Der Kontakt

Der Kontakt


I. Ein Thema, zwei Seelen und die Ebenen des Kontaktes

Das Ich steht mit der Welt in Verbindung

Schnell stand fest, dass ich über den Kontakt zwischen dem Ich und seiner Umwelt schreiben wollte. Dabei sollte der psychosoziale Aspekt im Vordergrund stehen. Ich ging davon aus, dass das seelische Wohlbefinden von der Qualität der Beziehungen zum Mitmenschen abhängt; besonders von der Qualität enger Ich-und-Du-Kontakte. Daher könnte eine gezielte Verbesserung des Wohlbefindens am besten erreicht werden, wenn man bei der therapeutischen Arbeit konsequent eine Verbesserung der Qualität des Kontaktes anstrebt. Ein erster Schritt in diese Richtung lag im Versuch herauszufinden, was die gesunde Qualität zwischenmenschlicher Kontakte eigentlich ausmacht.

Mit dieser Idee im Kopf stürzte ich mich in die Arbeit. Ich schrieb ein erstes Kapitel. Der Rest würde sich beim Schreiben ergeben. Man denkt über etwas nach und aus einen Gedanken ergibt sich der nächste, bis man das Thema tief genug ausgelotet hat. Schließlich läßt man zufrieden von der Sache ab. Man freut sich, dass man beim Nachdenken Spaß hatte und sogar etwas Brauchbares entstanden ist.

So dachte ich mir das. Kaum stand vom ersten Kapitel jedoch der Rohbau, da zeigten sich im Fundament die ersten Risse. Zwei Schreibstile hatten sich vermischt, ohne dass ein jeder für sich so viel Klarheit besessen hätte, die kräftige Durchmischung mit dem anderen zu vertragen. Die unterschiedlichen Stile entsprachen zwei Blickwinkeln. Beide litten aneinander. Sie rangelten um die Vormacht und standen sich im Wege. Bald war deutlich, dass ich nicht wußte, ob ich ein Sachbuch schrieb oder ob es ein Spiel mit Wörtern und Ideen werden würde, mit dem ich mir die Zeit vertrieb. Da waren die berüchtigten zwei Seelen in meiner Brust.

Die eine nannte sich "Psychotherapeut". Sie war nach jahrelanger Therapeutenarbeit überzeugt, dass es an der Zeit war, ein wissenschaftliches Buch zu schreiben, das die Aufgabe ihres Berufes, die Heilung kranker Seelen, konsequent aus einer bestimmten Perspektive heraus unter die Lupe nimmt. Im Blickfeld der Lupe sollte der Kontakt zwischen dem Therapeuten und dem Klienten stehen. Die psychischen Strukturen, um die es bei der Therapie geht und die heilsamen Handlungsweisen des Therapeuten sollten von dort aus interpretiert werden. Der Psychotherapeut in mir forderte einen nüchternen Stil, der sich des tiefenpsychologischen Begriffsrepertoirs bedienen sollte und den Anspruch erhob, wesentliche Theorien der Tiefenpsychologie aufzugreifen. Seiner Meinung nach sollte das Buch systematisch sein. Es sollte sich auf den Leserkreis der eigenen Zunft konzentrieren. Im Geiste sah sich dieser Psychotherapeut mit ernsten Blick nach potentiellen Käufern Ausschau halten. Fast blickte er dabei so grimmig drein wie Freud beim Disput mit Jung und Adler.

