Frei entspringt der indogermanischen Wurzel prāi- = schützen, schonen, lieben. Zur selben Wortfamilie gehören der Friede und der Freund.
Die Logik des Zusammenhangs ist offensichtlich. Was man liebt, schützt man vor fremdem Zugriff... und man verschont es vor dem eigenen. Man sorgt dafür, dass es sich frei entfalten kann. Geliebten Menschen gegenüber verhält man sich friedlich. Man behandelt sie als Freunde.
Der Leitspruch der französischen Revolution (liberté, égalité, fraternité) nennt Freiheit an erster Stelle. Ein guter Griff! Denn alle Belange des Lebens befassen sich mit Gewinn und Erhalt von Freiheit.
Liberté geht auf lateinisch liber = frei, freimütig, ungebunden zurück, dem das griechische eleutheros [ελευθερος] = frei, edel entspricht.
So manchen mag der Klang des griechischen e-leuthe-ros an das deutsche Leute erinnern. Bloßer Zufall? Keineswegs. Sowohl Leute als auch eleutheros gehen auf die indogermanische Wurzel leudh = wachsen zurück von der leuthero = zum Volk gehörig, frei abgeleitet ist.
Thematisch vereint das Sinnfeld des Begriffs liberté mehrere Motive:
Freisetzungen geschäftlicher Art
Abgeleitet von lateinisch liberare = befreien ist das französische Verb livrer = liefern. Über mittelniederländisch lēveren kam das Wort ins Deutsche. Waren auszuliefern heißt, sie freizusetzen. Was zuvor im Handelsspeicher lag, wird in die Freiheit des Marktes entlassen.
Narrenfreiheit
Narrenfreiheit ist vermeintliche Freiheit. Tatsächlich ist sie das Gefangensein in einem Unverstand, der sich auf Kosten anderer oder des eigenen Wohls als vorübergehender Triumph über Begrenzungen austobt. Klinisch kommt sie als Manie vor, sozial oder politisch als Tyrannei.
Dass dem Motiv der Freiheit prompt die Idee von Gleichheit und Brüderlichkeit folgt, kann daher kaum verwundern. Die wahre Freiheit des Einzelnen ist immer auch die Freiheit der anderen.
Zunächst denkt man beim Thema Freiheit an die Freiheit von äußerem Zwang. Das entspricht der menschlichen Entwicklungsgeschichte. Lange bevor der Mensch sein Inneres entdeckte, war er äußerem Zugriff ausgesetzt und stieß auf soziale Hürden.
Parallel zur wachsenden Bewusstheit persönlicher Individualität erkannte der Mensch im nächsten Schritt, dass er nicht nur Mitglied eines hierarchischen Netzwerks wechselseitiger Kontrolle und Begrenzung war, sondern ein Binnenraum mit komplexer Eigendynamik. Je mehr sein Blick auf die Dynamik dieses Binnenraums fiel, desto deutlicher wurde ihm, dass Freiheit nicht nur im Fehlen äußerer Grenzen bestand, sondern ebenso innerer. Von da ab konnte er das Thema Freiheit bipolar betrachten. Die Grundlagen der Freiheit erstrecken sich über zwei Felder:
Drei Freiheiten
biologisch | politisch-sozial | psychologisch |
Die Möglichkeiten der menschlichen Biologie auszuschöpfen | Keinen asymmetrischen Gesellschaftsstrukturen ausgeliefert zu sein | Mit sich identisch zu sein statt sich eine Identität zuzuschreiben |
Der Begriff bipolar ist bewusst gewählt. Er zeigt an, dass beide Pole ineinander übergehen und sich die Felder wechselseitig beeinflussen. Zugriff von außen behindert die Entwicklung innerer Freiheit. Innerlich unfreie Menschen bevorzugen politische oder soziale Ordnungen, die äußere Freiheit beschränken.
Bei der Untersuchung der Freiheit sind aber nicht nur zwei Felder zu betrachten, sondern insgesamt fünf Ebenen...
