Hass


  1. Begriffsbestimmung
  2. Formen konstruktiver Aggression
  3. Destruktive Aggression: Hass
  4. Bahnende Rahmenbedingungen
  5. Diagnostische Zuordnungen
  6. Merkmale der Opfer
  7. Lösungen
Nichts widerspricht dem Glück so sehr wie Hass. Man kann glücklich sein, obwohl man trauert. Man kann glücklich sein, obwohl man Angst hat. Aber man kann nicht glücklich sein, solange man hasst. Hass vertreibt den Menschen aus sich selbst.

Zorn anerkennt den Wert des Gegners, Wut läuft Gefahr, ihn zu übersehen, Hass verleugnet ihn.

Wer den Wert eines Menschen nicht anerkennt, riskiert ihn in den Hass zu treiben.

1. Begriffsbestimmung

Etymologisch wird Hass auf die indoeuropäische Wurzel kados = Leid, Groll zurückgeführt. Über das germanische Verb hatjan ist hassen mit hetzen verwandt. Hetzen wird heute in vier Bedeutungsvarianten verwendet:

  1. aufhetzen, also aufwiegeln, zur Zwietracht anstiften
  2. als Fachbegriff bei der Jagd. Bei der Hetzjagd wird die flüchtende Beute verfolgt.
  3. sich abhetzen, sich beim Verfolgen eines Zieles verausgaben
  4. jemanden hetzen, also auf jemanden Druck ausüben, bei der Erledigung einer Aufgabe keine Rücksicht auf sich selbst zu nehmen

Alle vier Bedeutungsvarianten verweisen auf das Wesen des Hasses. Sie bahnen die Erkenntnis, dass Hass stets Leid verursacht; sowohl bei dem, der ihn empfindet als auch bei dem, der ihm zum Opfer fällt.

Es mag sein, dass Hass ein Gefühl von Macht und Überlegenheit vermittelt. Stärke, die aus Hass heraus erlebt wird, ist jedoch nur eine oberflächliche Empfindung, die ein tiefer liegendes Gefühl eigenen Unwerts verdeckt.

Verwandt und doch verschieden
Wut ist ein Verwandter des Hasses. Doch die Unterschiede sind groß. Während Hass die Vernichtung des Anderen verlangt, hat Wut ihr Ziel im Prinzip erreicht, sobald sie den Gegner vertrieben oder in seine Schranken verwiesen hat. Während Wut im Affekt gelegentlich Totschlag begeht, begeht Hass systematische Morde.

Das Adjektiv hässlich wird heute meist als rein ästhetischer Gegensatz zu schön begriffen. Benennt der Begriff ein Verhalten, das man einer anderen Person angedeihen lässt, ist der ursprüngliche Sinngehalt der Gehässigkeit noch spürbar: Pauls Verhalten gegenüber Lina war hässlich. Damit ist eigentlich gemeint, dass Pauls Verhalten Linas Kummer nicht nur billigend in Kauf genommen hat. Ihr wehzutun, war zumindest eine Komponente seiner Absicht.

Vom gleichen spricht der Begriff Gehässigkeit. Im Gegensatz zu einer Rücksichtslosigkeit, die bloß den eigenen Vorteil sieht, beabsichtigt eine Gehässigkeit ausdrücklich den Schaden anderer.

Vom Sehen und Gesehenwerden
Der Gegensatz von schön und hässlich verweist auf weitere Aspekte. Schön entspringt derselben Wurzel wie das Verb schauen. Schauen geht auf indoeuro­päisch [s]kēu = auf etwas achten, aufpassen zurück. Zum selben Sinnfeld gehört das Verb schonen. Auch das Fremdwort Ästhetik zeigt den Zusammenhang auf. Ästhetik ist eine Ableitung von griechisch aisthētikós [αισθητικος] = wahrnehmend.

Der Akt der Wahrnehmung besteht aus zwei Komponenten: dem wahrgenommenen Objekt und dem wahrnehmenden Subjekt. Das schöne Objekt wird passiv wahr­genommen. Ist es schön, wird es verschont. Schönes wird in seinem Wert erkannt, respektiert (lateinisch re-spicere = wieder anschauen) und bewahrt. Auf der Seite des Subjekts ist Schönheit keine Eigenschaft, die ihm passiv zukäme. Schönheit ist sein Wesen selbst, das aber erst zum Ausdruck kommt, wenn es sein Wesen er­füllt: nämlich sieht; also Wert erkennt und Wert verschont. Seiner Schönheit ge­recht wird das Subjekt, wenn es mit dem, was es erkennt, wertschätzend umgeht. Erkennt es Wert nicht, wird sein Verhalten hässlich.

2. Formen konstruktiver Aggression

Aggressive Emotionen gehen aus der grund­legenden Expansivität des Lebens hervor. Entweder sie dienen der Bewahrung eigener Werte oder der Vernichtung fremder. Im ersten Fall bleiben sie im Grundsatz konstruktiv. Im zweiten sind sie destruktiv.

Hass ist eine intensive Form der destruktiven Aggression. Um sein Wesen besser zu verstehen, lohnt es sich, ihn von anderen Formen aggressiven Verhaltens zu unterscheiden:

  1. von der physiologischen Offensivität lebendiger Strukturen
  2. von der Wut

Sowohl die physiologische Offensivität als auch die Wut können für bestehende Strukturen zerstörerisch sein. Im Grundsatz sind sie aber konstruktiv. Sie setzen sich für Werte ein, die es aufzubauen oder zu bewahren gilt.

2.1. Physiologische Offensivität

Die physiologische Offensivität ist ein Grundmuster des Lebens. Das hängt mit den Existenzbedingungen lebender Organismen zusammen. Lebende Organismen sind darauf angewiesen, auf Ressourcen zuzugreifen, um ihre Existenz zu sichern.

Aggression heißt zunächst nichts anderes, als offensiv auf geeignete Ressourcen zuzugehen. Der Löwe reißt die Gazelle. Wo er konkurrierende Arten verdrängen kann, überwuchert der Bärenklau jedes Stück Land. Weder Löwe noch Bärenklau nimmt bei derart Zugriff Rücksicht auf andere.

Obwohl das Verhalten des Löwen seiner Beute gegenüber als aggressiv zu bezeichnen ist, empfindet er keine Wut auf die Gazelle und erst recht keinen Hass. Er greift nicht an, weil er sie als Bedrohung empfindet und daher abwehren will. Er greift an, weil er Hunger hat. Anders ist es, wenn der Löwe von einem Konkurrenten herausgefordert wird. Dann reagiert seine Aggression auf eine faktische Bedrohung. Er wird wütend.