Die zweite Seele hatte keine Lust auf wissenschaftliche Notwendigkeit. Ihr ging es zu allererst darum, ihrer Neugier freien Lauf zu lassen. Sie wollte mit der Phantasie auf Trebe gehen und nach der Manier eines munteren Kindes alles Erdenkliche ohne störende Vernünftigkeit begreifen. Sie wollte die Dinge entdecken, anfassen, untersuchen und sie dann sorglos liegen lassen, ohne sich über die konkreten Zwecke ihres Tuns den Kopf zu zerbrechen. Sie wollte keine Vorgaben, kein festes Ziel, keinen Zeitplan und vor allem keinen Zwang zu mühsamer Systematik. Sie wollte sich beim Schreiben unbefangen das Vergnügen gönnen, sich ofenfrische Sätze auszudenken, mit denen sie pointiert über die Details ihrer Entdeckungsreise berichten könnte; Sätze, die so vielschichtig sind, wie einst die fetten Doboschtorten ihrer Oma. Sie wollte keine strengen Regeln, wenn es ihr gelungen war, sich am tanzenden Geist zu berauschen. Sie wollte Wissen ohne Maßstab und das Recht, frei zu denken ohne ein begrenztes logisches Gesetz. Ihre Leser sollten all jene sein, denen das Tanzen des Denkens ohne Preisrichter gefiel.

Die beiden Seelen in meiner Brust waren sich im Alltag durchaus nicht Feind. Sie mochten sich sogar. Zwar durchkreuzten sie einander manche Pläne, doch der ersteren gefiel die Lebendigkeit der zweiten und der zweiten war es gerade recht, dass ihr die erste den vernünftigen Rahmen bot, in dem sie selbst unvernünftig sein konnte. Bei der Arbeit am Fundament des ersten Kapitels hatte aber offensichtlich keine Seite es für nötig gehalten, darauf zu achten, was die andere gerade tat. Das sah man der Mauer an. Große rote Lehmziegel waren mit gelben und rosa verschiedener Größe und Form zu einem Knostrukt verbaut, das das Bauamt kaum als tragfähig hätte durchgehen lassen. Allerdings, so meinte es, sei die Sache nicht hoffungslos. An manchen Stellen stimme die Statik. Die linke und die rechte Hand hatten auch ohne zu wissen, was die andere gerade tat, etwas recht Originelles geschaffen. Nur, dass es manchmal noch zu wenig harmonierte.

Nach der Bestandsaufnahme des Schadens und der Analyse seiner Ursachen beschloß ich, keinen der Blickwinkel bei der geplanten Untersuchung auszuschließen. Es sollte aber auch keiner der beiden für sich allein die Vorherrschaft beanspruchen, denn ich wollte eine Dialektik aus Wissenschaftlichkeit und spielerischer Betrachtung versuchen. So nahm ich auch leichten Herzens Abschied vom ohnehin vermessenen Anspruch, eine systematische Arbeit zu einer daseinsanalytischen Tiefenpsychologie des Kontaktes zu schreiben. Ich begnügte mich mit der Absicht, ein paar Skizzen zu liefern und fand in der bewußten Begrenzung des Anspruchs mehr Spielraum als unter dem Joch des Ideals. Im wesentlichen wollte ich nun zwei Ziele erreichen. Die Lektüre sollte in gleichem Maße nützlich sein wie sie dem Leser zweckfrei Spaß macht. Und genauso sollte es mir beim Schreiben ergehen. Wenn es der Stand der Dinge erforderlich machte, sollte der gestrenge Psychotherapeut mit nüchternem Blick federführend sein. Sonst wollte ich das Feld der freien Neugier überlassen, damit das Stroh in meinem Kopf an ihrer Fackel Feuer fängt.

Nach dieser Entscheidung ging das Schreiben zunächst besser von der Hand. Es entstand eine Reihe von Kapiteln, die sich zu einem Patchwork rund ums Thema gruppierten. Ausgehend von der etymologischen Analyse der Begriffe "Kontakt", "Berührung" und "Verbindung" formulierte ich neun wesentliche Kriterien des "reinen Kontakts", die ich für besonders wichtig hielt. Dann untersuchte ich die Ursachen der Kontaktstörungen. Ich entwarf erste Skizzen für die geplanten Kapitel "Formen der Kontaktstörung" und "Therapie der Kontaktstörung".

