Der Kontakt

Die Etymologie der Begriffe...


1. Kontakt

1.1. Die Religion, die Antike, die Renaissance und deren Verbindung

Mit der Machtübernahme des Christentums wurde das Mittelalter eingeläutet. Gleichzeitig brach die Verbindung des abendländischen Denkens zu seinen antiken Ursprüngen ab. Leitidee des Christentums war der Kontakt zum idealen Einen und die Einbindung in die Gemeinschaft, die sich in seinem Namen zusammenschloss; denn es hieß: "Ich bin das Wort" und "Wo zwei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen".

Mit dem Auftrag "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" wurde vom christlichen Heilsgedanken der Ich-und-Du-Kontakt als jener wesentliche Bereich der menschlichen Existenz benannt, in dem die Präsenz der Wahrheit aufleuchtet, sofern man sich an die göttlichen Gesetze dieser Wahrheit und des Kontaktes hält, der von ihrem Licht durchdrungen ist. Zum selbstverständlichen Repertoire antiker Gesellschaftsordnungen hatte bis dahin die Ausbeutung der Schwachen durch Mächtige gehört. Da die Versklavten und Benachteiligten diesen Missbrauch am härtesten zu spüren bekamen, wundert es nicht, dass der christliche Glaube bei den Armen und Beladenen auf fruchtbaren Boden fiel.

Der christlichen Hinwendung zum "Guten" entsprach der Abbruch aller Verbindungen zu der als sündig empfundenen antiken Geisteswelt, da sich diese in den Augen der Christen nicht klar genug gegen die Rohheiten ihrer Zeit abgegrenzt hatte. Im Eifer des Gefechts schnitt man jedoch nicht nur die Verbindung zu den Verfehlungen, sondern auch die zu den Tugenden der Antike ab.

Erst als sich die Hoffnung, die Macht der Kirche sei hinreichender Wegbereiter einer humanen Gesellschaft im Dunkel der Jahrhunderte als Trugschluss erwies und erst als die Macht dieser Kirche nicht mehr groß genug war, die Kritik an ihrem Treiben gewaltsam zu unterbinden, konnten Kritiker laut sagen, was sich so mancher seit langem dachte: dass die Kirchen zwar angetreten waren, den Kontakt zwischen Mensch und Gott zu vermitteln, dass die vom Klerus kontrollierte Form der Kontaktsuche, von Ritualen abgelenkt und von Unfehlbarkeitsansprüchen zur Götzendienerei verführt, ihr eigentliches Ziel verfehlte. Die beginnende Entmachtung der Kirchen im Ausklang des Mittelalters war ein Etappensieg der Religion.

Nachdem sich Humanismus und Aufklärung als Konkurrenten der Kirche etablieren konnten und man wieder über den Tellerrand der Dogmen hinweg nach den Regeln der Menschlichkeit Ausschau halten durfte ohne gleich auf dem Scheiterhaufen zu landen, nahm das abendländische Denken in der Renaissance wieder Kontakt zu seinen antiken Ursprüngen auf und die alten Gedanken wurden in neue Sprachen übersetzt. So wurde auch das Wort "Kontakt" im 17. Jahrhundert vom lateinischen Begriff "contactus" ins Deutsche übernommen.

1.2. Contingere

Im Wort "Kontakt" fließen zwei lateinische Vorstellungen, die bereits getrennt voneinander eine thematische Verwandtschaft erahnen lassen, zu einem verstärkten Sinnbild zusammen. Man erkennt leicht das Verb "tangere = berühren, verbinden" und die Vorsilbe "kon = mit". "Kon" und "tangere" beschäftigen sich mit dem gleichen Thema, wenn man beim "kon" an das Miteinander zweier Teile denkt und beim "tangere" an deren Verbindung. So kam es, dass vom alten Rom bis zum lateinischen Mittelalter das Verb "contingere" in Gebrauch war, dessen Bedeutung man von der des einfachen "tangere" im Grunde gar nicht unterscheiden konnte und das als Ursprung des "Kontaktes" gelten kann.

1.3. Neben, bei und mit

"Kon" ist ein Sprößling des indoeuropäischen Adverbs "kom". "Kon" heißt auf Deutsch "neben, bei, mit". Abgewandelte Sinnfacetten des indoeuropäischen Ursprunges sind in der griechischen Präposition "katá = entlang, über...hin, von...herab, abwärts, völlig" und im lateinischen "contra = gegen, gegenüber" erkennbar.

"Kontra", also "gegen", ist zumindest im Lateinischen erstaunlicherweise die Steigerungsform des Begriffes "com = mit". Der zweite Teil des Wortes, die Silbe "tra", ist ein Komparativsuffix, also ein sprachlicher Anzeiger, dass da ein Vergleich (comparare = vergleichen) darüber stattgefunden hat, welche von zwei Mengen die größere ist. Im Vergleich zu "kon" ist "kontra" also mehr. Eigentlich heißt "kontra" daher "mitter", ohne dass uns hier bereits einleuchten würde, was wohl am "mittesten" wäre, wenn "gegen" schon "mehr als nur mit" ist. Beim lebendigen Kontakt gehört es wie beim Skat jedenfalls zu den Regeln des Spieles, dass man zum richtigen Zeitpunkt Kontra gibt.