Was für Tier und Pflanze gilt, gilt genauso für den Menschen. Auch er muss sich Mittel zum Leben verschaffen. Auch er muss auf das zugreifen, was er haben will. Dabei konkurriert er mit anderen um Güter aller Art: Gemüsesuppe, Partner, Mietwohnungen, Karrierechancen. Wer nicht in der Lage ist, offensiv auf Chancen zuzugreifen und Konkurrenten zu verdrängen, verliert das Spiel. Die Muster, die bei diesem Ringen angewendet werden, sind zuweilen ziemlich aggressiv; obwohl Aggression zunächst nicht als Emotion empfunden werden mag, sondern sich bloß in ausgreifenden Verhaltensweisen konkretisiert.

Sobald der Konflikt um Ressourcen eskaliert, reagieren Konkurrenten jedoch emotional. Werden andere als Bedrohung erlebt, kommen heftige Emotionen auf, deren Aufgabe es ist, zur Abwehr der Bedrohung möglichst viel Kampfkraft bereitzustellen. Wie der Löwe, der einen anderen fürchtet, reagiert der Mensch mit Wut.

Wenn Wut aufkommt, ist es meist besser, man wartet ab bis sie verebbt und handelt erst dann.
2.2. Wut

Wut ist eine reaktive Aggression. Sie kommt erst auf, wenn Hindernisse wichtige Pläne durchkreuzen oder Bedrohliches erkennbar wird. Der wütende Mensch bäumt sich auf, um Hindernisse aus dem Weg zu räumen und Bedrohungen abzuwehren. Wut ist ein archaisches Werkzeug des Menschen im Umgang mit der physikalischen Realität und erst recht im Umgang mit anderen.

Auch wenn Wut als Werkzeug im psychosozialen Konfliktfall verwendbar ist, ist sie keineswegs unproblematisch. Wut schießt oft über das Ziel hinaus. Das meiste, was Wut bewirken kann, bewirkt eine sachliche Klärung von Konflikten besser.

3. Destruktive Aggression: Hass

Auch der Hass ist eine reaktive Aggression. Er reagiert auf Bedrohungen, denen man sich von Seiten anderer ausgesetzt sieht. Selbst wenn auch er in letzter Konsequenz etwas beschützen will - die Ehre oder die Freiheit dessen, der ihm verfällt -, ist er jedoch grundsätzlich destruktiv. Das hat mit einer psychologischen Bedingung zu tun, die ihm zugrunde liegt: einem fehlenden oder zerbrechlichen Selbstwertgefühl.

Die etymologischen Zusammenhänge im Umfeld des Verbs hassen haben bereits auf zwei wesentliche Merkmale des Hasses hingewiesen.

Indem Wut aufschäumt und abebbt, bleibt sie lebendig und dem Leben verpflichtet. Hass erstarrt im Willen, Schaden anzurichten.

Wut ist ein Werkzeug, Hass das Symptom einer Krankheit.

Als spezifische Einstimmung des Bewusstseins­raums dient Hass der Verdrängung von Ängsten und Erkenntnissen, die man nicht wahrhaben will.
  1. Im Gegensatz zur Wut schlägt Hass Bedrohungen nicht nur zurück und ebbt dann ab. Er setzt zur Verfolgung an. Er hetzt.

  2. Während der wütende Mensch sich selbst als Wert erkennt und deshalb im Grundsatz darauf aus ist, sich und seine Werte zu bewahren, nimmt ein Mensch, der hasst, seinen eigenen Schaden in Kauf. Mehr als eigene Werte zu bewahren, versucht er den Wert anderer herabzusetzen; im extremsten Fall, indem er sie vernichtet und die eigene Vernichtung dabei in Kauf nimmt.

Während jeder gesunde Mensch unter bestimmten Umständen wütend werden kann, ohne dass das seiner Gesundheit Abbruch tut, ist Hass ein eindeutig psychopatho­logisches Phänomen. Er schadet nicht nur dem Opfer. Er schadet auch dem Täter stets mehr, als er ihm jemals nützen könnte.

Psychologischer Grundkonflikt

Dem Zugriff anderer ausgesetzt zu sein, hätte kaum psychologische Folgen, wäre die Emotionalität des Menschen nicht mit dem psychologischen Grundkonflikt verwoben. Gewiss: Man kann sich vereinnahmen lassen, um das Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu erfüllen. Je mehr man es aber tut, desto größer wird der Druck von dessen dialektischem Gegenpol: dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung. Das führt dazu, dass der Mensch nicht in der Lage ist, den Zugriff anderer auf sich selbst zu dulden ohne dass es dafür triftige Gründe gibt, die auch in seinem Interesse liegen oder dass entsprechende Abwehrmechanismen das gestörte Gleichgewicht ausbalancieren.

3.1. Psychodynamik

Wer hasst, ist psychisch krank. Der strukturelle Schwerpunkt der Erkrankung liegt in einem narzisstischen Defizit. Am Hass zu erkranken, riskiert vor allem der, der sich selbst kein unbedingtes Wertgefühl entgegenbringt. Bei dem der hasst, ist ein spürbares Selbstwertgefühl entweder gar nicht vorhanden oder es hängt von der Identifikation mit Vorstellungsbildern ab, die spaltend und damit ihrerseits latent entwertend sind: zum Beispiel nationale und religiöse Mitgliedschaften oder Selbstbilder, die vom Vergleich mit oder von der Bestätigung durch andere abhängen.

Die Erkrankung liegt aber nicht nur in einem narzisstischen Defizit. Menschen mit zerbrechlichem Selbstwertgefühl gibt es viele. Nur ein Teil davon sucht die Rettung im Hass. Hass entwickelt sich erst, wenn sich bestimmte Abwehrmanöver wechselseitig in fataler Weise ergänzen. Fünf davon spielen eine besondere Rolle:

  1. Verschiebung
  2. Projektion
  3. Spaltung
  4. Abwertung
  5. Autoaggression
3.1.1. Verschiebung

Missachtende Verhaltensweisen sind an der Tagesordnung. Sie geschehen tausend­fach in alltäglichen Beziehungen. Viele leben jedoch in subjektiver oder objektiver Abhängig­keit von genau solchen Personen, von deren Seite her sie ständiger Missachtung aus­gesetzt sind. Wer glaubt, dass er die reaktive Aggression nicht gegen die eigentliche Ursache richten kann, verschiebt sie oft auf andere. So schützt er die Beziehung, auf die er nicht zu verzichten können glaubt... oder tatsächlich nicht verzichten kann.