Bevor der Mensch von seinen Nachbarn geknechtet und von seinen Ängsten beherrscht werden kann, muss er einen Körper haben. Dieser bildet die äußere Hülle seiner persönlichen Identität und ist seinerseits begrenzend. Die äußere Freiheit kann daher in drei Bereiche unterteilt werden:
Die Körperlichkeit des Menschen ist sowohl Grundlage seiner Freiheit als auch deren unverrückbarste Begrenzung. Im Vergleich zur unbelebten Materie, die vollständig Naturgesetzen unterworfen ist und aus sich heraus nichts entscheiden kann, kommt jedem Lebewesen ein gewisses Maß Freiheit zu. Sonst wäre es keins. Was Lebewesen von unbelebter Materie unterscheidet, ist ein Aufeinanderbezogensein gestaltbildender Strukturen, deren Aufeinanderbezogensein einen Innenraum ausformt, der dem Umfeld eine Grenze entgegensetzt. Leben ist die Befreiung dieses Innenraums vom beliebigen Zugriff durch Äußeres; eine Befreiung, ohne die die individuelle Gestalt des Binnenraums keinerlei Bestand hätte.
Aufrechter Gang, entbundene Hände und ein komplexes Gehirn verleihen dem Menschen eine Freiheit, die über die anderer Spezies hinausgeht. Doch Hand aufs Herz: Im Vergleich zur Übermacht des Äußeren ist die Freiheit, die der Mensch seiner biologischen Struktur verdankt, bescheiden. Außerdem ist sie stets gefährdet, durch Krankheit, Alter und Invalidität weiter eingeengt zu werden.
Der Mensch ist nicht beiläufig sozial, sondern wesentlich. Ohne komplexe soziale Interaktionen gäbe es ihn nicht. Führender Beleg dafür ist die Mutter-Kind-Beziehung. Ohne in das Gefüge einer solchen Beziehung hineingeboren zu werden, ist der Mensch nicht überlebensfähig. Dabei muss der mütterliche Pol nicht die leibliche Mutter sein. Jedwede Person, die die Mutterrolle übernimmt, ist dazu geeignet.
Zur Sozialisation tragen weitere Familienmitglieder und sämtliche Personen bei, die dem Einzelnen persönlich begegnen. Indem sich das soziale Umfeld als Raum öffnet, der dem Individuum erst die Freiheit bietet, wesentliche Teile seines Wesens zum Ausdruck zu bringen, bildet es zeitgleich ein Gefüge potenzieller Übergriffe und Hürden.
Einzelne neigen dazu, andere zum eigenen Vorteil ihrer Freiheit zu berauben. Umgekehrt setzen sie dem Zugriff anderer Hürden entgegen, um die eigene Freiheit zu bewahren.
Die soziale Ebene einer Gemeinschaft besteht aus eingrenzenden Bündnissen. Eingrenzende Bündnisse können symmetrisch oder asymmetrisch, solidarisch oder missbräuchlich sein.
Es mag sein, dass solidarische Gemeinschaften andere nicht umfassen. Sie werden aber nicht gebildet, um sich zu deren Lasten Vorteile zu verschaffen. Kommt die politische Ebene dazu, ändert sich das. Politische Bündnisse sind Bündnisse in Abgrenzung zu Dritten. Sie sollen deren Zugriff verhindern. Oder sie versuchen ihrerseits, sich auf Kosten Dritter Vorteile zu verschaffen. Zu diesem Zweck umfassen sie nicht nur nicht, sondern schließen aus.
Auf der Ebene rein solidarischer Bündnisse fehlt Rivalität; und damit auch jede Feindschaft, in die Rivalität entgleisen kann. Politische Bündnisse setzen andere voraus, die als Gegner, Feinde oder Beute fungieren.