Bemerkenswert ist, was die Analyse der Präpositionen "neben" und "bei" zur Dynamik des Kontaktes zu Tage fördert. "Neben" ist eine moderne Abwandlung des alten Begriffes "an ebani" und meint eigentlich "auf gleiche Weise". In Wörtern wie "ebenbürtig = von gleicher Geburt" und "Ebenbild" wird dieser Sinn deutlich. Er unterstreicht die Tatsache, dass wirklicher Kontakt eine existentielle Gleichrangigkeit der Beteiligten voraussetzt.

Die menschliche Neigung, sich nicht von Gleich zu Gleich zu begegnen, sondern sich für besser oder schlechter als andere zu halten, ist eine Maßnahme zur Kontaktvermeidung. Der Adelige, der seinen Selbstwert aus der deklamierten Besonderheit seiner Abstammung bezieht, sieht im einfachen Bürger einen Menschen niederen Ranges, weil er einen Vorwand dazu braucht, den potentiellen Neider auf Abstand zu halten und eine Erklärung, warum es legitim ist, auf dessen Kosten zu leben.

Der loyale Untertan macht mit vertauschter Rolle ähnliches. Um zu verhindern, dass er durch echten Kontakt zu seinen hochmütigen Zeitgenossen mit denselben in Konflikt gerät, glaubt er, sich vor irdischen Fürsten zu ducken sei gottgewollt und gehöre zum natürlichen Verhalten eines jeden Bürgers, der sich von dieser Pflicht nicht durch Reichtum freikaufen kann; was ja auch stimmt, falls man jene Natur damit meint, die auf dem Pavianfelsen zu Hause ist.

Daher spiegelt sich in der zwiespältigen Aussage des Begriffs "neben" eine Bruchlinie zwischenmenschlicher Beziehungen wider. Obwohl sich im "neben" das Wort "eben" zur Sprache bringt und eigentlich die Gleichrangigkeit derer ankündigt, die auf gleicher Ebene nebeneinander sind, drückt das Wort "neben" oft ein Verhältnis der Unterordnung aus. Das ist beim "Nebenbuhler" der Fall, der aus seiner zweitrangigen Position heraus darum buhlt, zur Hauptsache der umworbenen Buhlin zu werden, bei der "Nebenfrau", die womöglich erst aufrückt, wenn die Herrin wegstirbt und erst recht bei der "Nebensache", die sich ihrem minderen Schicksal fraglos überlässt. Jeder Kontakt zwischen Menschen birgt die Gefahr, dass der eine für den anderen darin nebensächlich ist.

Wird jemand durch die Struktur eines Kontaktes zur Nebensache erklärt, ohne dass dies durch eine bewusst akzeptierte soziale Rolle als bloß flüchtiges Rollenspiel verstehbar wird und nimmt er diese Abwertung zur Nebensache ohne Murren hin, wird er dadurch psychisch krank. Je nackter sich Menschen begegnen, desto ebenbürtiger müssen sie sein, um durch die Begegnung keinen Schaden zu erleiden. Um nicht zu vernichten, muss der Geist, was ihm begegnet, beachten, als sei es er selbst.

Auch im Adverb "bei" taucht die mögliche Ambivalenz (= Zweiwertigkeit, Doppeldeutigkeit) der Kontakte auf. "Bei" geht auf die indoeuropäische Wurzel "bhi" bzw. "ambhi" zurück und heißt heute "in der Nähe von". Ursprünglich meinte es "um...herum" oder auch "von beiden Seiten", worin die Nähe, die es heute unverblümt benennt, bereits beiläufig angesprochen wird. Verwandt mit dem "bei" ist das Wort "beide", ebenso wie das griechische "ampho", das uns bei der besagten "Ambivalenz", vor der das "bei" uns warnt, noch heute in verwandelter Form begegnet. Beim Kontakt stellt sich somit die Frage, ob er wirklich den beiden, die er zusammenbringt, jenen Platz einräumt, der eine schädliche Ambivalenz verhindert und ob es tatsächlich Nähe ist, was durch den Kontakt entsteht.

Die Kernbedeutung der Vorsilbe "Kon" liegt jedoch im Adverb "mit". Urverwandt mit dem deutschen "mit" ist das griechische "meta", das den dynamischen Charakter des "mit" bestens beleuchtet. "Meta" heißt "nach, hinter, später" und weist daher auf einen Zustand hin, der erst durch eine Umwandlung, einen Wechsel oder ein Hinüber-gehen-von-da-nach-dort erreicht wird.

So beschäftigt sich die Metaphysik mit jenem Kosmos, in den die Seele hinüberwechselt, sobald sie die irdischen Bande ihrer Selbstsucht in die ätherische Weisheit des entfesselten Daseins verwandelt hat. Während sich die Physik des Diesseits in Formeln und Gesetze einfangen lässt, liegt das Meta jenseits der Berechnung und der Kalkulierbarkeit. Der metaphysische Kosmos ist aus der Sicht des Geistes jene Seinsart, in der Geist nicht mehr von der Natur, die ihn hervorbringt, getrennt, sondern in der er mit ihr eins ist. Die Metaphysik deutet auf die "Mitphysis", in der das Hervorbringende (griech.: phyein = hervorbringen, entstehen) mit dem, was aus ihm entsteht, verschmolzen ist.

Die "Methode" ist ein planmäßiges Vorgehen, das im Falle der Untersuchungsmethode den Wechsel des Forschers von einer offenen Frage zur gefundenen Antwort erlaubt. Im Wort "Methode" verbirgt sich das "meta" und das griechische "hodos = der Weg, der Gang". Eine "Methode" ist ein "Übergang", und wenn sie bei der wissenschaftlichen Forschung auch bloß den bescheidenen Übergang zu wachsendem Wissen ermöglicht, so ist sie doch durchaus mit der unbescheidenen Suche nach der letzten Erleuchtung im Zen verwandt, die den durstigen Asketen zur jenseitigen Quelle absoluter Erkenntnis hinüberführt.