Während ich über den Kontakt des Ich zum Du so für mich hinschrieb, kamen mir immer mehr Einfälle, die sich mit der Frage der existentiellen Ortsbestimmung dieses Ichs beschäftigten. Zunächst brachte ich die Einfälle in Fußnoten unter. Mit der Zeit nahmen die Fußnoten jedoch überhand. Im Text entstand erneut Verwirrung. Bald war klar, dass der Plan, der Verwirrung Herr zu werden, indem ich der Ortsbestimmung des Ichs im Beziehungsfeld der Existenz ein eigenes Kapitel widme, zu kurz griff. Mein Konzept, eine Theorie des therapeutischen Kontakts allein um den Kontakt zwischen Therapeut und Klient herum zu zentrieren, brach bald darauf unter der Last seiner Widersprüche zusammen.

Mir wurde klar, dass ich die Bedeutung des Kontaktes zwischen dem Klienten und seinem Therapeuten als eine Modellbeziehung für Ich-und-Du-Kontakte im Allgemeinen und für das Befinden des Klienten im Besonderen überschätzt hatte; vermutlich aus eigenen Trennungsängsten, Kontrollbedürfnissen und narzißtischen Ansprüchen heraus. Zu wenig beachtet hatte ich im Gegensatz dazu erstens die Rolle einer konsequenten Analyse des aktuellen Kontaktmusters des Klienten und zweitens, wie unüberschätzbar wichtig es ist, diese aktuellen Muster beharrlich mit jenen zu vergleichen, die ihn von Anfang an, seit seinem Ursprung ins Dasein, prägten; denn die Seele wird bei jedem späteren Sprung an jenen Boden denken, auf dem sie als erstes gelandet war. Und drittens: Die Rolle des existentiellen Kontaktes des Klienten zu sich selbst also die Begegnung mit seinem eigenen Selbst hatte ich durch die Bündelung des Blicks auf die zwischenmenschliche Ebene weitgehend ausgeblendet. Erst durch die vielen Einfälle und Fußnoten war mir die zentrale Bedeutung dieses Kontaktes wieder bewußt geworden. Ein gesunder Kontakt zu anderen gelingt nur, wenn auch ein gesunder Kontakt zu sich selbst besteht. So formulierte ich den Ansatz des Buches neu:

Das Ich begegnet dem Umfeld und sich selbst

Jetzt stand fest, dass ich ein Buch über diese beiden Ebenen des Kontaktes schreiben wollte und dass es galt, die bereits geschriebenen Abschnitte unter Berücksichtigung der veränderten Prämisse zu überdenken. Das erweiterte Konzept legte es außerdem nahe, den Kreis der möglichen Leser neu zu fassen. Wenn die spezifische Beziehung zwischen Therapeut und Klient zwar wichtig ist, aber doch nur besonderes Hilfsmittel in einem speziellen Kontext der Begegnung, und wenn es im wesentlichen um den Kontakt des Menschen zur eigenen Existenz geht, in dessen Rahmen der Ich-und-Du-Kontakt als wichtigster Prüfstein und wesentlichste Frucht erscheint, dann braucht sich das Buch nicht nur an "Kontaktberufler" zu wenden. Zwar mögen diese, zum Beispiel Psychiater und Psychotherapeuten, Kindergärtnerinnen, Lehrer, Ausbilder, Psychologen, Pflegeberufler, Ärzte, Sozialarbeiter und Therapeuten aller Couleur von Berufs wegen bereits eine Affinität zum Thema "Kontakt" mitbringen, das Thema geht aber letztlich alle an, die sich dafür interessieren, was zwischen ihnen und den anderen passiert und was sie an die Wurzeln ihres Daseins bindet. Eine Theorie (von griechisch: theoria = Anschauung) des Themas "Kontakt" kann jedem nützen, der sein Leben zu verstehen versucht.

