingeschworen. Im Islam wird das Glaubensbekenntnis dem Neugeborenen als ersten Satz, den es im Leben zu hören bekommt, ins Ohr geflüstert.

Mit Religion im spirituellen Sinne hat die Verbreitung von Denkmustern durch Prediger und Missionare nur wenig zu tun. Spiritualität setzt auf die Rückbindung des Einzelnen an einen universell gedachten Geist. Predigt und Mission betreiben die Anbindung möglichst vieler an eine Bekenntnis­gemeinschaft. Das eine ist eigentliche Religion. Das andere ist eigentlich Politik.

Da die Predigt nichts darstellt, was durch eigene Anschauung verstanden werden kann, sondern einen Inhalt, der geglaubt werden soll, lenkt sie den Blick der Gläubigen nicht auf die Wirklichkeit, in der göttlich verbriefte Wahrheit zum Ausdruck kommt, sondern auf verbale Bilder, die er nachzusprechen hat. Dogmatische Religionen sind Bilderkulte, die spirituelle Religiosität behindern. Die Scheu des Islam, das Heilige bildhaft darzustellen, ist eine große Errungenschaft. Leider hat er die optischen Bilder aber durch verbale ersetzt, die er stattdessen anbetet.

Der verfehlten Deutung von Religiosität als Bekenntnisakt, Gruppenzugehörigkeit und Gehorsamspflicht entspringt das gespaltete Verhältnis der abrahamitischen Religionen zu Menschenwürde, Menschenrecht und Liebe. Liebe deklarieren sie zwar als zentralen Bestandteil ihrer Botschaft, tatsächlich predigen sie Liebe aber nur gegenüber Gleich­gesinnten. Gegenüber Andersdenkenden predigen sie Ausgrenzung und Hass:

Altes Testament
Neues Testament
Koran

Mordmotive

Es wurde noch nie ein Mensch aus religiösen Gründen ermordet. Was zu Mord und Totschlag aufruft, mag dem eigenen Vorteil dienen oder einem Bild, dem man verfallen ist. Es ist aber keine Religion. Es ist Politik.

4.3. Sekten
Die einzige Möglichkeit des Menschen, Wahres unmittelbar zu erkennen, liegt im Blick nach innen. Wer den Blick auf einen Führer lenkt, hat die Augen bereits zugemacht.

Man könnte meinen, Sekte entspringe wie der Sektor dem lateinischen Verb secare = schneiden, abschneiden, so als liege das Grundprinzip des Sektiererischen darin, dass sich eine kleine Gruppe vom Hauptfeld abspaltet und ihr eigenes Süppchen kocht. Das tun Sekten zwar auch. Tatsächlich liegt das grundlegende Wesen der Sekte aber nicht in der begrenzten Zahl von Mitgliedern, die eigene Wege gehen. Was ihr Wesen primär ausmacht, zeigt der wahre Ursprung des Begriffs. Sekte ist vom lateinischen Verb sequi = folgen abgeleitet.

Eine Sekte besteht aus einem Gründer und seiner Gefolgschaft. Sekten spalten sich nicht nur ab. Sie folgen ihrem Führer. Sekten sind mehr als Gemeinschaften, die neue Wege gehen. Damit die Gruppe ihrem Führer folgt, wird sie auf dessen Lehre einge­schworen. Der Führer lehrt nicht, was er weiß. Er teilt mit, was gedacht werden darf. Eine Antwort auf die Frage, was wahr ist, sucht das Sektenmitglied nicht mehr selbst. Es übernimmt Antworten ungeprüft von außerhalb. Dass es Antworten ungeprüft übernimmt, rechnet ihm der Sektenführer als höchste Tugend an. Er nennt das Glaube.

Jede Gruppe, die sich auf Pro­pheten beruft, ist eine Sekte.

Typisch für Sektierer ist, dass sie sich gezielt vom Umfeld unterscheiden und sich anderen überlegen fühlen. Eine Sekte, die nicht sagt: Wir sind etwas Besseres als die anderen, weil wir unserem Führer folgen, gibt es nicht. Dement­sprechend bleibt eine Sekte auch dann eine Sekte, wenn die Zahl ihrer Mitglieder beträchtlich gestiegen ist. Selbst wenn es einer Sekte gelingt, ganze Völker in ihre Gefolgschaft zu bringen, ändert sich daran nichts. Große Sekten kompensieren ihre Abspaltung durch die Vereinnahmung aller.

Folgen oder Befolgen

Nicht jede Glaubensgemeinschaft, die auf einen Gründer verweist, ist eine Sekte. Was einen Menschen zum Sektengründer macht, ist nicht, dass er lehrt; also Sichtweisen vertritt und sie einer Gefolgschaft zur Orientierung em­pfiehlt. Eine Sekte macht aus, dass sie Folgsamkeit fordert. Ein Sekten­führer rät nicht nur dazu, seine Lehren zu beachten, er verlangt, sie zu befolgen... und droht dem, der es nicht tut, dies- oder jenseitige Strafe an. Da Buddha das nicht tat, war er kein Sektengründer.

Strafe oder Konsequenz

Konsequenz ist eine einfache Kausalverkettung. Wer nicht auf den Baum klettert, um die Kirsche zu pflücken, kann sie nicht essen. Eine Konsequenz mag das Verhalten dessen, der ihr ausgesetzt ist, zwar verändern, sie fügt ihm aber keinen weiteren Schaden zu, weil er sie missachtet.