Das Wort "mit" bezeichnet eher ein Projekt, eher ein ungewisses Unterfangen als ein statisches Beieinandersein. Es ist eher ein Ich-gehe-mit, als ein Ich-bin-mit; und schon gar kein Ich-liege-bei. Wer folglich mit jemandem in Kontakt tritt, tritt nicht auf der Stelle. Er geht mit ihm fort. Weder bleibt er nur da und lässt den anderen kommen noch verschiebt er sich, bis er den anderen mit einem dumpfen "Buff" touschiert. Mitgift der Kontaktbereitschaft ist daher, dass man sich durch sie mitfortgibt. Und dass man damit von sich ablässt, denn was man fortgibt, kann man nicht im gleichen Zuge halten. Wer das nicht will, kann sich auf keine wirklichen Kontakte einlassen.

1.4. Der volle Kontakt ist eine reine Katastrophe

Oben haben wir gesehen, dass das griechische "katá" und das "kon" aus derselben Wiege stammt. "Katá" bedeutet "von...herab", "abwärts" oder "völlig" ganz so wie es sich in den Begriffen "Katabolismus", "Katastrophe" und "Katarakt" verlautbar macht.

Der Katabolismus ist jene Teilstrecke des Stoffwechsels, auf der die organischen Substanzen des Körpers abgebaut und somit in ihre ursprünglichen Bestandteile zerlegt werden. In Analogie dazu ist auch der Kontakt ein dynamischer Umbauvorgang. Er wird nicht nur aufgebaut, sondern, solange er andauert, baut er Bestehendes ab. Er ist ein psychosozialer Prozess, also mehr als nur ein Zustand statischer Verknüpfung. Im "reinen" Kontakt werden bestehende psychische Strukturen katabolisiert; das heißt, es werden verfestigte seelische Muster, die zu charakteristischen Verhaltensschablonen geronnen sind, in wiederverwendbare Energien aufgelöst, sodass sich der Prozess der psychosozialen Umwandlung munter weiterdreht, so wie es das "meta" im "mit" schon verheißt. "Reiner" Kontakt ist vergleichbar mit der chemischen Reaktion zweier Substanzen, die im Reagenzglas unausweichlich aufeinandertreffen. In beiden Fällen entsteht durch die Begegnung des Unterschiedlichen tatsächlich Neues.

Wer sich aus Kontakten also nicht heraushält, unterliegt dem Gesetz, dass das "meta" des "mit" auch für ihn gilt, zumindest soweit als er den Kontakt tatsächlich wagt. Und er unterliegt dem Gesetz, dass er sich dem Wandel, den der Kontakt erzwingt, letztendlich überlassen muss.

"Katá" heißt aber nicht nur "abwärts", sondern auch "völlig". Bei der berühmten Katastrophe ging die Titanic, wie man sich noch heute mit Grausen erinnert, vollständig im Schweigen des Eismeeres unter. Wörtlich übersetzt heißt "Katastrophe" "die völlige Wendung". Statt dass das Schiff als unsinkbare Herrin der Meere den Triumph des Menschen über die Natur bezeugte, so wie man es bei seiner Abfahrt kühn voraussah, wendete sich das Blatt in einer Weise, die den erhofften Triumph im Desaster vollständig scheitern ließ. Diese überraschende Vollständigkeit ist das eigentliche Wesen der Katastrophe.

Ein übereiltes Von-sich-Ablassen im Kontakt, die leichtsinnige Hingabe an das andere, so phantasiert an dieser Stelle das Unbewusste weiter, könnte in letzter Konsequenz zum völligen Untergang der individuellen Selbstbehauptung führen. Vielleicht wird es dem Ich, wenn es ganz einem Du begegnet, im Sog der Ereignisse, die dieser Begegnung folgen, vollkommen gleichgültig, ob es die Begegnung überhaupt als jenes Ich übersteht, das sich selbst vor der Begegnung so wichtig war. Der "reine Kontakt" ist eine Katastrophe für jede partielle Identität.

Ein Indiz dafür, dass Kontakt sich wie ein Fluss ohne Wiederkehr verhält, ergibt sich auch aus der semantischen Verwandtschaft des Begriffs mit dem Wort "Katarakt". Katarakte sind Stromschnellen. Fließt das Leben schon außerhalb enger Kontakte beharrlich dahin, so wird die Fahrt erheblich beschleunigt und durch die Macht der Strömung unumkehrbar, je mehr sich das Boot dem "reinen Kontakt" annähert. So war die Fahrt der 'African Queen' ein Gleichnis dafür, dass sich die Lebensbahnen von Bogart und Hepburn im Sog der Stromschnellen so miteinander verwoben, dass daraus die Unumkehrbarkeit von zwei gemeinsamen Schicksalen entstand, deren Ausgang keiner von beiden vorausgesehen hätte.

Ist nicht der Tod erst die größte Hochzeit des Lebens, so fragt das Unbewusste sich dann bang', wenn das Bewusstsein unbekümmert Kontakt zum Bewusstsein eines anderen sucht, und sollten wir mit der Ankunft beim letzten Ziel nicht besser warten, bis es dazu an der Zeit ist und der Übermut dazu bereit steht, sich von der Illusion der Einzigartigkeit des eigenen Ichs tatsächlich ganz zu trennen?