Aggressionen, die in alltäglichen Beziehungen nicht entladen oder durch konfliktlösende Strategien behoben werden können, sammeln sich in der Psyche an. Sie werden bei passender Gelegenheit auf Sündenböcke ausgerichtet.

3.1.2. Projektion

So manchem sind Aspekte seiner selbst nicht geheuer: Impulse, Gefühle, uneinge­standene Sichtweisen. So mancher fühlt sich seinem eigenen Sosein ausgeliefert und würde sich am liebsten von den gefürchteten Aspekten befreien. Dann sieht er jemanden, der das zu repräsentieren scheint, was er an sich selbst nicht anerkennen will. Und schon weiß er, gegen wen er seine Aggression zu richten hat.

3.1.3. Spaltung
Die Attraktivität spaltender Weltanschau­ungen für innerlich zerrissene Personen liegt zur einen Hälfte in dem, was sie an Heil versprechen. Die andere Hälfte fußt auf der Erlaubnis zu reuelosem Hass. Zuweilen ist fanatischer Glaube an eine Idee nichts anderes als Dankbarkeit dafür, dass sie Hass erlaubt oder ihn gar schürt.

Kaum etwas schürt Hass besser als Spaltung. Spaltung ist ein archa­ischer Abwehrmechanismus. Zwecks Vereinfachung des Weltbilds teilt die Psyche dabei komplexe Phänomene in zwei Kategorien auf: gut oder böse bzw. gut oder schlecht.

Ist die Einordnung einer Person oder Gruppe als nur böse vollzogen, folgt die Aggression fast unmittelbar. Das Böse an sich ist stets bekämpfenswert. Da es als ausschließlich böse gilt, kommt man kaum umhin, es zu hassen. Und weil dem Bösen nichts anderes anhaftet als Böses, erscheint der Hass dagegen sogar noch als Tugend.

Da er von seinem Vater schwer misshandelt wurde und er sich von der Gesellschaft zurückgesetzt fühlte, steckte Adolf voller Aggression. Als er auf die Idee kam, dass hinter allem Unglück der Erde die vermeintliche Bosheit des Juden steckt, empfand er das als schiere Befreiung. Der Kampf gegen das, was ihm als abzuspaltendes Böses galt, gab seinem Hass vermeintlichen Sinn.

Blinder Hass
Die Weigerung, Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, die seine Berechtigung infrage stellen, ist so typisch für den Hass, dass sich die Metapher vom blinden Hass umgangssprachlich eingebürgert hat.

Blindheit dient Hass auf zweierlei Art: Zum einen ist es einfacher, jemanden zu hassen, den man nur oberflächlich kennt. Deshalb wird Hass oft auf Personen verschoben, die zwar im Blickfeld auftauchen, mit denen man persönlich aber wenig zu tun hat. Zum anderen neigt Hass dazu, alle Aspekte an der gehassten Person, die ihn hemmen könnten, nachträglich auszublenden. Hass entspringt einer Spaltung des Weltbilds in gut und böse. Was der Spaltung widerspricht, will er nicht sehen.

3.1.4. Abwertung

Unauflösbar mit der Spaltung ist Abwertung verbunden. Menschen, denen ein unbe­dingtes Selbstwertgefühl fehlt, weil ihre Vorstellungswelt in kategorial gegensätzliche Pole gespalten ist, sind anfällig für Selbstwertzweifel. Ihr Selbstwertgefühl hängt von günstigen Konstellationen ab und ist an bestimmte Bedingungen geknüpft. Der Mangel an autonomem Selbstwertgefühl wird durch Identifikationen mit idealisierten Bildern oberflächlich versorgt. Fallen entsprechende Bedingungen weg, bricht sich ihr narzisstisches Defizit Bahn.

Je geringer das eigene Selbstwert­gefühl, desto radikaler muss die Abwertung anderer sein, um überhaupt einen wirksamen Kontrast zu schaffen.
Spaltende Weltbilder
Spaltende Weltbilder sind Brandbeschleuniger destruktiver Aggression. Durch die kategorische Trennung zwischen wert und unwert bieten sie Menschen mit gebrochenem Selbstwertgefühl Erklärungsmuster ihres Unbehagens. Gleichzeitig zeigen sie auf andere, deren angebliche Wertlosigkeit sie zu Zielscheiben frei flottierender Aggressionen macht. Zu allem Überfluss bleibt das Wertgefühl, dass sie ihren Vertretern vermitteln, bedingt. Es bleibt an die Bedingung geknüpft, genau der Weltanschauung zu dienen, deren Verachtung man ausgesetzt ist, sobald man ihr nicht dienen will oder kann. Spaltende Weltbilder versorgen narzisstische Defizite daher nicht nur bloß prothetisch, sie sorgen auch dafür, dass das Selbstwertgefühl darin Gefangener nicht heilt. Ein Heil zu versprechen, das von außen vergeben wird, heißt nicht selten Heilung zu verhindern. Heilwerdung heißt Selbstfindung. Heil kann nur werden, was längst schon heil ist.
3.1.5. Autoaggression

Bei der Autoaggression werden Aspekte des eigenen Selbst zu dem Übel erklärt, das die betroffene Person unannehmbaren Missständen aussetzt.

Birgit hat sich als Kind die Nähe ihres Vaters gewünscht. Der hat sie dabei missbraucht. Statt Wut auf den Vater zu richten, hasst sie ihr Bedürfnis nach Nähe. Ihr brüchiges Selbstwertgefühl, das durch den Missbrauch gebahnt wurde, wird durch die Wendung der Aggression gegen sich selbst weiter untergraben.

Sich selbst nicht ohne Wenn und Aber wertzuschätzen, was das primäre Kernproblem jener ist, die später hassen, führt regelhaft dazu, dass man Aggression gegen Aspekte des eigenen Wesens richtet: gegen genau die, die man für unwert hält. Jedem Hass gegen andere ist daher Selbsthass beigemischt, auch wenn der, der hasst, das oftmals nicht erkennen kann, bzw. nicht erkennen will, da die Wendung der Aggression nach außen durch ein Eingeständnis des Selbsthasses verhindert würde.