Innerhalb kleiner Gruppen sind rein solidarische Netzwerke möglich; wenn alle Beteiligten auf Bündnisse zu Lasten Dritter verzichten. Die sozialistische Idee, den solidarischen Charakter einer gesunden Familie auf größere Gemeinschaften, ganze Staaten oder gar die Weltgemeinschaft zu übertragen, ist aus Liebe geboren. Sie bleibt auf unabsehbare Zeit aber Utopie; denn sie überschätzt die Harmonisierbarkeit menschlicher Gruppen. Die Wahrscheinlichkeit der Bildung von Bündnissen zu Lasten Dritter steigt ab einer bestimmten Gruppengröße so steil an, dass das erhoffte Gewebe reiner Zusammengehörigkeit an unzähligen Bruchlinien zerreist.
Seit Bonzo auf dem Affenfelsen die erste Diktatur ausrief, ist Freiheit zum Politikum geworden. Da der Mensch anders als die Kellerassel soziale Gemeinschaften bildet, steht die Frage, wer wie viel Macht ausübt, im Vordergrund der zivilisatorischen Entwicklung. Mehr noch: Eine Gesellschaftsordnung ist ein Regelwerk, das über Freiheitsentzug und Freiheitsvergabe entscheidet. Alle übrigen Merkmale einer Gesellschaftsordnung sind dem nachgeordnet.
Bei Asselforschern mag sich Widerstand gegen die Behauptung regen, Asseln bildeten keine soziale Gemeinschaft. Sie mögen auf (hypothetische?) Forschungsergebnisse verweisen, die belegen, dass weibliche Asseln bei Vollmond Pheromone aussenden, die den Verstand der Asselmännchen derart verwirren, dass der Duft ihnen ihre Asselfreiheit raubt. Asselfreiheit? Was soll das sein? Auch wenn faulendem Fallobst das Licht der Sonne unangenehm erschiene, so fehlte ihm doch die Freiheit, sich in dunkle Ecken zu verkriechen. Asseln haben diese Freiheit.
Falls die Forschung Recht hat und die Assel durch den Einfluss des Duftstoffs die Freiheit verliert, sich selbstbestimmt in den Tiefen des Komposthaufens zu tummeln, gäbe es auch in der Asselwelt Ansätze wechselseitiger Freiheitsberaubung; und zwar nicht erst dann, wenn ein kräftig gebautes Männchen bei einem duftenden Weibchen eintrifft und dort einen schmächtigen Kollegen verdrängt, sondern bereits bei der Stimulierung seiner libidinösen Begierden durch weibliche Raffinesse.
Dem halten wir Folgendes entgegen: Im Vergleich zu den Möglichkeiten des Primaten, Artgenossen durch soziale Interaktion ihrer Freiheit zu berauben, sind die Möglichkeiten des Asselpaschas gering. Keineswegs kann er Schwächere versklaven oder daran hindern, ihr Glück im Komposthaufen des Nachbargartens zu suchen. Leibeigenen Nacktprimaten oder den Insassen sozialistischer Paradiese wird diese Freiheit vorenthalten.
Ordnung ist dem lateinischen Verb ordinare = in Reihen zusammenstellen entlehnt. Ordo hieß Reihe, Ordnung, Rang. Das bestimmende Thema sozialer Gemeinschaften ist die Verteilung der Freiheit durch Zuordnung von Rang. Freiheit ist die Möglichkeit, Entwicklungen nach eigenem Gutdünken zu steuern. Selbst wenn damit Nachteile verbunden sein mögen, steuert das Gutdünken stets einen persönlichen Vorteil an. Politische Macht erscheint dabei als Mittel zum Zweck. Sie hat zweierlei Funktion.
Die Befreiung des Individuums an sich
Solange das Ende des Liedes unerreicht ist, müssen die Sänger ihre Stimme erheben.
Die Geschichte ist ein schwankender Prozess. Trotzdem verläuft sie nicht chaotisch oder im Kreise. Es durchzieht sie ein roter Faden. Der rote Faden, um den es dabei geht, ist die Frage nach der Befreiung des Individuums aus hierarchischen und kollektiven Strukturen.