So überlasse ich zunächst das Wort dem Psychotherapeuten in mir. Er hat den Auftrag, um Verständnis dafür zu werben, dass sein Blickwinkel trotz allem eine besondere Rolle spielt und es ihm an vielen Stellen schwerfallen wird, Fachausdrücke zu vermeiden. In der Hoffnung, dass er die Enttäuschung seines ursprünglichen Anspruchs auf besondere Bedeutsamkeit dann besser verschmerzen wird, soll er als allererstes sagen, wie die Dinge aus seiner Perspektive stehen:

Die wichtigste Voraussetzung der psychotherapeutischen Wirksamkeit ist der Kontakt zwischen Therapeut und Klient. Durch den Kontakt und im Kontakt wirkt das therapeutische Handeln. Zwar findet Therapie auch im Gruppenraum, in Amerika, auf der Couch und in der Klinik statt, diese Ortsbestimmungen sind jedoch zweitrangig. Sie beschreiben mehr austauschbare Topographie als den wesentlichen Raum, in dem die therapeutische Dynamik vonstattengeht. Therapie kann schließlich ebenso gut auch im Zoo oder im Dampfbad stattfinden; zumindest sobald Therapeut und Klient bereit sind, sich aus den üblichen Vorgaben zu befreien.

Unabhängig von den wechselnden Bühnen der Ereignisse jedoch und unabhängig von den formalen therapeutischen Techniken, die zur Anwendung kommen, bleibt der Kontakt aber der eine gemeinsame Nenner, ohne den es nicht geht. Der interpersonelle Kontakt, die Kommunikation zwischen zwei Menschen ist das Feld jeder therapeutischen Begegnung.

Psychotherapie ist eine Sonderform zwischenmenschlichen Kontaktes. Gleichzeitig ist sie ein exemplarisches Beispiel, an dem man die allgemeingültigen Gesetze des Kontaktes deutlich machen kann. Analysiert man die Grundregeln des therapeutischen Kontaktes im speziellen, dann lässt sich auch das prinzipielle Muster zwischenmenschlicher Begegnungen im allgemeinen beschreiben. Ein gesundes Seelenleben und eine gesunde menschliche Existenz überhaupt sind ohne Begegnung, ohne Kontakt und ohne Kommunikation nicht denkbar. Schwer vorstellbar ist es umgekehrt, dass ein Mensch, dem ein authentischer Kontakt zu seiner Umwelt problemlos gelingt, gleichzeitig psychisch krank sein sollte. So sind neurotische oder gar psychotische Fehlhaltungen immer auch als Kontaktstörungen zwischen der betroffenen Person und ihrer Umwelt zu verstehen. Symptome sind seelische Konstrukte, die den Kontakt entweder verhindern oder, die ihn in reduzierter, gleichsam verkrüppelter Form ermöglichen. Gleichzeitig sind Symptome aber auch halb erfolgreiche Versuche, tiefergreifende Kontaktstörungen zu überwinden. Das Symptom ist ein menschliches Verhalten, das den Ausdruck der Lebendigkeit nur in verhaltener Form zulässt.

Gemessen an dem was möglich ist, wird die Mehrzahl der normalen Kontakte durch unverstandene Ängste, Vorbehalte und verleugnete Bedürftigkeit in ihrer Qualität gestört. Normalität und pathologische Störung gehen oft ineinander über. Normal ist oft nur das, was vom eigentlich Möglichen übrigbleibt. Die Phänomenologien der intensiven zwischenmenschlichen Begegnung und des professionell therapeutischen Kontaktes ähneln sich in Teilbereichen dabei umso mehr, je besser sie werden. Der gute Therapeut ist kein distanzierter Experte, der verkorkste Seelenstrukturen mit psychologischem Röntgenblick durchschaut und sie durch mächtige TechnikenDie einzig wahre Technik der Therapie ist die qualifizierte Kommunikation über die faktische, kognitive und emotionale Lebensart der Klienten. Die qualifizierte Kommunikation zeichnet sich durch Wahrnehmung, Reflexion und Authentizität des Ausdrucks aus. Sie ist eine Kommunikation, der außer der Fokussierung des Klienten jede Technik im Grunde fehlt. Konkrete Techniken sind für die Kommunikation nur dann förderlich, wenn ihr Einsatz transparent gemacht wird. wieder in Reihe bringt, sondern er bietet dem Klienten in einer echten Begegnung die Möglichkeit, zunehmend frei zu sprechen und ohne Angst zu hören, wie ihn der Therapeut in seiner Rolle als kompetentes Gegenüber sieht. Der Therapeut sucht mit dem Klienten nach Möglichkeiten verbesserter Kommunikation. Das Ziel ist erreicht, wenn der eine dem anderen ein authentisches Gegenüber ist. Das Ziel ist erreicht, wenn beide unbefangen miteinander reden, wie es gesunde Erwachsene miteinander tun. Das Ziel ist ganz erreicht, wenn jeder sich ausdrückt, ohne den Eindruck, den er dabei macht, vorauszuplanen.