3.2. Übergänge

Wut und Hass sind zwei unterscheidbare Formen reaktiver Aggression. Der entschei­dende Unterschied liegt in ihrer Zielsetzung. Wut ist im Ansatz konstruktiv. Hass ist grundsätzlich destruktiv. Obwohl beide theoretisch klar zu unterscheiden sind, gibt es in der Praxis fließende Übergänge. Zwei Faktoren sind dafür verantwortlich:

  1. Das Selbstwertgefühl ist kein Alles oder Nichts. Gewiss: Je bedingungsloser es im Selbst verankert ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass es selbst bei heftiger Infragestellung durch äußere Faktoren wankt. Nur bei wenigen Menschen ist die Verankerung aber so stabil, als dass sie bei starkem Druck nicht doch in Versuch­ung geraten, Selbstwertzweifel durch problematische Abwehrmechanismen abzuwehren und damit zu riskieren, in blinde Destruktivität abzugleiten.
  2. Wut ist ein aggressiver Affekt, der in Gegenwart faktischer Bedrohungen aufwallt. Er versucht, die Unterwerfung unter den bedrohlichen Faktor explosiv zu sprengen. Gelingt ihr das, ebbt Wut ab. Gelingt es ihr aber nicht und unterliegt der bislang bloß wütende Mensch der Macht, der er sich widersetzt, kann seine Wut in Hass übergehen, wenn er seine Ohnmacht nicht ohne Verlust an Selbstachtung akzeptieren kann.

Die folgende Übersicht verdeutlicht den Unterschied zwischen beiden Formen reaktiver Aggression.

Ungleiche Brüder

Wut... Hass...
ist impulsiv, aufwallend, vorübergehend, spontan. ist beständig, berechnend, verbohrt.
führt in Gefahr, weil sie Gefahren übersieht. nimmt eigenen Schaden bewusst in Kauf.
riskiert den Wert des Gegners im Affekt zu übersehen. verleugnet den Wert des Feindes systematisch.
lässt ab, wenn der Gegner auf Abstand geht. setzt dem Opfer nach. Verfolgt es.
will den Täter schützen. will dem Opfer schaden.

3.3. Psychosoziale Grundlagen

Bedrohungen ausgesetzt zu sein, ist nicht nur ein existenzielles Problem. Es ist auch ein psychosoziales. Den Menschen treffen nicht nur Hagelschlag, Hungersnot und Vogelgrippe, er ist auch den Machenschaften seiner Zeitgenossen ausgesetzt. Übler als den Kräften der Natur ist er oft solchen ausgeliefert, die der Mitmensch auf ihn anwendet; oder dem Anspruch seiner eigenen Person, mit der er selbst über andere bestimmen will.

Reaktive Aggression entspringt überwiegend dem Zusammenleben von Menschen miteinander. Das hat drei Gründe:

  1. Die Grundstruktur der menschlichen Psyche ist auf Familie, Freundeskreis und Sippe ausgerichtet. Die ursprüngliche Funktion solcher Gemeinschaften liegt in der gemeinsamen Abwehr existenzieller Bedrohungen. Gerade das Kind erwartet von den anderen keine Bedrohung, sondern Schutz. Wird Schutz aber mit Bedrohung vermengt oder bleibt er ganz aus, provoziert das emotionale Widersprüche, die erst recht als bedrohlich empfunden werden. Resultat kann Hass sein, der alle Bedrohungen aus der Welt schaffen will.

  2. Längst hat sich der Schwerpunkt des menschlichen Lebens weg von der Ausein­andersetzung mit der blanken Natur und hin zur Einbindung in komplexe soziale Strukturen verschoben. Je mehr man mit anderen Menschen zu tun hat, desto größer wird die Gefahr, dass man von ihnen übergangen und missachtet wird.

  3. Die Angst, anderen ausgesetzt zu sein, treibt Menschen milliardenfach dazu, zum Präventivschlag auszuholen. Nur wenige sind durchgehend in der Lage, sich und andere so zu belassen, wie sie sind. Öfter kommt es vor, dass man andere dem eigenen Vorteilsstreben aussetzt; und ihnen damit entwertende Botschaften sendet, die die Bereitschaft zu destruktiven Reaktionen fördern.
3.4. Situative Auslöser

Situative Auslöser destruktiver Aggression sind Erfahrungen der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins. Drohende Ohnmacht anderen gegenüber ist dabei in doppelter Weise Weichensteller:

  1. Zum einen besteht Gefahr, dem Zugriff anderer ausgeliefert zu sein und dadurch faktischen Schaden zu erleiden.

  2. Zum anderen wird Ohnmacht leicht als Schande empfunden, was ein brüchiges Selbstwertgefühl zum Einsturz zu bringen droht.

Da niemand ruhen kann, wenn er sich einer Bedrohung ausgesetzt sieht, hat die Psyche Mechanismen entwickelt, um sie entweder abzuwenden oder um die Angst davor aus dem Bewusstsein herauszuhalten.

Zwei Qualitäten
  • Ausgesetztsein

    Ich bin ausgesetzt heißt: Es treffen mich Einflüsse von außen, die ich nicht wählen kann. Ich bin aber frei genug, die Einflüsse für mich zu nutzen oder mich ihrem Zugriff schließlich zu entziehen.
  • Ausgeliefertsein

    Ich bin ausgeliefert heißt: Die Einflüsse, die mich treffen, entmachten mich. Sie sind zum Vorteil anderer und zu meinem Schaden.

Ausgesetzt zu sein kann stimulierend wirken, ohne dass daraus destruktive Aggression entsteht. Niemand kann eine Straße passieren, ohne sich Risiken auszusetzen, deren Qualität durch andere mitbestimmt wird. Entwicklung beruht zum großen Teil darauf, dass man dem Einfluss anderer ausgesetzt wird. Die Gefahr destruktiver Reaktionen steigt jedoch, je mehr das Ausgesetztsein in ein Ausgeliefertsein übergeht.

Wird eine Bedrohung, die man nicht beseitigen kann, als geringfügig erlebt, genügt es meist, das Wissen darum zu verdrängen.

Fiona weiß, dass eine Frau nachts auf der Straße nicht absolut sicher sein kann. Unterwegs zur Disko denkt sie stattdessen aber an Simon, den sie dort zu treffen hofft. Sie spürt keine Angst.

Werden Umstände als schwere Bedrohung erlebt, entwickelt sich reaktive Aggression. Sie dient entweder dazu, den bedrohlich erlebten Umstand durch Freisetzung maximaler Kräfte zu beseitigen oder um die Angst davon zu übertönen.

Hass ist das Resultat eines Bündels spezifischer Abwehr­mechanismen. Wird er eingesetzt, um das anzugreifen, was als bedrohlich empfunden wird, hält er Ängste nieder, die seiner Wucht im Wege stehen. Wer hasst, ignoriert Gefahren für sich selbst und begeht womöglich sogar ein Selbstmord­attentat.

Gottesbild und Selbstmordattentat
Selbstmordattentäter richten ihre Aggression kaum je gegen Leute, denen sie wirklich ausgeliefert sind. Offen­sichtlich sind Projektion und Verschiebung im Spiel, durch die der Hass gegen das, was tatsächlich droht, auf die Opfer des Attentats umgelenkt wird. Das tatsächlich Bedrohliche sitzt im Inneren des Täters: Es ist der Glaube an einen strafenden Gott, der zur Abwehr der Strafe Unterwerfung fordert.