Den Kräften, die Kontakt suchen, stehen Kräfte entgegen, die ihn aktiv vermeiden. Sinnvoll ist dieses Widerstreben sicher soweit, als das Ziel noch nicht erreicht ist, das Individuum mit der Einsamkeit der Existenz vertraut zu machen. Sinnvoll ist es aber auch, weil Kontakt und Individuation in einer dialektischen Beziehung stehen und das eine das andere zum Werden braucht. Jeder gesunde Kontakt bekennt sich daher nicht nur zu den Werten, die man miteinander teilt und in denen man sich einig ist, sondern gibt ausdrücklich Raum für das, was vorerst nicht vereinbar ist und trennend bleibt. Kontakt setzt die Trennung derer voraus, die sich im Kontakt begegnen und je gelassener man die Trennung ertragen kann, desto näher kommt man der Stelle, an der sich Kontakt und Trennung in etwas Neues übersteigen.

1.5. Grenzen

Vom Verb "tangere" bzw. dem gleichbedeutenden "contingere" wurde auch das "Kontingent" abgeleitet. Ein Kontingent ist ein wohldefinierter, also begrenzter Beitrag; zum Beispiel ein Truppenkontingent bei einer Friedensmission. Oder der Begriff meint eine zugeteilte Warenmenge, also etwas ähnliches wie eine Ration. Wegen der Verwandtschaft der Begriffe ist es zum besseren Verständnis des "Kontaktes" daher sinnvoll, sich auch das Wesen des "Kontingentes" näher vor Augen zu führen.

Im oben genannten Beispiel ist ein Kontingent ein wohldefinierter Beitrag zu einer Friedensmission. "Definiert" stammt vom lateinischen Verb "definire" und enthält das Wort "finis = Grenze". Die Vorsilbe "de" gehört zur Wortsippe um das Adverb "zu", dem auch das russische "do = bis" zugeordnet ist und meint eine Richtung, auf die zu etwas abzielt.

So sagt man: 'Samstag nachmittag fahren wir zur Oma.' Durch die wartende Oma wird das Ziel definiert und das glückliche Erreichen des Zieles durch Kuchen belohnt.

"Definiert" heißt also "auf eine Grenze zu und bis an sie heran". Man fährt zur Oma, aber nicht an ihr vorbei. Und noch weniger als an der Oma vorbei fährt man über sie hinweg. Bei einem wohldefinierten Kontingent ist es von vornherein klar, dass man seine Grenzen nicht überschreitet. Das Kontingent soll den Raum innerhalb seiner Grenzen erfüllen. Mehr soll es nicht. Führt man sich vor Augen, dass eine Friedensmission aus verschiedenen Kontingenten besteht, versteht man den Sinn der Begrenzung und warum es gilt, sie einzuhalten. Indem sich Kontingente an den Grenzen, die sie einhalten, gegenseitig berühren, ergänzen sie sich zum übergeordneten Ganzen der Friedensmission.

Berührung und Komplexität setzen den Respekt vor jenen Grenzen voraus, deren Existenz sie erst ermöglicht. Zwar kämen die Kontingente auch dann miteinander in "Berührung", wenn sie ihre Grenzen nicht einhielten. Doch das wäre eher ein Aneinandergeraten als eine Berührung und es gäbe keine Friedensmission, sondern vermutlich ein Schlachtfeld neuer Konflikte, auf dem die Kontingente um Vorherrschaft konkurrierten. Aus den ursprünglichen Kontingenten wären neue Konfliktparteien geworden und die Mission würde von entgrenzten Parteien zerschlagen. Die Bruchstücke, die daraus entstünden, wären nicht friedlich zu etwas Ganzem verzahnt, sondern im Streit ineinander verbissen.

1.6. Geometrie und Begegnung

Untersucht man weitere Abkömmlinge des Verbs "tangere", so verspricht dies neue Facetten des zentralen Phänomenes "Kontakt" zu erhellen. Leicht zu erkennen sind die Wörter "Tangente", "tangieren", "Takt", "intakt" und "Tango". Etwas mehr Phantasie braucht man bei "integer", "taxieren" und "tasten".

Eine Tangente, so erinnert man sich an den Geometrieunterricht, ist eine Gerade, die einen Kreis berührt. Der Tangens ist eine Winkelfunktion. Er bezeichnet den Abstand zwischen dem Berührungspunkt von Kreis und Tangente und der Schnittstelle dieser Tangente mit einer Geraden, die durch den Mittelpunkt des Kreises verläuft.