Der Begriff Faschismus ist beim Verständnis des geschichtlichen Prozesses nützlich. Er geht auf italienisch fascio bzw. lateinisch fascis = Rutenbündel zurück. Bei den fasces lictoriae handelte es sich um die Machtsymbole römischer Amtsinhaber. Sie stellten ein Rutenbündel dar, das durch ein Band zusammengehalten wird und aus dem die Klinge einer Axt ragt. Soziologisch gesehen steht jede Rute dabei für ein Individuum, dessen Freiheit durch Bündelung eingeschränkt und dessen Kraft für die Zwecke des Amtsinhabers vereinnahmt wird. Das Bild sagt alles Wesentliche über den Charakter faschistoider Ordnungen aus. Ihr Wesen ist es, Individuen ihrer Freiheit zu berauben, um mithilfe der vereinnahmten Kraft Zwecke zu verfolgen, die nur kollektiv erreicht werden können.
Da die Bündelung von Individuen stets Führer voraussetzt, die das Band um die Ruten schnüren, ist Kollektivität im Gegensatz zu echter Gemeinsamkeit ein Mittel zur Ermächtigung Einzelner. Bei der Gemeinsamkeit stehen Ruten aus freien Stücken zusammen, ohne durch ein Band von außen dazu gezwungen zu sein. Sie bilden ein Bündnis ohne gebündelt zu werden.
Freiheit kann von äußeren Faktoren beschränkt oder gefördert werden. Erlebt wird sie innen. Dem Außenfeld der Freiheit steht ein Binnenraum gegenüber, der dem Wesen dessen entspricht, dem Freiheit gilt. Dieser Raum kann seinerseits in zwei Bereiche unterteilt werden:
Freiheit ist die Möglichkeit, Entwicklungen nach eigenem Gutdünken zu steuern. So haben wir es definiert. Diese Freiheit stößt nicht nur auf die Grenzen der menschlichen Biologie und die begrenzende Macht anderer. Sie trifft auch auf psychologisches Unvermögen. Neben der äußeren Freiheit gibt es eine innere; oder eben nicht.
Beschneidungen der inneren Freiheit machen sich durch psychiatrische Symptome bemerkbar. Es gibt psychiatrische Symptome im engeren Sinn und solche, die vom Zeitgeist als normal bewertet werden. Beide Gruppen entspringen meist innerseelischen Konflikten, entweder Konflikten zwischen...
Oder aber psychiatrische Symptome sind Ausdruck körperlicher Einschränkungen (z.B. kognitive Defizite bei der Demenz), Folge von Stoffwechselstörungen (z. B. endogene und organische Psychosen) bzw. Vergiftungen (z.B. Drogenrausch). Dann sind sie als biologisch bedingte Einschränkungen der Freiheit einzustufen.
Psychiatrische Symptome...
im engeren Sinne | die als normal erachtet werden |
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Einigkeit besteht, dass alle psychiatrischen Symptome im engeren Sinne die Freiheit des Kranken beschränken, im Rahmen seiner biologischen Möglichkeiten selbstbestimmte Ziele zu erreichen. Wenig beachtet ist die Tatsache, dass die psychologische Normalität bereits Beschneidung innerer Freiheit ist.
Das zentrale Phänomen der psychologischen Normalität ist die Identifikation des Subjekts mit objektiven Erscheinungen. Bei der Frage Was bin ich? endet die Selbstbestimmung der normalen Psyche voreilig. Das normale Ich setzt sich mit irgendetwas gleich; entweder mit selbstgewählten Bildern, äußeren Merkmalen oder kulturellen Vorgaben:
Jede Identifikation schränkt die innere Freiheit des Subjekts ein, indem sie sein Selbstbild in den Horizont jenes Phänomens verkleinert, mit dem es sich gleichsetzt. Jede Identifikation macht aus Subjekten Rollenspieler. Kurzfristig können Identifikation die Entfaltung des Subjekts fördern. Langfristig wirken sie seiner Entfaltung entgegen; und setzen es herab.