Wer sich einer Gefahr ausgeliefert sieht, die er als bedrohlicher als den leiblichen Tod empfindet, zum Beispiel Höllenstrafe bei fehlendem Gehorsam gegenüber dem Gott, der damit droht, riskiert Hass gegen alles zu entwickeln, was ihn dazu verlockt, vom Gehorsam abzulassen. Lieber als seine Seele der vermeintlichen Höllenstrafe auszusetzen, opfert er seinen Leib in einem Attentat, das absoluten Gehorsam beweist.

Das eigentlich Bedrohliche ist dabei nicht der Andersdenkende, dessen Anderssein den Täter zum Ungehorsam verlockt. Das eigentlich Bedrohliche ist der Gott, an dessen Existenz der Täter glaubt und dessen drohender Allmacht er sich ausgeliefert sieht. In letzter Konsequenz gilt der Hass des Selbstmordattentäters weder den Andersdenkenden, die er tötet, noch der eigenen Tendenz zum Ungehorsam, die er nicht wahrhaben will. Sein Hass gilt dem eigenen Gott. Ein Gott, der mit Schrecklichem droht, wird Schreckliches bewirken.

Auch wenn Hass nicht ausagiert wird, wehrt er ab; allerdings nicht die Angst, dass man bei einem Angriff selbst Schaden nehmen könnte, sondern die gefürchtete Erfahrung, dass man ohnmächtig ist; jene Erfahrung also, die sich der abwehrende Mensch mit zerbrechlichem Selbstwertgefühl nicht zumuten will.

Abermilliarden schlafloser Nächte wurden bereits darauf verwendet, das Eingeständnis ohnmächtigen Ausgeliefertseins durch aggressive Phantasien aus dem Bewusstsein zu streichen. Du bist nicht ohnmächtig, sagt der Hass. Du hast den Feind bloß noch nicht besiegt. Hass hetzt nicht nur gegen die Opfer. Er hetzt auch den Täter dazu auf, auf sich selbst keine Rücksicht zu nehmen.

Dirk war schon oft im Leben missachtet worden. Als er erfuhr, dass Vanessa mit Matteo ins Bett ging, lauerte er ihnen auf und brachte sie um. Dass er sich sein ganzes Leben damit verbaute, nahm er in Kauf. Wozu sollte auf einen Loser wie ihn Rücksicht genommen werden?

4. Bahnende Rahmenbedingungen

In jeder sozialen Struktur vermengen sich gegensätzliche Pole, die die Gemeinschaft bedingt. Durch jede gesellschaftliche Struktur bieten Menschen einander Schutz und setzen sich zeitgleich neuen Gefahren aus. Die Balance entscheidet, ob das gesellschaftliche Klima friedlich ist oder von Aggression durchsetzt.

Es ist offensichtlich: Wenn es psychologische Faktoren gibt, die die Gefahr erhöhen, dass Individuen mit destruktiver Aggressivi­tät reagieren, dann gibt es auch gesell­schaftliche und kulturelle Faktoren, die daran beteiligt sind; nämlich solche, die die entsprechenden individualpsychologischen Dynamiken durch Prägung und psychosoziale Einflüsse begünstigen. Es ist auch klar, dass es sich bei diesen Rahmenbedingungen um solche handelt, die genau jene Abwehrmechanismen fördern, die auch an der Entstehung destruktiver Aggression beteiligt sind. Zu nennen sind daher vor allem spaltende Weltanschauungen, die gesellschaftliche Klimata prägen.

Zwei Gruppen spaltender Weltanschauungen stehen im Vordergrund:

  1. Nationalismus bzw. Rassismus

    Die Logik eines jeden Nationalismus beruht auf zweierlei:

    • der Idealisierung oberflächlicher, letztendlich biologischer Gruppenmerkmale zwecks Steigerung des eigenen Wertgefühls
    • der Abwertung all jener, denen das Merkmal fehlt

    Jeder Nationalismus spaltet, projiziert und wertet ab. Jeder Nationalismus versucht Konflikte innerhalb der Gruppe zu unterdrücken und verschiebt die auflaufende Aggression an seine Außengrenze. Jeder Nationalismus ist deshalb eine Quelle destruktiver Aggression.

  2. Konfessionelle Religiosität

    Analoges gilt für konfessionelle Glaubenslehren. Deren zentraler Lehrsatz lautet: Eigentlich ist der Mensch nichts wert. Es sei denn, er glaubt, was wir ihn lehren. Dann erwirbt er einen bedingten Wert, der ihn, obwohl er nur bedingt ist, über andere stellt.

    Während der alttestamentarische Ursprung zusätzlich eine ethnische Gruppen­zugehörigkeit betont, sind die idealisierten Merkmale ihrer Seitenzweige bloße Bekenntnisse, die durch die Ausführung spezifischer Rituale zu untermauern sind.

    Spaltung und Abwertung Gruppenfremder gehören zum primären Ansatz jeder Konfession. So wie alle anderen spaltenden Weltanschauungen projizieren sie das Böse nach außen und verschieben interne entstehende Aggressionen an ihre Außengrenzen.

    Eine besondere Rolle im konfessionell-religiösen Milieu spielt die Autoaggression. Dabei wird Aggression keineswegs offen gegen die Gruppenidentität gerichtet. Das gilt als größtes Tabu. Vielmehr werden Gruppenmitglieder dazu angehalten, autoaggressiv gegen all jene Impulse in sich selbst vorzugehen, die die Mitgliedschaft zur vorgeblich einzigen Gruppe untergraben könnten, die legitim von Gott beauftragt Wert verspricht.

Spaltende und verbindende Religionen
Sobald man beim Zappen in eine Nachrichtensendung gerät, hört man von Konflikten, die an den Grenzen konfessioneller Kulturkreise schwelen. Viele dieser Konflikte sind von destruktiver Aggression getragen. Konfessionell geprägte Kulturen beanspruchen Alleingültigkeit. Aus dieser Vorstellung heraus werten sie andere ausdrücklich oder beiläufig ab. Das führt so programmatisch zu Konflikten, dass sich die westliche Hemisphäre seit mehr als anderthalb Jahrtausenden an die Vorstellung gewöhnt hat, destruktive Aggression sei eine inhärente Begleiterscheinung überzeugter Religiosität.