Bei der Untersuchung der Psyche und ihres Schicksals im Kontakt sollte man sich nun von perfektionistischen Ansprüchen an Eindeutigkeit und zwingende mathematische Präzision der Aussagen freimachen. Vielleicht ist die Psyche zwar eine Funktion und Erfindung der Mathematik, um das Nichts durch eine Schar origineller Insassen zu bevölkern, unser Horizont ist aber zu eng, als dass wir sichere Erkenntnisse darüber haben könnten. Wie die Erfahrung mit der Analyse psychischer Phänomene nämlich zeigt, greift alles, was der Verstand von der Psyche begreifen kann, zu kurz. Immer hat man den Eindruck, dass man zwar berührt, vermutet und erahnt, dass man Modelle erfindet, die so manches gut beschreiben, aber man hat auch das Gefühl, dass der Verstand hinterherhinkt, sobald man sieht, wie sich die Komplexität der Psyche jenseits des gerade eben abgesteckten Verstandeshorizontes in neue Verästelungen erstreckt. Daher braucht man auch nicht vor hinkenden Vergleichen zurückzuschrecken und kann aus der Tangensfunktion der Geometrie auf die Gesetze des Kontaktes schließen:

Je nachdem in welchem Winkel die zweite Gerade den Mittelpunkt des Kreises kreuzt, schwankt der Tangens periodisch zwischen Null und Unendlich. Diese Schwankung entspricht gleichzeitig dem Winkel und der Ausrichtung, mit der die zwei Linien aufeinandertreffen. Laufen sie parallel, geht der Tangens gegen Unendlich. Treffen sie senkrecht aufeinander, ist er gleich Null. In der Mathematik beschreibt der Tangens die Nähe des Schnittpunktes vom Ursprung. Ist der Tangens Null, ist diese Nähe maximal. Es gibt also zwei Ausrichtungen, bei denen die Nähe maximal ist und bei zwei anderen kommt keine Berührung zustande. Diesen geometrischen Bildern entspricht eine Regel des Kontaktes.

Bei der Begegnung entsteht maximaler Kontakt, also größte Nähe, wenn der eine unverstellt sagt, was er wahrnimmt, und wenn der andere ihm dabei zuhört, ohne durch übereilte Urteile voreilig Stellung zu beziehen; wenn der Zuhörer das Gehörte also ohne Abwehr in sich gelten lässt. Die Nähe ist allerdings nur dann maximal, wenn der, der spricht, den anderen durch seine Aussagen nicht beherrschen will und wenn der, der hört, nichts zu hören versucht, was er gezielt dazu verwenden könnte, sich des Sprechers zu bedienen. Maximal ist also ein Kontakt, wenn man den anderen wie eine Tangente berührt, ohne in ihn einzudringen.

Kein Kontakt entsteht, wenn der eine dem anderen immer zustimmt, oder wenn er ihm stereotyp widerspricht. In diesen Fällen wird wirklicher Kontakt vermieden, obwohl er scheinbar stattfindet.

Wer immer zustimmt, ist dem anderen nicht gegenwärtig. Er schlüpft in ihn hinein, weil er die Entfernung zu ihm fürchtet und weil er sein Gegenüber als Handschuh gegen die Unbilden des Lebens zu benutzen gedenkt. Er macht sich durch sein stellungsloses Ja so unangreifbar wie ein Torero, hinter dessen Tuch selbst die Wut eines Stiers immer nur ins Leere geht; und wer unangreifbar ist, ist auch unberührbar. Die Nähe des steten Ja ist eine versteckte Distanz, die die Verweigerung echter Präsenz verleugnet.

Wer andererseits stets widerspricht, dessen kritiklose Distanz ist keine autonome Selbständigkeit. Sie ist eine Folge davon, dass ihm die Nähe nicht geheuer ist und er die Gefährlichkeit des anderen aus der Ferne besser zu kontrollieren hofft. Seine scheinbare Autonomie ist kein wirklicher Hafen der Sicherheit. Sie ist eine Folge der Angst, dass er sich aus Sehnsucht kopfüber in eine Nähe stürzen könnte, die ihn missbraucht.

Mühsame Annäherungen durch handschriftliche Berechnungen mögen nun den heutigen Mathematikschülern bei der Ermittlung der Länge des Tangens durch die simple Bedienung ihrer Rechnertastatur erspart bleiben. Wer nach den echten Berührungspunkten beim Kontakt mit einem Partner sucht, muss sich die Mühe der schrittweisen Annäherung und der Überwindung seiner Ängste aber oftmals machen. Schrittweise ist dabei die Annäherung deshalb, weil man bei der Begegnung nicht nur den anderen berührt, sondern sich zum Berühren des anderen immer zuerst selbst finden muss. So springt man im Kontakt zwischen sich und ihm. Kontakt tanzt zwischen Ausdruck und Innerlichkeit hin und her.

Zwar kann man mit einer Portion geschulter Eloquenz und etwas Übung bei gesellschaftlichen Anlässen leicht Themen finden, über die es sich plaudern lässt, doch verhindert diese Art der Flexibilität nur allzu schnell, dass man sich tatsächlich etwas sagt. Nur dem geübten Sprecher gelingt es ohne merkwürdige assoziative Sprünge, die sein Gegenüber irritieren, vom Vorteil des Breitreifens bei scharfer Kurvenfahrt und dem unmöglich Verhalten der Frau Kostermann beim letzten Betriebsausflug ins Sauerland auf wesentlichere Themen überzuleiten. Bleibt es im Gespräch bei jenen Themen, die der Zufall den schwatzenden Partygästen auf die Lippen legt, umgehen sie die Fallstricke des näheren Kontakts. Das Gesagte tangiert sie in aller Regel nicht. Am Tag danach sind die Inhalte vergessen. Es ist, als wäre nichts geschehen, was nota bene auch gar nicht zu verachten ist, denn intensiver Kontakt wäre auf Dauer unerträglich.