Das absolute Selbst ist nicht nur Freiheit von etwas, sondern Freiheit an sich. Es ist daher nicht nur Befreites, sondern Befreier.
Obwohl Freiheit historisch gesehen als Luxus erscheint, der einer privilegierten Minderheit je nach Epoche mehr oder weniger zukam, ist Freiheit tatsächlich mehr. Sie ist Notwendigkeit. Das liegt am Wesen des Menschen an sich.
Rein biologisch betrachtet mag der Mensch als Objekt erscheinen; also als erkennbarer Partikel vor einem Hintergrund. Zugleich und wesentlicher ist er aber jene Instanz, die das Vorliegen von Partikeln erkennt. Eigentlich ist er daher kein Objekt, sondern Subjekt. Mehr als Erkanntes ist er Erkenner. Während Objekten Freiheit fehlt, also die Möglichkeit, aus sich heraus zu bestimmen, und sie ihr Wesen daher als unfrei erfüllen, ist das Subjekt zur Erfüllung seines Wesens auf Freiheit angewiesen. Mehr noch: Der Kern seines Wesens ist Selbstbestimmung. Das heißt dreierlei:
Dass der rote Faden, der die Geschichte durchzieht, aus dem Ringen um die Freiheit des Individuums besteht, ist Schicksal der Menschheit. Der Mensch kann nur soweit in sich ruhen, wie er seine Bestimmung zur Freiheit verwirklicht. Er nimmt sein Menschsein nur an, wenn er frei sein will. Wer sich willig beugt, versucht die Gabe des Himmels zu verweigern; was ihm wohlgemerkt freigestellt ist.
Freiheit, die technologischer Fortschritt bringt, besteht primär in der Überwindung biologischer Grenzen. Medizinischer Fortschritt setzt unmittelbar am Körper an. So hat das Penizillin die freiheitsentziehende Macht des Pesterregers aus der Welt geschafft.
Fortschritt, der sich nicht unmittelbar mit dem Schutz des Körpers vor schädlicher Einwirkung befasst, stellt technische Prothesen zur Verfügung, die bisherige Unfreiheiten überwinden. Früher hat uns die Freiheit gefehlt, Australiern zeitgleich mitzuteilen, dass in Hückeswagen Aliens landen. Die gewonnene Freiheit dazu könnte sich als nützlich erweisen, falls nur die Bumerangs der Antipoden im Stande sind, die Aliens daran zu hindern, uns als Sklaven nach Melmac zu verschiffen.
Was höheren Zielen dient, hat einen Sinn. Indem es sinnvoll ist, steht es zum Höheren in einem Verhältnis, das seine Freiheit einschränkt und es dem Dienst am Höheren unterstellt. Das Höhere ist freier, als das, was ihm dient.
Da Freiheit begrenzender Einbindung entbunden ist, ist sie selbst das Höchste, über dem es nichts mehr geben kann. Alles, was in der Wirklichkeit geschieht, ist daher darauf ausgerichtet, Freiheit zu verwirklichen. Das gilt auch für zwei ihrer wichtigsten Diener: der Macht und der Sicherheit.
Liefert sich jemand dem Gutdünken eines anderen aus, läuft seine Freiheit Gefahr, der Willkür dessen zum Opfer zu fallen, in dessen Hände er sich übereignet hat. Sobald man sich anderen überlässt, sollte man sicher sein, dass sie Macht nicht missbrauchen, um Freiheit eigennützig umzuverteilen, sondern um die Freiheit aller zu erhöhen.