Der Einsatz der tiefenpsychologischen Analyse innerseelischer Dynamiken in der Therapie dient letztlich der besseren Einbindung des Ichs in den Kontext seiner Umgebung. Er dient der besseren Kommunikation des Klienten mit seiner inneren und äußeren Lebenswelt. Die tiefenpsychologische Theorie, die der deutenden Sinngebung als Grundmuster dient, ist ein Produkt unzähliger Kontakte. Sie entstand aus Kontakten und sie dient dem Kontakt. Der Therapeut nimmt mit seiner deutenden Sinngebung Kontakt zum Klienten auf und versucht damit, den Kontakt des Klienten zu sich selbst zu verbessern.

Wer ungehindert im Kontakt zu seiner Umwelt steht und im lebendigen Austausch darin aufgeht, wird keinen Psychotherapeuten brauchen. Ihm ist das Gespräch mit einem Freund oder Partner "Therapie" genug, um darin jene Impulse zu finden, die er zur Überwindung seelischer Konflikte braucht; zur Überwindung von Konflikten, in denen er sich allein auf sich selbst gestellt verfangen würde.

Das losgelöste Individuum ist eigentlich nur der vordergründige Teil seiner selbst. Es ist ein besonderer Pol seines ganzen Wesens. Denn ohne sinnvolle Kommunikation wird sich der Mensch zur eigenen Sackgasse, in deren narzisstischer Hassliebe er stecken bleibt. Das Individuum ist nicht nur in sich unteilbar, sondern es ist auch vom Kontext unabtrennbar. Das Individuum und seine Umwelt lassen sich nicht ohne Schaden auseinanderdividieren, denn der Kontakt ist eine wesentliche Grundbedingung der Individualität. Auf Dauer ist kein Mensch sich selbst als Thema genug.

Psychotherapeuten sind Fachleute, deren Aufgabe es ist, Kontakte herzustellen und damit Kommunikation zu ermöglichen. Ihre Professionalität besteht darin, mit Geduld und Weitsicht auch mit solchen Menschen im Kontakt zu sein, deren seelische Abwehrmanöver gegen unbefangene Kommunikation derart übermächtig sind, dass sie gesunde Beziehungen entgegen der eigenen Sehnsucht vereiteln und deren übliches Umfeld sich daher resigniert und verärgert abwendet; mit Menschen also, die trotz all ihrer aktiven Manöver zur Abwehr gefürchteter Kontakte unter der entstandenen Einsamkeit leiden. Therapeuten (von griechisch: therapon = Gefährte) sind Experten der Gemeinsamkeit. Sie leben davon, Katalysatoren verbesserter Beziehungen zu sein. Ihr Beruf ist es, zu wissen, wie man die Seele des einzelnen mit der Gemeinschaft, wie man ein Ich mit dem Du und dem Wir verbindet, ohne dass sich eine der Parteien dabei ungebührlich verbiegen muss. Therapeuten begleiten den in seine verletzte Egozentrik verirrten Klienten zurück in bewohntes Gebiet. Sie sind Gefährten in der Gefahr der Annäherung.