1.7. Zwischen Hochmut und Stolz

Verlassen wir nun das Feld der Winkelfunktionen und wenden wird uns dem Verb "tangieren" zu! Das Verb verrät beim üblichen Gebrauch einen gewissen Hochmut des Sprechers, der, wenn er sagt 'Das tangiert mich nicht', sich glauben machen will, er schwebe erhaben über jener Sache, die ihn doch tangieren könnte, wäre der Sprecher nicht aus einer verleugneten Furcht heraus auf der Flucht vor ihr. Wäre Kontakt, in dem jedes Tangieren erst wirklich wird, nicht ein Feld, auf dem auch um Erhabenheit, Ausgeliefertsein und persönliche Autonomie gefochten würde, hätte der Sprachgebrauch dem Wort "tangieren" nicht diese illusionäre Note unantastbarer Unberührbarkeit gegeben, in der sich der, der sich für untangierbar hält, in einer trügerischen Sicherheit geborgen wähnt.

Tangiert, und zwar in einer Art, die durch Regeln vor Schamlosigkeit schützt, wird beim Tango. Mehr noch als erhitzte Körper berühren sich dabei Krieger der Erotik. Da es beim Tango mehr um die tastende Berührung des einen ungebrochenen Willens mit dem anderen geht, empfände man es als taktlos, wenn die Hände der Tänzer den heiligen Bann der erotischen Spannung durch nachlässiges Tasten am Körper des Partners durchbrächen und die Erotik der Begegnung im billigen Abgrund libidinöser Verbrüderung unterginge.

Auch bei dem Kontakt, der nicht wie der Tango im Takt der Gitarren schwingt, geht das wahre Wesen der Begegnung unter, wenn man sich zu schnell erlaubt, in die Schwerkraft der Gemeinsamkeit zu kollabieren. Sehr oft geschieht das in der Psychotherapie, wenn es der Therapeut nicht schafft, mit sich selbst allein zu sein und er sich in eine konventionelle Freundlichkeit zu seinem Klienten flüchtet. Die therapeutische Wirksamkeit profitiert von differenzierter Distanz, aus der heraus der Therapeut sagen kann, was er für richtig hält, ohne sich in den Fallstricken persönlicher Beziehungsinteressen zu verheddern.

Im Beziehungsleben der privaten Art gilt für das Überleben der Erotik die gleiche Grundbedingung; dass man sie nicht in einem Übermaß gemütlichen Beisammenseins ertrinken lassen darf. Denn die Erotik lebt davon, dass sie Grenzen überwinden will. Sie stirbt, wenn man die Grenzen beseitigt hat.

1.8. Tasten und taxieren und die ewige Crux mit dem Selbstwert

Das Verb "tasten" ist ein Lehnwort aus den romanischen Sprachen und im Deutschen erst seit mittelhochdeutscher Zeit belegt. Es lässt sich bis zum lateinischen "tastare" zurückverfolgen, das selbst mit dem Verb "taxare = prüfend betasten, im Wert abschätzen" verwandt ist. Das lateinische "taxare" gibt es heute noch im Deutschen; als das Fremdwort "taxieren".

Wenn ein Pianist im Rausch seiner Sinne wie ein Trunkener in die Tasten greift, entlockt er dem Klavier die musikalisch verschlüsselte Sprache leidenschaftlicher Gefühle. Durch das Berühren der Tasten werden Klänge erzeugt, die die Emotionen des Komponisten noch Jahrhunderte nach seinem Tod bis in die gerührten Seelen der Zuhörer trägt, so als sei die Seele des Toten in direktem Kontakt mit der Lebender. Mit offenen Ohren und erweiterter Seele ertasten die Hörer, was den Komponisten in seiner verzückten Verzweiflung bewegte: die Tragik der Sehnsucht, das Leid der Liebe und der Zorn der Entehrten. Sie entdecken, dass es dasselbe war, was heute den Pianisten und sie selbst bewegt. Von vibrierender Erkenntnis berauscht stellt der Hörer fest, dass er nicht wirklich Meyer, Schulze oder Henkensiefken heißt und Mozart weder Mozart noch Beethoven Beethoven, sondern dass er dieselbe Tragik, dieselbe Liebe und derselbe Zorn ist, die heute wie vor zweihundert Jahren um die Luft zum Atmen ringt. Wie bei diesem akustisch vermittelten, ertastet man bei jedem Kontakt ein Stück der Wirklichkeit, indem man den anderen als wahrhaftiges Gegenüber erfühlt.

Jedes Tasten ist im gleichen Zuge ein Taxieren. Schon die frühesten Tastorgane, die ein erstes Stückchen Welt erfassten, zarte Zilien an den Leibern ozeanischer Mikroben, taxierten, was sie im Urmeer zu ertasten bekamen. Taxieren meint "im Wert abschätzen" und die Wertskala, an der die Mikroben ihre Umwelt maßen, war die Verwertbarkeit der ertasteten Strukturen für den Aufbau körpereigener Substanzen. Ginge es nicht um Verwertbarkeit, würde nicht alles, was ertastet wird, auch schon abgeschätzt, wäre das Tasten überflüssig. Dabei ist das Tasten nach möglichen Gefahren nur eine spezielle Variante des Taxierens der Verwertbarkeit.