Strafe ist eine absichtliche Zwangsmaßnahme. Sie entspringt Herrschafts­ansprüchen gegen­über Eigenständigen, die sich dem Herrschaftsanspruch widersetzen. Wer sich weigert, auf den Baum zu klettern, wird zu Stock­hieben verurteilt. Religiöse Lehrer drohen keine Strafen an. Sektengründer tun es. Mehr noch: Wer einen Gott ausruft, der mit Strafen droht, ist ein Sektengründer.

4.4. Gehorsam und Unterwerfung
Offenbarungs­religionen verlagern die Verantwortung für die Wahr­heitsfindung in ein imaginäres Außen. Dort findet sie nicht statt.

Wer sich dem Heiligen zu unterwerfen versucht, versucht sich das Heilige zu unterwerfen.

Echte Religion macht frei. Sie unter­wirft nie. Sie befreit das Individuum aus dem ego­zentrischen Horizont des Entweder-oder in die Erkenntnis eines ungespaltenen Seins.

Wer zweimal am Tag fragt: Was kann ich erkennen, hat mehr für den Himmel getan als der, der zwei Stunden vor ihm nieder­kniet.


Falls das Eine tatsächlich in allem ist, darf man zur Ehre des Einen nichts beugen; auch nicht sich selbst vor einer Lehre, einem Altar, einer Mauer oder einem Stein, der vom Himmel gefallen ist. Wer das Eine nicht in allem sieht, behauptet, dass es Grenzen hat.

Weil man im Akt der Selbst­erniedrigung Gott verkennt, hat sich noch nie jemand tatsächlich vor Gott gebeugt. Wovor sich Menschen gebeugt haben, war ihre Hoffnung, dass man durch Selbst­erniedrigung erhöht wird.

Der Glaube an die heilbringende Kraft des Gehorsams entspringt einer objektivistischen Auffassung des Individuums und vertieft sie zugleich. Wer Gehorsam predigt, sieht den Menschen als Teil des Gemachten, aber nicht als Ausdruck des Seins.

Abrahamitische Glaubensbekenntnisse beschreiben Religiosität als Gehorsamsakt und Unterwerfungsgeste. Das liegt an dreierlei:

  1. an der archaischen Auffassung des Heiligen als Gottesperson
  2. am politischen Charakter konfessioneller Religionen
  3. an der Egozentrizität der abrahamitischen Glaubenskonzepte

Mythologisch gründet die archaische Auffassung im Beispiel Abrahams. Der biblische Gott verspricht dessen Nachkommen das gesamte Gebiet, von dem die Hebräer damals wussten. Dafür stellt er eine Bedingung: Abraham musste sich zum absoluten Gehorsam verpflichten und diesen Gehorsam durch eine radikale Unterwerfungsgeste beweisen... die Bereitschaft, seinen Sohn Isaac zu töten.

1 Moses 22, 2-17:*
Gott sprach: "Nimm deinen einzigen Sohn... und bringe ihn... zum Brandopfer dar!"... Dann streckte Abraham seine Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. Da rief ihm der Engel des Herrn vom Himmel herab zu...:""... Tue ihm nichts an, denn jetzt erkenne ich, daß du ein gottesfürchtiger Mann bist und selbst deinen einzigen Sohn mir nicht vorenthalten hast."... "weil du dies getan hast... will ich dich segnen mit reichem Segen...

Berechnungen

Gehorsam ist eine Taktik des Egos durch die es sich Vorteile ver­schaffen will. Gleiches gilt für die absichtliche Selbsterniedrigung.

Matthäus 23, 12:*
Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht.

Selbsterniedrigung zum Zwecke der Selbsterhöhung ist eine ego­zentrische Tat zum eigenen Vorteil. Was seinen Vorteil berechnet, bleibt bei der Zahl. Unendlichkeit wird durch keine erreicht. Siebenundfünfzig steigt auch dann nicht auf sechsundneunzig, wenn es so tut, als sei es zweiunddreißig. Das Wenige braucht sich nicht zu erniedrigen, wenn es einsieht, dass es wenig ist.

Die Struktur des abrahamitischen Vorbilds ist in die gedanklichen Konzepte der entsprechenden Konfessionen eingeflossen. Was dort gefordert wird, ist nicht mehr nur der Sohn, den man dem Glauben auszuliefern hat und den man gegebenenfalls für den Glauben in den Tod schickt. Gefordert wird auch die Opferung des höchsten Wertes im Gläubigen selbst. Der Gläubige hat das Subjekt in sich zu opfern und es zum Objekt einer äußeren Macht herabzustufen; denn das Subjekt ist jene Instanz, die eigenständig wahr oder unwahr erkennt.

Vom Subjekt und den Objekten

Objekte sind Bilder der Subjektivität. Während das Objekt Unterwor­fensein verkörpert, ist es die Subjektivität im Objekt, die das Unterworfensein erlebt. Subjektivität ist gleichzeitig jenes Prinzip, dem Wirksamkeit und die Freiheit zur Entscheidung zufällt. Was nicht mehr entscheiden darf, ist kein Subjekt mehr im vollgültigen Sinne. Das Subjekt kann sich aber nie für oder gegen Gott entscheiden, weil es dessen Ausdruck ist. Zweifelt jemand an Gott, dann als Ausdruck einer gottgegebenen Möglichkeit. Der Zweifel ist daher zu respektieren.