Wer nicht als ein verschrobener Asket in der Wüste lebt, hängt ganz wesentlich von der Qualität seiner Kontakte ab. Und selbst der Asket sucht in der Wüste letztendlich keine Einsamkeit. Er sucht nach einer besonderen Begegnung und zwar zu seinem Gott, wie er die höchste Nähe nennt, nach der er sich in der Einsamkeit sehnen kann. Wenn hier von Gott die Rede ist, dann als dem Symbol, das für jene Dimension steht, die sich als absolut erahnen lässt und auf die sich jedes Ich bewusst zu beziehen versucht, sobald es von der Präsenz des Absoluten in der Welt oder jenseits davon überzeugt ist. Besser als der Begriff "Gott" scheinen mir aber die Begriffe "Existenz", "Wahrheit" oder "Selbst" dazu geeignet, den Bezugspunkt dieser Ebene des Kontaktes zwischen dem Ich und der Welt zu benennen, weil dem klassischen Gottesbegriff etwas anhaftet, dem man heutzutage nicht mehr ganz unbefangen vertrauen mag. Ganz gleich zu welcher Wortwahl man sich aber letztlich entscheidet, eine Psychotherapie, die tatsächlich auch die tiefsten Ebenen der Person erreichen will, kommt nicht daran vorbei, sich mit dem zu beschäftigen, dem gegenüber der Mensch mehr verantwortlich ist als der Menschenwelt.

Zum besseren Verständnis der grundlegenden Kräfte und Strukturen, die das Wesen des Kontaktes bestimmen, soll zunächst der Sinn des Begriffes und einiger seiner Teilsynonyme erhellt werden. Dann wird im dritten Kapitel versucht, aus den Ergebnissen, die bei der etymologischen Analyse der Begriffe gewonnenen wurden, die Strukturkriterien des "reinen Kontaktes" als intensive Sonderform zu beschreiben. Die etymologische Analyse gilt hier als die objektivste Methode, um Hinweise auf das Wesen des reinen Phänomenes zu erhalten, denn beim Muster der Sinnverweise, die man so entdeckt, handelt es sich um ein tausendfach ausgesiebtes Resultat des menschlichen Denkens. Man findet so den kleinsten gemeinsamen Nenner der indoeuropäischen Sprachfamilie. Man kann deshalb davon ausgehen, dass subjektive Aspekte, wie sie ein Rolle spielten, wenn man sich auf einzelne Autoren berufen würde, zum großen Teil herausgefiltert sind; abgesehen von der Subjektivität des spezifischen Standpunktes "indoeuropäischer Mensch".

Das vierte Kapitel befasst sich mit den Ursachen der Kontaktstörung in psychologischer und soziologischer Hinsicht. Man kommt so zur Erkenntnis, dass unser kulturelles Klima und die Erziehung, der das Neugeborene nur allzu oft anheimfällt, gesunde Kontakte recht häufig im Frühling schon erfrieren lassen. Im fünften Kapitel wird dann eine Art existentieller "Ortbestimmung" des Ich versucht, um dessen Wohlbefinden es dem Buch letztendlich geht. Will man dem Ich nämlich etwas Gutes tun, muss man schließlich wissen, wo es sich im Kontext der übrigen Phänomene des Kosmos ungefähr befindet. Es liegt dabei an der Komplexität der Angelegenheit, dass dieser Versuch trotz seiner scheinbar analytischen Sprache doch eher kreativ-poetisch bleibt und dass man wie beim Pointillismus nur verschwommene Konturen sieht. Das sechste Kapitel untersucht die Formen der Kontaktstörung und das siebte die Heilung der erkrankten Kontaktfähigkeit. Es geht dort darum, näher zu betrachten, worauf der Psychotherapeut in seiner Rolle als Kontaktexperte achten muss, damit der kurze therapeutische Kontakt auf das weitere Schicksal des Klienten einen nachhaltigen und heilsamen Einfluss nimmt. Dabei ist es zuletzt austauschbar, ob man die Ergebnisse der Untersuchung in seiner Arbeit als Therapeut oder in seinem Leben als Mensch zur Anwendung bringt. Denn die Therapie ist eine Schule des Menschseins.