Im Kontakt zwischen zwei Menschen gibt es daher nicht nur jene Kräfte, die ein Miteinander schaffen, dessen Strudel jeden mit sich reißt, sondern diesen Kräften teilweise widerstrebend, taxiert ein jeder, was er vom anderen zu Betasten bekommt. Er prüft, was der andere für ihn Wert sein kann. Er prüft, wie hoch sein eigener Wert für den anderen ist. Die Frage nach dem Eigenwert, die Menschen schon immer heftig plagt, ist folglich nicht erst ein psychologisches, sondern bereits ein biologisches Problem und wie man später noch sehen wird, ragt die Biologie als eingefleischte Hypothese der Wahrheit aus dem ontischen Abgrund in ihre Existenz hinaus. So entsteht die Thematik des Selbstwerts in der Psyche weder als Folge einer normalen Entwicklung, noch als Folge frühkindlicher Störungen. Sie wird vielmehr in der Psyche erst sichtbar, obwohl es sie unsichtbar bereits vorher gab. Sie kann daher auch nicht mit Mitteln aufgelöst werden, die irgendwem zur Verfügung stünden und es gibt keine menschlichen Manöver und keine seelischen Prozesse, die das Problem endgültig lösen könnten; weder durch den Erwerb so großer Kompetenzen, dass die Frage nach dem Eigenwert endgültig mit "Ja" beantwortet wird, ohne dass es dem so "geheilten" Narzissten jemals wieder drohen würde, doch an seinem Wert zu zweifeln, noch durch das "Durcharbeiten" früher Traumata, das die Frage als bloß pathologisches Konstrukt auflösen könnte. Der Narzissmus ist nicht zu beseitigen, sondern nur zu verstehen; und am besten schüttelt man lästige Größenphantasien und Minderwertigkeitsgefühle ab, indem man sie gelassen zur Vorläufigkeit des Daseins zählt. Ein tragfähiges Selbstwertgefühl wird, nachdem man die biographischen Wurzeln der Zweifel daran versteht, erst dadurch erworben, dass man sich im gewagten Kontakt authentisch bewährt; denn die Realität kann durch Simulation nicht verwirklicht werden.

1.9. Rhythmus, Raum und Psyche

Vielschichtig sind die Hinweise auf das Wesen des Kontakts, die sich aus der Analyse der beiden Wörter "Takt" ergeben. "Takt" ist ein Rhythmus, ein Muster und Zeitmaß, zum anderen ein Benehmen feinfühliger Zurückhaltung und schicklichen Anstands. Obwohl das zunächst ganz unterschiedlich klingt, sind beide Varianten in etymologischer Hinsicht doch Zwillinge.

Oberflächlich betrachtet liegt die Verknüpfung des Taktes, dem ein Musikstück folgt und dem Verb "tangere" in der Berührung, mit der der Musiker den Rhythmus mit seinem Taktstock auf den Rand des Notenständers schlägt. Blickte man nicht tiefer in den Sinn und das Gefüge der weltlichen Bezüge, könnte man meinen, es sei nur der Zufall eines physikalischen Gesetzes, dass das Klopfen nämlich ein Geräusch erzeugt, der den Rhythmus der Musik mit dem Wesen des Kontaktes verbindet. Musik und dabei besonders auch der Rhythmus löst im Menschen jedoch Veränderungen aus, die man als ein besseres In-Berührung-Kommen-mit-sich-selbst bezeichnen könnte. Musik erleichtert es, durch das Empfinden schwingender Zeiten und Räume, uns selbst als eine bebende Ganzheit zu erleben und so mit jenem Grund in unserer Tiefe in Kontakt zu sein, der durch das Einssein mit dem Klang der Rhythmen ganz begriffen wird und gleichzeitig unantastbar für den Zugriff bleibt. Wäre man ganz für den Kontakt mit dem Wesen der Welt bereit, könnte man sich in die Musik hinein und aus der irdischen Gefangenschaft hinweg entbinden und wenn es richtig wäre, ließe man so, was hässlich an der eigenen Enge ist, als belangloses Beiwerk zurück. Derwische, die sich stundenlang dem Takt gleichförmiger Tänze überlassen, hoffen auf diesen Effekt. Sie suchen im endlosen Takt des Tanzens nach der mystischen Verbindung mit dem, was sie aus der Einsamkeit ihrer irdischen Identität befreit. Würde sich ein Derwisch in eine pulsierende Transparenz verwandeln, die sich ganz dem Rhythmus überlässt, der sie selbst auch ist, hätte er sein Ziel erreicht. Doch dem Menschen im Derwisch fehlt dazu der Mut.

Wäre alles oder irgend etwas Beliebiges wahr, wären Menschen autistische Inseln in der Einsamkeit und verlören sich in den Simulationen ihrer Phantasie. Menschen können sich aber tatsächlich begegnen. Das liegt daran, dass es eine Wahrheit gibt, auf deren Boden man mit sich selbst und mit dem anderen in Kontakt sein kann. Und nur auf dem Boden dieser Wahrheit kann man sich tatsächlich auch begegnen. Die musikalischen Aspekte der Wahrheit, mit denen man selbst je nach Stimmung in Resonanzschwingung kommt, sind kein Stakkato beliebiger Geräusche, sondern bestimmte Rhythmen, die offensichtlich sowohl mit mathematischen Symmetrien als auch mit dem Erlebnis bewussten Empfindens in Übereinstimmung sind. Die Takte der Musik, 2/4, 3/4, 7/8, 12/8 und so weiter, sind Ausdruck dafür, dass das was ist, im Kontakt mit einer Wahrheit steht. Das bewusste Sein ist der Kontakt der Dinge und die Dinge suchen sich, weil sie im Geist miteinander auf ihrer Hochzeit tanzen.