Die Idee, Religiosität sei praktizierte Unterwerfung unter das Heilige, ist unzutreffend. Man kann sich einem Gottesbild unterwerfen. Da Gottesbilder aber nur Teilaspekte des Heiligen sind, ist der religiöse Wert jedweder Unterwerfungsgeste gegenüber dem Heiligen an sich nur eine Fiktion. Das hat Gründe:

Zu wissen, diesem oder jenem Aspekt der Wirklichkeit unterworfen zu sein, stiftet kein Unheil. Ein Unterwerfungs­akt dagegen tut es.
  1. Unterwerfungsakte sind Verkennungen des Heiligen. Sie beinhalten einen Dualismus, also eine Trennung zwischen dem Unterworfenen und dem, dem sich der Unterworfene unterwirft. Die Heiligkeit des Heiligen liegt aber nachgerade darin, nicht in Dualismen gespalten zu sein. Weil er gegen die Heiligkeit des Heiligen verstößt, stiftet in der Folge jeder Unterwerfungsakt Unheil. Da Gott als Gottesperson gedacht Form ist und Form Teil, gehört zur Demut vor dem Heiligen Ungehorsam gegen jeden als Person gedachten Gott.

  2. Das Unterworfensein der Teile unter das Ganze ist in der Existenz der Teile bereits enthalten. Ein nachträglicher Akt der Unterwerfung unterstellt, dass das Unterworfensein nicht vom Göttlichen ausgeht, sondern vom Gläubigen. Damit behauptet der Gläubige, er stehe über dem Göttlichen, da er ihm das Unter­worfensein gewähren oder auch verweigern könnte. Das verkennt die Erhaben­heit des Heiligen. Wenn der Gläubige dem Göttlichen überhaupt etwas bieten kann, ist es der Mut, jenen Teil der Wirklichkeit ungebeugt zu ehren, den Gott ihm - als ihn selbst - zu ehren anvertraut. Dazu gehören sowohl jene Aspekte der Wirklichkeit, die der Gläubige in sich selbst entdeckt als auch die, denen er im Umfeld begegnet.

Externe Verweise zum Thema Genital­verstümmelung
Wikipedia
Stop Mutilation e.V.

Beschneidungen

Die Beschneidung von Säuglingen, die das Judentum betreibt, und die von Knaben im Islam, symbolisiert die Unterwerfung des Individuums unter das Diktat der jeweiligen Weltanschauung. Allerdings wird die Beschneidung nicht nur körperlich vollzogen. Beschnitten wird vor allem die Freiheit des Geistes, eigenständig nach seiner Position im Kosmos zu fragen. Die seelische Beschneidung, die durch die zwangsweise Ausrichtung am Glauben vollzogen wird, ist schädlicher als die körperliche. Kindesmissbrauch sind beide.

Noch weit schwerer als die Beschneidung von Knaben wiegt die Genital­verstümmelung von Mädchen. Sie ist kein Gebot von Bibel und Koran und wurde auch schon in vorchristlicher und vorislamischer Zeit praktiziert.

Es bleibt jedoch zu fragen, ob der abrahamitische Glaube an das Verfügungsrecht von Eltern über Kinder nicht mit der Tatsache zusammenhängt, dass die Genitalverstümmelung hauptsächlich in islamischen Ländern, aber auch in christlichen (z.B. Äthiopien), vollzogen wird. Wer schweigt, stimmt zu.

4.5. Personenkulte

Konfessionelle Religionen beschreiben das Göttliche als Person. Je nach Tradition benennen sie ihre Gottesperson so oder anders.

Wer Gott als Person begreift, stellt sich Gott gegenüber. Wer sich Gott gegenüberstellt, leistet ihm Widerstand.
Das eine Selbst, das jeder in sich trägt, hat keinen Namen.

Namen sind Unterscheidungsmerkmale. Sie kennzeichnen ein abgegrenztes Etwas, das von den Grenzen eines anderen Etwas begrenzt wird. Eine Begrenzung des Göttlichen setzt es zum Objekt herab. Was ist dann aber das Besondere am Göttlichen, außer dass es größer als ein anderes Objekt sein mag?

Der Begriff Person geht auf das etruskische Wort phersu zurück. Phersu bedeutet Maske. Personen sind Masken, durch die hindurch sich Subjektivität begegnet. Es mag sein, dass Menschen Masken brauchen; aus Angst, dass man sie sonst erkennt oder als Kostüm auf dem Maskenball des Lebens. Wäre das Göttliche aber eine Person, was steckte dann hinter ihrer Maske? Eine Person kann niemals letzte Wirklichkeit sein, weil eine Person von ihrem Wesen her sich selbst verbirgt.

Jede Behauptung, dass ein Prophet über Zweifel erhaben ist, setzt das Erhabene mit Gegebenem gleich.

Konfessionen betreiben nicht nur Personenkult mit Göttern, die angeblich Namen tragen, sie ordnen ihren Göttern auch menschliche Personen zu, deren Rang sie durch vorgebliche Nähe zur Gottes­person über den Rang normaler Menschen setzen. Auch solche Personen beten sie an: als Heilige. Oder sie entheben sie als den einen geheiligten Propheten jeder Kritik. Mehr noch: Konfessionen verleihen Menschen klerikale Ränge, denen angeblich ein besonderer Respekt zu zollen ist. All das ist Personenkult.