Immer dann, wenn Anhänger verschiedener Bekenntnisse lokal umgrenzt oder zeitweise friedlich zusammenleben, wird das in der Folge als Beispiel dafür hervorgehoben, dass ein friedliches Zusammenleben zwischen Religionen möglich ist.

Eine entwertende und ausgrenzende Tendenz gegenüber Gruppenfremden ist aber keineswegs konstituierendes Merkmal religiöser Lehren. Das zeigt ein Blick über den Hindukusch. Ostasiatische Religionen kommen tatsächlich friedlich miteinander aus, weil dort das eigentliche Thema der Religion, nämlich die Verbindung, nicht durch politische Motive, nämlich Konkurrenz und Spaltung, untergraben wird.

Kein Wunder

Wer das Alte Testament vorurteilsfrei studiert, kommt zur Erkenntnis, dass die Offenbarungsbehauptung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keiner historischen Tatsache entspricht. Im nächsten Schritt ist festzu­stellen, dass die theologischen Aussagen der Bibel nahtlos mit militärischen Zielsetzungen verwoben sind, die die hebräischen Stämme in einen Krieg gegen Kanaan führten. Da die Angriffslust von Soldaten gesteigert wird, sobald Hass sie beseelt, verwundert es nicht, dass die Bibel betont, wie hassenswert die Kanaaniter waren und wie hassenswert all jene Hebräer, die sich dem Glauben an den Unwert anderer nicht bedingungslos überließen.

Es ist davon auszugehen, dass die abrahamitische Theologie nicht von Gott offenbart, sondern von Menschen zur Unterstützung militärischer Zwecke entworfen wurde und ihr daher ein kriegerisches Wirkmoment eingewoben ist, das die destruktive Aggression vieler Menschen auch in Zukunft fördern wird; und zwar umso mehr, je kompromissloser sich ihre Anhänger an ihren Lehr­sätzen ausrichten. Da Dogmenglaube im Beschluss besteht, Wahrheit nicht anzuerkennen, sobald sie das Dogma als falsch entlarvt, ist es ebenso wenig verwunderlich, dass das Offensichtlichste mit gläubiger Begeisterung über­sehen wird. Störende Augen herauszureißen dient der Reinheit des Glaubens.

Neben explizit weltanschaulichen Vorgaben sind weitere gesellschaftliche Umstände zu erkennen, die auch unabhängig von ideologischer Begründung destruktive Aggressionen fördern:

5. Diagnostische Zuordnungen

Oben hieß es: Hass ist Symptom einer Krankheit. Richtig. Hass hat keine nützliche Wirkung, die nicht durch den Schaden übertroffen wird, den er verursacht. Das ist bei der Wut gegebenenfalls anders. Wut an der richtigen Stelle in der richtigen Dosis kann Werte schützen, die ohne den Einsatz der Wut unter die Räder gerieten.

Wenn Hass Symptom einer Krankheit ist, ist zu fragen, welcher. Dazu ist zu sagen, dass im Grundsatz quasi jeder destruktive Aggression entwickeln kann, wenn...

Ausprä­gungen

Nur wenige sind psychologisch so integriert, dass sie auch in solchen Situationen verlässlich mit einer derart nüchternen Besonnenheit reagieren, sodass sie den Wert dessen, der sie bedroht, nie aus dem Blick verlieren.

Die Neigung mit destruktiver Aggression zu reagieren, ist darüber hinaus umso größer, je bedingter das Selbstwertgefühl des Betroffenen ist, es also von Bedingungen abhängt, die grundsätzlich instabil sind und durch Bedrohungen aller Art in Frage gestellt werden können. Vor allem Menschen mit Persönlichkeitsstörungen sind daher gefährdet. Aber auch in der Manie und im Wahn können Aggressionen entgleisen.

5.1. Persönlichkeitsstörungen

Wie Menschen auf Bedrohung reagieren, wird durch ihr Selbstbild und ihre Persönlich­keitsstruktur bestimmt. Dabei spielt es eine wesentliche Rolle, woraus die Person ihr Selbstwertgefühl bezieht. Besonders gefährdet, pathogene Mechanismen einzusetzen, um Erfahrungen des Ausgesetztseins durch Hassgefühle abzuwehren, sind dabei bestimmte Persönlichkeitstypen.

5.2. Manie

Bei der Bipolaren Störung kann es in der maniformen Phase zu heftigen Aggressions­ausbrüchen kommen; vor allem dann, wenn der Kranke auf Widerstände des Umfelds stößt. Dabei kann es sich um passive Widerstände handeln oder um aktiv begrenzende Maßnahmen, die den Bewegungsspielraum des Manikers beschränken; zum Beispiel Freiheitsentzug durch Zwangseinweisung.

Bei der Aggression der Manie handelt es sich regelhaft um rasch aufwallende und im Grundsatz vorübergehende Impulse. Der Maniker kann in rasende Wut verfallen und dabei Totschlag begehen, seine Wut verfestigt sich aber kaum je zu Hass.

5.3. Wahn

Im Gegensatz zur affektiven Symptomatik der Manie ist der Wahn vorwiegend durch Denkinhalte geprägt, die sich beim systematischen Wahn zu stabilen Wahngebäuden verfestigen. Eine der häufigsten Varianten des Wahns ist der paranoide Wahn; umgangssprachlich auch Verfolgungswahn genannt. Er kommt sowohl bei schizo­phrenen Psychosen als auch als sogenannte Paranoia vor. Im Verfolgungswahn wird das existenzielle Thema des Ausgeliefertseins zum zentralen Thema des Denkens. Der Kranke erlebt sich feindseligen Kräften ausgeliefert, was heftige Affekte in ihm zum Leben erweckt.

Bei paranoiden Erlebnissen im Rahmen schizophrener Psychosen steht meist Angst im Vordergrund. Diese erstickt die potenzielle Wut über das vermeintliche Ausgeliefertsein entweder bereits im Keim oder sie überwuchert sie so sehr, dass der Kranke aggressive Impulse kaum je systematisch nach außen wendet.

Beim systematischen Wahn der Paranoia ist das nicht selten anders. Dort gewinnen pathogene Abwehrmechanismen die Überhand, sodass der Kranke zuweilen zu Feindseligkeiten übergeht.

6. Merkmale der Opfer

Wir haben gesehen, dass destruktive Aggression sich pathogener Abwehrmechanismen bedient; in großem Umfang der Verschiebung und der Projektion.

Deshalb ist es so, dass die Zielscheiben des Hasses oft an ihrem Unglück völlig unschuldig sind.