Takt ist die Einteilung in eine Folge schwerer, betonter und leichter, unbetonter Zeitintervalle und ihre Zusammenfassung in Gruppen von gleicher Dauer. Auch der Kontakt gelingt infolge davon nur, wenn er zwischen Schwere und Leichtigkeit schwingen kann. Versucht man Kontakt mit zu viel Ernst und Nachdruck zu erreichen, führt der Vorsatz in die Atmosphäre eines Klosters, in welches man Gott durch die Mühsal absichtlicher Gottgefälligkeit herbeizuzitieren gedenkt. Befreiung aus dem Verlies solch vorsätzlicher Tugend verspricht ein gelungener Witz, der den Vorsatz der Tugend als Kleingeist entlarvt.

"Takt" als Bezeichnung von Feinfühligkeit, Schicklichkeit und Anstand benennt ebenfalls die Berührung als tragendes Element seiner selbst. Taktvoll ist eine Haltung nur dann, wenn sie im angemessenen Maß berührt; ohne dabei grob zu überrumpeln. Der Unterschied zwischen taktvoller Berührung und taktlosem Zugriff liegt in der unterschiedlichen Intention. Die Berührung wendet nicht mehr Kraft auf, als sie braucht, um den anderen auf die eigene Präsenz aufmerksam zu machen. Der Zugriff ist taktlos, weil er nicht die Aufmerksamkeit des anderen intendiert, sondern ihn zum Mittel seiner Zwecke machen will.

Überhaupt nicht zu berühren, wenn ein anderer in Reichweite ist, kein Gruß, kein Blick und keine Geste, ist besonders taktlos, denn nicht zu berühren heißt 'Ich übersehe dich', womit man wortlos sagt: 'Im Grunde bist Du nichts, was als etwas zu erkennen wäre'.

Solche Taktlosigkeit gehört mancherorts so explizit zum kulturellen System, dass man nichts Anstößiges dabei empfindet, sie als Selbstverständlichkeit zu benennen. Um zum Ausdruck zu bringen, dass manche nicht zur Gemeinschaft gehören, heißen die Mitglieder der untersten Kaste Indiens "unberührbar". Von einem orthodoxen Brahmanen werden Unberührbare dermaßen verachtet, dass er nicht mehr weiter ißt, wenn der Schatten eines Unberührbaren auf sein Essen fiel. Dass er allerdings selbst durch den Schatten "eines Unberührbaren" so tief berührt wird, dass es ihm den Appetit verdirbt, ist der Gegenschlag einer Wirklichkeit, die sich den Hochmut der Brahmanen nicht ohne Bestrafung bieten lässt.

1.10. Integration

Zur etymologischen Analyse des Wortes "Kontakt" zählt auch die Untersuchung der Begriffe "integer" und "intakt". In beiden begegnet uns das bekannte Verb "tangere" in einer verneinten Form. In beiden geht ihm die Silbe "in" voran, eine sprachliche Variante der Vorsilbe "un". Ausgehend vom Wort "integer" interessiert im Zusammenhang mit dem Kontakt hier auch die "Integration".

Voreilig gedacht könnte man meinen, dass Wörter, in denen das Verb "tangere" Berührung zwar benennt, in denen sie aber von vornherein verneint wird, mit Kontakt selbst nichts zu tun haben. Weit gefehlt! So wie ohne Jin kein Jang und so wie sich in jedem eine Spur des anderen findet, so hat Kontakt, also Berührung, durchaus etwas mit Integrität, das heißt mit Unberührtheit zu tun und erst recht mit Integration.

"Integer" und "intakt" sind weitgehend synonym. Übersetzt bedeuten beide "unberührt, unversehrt, ganz". Unterschiedlich sind weniger die Bedeutungen der verschwisterten Wörter, sondern dem Sprachgebrauch hat es in den Jahrhunderten seiner Entwicklung gefallen, sie üblicherweise an unterschiedlichen Stellen zur Anwendung zu bringen. "Intakt" können die verschiedensten Dinge sein: Radios, Landschaften, Herzklappenfunktionen, dörfliche Lebensgemeinschaften. Der Begriff "Integrität" bezieht sich dagegen fast nur auf Persönlichkeiten, deren Handlungsweisen und Absichten.

Trotz der teilweisen Synonymität ergeben sich bei genauem Hinhören diskrete Unterschiede. Das Intakte war bereits unberührt, der Integere ist es erst geworden. Intakte Landschaften waren solange unberührt, bis sie von ihren nicht so ganz integeren Bewohnern zerstört wurden.

Leicht zu erraten ist, dass der Begriff "Integration" "Ergänzung" oder "Einbindung" meint, also ein Herstellen von Unversehrtheit und ungerührt in sich ruhenden Ganzheiten. Kontakt, so lautet hier die These, ist integrativ. Je nach dem Motiv, das dem Kontakt zugrunde liegt, gibt es unterschiedliche Unvollständigkeiten, deren Ergänzung er anstrebt.

Hungrige nehmen Kontakt zur Bäckersfrau auf, damit die erworbenen Brötchen den absinkenden Nährstoffpegel in Magen und Blutbahn ergänzen. Gelangweilte besuchen den Freund, damit dessen Ideen den momentanen Mangel an belebenden Impulsen behebt. Kranke kontaktieren ihren Arzt, damit der sie fragt Wo fehlt es uns denn? und der versehrten Gesundheit zur Heilung (whole = ganz) verhilft. Mystiker schließlich suchen den Kontakt zu Gott, weil sie Erlösung von der tragischen Halbheit des Daseins erwarten. In Gott werden sie ohne Ende glücklich sein; so hoffen sie, bereit sich ganz dem Ganzen hinzugeben.