Wer das Göttliche als Person bezeichnet und seinen Namen neben den von Menschen setzt, bindet den Blick an Grenzen. Dem Geheimnis wird er damit nicht gerecht.

4.6. Bilderverehrung

Die Verehrung bildhafter Darstellungen des Göttlichen hat Tradition. Sie wurde schon in der Steinzeit betrieben.

Von der Stellung der Darstellung

Ein Bild ist etwas vom Menschen Gemachtes, das er seiner Wahrnehmung als Ersatz des Wirklichen vorstellt. Es kann dazu dienen, auf das Wirkliche zu verweisen; aber nur wenn sein dienender Charakter anerkannt bleibt und dem Bild nicht die Heiligkeit zugesprochen wird, die nur dem Wirklichen zukommt. Der Islam hat die Problematik des Bildhaften zwar ausdrücklich benannt, indem er sich selbst für heilig hält, ist er ihr aber umso mehr verfallen. Aussagen über das Heilige können nur Bilder sein. Bilder, die sich als heilig bezeichnen, betreiben Bilderkult.

Der Konkretismus einer bildhaften Darstellung hilft dem Menschen, das Unfassbare soweit zu verkleinern, bis es in den Horizont seiner Vorstellung passt. Das hat Vorteile:

Fetischismus
Der Begriff Fetisch ist vom lateinischen factitius abgeleitet. Factitius heißt künstlich erzeugt, nachgemacht. Wird das Göttliche durch etwas von Menschen Gemachtes ersetzt, dem gegenüber religiöse Ehrerbietung eingefordert wird, dann ist das ein religiöser Fetisch. Fetische können materiell, virtuell bzw. ideell sein.

Der Ersatz des Wirklichen durch das Bildhafte führt dazu, dass der religiöse Impuls von seinem eigentlichen Ziel abgelenkt wird. Statt ins Unbestimmbare zu blicken, dem das Verwirklichte entspringt, begnügt er sich mit der austauschbaren Symbolik, die dieser oder jener Glaube ins Bild gesetzt hat.

4.7. Politische Mitgliedschaften

Heil versprechende Glaubens­pflichten

Konfessionelle Gruppen denken in politischen Kategorien. Deshalb betrach­ten sie den Beitritt zur eigenen Partei als den entscheidenden Schritt religiösen Handelns. Werkzeug des Beitritts ist entweder Bevormundung mittels religiöser Entmündigung in der Kindheit oder ein Glaubens­bekenntnis. Die Mehrzahl der Gruppenmitglieder tritt nicht durch ein reflektiertes Glaubensbekenntnis bei. Sie wird vielmehr durch Beschneidung, Taufe und eine sogenannt religiöse Erziehung vereinnahmt. Die Mitgliedschaft in der richtigen Glaubenspartei und die öffentliche Befolgung der jeweiligen Glaubenspflichten verleiht dem Laien angeblich eine inhaltlich erfüllte religiöse Ausrichtung seiner Existenz. Im Gegensatz dazu wird der Vollzug von Ritualen konkurrierender Konfessionen als Sünde betrachtet, die das Recht auf jenseitigen Heilsempfang zunichtemacht.

Eine inhaltliche Religiosität im vollgültigen Sinne, nämlich ein spirituelles Interesse, spielt für konfessionelle Glaubenslehren eine nachgeordnete Rolle. Das Bemühen um die Ausrichtung des Daseins am Göttlichen ist in den Augen politisch-religiöser Konfessionen wertlos, wenn sich die Ausrichtung nicht an gruppenspezifische Dogmen, Benennungen und Rituale hält.

Johannes 14, 6:*
Niemand kommt zum Vater außer durch mich.

Indem sie Inhalte Formen nachordnen, entwerten Konfessionen echte Religiosität. Sie degradieren sie zur Konformität mit den Ansichten des prägenden Umfelds.

Rollenspiele

Die Tatsache, dass Konfessionen überwiegend durch Erziehung und nicht durch Überzeugung vermittelt werden, zeigt, dass ihre Glaubenspositionen meist Resultat bloßer Indoktrinationen sind. Sie fordern Identifikation statt Identität.

Vertauscht man ein jüdisches mit einen arabischen Kind und erzieht beide ohne ihr Wissen um den Tausch im jeweils anderen Lager, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das ursprünglich jüdische Kind Israel einst als überzeugter Moslem verteufeln wird; und umgekehrt.

Bloß Gedankenspiele? 722 vor Christus wurden neun der zwölf Stämme Israels nach Assyrien umgesiedelt und haben sich dort assimiliert. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass sich nördlich-östlich des Golan heute mehr hebrä­isches Blut über die jüdische Landnahme Palästinas empört, als sich südlich davon dafür begeistert.

4.8. Eigen- und Fremdgefährlichkeit

Dogmatische Denkmuster schränken die geistige Beweglichkeit derer ein, die ihnen verhaftet sind. Insofern schadet jeder Dogmenglaube seinen Anhäng­ern. Es geht von ihm eine Eigengefährdung aus.