Andererseits ist Hass nicht nur eine individualpsychologische Dynamik, sondern auch eine psychosoziale. Hass entzündet sich durch Interaktion und greift in sie ein. Deshalb ist es nicht selten so, dass die Opfer des Hasses Eigenschaften aufweisen, die daran mitwirken, Hass auf sie auszurichten. Oft ist dabei von einer Mitschuld zu sprechen. Oft aber auch nur von einer tragischen Verstrickung.

7. Lösungen

Hätte sich aller Hass, der je empfunden wurde, nach außen entladen, wäre er samt der Menschheit wahrscheinlich schon aus der Welt geschafft. Wut und Hass kochen zwar in großer Menge hoch, nur ein Bruchteil davon gelangt jedoch ungehemmt nach außen. Sozial gesehen ist das ein Segen. Die innerseelische Zerstörungskraft des Hasses ist damit aber nicht entschärft.

Psychologisch betrachtet ist Hass eine Abwehrreaktion. Er dient dazu, Selbstwert­zweifel auszublenden und die schmerzhafte Einsicht zu verhindern, dass man anderen und damit äußeren Einflüssen ausgeliefert ist. Deshalb entzündet sich Hass meist dort, wo Fremdbestimmung droht, wo sie bereits eingetreten ist und nicht hingenommen werden kann; oder wo der Hassende zumindest meint, dass es so ist.

Hass macht sich auf zwei Ebenen bemerkbar:

  1. Psychosozial zielt er darauf ab, eine Bedrohung der eigenen Person durch andere abzuwenden, indem er den äußeren Auslöser der Aggression schwächt oder vernichtet. Er ist somit ein Impuls, in den Lauf der äußeren Wirklichkeit einzugreifen.

  2. Innerseelisch wehrt er die Erfahrung eines unabwendbaren Ausgeliefertseins ab, das der Betroffene als Infragestellung seines Selbstwertes empfindet. Somit ist er ein Eingriff in innerseelische Prozesse.

Um dem Problem destruktiver Aggression abzuhelfen, bedarf es daher zweierlei:

  1. vorbeugender Maßnahmen auf gesellschaftlicher Ebene (soziale Prävention)
  2. individualpsychologischer Heilung
7.1. Soziale Prävention

216 = 85.766.121

Gesetzt jeder kennt durch­schnittlich 21 andere. Über nur sechs Kettenglieder steht er dann statistisch gesehen mit mehr Menschen in Verbindung als Deutschland Einwohner hat.

Hass, der sich zwecks Eingriff in den Lauf der Wirklichkeit nach außen wendet, beschäftigt im Nachgang die Justiz. Im schlimmsten Fall löst er globale Katas­trophen aus. Da nichts besser vor destruktiver Aggression schützt als das Gefühl, über sich selbst zu verfügen und als wertvoll anerkannt zu werden, kann die Gesellschaft eine Menge dazu beitragen, dass es gar nicht erst so weit kommt.

Dazu gilt es zu allererst, mit anderen wertschätzend umzugehen. Die Gesellschaft ist ein vernetztes Gefüge zwischenmenschlicher Beziehungen. Sobald jemand abwertend mit seinen Bezugspersonen umgeht, droht er deren Selbst­wertgefühl zu schwächen und eine Kettenreaktion auszulösen, denn aus einem geschwäch­ten Selbstwertgefühl heraus neigen seine Bezugspersonen dazu, ihrerseits abwertend mit anderen umzugehen.

Nun mag man glauben, dass eine derartige Kausalverknüpfung nur im privaten Rahmen schaden kann. Das trügt! Über nur wenige Kettenglieder ist jeder Mensch mit Millionen anderen verbunden. Selbst wenn die Wirkung des Einzelnen auf das sechste Glied in der Kette nur minimal sein mag, kann sie den Funken liefern, der einen Brand entfacht.

Erziehung

Von großer Bedeutung für die spätere Bereitschaft, mit destruktiver Aggres­sion zu reagieren, sind Erfahrungen im Elternhaus. Keine andere Altersgruppe ist so empfänglich für abwertende Botschaften wie Kinder. Ungezählt sind die Kinderstuben, in denen sich der Unverstand unglücklicher Erwachsener mit Gewalt, Erpressung und verstockter Besserwisserei an der Formung junger Menschen versucht. Dort sind Kinder ausgeliefert. Dort sammelt sich Aggres­sion, die solange in der Verdrängung schlafen kann, bis ein Reiz sie weckt.

Traditionelle Weltanschauungen betonen die Notwendig­keit, die Spontaneität kindlicher Entwicklungen programmatisch zu behindern und stattdessen vorgegebene Verhaltens- und Identifikationsziele durchzu­setzen.

Explizit traditionswahrende Weltanschauungen missachten die Jungfräulichkeit der kindlichen Seele. Stattdessen betrachten sie das Kind als Saatfurche für ihren Fortbe­stand. Die Aggression, die daraus ent­steht, wird oft auf jene verschoben, die der Tradition widersprechen. So segelt die Missachtung psychologischer Bedürfnisse erfolgreich gegen den Wind.

Nicht dass Erwachsene kindlichen Impulsen wahllos zuschauen könnten: Es macht aber einen Unterschied, ob elterliche Eingriffe unmittelbar schützend sind, oder ob sie kollektiven Anpassungszielen dienen. Ist das Anpassungsziel nicht individuell, sondern bloß normierend, liegt latenter Missbrauch vor.

Je bezwingender die Subjektivität des Individuums normierenden Übergriffen ausgesetzt wird, desto mehr Hassbereitschaft wird dadurch gebahnt. Im Regelfall wird ein normiertes Kind sein Ausgeliefertsein nicht bewusst durchleben. Im Regelfall wird es sich auch nicht dazu entscheiden, seine reaktive Aggression nach außen auszuleben; denn allzu groß ist die Abhängigkeit von genau denen, die es ihrem Bestimmungsdruck aussetzen. Im Regelfall wird der Erzogene seine Aggression verdrängen; bis Umstände sie an passender Stelle aus der Verdrängung entlassen. Das kann noch Jahrzehnte später geschehen. Oder die verdrängte Aggression bleibt als pathogenes Potenzial in ihm stecken, das seine ganze Biographie mit psychopatho­logischen Problemen überschatten kann.

Neben dem Beitrag, den jeder Einzelne leisten kann, zählt auch der Beitrag politischer Instanzen.

Die Zurückweisung falscher Sichtweisen ist nicht das gleiche wie die Abwertung ihrer Vertreter.

Darüber hinaus kann jeder Einzelne auch deeskalierend wirken, indem er an Hass erkrankten Menschen nicht mit moralischer Empörung begegnet. Hass ist eine Abwehrreaktion gegen die Angst, entwertet zu sein. Hasskranken durch moralische Empörung zusätzlich entwertende Botschaften zu senden, schürt den Brand statt ihn zu löschen.