Ein anderes Problem ist das der Fremdgefährlichkeit. Wie stark entwertet ein Glaube Andersdenkende und wie groß ist die Gefahr, dass Hass, der dieser Entwertung entspringt, anderen unmittelbar schadet?

Drei Faktoren sind Ursache dafür, dass die jüdische Theologie mit Abstand am wenigsten fremdgefährlich ist.

  1. Auch wenn die Mehrheit der Juden keineswegs rassistisch ist, wurzelt der Ursprung ihres Glaubens in spürbar rassistischen Denkweisen.

    Esra 9, 1-3:*
    "Das israelitische Volk und die Priester und Leviten haben sich nicht von den Heidenvölkern... abgesondert... Für sich und ihre Söhne nahmen sie sich aus deren Töchtern Frauen; so hat sich der heilige Same mit den Heidenvölkern des Landes vermischt. Bei diesem Treubruch spielten Fürsten und Vornehme die erste Rolle. Sobald ich davon Kunde erhielt... saß (ich) tief erschüttert da.

    Esra 9, 12:*
    Gebt daher eure Töchter nicht ihren Söhnen... Sucht nie ihr Glück und ihren Wohlstand, damit ihr stark werdet, die Güter des Landes genießt und für immer euren Söhnen vererbt!

    Die Idee vom auserwählten Volk schützt die jüdische Theologie vor der Versuchung, sich für alle verbindlich zu machen; denn Menschen können sich nur dann einem auserwählten Volk zurechnen, wenn sie ihr Volk von anderen grundsätzlich unterscheiden. Juden sind daher nicht von der Idee beseelt, es sei ein Verdienst, jedermann zu ihrem Glauben zu zwingen. Für einen Juden dürfen Hindus Hindus, Moslems Moslems und Buddhisten Buddhisten sein. Erst wenn der Messias käme, hätten rechtgläubige Juden laut Bibel die Recht, sich als Tyrannen zu betätigen. Da es soweit niemals kommen wird, können sie von sich aus mit anderen in Frieden leben... vermutlich bis in alle Ewigkeit.

  2. Gemeinsam mit den Umständen ihrer Entstehungsgeschichte bedingt dies, dass sich die jüdische Theologie im Gegensatz zu ihren jüngeren Brüdern sadistischer Phantasien weitgehend enthält. Da sie ihre Anhänger vor Ankunft des Messias nicht zur Welteroberung anstacheln will, schürt sie keine Höllenängste um die Disziplin zu steigern. Allein das schützt sie im Vergleich zu ihren Brüdern vor schwerer Entgleisung in menschenverachtende Exzesse.

    Entstehungsgeschichte

    Die mosaische Verheißung dachte nicht über Generationen hinweg. Sie versprach der ersten Generation den sicheren Sieg und damit den vollen Lohn im Diesseits. Ein Jenseits, in dem Opponenten zur Strafe ihres Ungehorsams ewige Qualen erleiden, hat sich das Judentum nicht ausgedacht. Die Idee, dass die einen jauchzen, während andere ewige Qualen erleiden, kam erst mit dem Christentum auf (Offenbarung 19, 3).

  3. Die jüdische Ausgrenzung anderer ist defensiv. Bis zur Ankunft des Messias versucht das Judentum keineswegs, die Welt zu erobern. Es will, dass die Welt es in Ruhe lässt. Da die jüdische Eschatologie jedoch Ereignisse ankündigt und letztlich herbeisehnt, die für andere Völker alles andere als erfreulich wären, zieht es Missgunst und Hass auf sich. Historisch gesehen hat es daher seit dem Ende der Makkabäer bei weitem mehr Leid erlitten als vollstreckt.

4.8.1. Feindseligkeit
Kriterien der Feindseligkeit
Eine Weltanschauung ist feindselig, wenn sie...
  1. den Wert Andersdenkender für geringer erachtet als den ihrer Anhänger.

  2. zur Benachteiligung oder Vernichtung von Personen aufruft, die sich aus ihrer Gefolgschaft lossagen oder die Gefolgschaft verweigern.

Wer der Wahrheit treu bleibt und das Individuum achtet, hat jeder Kultur den Respekt gezollt, der ihr zusteht.

Abrahamitische Religionen stehen stets im Konflikt mit anderen Gruppen. Zudem spalten sie sich in nach­geordnete Glaubens­parteien auf, die sich ihrerseits bekämpfen. Die Ursache dieser Feindseligkeit liegt in der Struktur der mosaischen Theologie.

Die Ausrufung des biblischen Glaubens ist untrennbar mit dem Angriffskrieg der Hebräer gegen Kanaan verbunden. Diese Tatsache ist für das Judentum nicht reflektierbar, da das Eingeständnis seiner kriegerischen Grundhaltung die Aufrecht­erhaltung seines moralischen Anspruchs unmöglich macht. Das Judentum existiert in der Tragik einer Opferrolle aus der heraus es die Verbrechen anderer beklagt, ohne zu erkennen, dass seine Existenz von der Verherrlichung gleichartiger Verbrechen seiner Gründerväter abhängt.