Tiefes ist Gemein­samkeit, Trennendes ist Oberfläche.
7.2. Individualpsychologische Heilung

Bevor Hass seine äußeren Opfer trifft, hat er die Täter längst zu Opfern ihrer innerseelischen Entgleisung gemacht. Hass tut weh, verhindert jede Lebensfreude und macht hässlich. Hass ist eine unfruchtbare Daseinsform. Jeder, der daran erkrankt ist, hat ein Interesse, sich von der Plage zu befreien. Das ist möglich, indem man die pathogenen Abwehrmuster, die die destruktive Aggression verursachen, daran hindert, über die eigene Psyche zu bestimmen. Der Mensch wird nicht nur durch äußere Kräfte fremdbestimmt, sondern vor allem durch pathogene Mechanismen im eigenen Inneren.

Wer hasst, leidet nicht nur unter der tat­sächlichen oder vermeintlichen Bedrohung, der er sich ausgesetzt sieht. Er leidet auch unter der destruktiven Einstimmung seines Selbsterlebens... und läuft Gefahr, auch die Schuld am Schmerz des Hassens äußeren Auslösern anzulasten. Damit rennt er erst recht in den Keller, dessen Dunkelheit ihm Angst macht.

Um dem Zugriff der genannten Abwehrmechanismen zu entkommen, kann dreierlei getan werden:

  1. Man kann Erfahrungen akzeptieren.
  2. Man kann sich Fakten eingestehen.
  3. Man kann sich von der Illusion befreien, als Person von der Wirklichkeit abgespalten zu sein.
7.2.1. Akzeptanz der Erfahrung
Sobald es Ihnen zusteht, nicht mehr ausgesetzt zu sein, wird es auch so kommen. Ersparen Sie sich auf dem Weg dorthin die Mühe, Äußeres zu hassen. Beachten Sie sich stattdessen selbst.

Falls Sie in Aggression gefangen sind und Ihre Gedanken erfolglos um einen Umstand kreisen, der momentan nicht aus der Welt zu schaffen ist, zum Beispiel eine Ungerechtigkeit oder eine erlebte Demütigung, dann akzeptieren Sie die Erfahrung ohnmächtigen Ausgeliefertseins. Keine Angst: Eine Erfahrung ohne inneren Widerstand zu durchleben, heißt nicht, sich für alle Zeiten in die Rolle zu fügen, aus der heraus die Erfahrung erlebt wird. Im Gegenteil: Je mehr Erfahrungen Sie machen, desto größer ist der Erfahrungsschatz, aus dem heraus Sie in Zukunft wirksam handeln können. Wer alles erfahren hat, muss nirgendwo mehr hin. Er kann endlich bei sich bleiben. Alles, was er noch bewirken will, bewirkt er, weil er ist.

Gegen die Erfahrung des Ausgeliefertseins zu kämpfen ist nicht das gleiche wie der Versuch, das abzuwenden, dem man ohne erfolgreiche Abwehr ausgeliefert ist. Der Kampf gegen die Erfahrung ist ein unfruchtbares Ausweichmanöver, das Ihre Kraft für den falschen Zweck verwendet. Wer nicht mehr gegen die Erfahrung der Ohnmacht kämpft, hat den Kopf frei, zu tun, wozu er die Macht hat.

Erfahrungsebenen

Schicht Erfah­rung Selbst­bild Konse­quenz
Ober­fläche

Tiefe

Hass Ich bin eine separate Einheit, die ihre Existenz im Kampf gegen andere behaupten muss. Hass bündelt das Selbstbild ins Ego. Er richtet die Aufmerk­samkeit ausschließ­lich auf den äußeren Faktor, der zu vernichten ist; und damit auf Ober­flächen, die aufeinander­prallen. Selbst­erkenntnis ist im Zustand unreflek­tierten Hasses unmöglich.
Aus­gelie­fert­sein Ausge­liefert zu sein ist eine Existenz­beding­ung meiner Rolle als separate Person. Wenn man das Ausge­liefertsein der Person anerkennt, erkennt man auch, dass man sich als Beobachter des Ausge­liefertseins davon entbinden kann. Die Erfahrung des Ausge­liefertseins ist reine Selbst­erkenntnis. Indem es erkannt wird, wird die Identi­fikation mit der Person über­schritten.

Wer erkennt, dass es auch zum Wesen der Person gehört, äußeren Kräften ausgeliefert zu sein, hat die Tür zum absoluten Selbst geöffnet. Er erkennt, dass die Person, deren Rolle er spielt, der Welt gehört, er selbst aber nicht.

7.2.2. Eingeständnis
Wenn Sie Hass nicht ersetzen können, dann stellen Sie sich in sein Feuer. Achten Sie darauf, dass kein Funke nach außen entweicht. Um die Tür nach innen zu öffnen, brauchen Sie die ganze Glut.

Wenn es Ihnen nicht gelingt, sich von ihrer Aggression zu befreien, indem Sie die Ohnmacht Ihrer Person gegenüber äußeren Faktoren eingestehen, dann akzeptieren Sie die Ohnmacht Ihrer Person gegenüber der eigenen Aggression. Beobachten Sie Ihre Aggression ohne sich gegen ihre Präsenz zur Wehr zu setzen. Sorgen Sie dabei strikt dafür, dass das Feuer nicht nach außen übergreift. Weisen Sie jede Vorstellung zurück, dass Ihre Aggression durch irgendetwas Äußeres verursacht wird. Machen Sie nichts und niemanden dafür verantwortlich, dass Sie Hass empfinden. Erkennen Sie Hass als Ihre Ohnmacht, jetzt anders als davon erfüllt zu sein.

7.2.3. Befreiung

Oben hieß es, dass flüchtiger Hass auch Personen überwältigen kann, deren Selbst­wertgefühl im Normbereich liegt. Richtig: Nur bei Menschen, deren Selbstwertregulation in besonderer Weise von äußeren Bedingungen abhängig ist, droht sich Hass zu systematisieren.

Ungeachtet dessen, wo man persönlich auf der Skala steht, gibt es für jeden die Möglichkeit, destruktive Aggression endgültig aus seinem Erleben zu verbannen. Der Weg dorthin heißt Spiritualität. Das Ziel heißt mystische Erfahrung. In der mystischen Erfahrung erkennt der Mensch, dass er nicht Insasse, sondern Ausdruck eines Universums ist, dem nichts gegenübersteht. Was sollte er da noch hassen?

Hass ist nicht Folge erlittenen Unrechts oder eigenen Unwerts. Er ist Folge falscher Interpretation der Wirklichkeit.