Respekt vor der Kultur
Vor Kultur an sich wird oft Respekt gefordert. Im Großen und Ganzen mag das sinnvoll sein, zumindest um Konflikte zwischen Kulturkreisen zu vermeiden. Kultur ist aber nicht nur edel und stets zum Segen der Menschheit. Dem Wohl des Einzelnen gegenüber ist sie oft rücksichtslos. Was daher zählt, ist nicht der blinde Respekt vor einer spezifischen Kultur, also einem Gefüge kollektiver Verhaltensmuster und Realitätsdeutungen, das sich geographisch umschrieben und historisch bedeutsam verfestigt hat, sondern der Respekt vor der Wahrheit und dem Individuum; unabhängig von dessen kultureller Prägung. In diesem Respekt ist alles Notwendige enthalten.

Reihenfolge
Da jede positive Qualität von Gemeinschaft nur im Hinblick auf jene Individuen positiv ist, aus denen sie besteht oder denen sie begegnet, ist Gemeinschaft dem Individuum nachgeordnet. Gemeinschaft ist eine Interaktions­dynamik. Im Gegensatz zum Individuum hat sie kein eigenes Selbst. Also kann ihr Wohl­ergehen nur im Hinblick auf den Einzelnen sinnvoll sein. Wenn vom Einzelnen die Rede ist, der über der Gemeinschaft steht, dann ist kein bestimmter Einzelner gemeint, sondern der Einzelne an sich.

Kulturelle Gemeinschaf­ten, die besonderen Respekt für sich fordern, sind regelhaft solche, denen es am Respekt vor der Wahrheit und dem Einzelnen mangelt. Kulturen, die Gott als Einzelnen betrachten, den Einzelnen an sich jedoch entwerten, leben im Schatten des eigenen Widerspruchs.

Die biblische Theologie ist dualistisch. Sie spaltet zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen heilig und profan. Das führt zu einer Entwertung der Welt und des Menschen. Die Schöpfung wird als Beute betrachtet, die man sich untertan macht. Den Menschen stellt der Glaube vor eine Wahl, die seinem Wesen widerspricht. Der Glaube sagt: Wenn du dich nicht unterwirfst, bist du wertlos.

Da Unterwerfung das Unterworfene entwertet, ist es einem Menschen, der die bib­lische Theologie nicht hinter sich lässt, unmöglich, sich der angeblich unvermeidlichen Wahl ohne Verlust an Selbstachtung zu entziehen. Die Abwertung, der abrahamitische Religionen den Einzelnen aussetzen, führt zu einem Selbsthass, der im nächsten Schritt auf Mitglieder der eigenen oder konkurrierender Gruppen verschoben wird. Jede abrahamitisch geprägte Gesellschaft ist von verleugneter Aggression durchsetzt.

Antisemitismus
Antisemitismus ist ein Merkmal abrahamitischer Kulturkreise. Das hat psychosoziale Ursachen, die in zweierlei verankert sind:
  1. dem Selbstverständnis des Judentums
  2. der entgleisten Selbstwertregulation kranker Menschen

Indem der alttestamentarische Text seine Anhänger als auserwähltes Volk beschreibt, dessen Aufgabe in der Vernichtung, Belehrung, Bevormundung und Beherrschung fremder Völker liegt, formuliert er anderen gegenüber eine ausdrücklich abwertende Botschaft. Gemäß der immanenten Logik der alttestamentarischen Theologie ist der nicht-jüdische Mensch nicht als vollwertig auserwählt, sondern in eine untergeordnete Rolle abgewählt.

Diese Botschaft trifft auch Menschen mit brüchigem Selbstwertgefühl und eigener Bereitschaft, andere abzuwerten. Als verfehlte Abwehr gegen ihre Selbstwertzweifel und als unreflektierte Reaktion gegen entwertende Botschaften von außen, formulieren solche Menschen oft ein Weltbild, das Aspekten der alttestamentarischen Realitätsdeutung spiegelbildlich nachempfunden ist: eine Mischung aus nationaler Selbsterhöhung und Herabsetzung anderer. Antisemitismus ist daher nicht nur als Widersacher des Judentums zu verstehen, sondern auch als eine Entgleisung des Denkens, die kausal mit dem biblischen Menschenbild verwoben ist. Opfer und Täter verbindet mehr, als dass sie sich gegenseitig hassen.

Antisemitismus vertieft die Spaltung, die vom ausgrenzenden Weltbild der Bibel angestoßen wird. Er tut das radikal. Da er im Gegensatz zur ausgrenzenden Haltung des Judentums nicht defensiv, sondern aggressiv ist, hat der Antisemitismus vor allem in der jüngsten Geschichte schwersten Schaden angerichtet. Wenn er Macht bekommt, wird er das erneut tun. Antisemitischen Tendenzen ist daher konsequent entgegenzutreten. Sie bedrohen nicht nur Juden. Sie bedrohen die Gesellschaft insgesamt. Bei Bedarf ist das Judentum als vergleichsweise harmlose Narretei vor der boshaften Verirrung seiner Feinde zu schützen.

Erschwert wird eine Lösung des Antisemitismusprobems durch die oberflächliche Denkweise all jener, die jede religionskritische Aussage, die auf die alttestamentarische Theologie verweist, als ihrerseits "antisemitisch" abstempeln. Das ist fahrlässig, weil es Spaltungen aufrechterhält und eine wissenschaftlich korrekte Analyse der Kausalfaktoren des Antisemitismus behindert. Dass der Antisemitismus weiterhin gefährlich ist, liegt auch an denen, die ihn zwar beklagen, aber nicht bereit sind, seine Ursachen grundsätzlich zu verstehen.

Warum gibt es keinen Antitibetismus? Weil sich die Tibeter keine Weltanschauung zu eigen gemacht haben, die der tibetischen Abstammungslinie eine Bedeutung beimisst, die die Gleichrangigkeit anderer Völker in Frage stellt.

Dem Mechanismus der Spaltung folgt Projektion. Spaltende Weltbilder neigen dazu, die Verantwortung für ihre Feindseligkeit abzuwehren. Zum einen projizieren sie sie auf Konkurrenten. Wer sich gegen Überwältigung wehrt, zeigt angeblich seine Bosheit an. Zum anderen erklären sie die eigene Aggression zu der ihres Gottes, der sich von den Widersachern der Gläubigen geschädigt sieht. Daher sprechen Konfessionen von sogenannten Feinden Gottes.

Feinde Gottes

Der Begriff Feind geht auf das indoeuropäische pe[i]- = schädigen, weh tun zurück. Ein Feind kann absichtlich schaden. Um jemandes Feind zu sein, muss man die Macht dazu haben, Schaden anzurichten.

Gibt es Feinde des Universums? Es könnte sein, dass jemand zornesrot die Fäuste in den Himmel streckt und dem Universum droht: Wenn ich dich erwische, kannst du was erleben. Es könnte sogar sein, dass ein solcher Wüterich die Erde mit Plutonium verseucht. Das Universum ficht das jedoch nichts an. Also kann der Wüterich kein Feind des Universums sein; selbst wenn er es gerne wäre. Vielmehr bleibt er Ausdruck einer umfassenden Dynamik, die ihn und seine Wut hervorbringt. Nicht er ist Feind des Universums. Das Universum ist sein Schöpfer.

Wenn der Mensch außerstande ist, sich zum Feind des Universums aufzu­schwingen, wie sollte er es dann schaffen, gar Gottes Feind zu sein? Also gibt es keine Feinde Gottes. Es gibt Verkenner und Verblendete, Verein­nahmte, Ver­irrte, Betrogene und Berauschte, die glauben, dass jemand, der ihrem Glauben widerspricht, sich durch den Widerspruch mit Gott verfeindet. Tatsächlich steht das Absolute über allem. Es ist durch Feindschaft unerreichbar.

4.8.2. Heiliger Krieg

Die abrahamitische Religion hat eine besondere Idee kultiviert: die vom sogenannten Heiligen Krieg. Auch wenn der Begriff heute selektiv mit dem Islam assoziiert ist, ist die Idee, die er benennt, bei weitem älter. Gewiss: Völker sind auch vor Moses über ihre Nachbarn hergefallen. Auch vor ihm baten sie ihre Götter dabei um Hilfe. Anders als Moses erklärten sie den eigenen Krieg aber kaum je zur Sache des Himmels. Sie sahen die Götter als Helfer im Kampf, deren Hilfe man sich mit Gebet und Opfergaben verschaffen konnte, nicht aber als Kriegsherren, die in eigener Sache losschlugen.

Moses' Idee war revolutionär: Nicht dass die israelitische Führung Krieg wollte. Nicht dass sie ihren Gott für ihr Vorhaben um Beistand bat. Nein, es war Gott persönlich, der gegen Teile der eigenen Schöpfung Krieg vom Zaune brach. Israel war bloß seine Truppe, die er zum göttlichen Feldzug gegen Kanaan in Ägypten aushob.

2 Moses 7, 1-4:*
"Siehe, ich habe dich zum Gott für den Pharao bestellt, dein Bruder Aaron soll dein Prophet sein!... Ich... führe meine Heerscharen... die Kinder Israels, aus dem Ägypterland heraus unter gewaltigen Strafgerichten.

Einheit und Zerstückelung
Kann es einen heiligen Krieg überhaupt geben? Wohl kaum; denn das Heilige ist nachgerade das, was das Seiende in eine Einheit fasst. Da Krieg stets die Vernichtung anderer betreibt und sie somit aus dem Ganzen ausschließt, ist die Begriffsbildung des Heiligen Krieges widersinnig. Es mag Gründe geben, Krieg zu führen, keiner macht ihn aber heilig.

Moses' Idee bot im Krieg erhebliche Vorteile:

Moses' Idee vom Heiligen Krieg hat die Jahrtausende über­dauert. Sie hat Gewalt zum Gottesdienst erklärt. Auch heute noch bietet sie einen Fächer an Abwehrmecha­nismen, der Tausende auf der Flucht vor ihren Missständen begeistert.

Heidnischer und Heiliger Krieg

Heidnische Religion Politische Religion
Der Mensch führt Krieg. Gott führt Krieg.
Gott hilft ihm. Der Mensch ist sein Soldat.

4.9. Egozentrik
Konfessionelle Religion versucht die Person zu verewigen, mystische lässt sie hinter sich.

Es ist nicht so, dass es schwer wäre, Ganzheit zu erleben. Es ist so, dass man sich dagegen wehrt. In der Gegenwart Gottes gibt es nichts, was ihm begegnen könnte. Es gibt nur das, wodurch er sich zum Ausdruck bringt. Gott ist kein Retter der Person. Er ist ihr Ende. Er ist, worin sie auf- und untergeht.

Dualistische Religionen sind egozentrisch. Das Grundmotiv des dualis­tisch-religiösen Strebens ist weder Gott noch dessen Schöpfung. Es ist die Sorge des Gläubigen um den Bestand seiner Person. Gott interessiert als jene Macht, die diesen Bestand sicherstellen könnte. Altruistische Tugenden gegenüber Glaubensbrüdern, die Ausgrenzung Andersden­kender, die Befolgung vermeintlich göttlicher Gebote, die Anwendung konfessionsspezifischer Rituale und Praktiken haben das Ziel, Gott dazu zu bewegen, den Wunsch der Person nach ewigem Bestand zu erfüllen.

Die egozentrische Perspektive spaltet das Bild der Wirklichkeit in Sein oder Nichtsein. Sie verurteilt die Person dazu, gegen die Welt existieren zu wollen. Entlang der Trennlinie zwischen dem, was sie für sich hält und dem, was sie nicht für sich hält, sowie dem, was sie als ihren Vor- bzw. Nachteil betrachtet, erzeugt sie im Geiste eine virtuelle Existenz von Inhalten, Vorstellungen und Verdichtungen mit der sich die Person handelnd gleichsetzt. Die Person sagt: Das bin ich, aber jenes bin ich nicht. Ins Ganze einzugehen entspricht dem Ende dieser gespaltenen Selbstdefinition. Für das mys­tische Ich sind Sein und Nichtsein (für oder gegen mich) keine Gegensätze. Es sind Pole der Ganzheit.

Objektzentrierung

Dualistische Religion hat kein durchdringendes Verständnis des Subjektiven. Sie definiert das Subjekt als ein ichbewusstes Objekt, das anderen Objekten als abgetrennte Einheit gegenübersteht. Deshalb beschreibt sie Gott als Person, also als eine weitere abgetrennte Einheit, die sich von den übrigen Personen nur dadurch unterscheidet, dass sie diese unangefochten dominiert. Der persönliche Gott ist das Ich-Ideal der Egozentrizität.

Die wesentliche Eigenschaft des Objekts ist die Oberfläche, die es anderen Objekten zuwendet und durch die es von ihnen geschieden ist. Da dualistische Religion Gott und den Menschen als bloße Personen betrachtet, ist ihre Betrachtung der Wirklichkeit oberflächlich. Sie dringt nicht in die Tiefe des Geistigen ein. In der Folge definiert sie eine Moral als interpersonelles Regelwerk. Sie definiert aber keine Ethik als Übereinstimmung des Subjekts mit sich selbst.

4.10. Behinderte Vereinbarkeit

Jeder Offenbarungsglaube lehnt geistige und gesellschaftliche Vielfalt ab. Jeder Prophet sagt: Ich kenne die Wahrheit und verkünde sie dir. Deine Aufgabe ist es, Mir gehorsam zu folgen. Prophet zu sein heißt, nicht Dir, sondern mir groß zu schreiben. Das hat mit Machtanspruch zu tun; denn wer glaubt, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein und beauftragt, sie zu verbreiten, hat den ersten Schritt zu Gewalt und Willkür getan.

Bibel und Koran verstehen sich als Offenbarungsschriften. Dem entspringt ihr Gewalt­potenzial. Obwohl sie darin ähnlich sind, sind sie auch verschieden.

Obwohl der jüdisch-christliche Glaube dem Pluralismus gegenüber feindlich ist, ist gedankliche Vielfalt durch die Textstruktur seiner grundlegenden Schriften bereits angelegt. Es lag deshalb nah, dass aus dem jüdisch-christlichen Kulturkreis der Sprung in die Aufklärung, also in den Respekt vor Individualität und Vielfalt, gelang.

Im islamischen Gründungstext hat niemand etwas zu sagen als eine einzige Person. Der Islam hat das Gepräge eines absolutistischen Personenkults. Die Aussicht, dass er sich mit der Aufklärung versöhnen lässt, ist entsprechend gering. Es fehlt ihm jede Bereitschaft anzuerkennen, dass unter­schiedliche Individuen in ihrer Individualität zu respektieren sind. Der Islam ist mit einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung schwerer vereinbar als Juden- und Christentum.

5. Positive Aspekte konfessioneller Glaubensformen

Konfession ist legitim, wenn sie sagt: Ich bin vorläufig.

Obwohl konfessionelle Glaubensformen schon deshalb Jahrtausende überstehen, weil ihre Struktur auf Machterhalt ausgerichtet ist, gibt es andere Gründe für ihren Bestand: Sie bieten vielen Menschen Vorteile. Täten sie das nicht, hätten sie nicht bis heute überdauert.

Die Vorteile, die zu erkennen sind, sind psychologischer, sozialer und politischer Natur.

Obwohl der religiöse Wert der Konfessionen kritisch zu betrachten ist, haben sie als weltanschauliche Grundlage autoritärer Gesellschaftsstrukturen und vereinfachter Welt­bilder, die vielen Menschen psychologische und faktische Vorteile bieten, in der Geschichte Funktion und Erfolg gehabt. Sie werden es solange haben, bis der Mensch sich selbst erkennt.


* Die Heilige Schrift / Familienbibel / Altes und Neues Testament, Verlag des Borromäusvereins Bonn von 1966.
** Der Koran, (Komet-Verlag, ISBN 3-933366-64-X), Übersetzung von Lazarus Goldschmidt aus dem Jahr 1916.