Macht ist eine Fähigkeit des Individuums. Sie dient dazu, bestehende Freiheit gegen Fremdbestimmung abzusichern oder zusätzliche Freiheit zu erlangen. Da MachtEin mächtiger Sturm zieht auf... Falsch gedacht: Kein Sturm ist mächtig. Stürme sind willenlose Sklaven der Naturgesetze. Der Sturm zeigt nicht seine Macht, sondern unsere Ohnmacht. Einzelnen die Freiheit geben kann, andere ihrer Freiheit zu berauben, kann sie zu Zwecken missbraucht werden, die nicht ihrer Bestimmung entsprechen.
Sicherheit ist ein Ergebnis der Macht. Wer die Macht hat, sich gegen Fremdbestimmung zu schützen, kann seine Freiheit absichern. Wem die Macht dazu fehlt - oder wer sie nicht nutzt - dessen Freiheit ist dem Gutdünken anderer ausgeliefert.
Alles, was geschieht, ist auf Freiheit ausgerichtet? Das klingt übertrieben. Ich esse mein Marmeladenbrot doch nicht der Freiheit zuliebe. Aber ja. Äße ich es nicht, verlöre ich bald die Freiheit, an etwas anderes als an meinen Hunger zu denken. Und selbst Hunger dient keinem anderen Zweck als dem Erhalt von Freiheit. Er signalisiert, dass ohne den Verzehr von Marmeladenbroten nicht nur die Freiheit verloren geht, Marmelade einzukochen, sondern überhaupt noch irgendeine Menschenfreiheit auszuüben. Bei uns gibt es heute übrigens Apfelkuchen! Aber das nur nebenbei.
Wo es Rangordnungen gibt, können diese durcheinander geraten. So auch beim Zusammenspiel von Freiheit, Macht und Sicherheit. Beide, Macht und Sicherheit, können sich über das Ziel erheben, dem sie eigentlich dienlich sind.
Wird Macht zum Selbstzweck, dient sie nicht mehr der Freiheit, sondern drückt sie nieder. Das gilt für den Mächtigen ebenso wie für die, über die er Macht ausübt. Ein Mächtiger kann Gefangener des Machterhalts sein. Viele Mächtige tappen in diese Falle; und viele glauben der Freiheit zu dienen, indem sie sie verraten.
Dem Menschen kommen Freiheiten aus allen fünf Ebenen zu; zu unterschiedlichen Phasen des Lebens aber in unterschiedlichem Ausmaß.
Die biologische Freiheit des Säuglings ist gering. Außer die Brust zu suchen, sich von ihr abzuwenden und gegebenenfalls herzzerreißend zu schreien, ist er faktisch in völliger Unfreiheit gefangen. Mit dem ersten Lächelnkönnen, der Kontrolle von Finger- und Beinbewegungen ändert sich das. Die Entwicklung biologischer Freiheiten spielt bis zum Ende der Pubertät eine wichtige Rolle. Kurz danach erreichen die biologischen Freiheiten ihren Zenit, verharren dort unter günstigen Umständen ein paar Jahrzehnte und sinken dann unaufhaltsam ab. Freiheiten, die ein junger Körper einst verlieh, fallen beim Greis auf den Stand wehmütiger Erinnerungen zurück; und selbst die Freiheit, sich an unbeschwerte Tage zu erinnern, kann verloren gehen.
Auch die soziale Freiheit des Säuglings liegt praktisch bei Null. Je nach Temperament seiner Eltern und gemäß deren pädagogischer Konzepte nimmt sie im Laufe der Entwicklung zu. Dabei wird entweder völlige Ebenbürtigkeit erreicht oder - vor allem in traditionsgebundenen Gemeinschaften - ein teilemanzipiertes Unterworfensein.
Politische Freiheit hat für den Säugling keine Bedeutung. Selbst wenn der Staat ihm das Wahlrecht verliehe, läge die Wahlbeteiligung seiner Altersgruppe bei Null. Für Erwachsene sind politische Freiheiten von großem Belang; wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Dem einen mag eine Diktatur genügen, wenn sie ihm die Freiheit belässt, an der Costa Brava Urlaub zu machen, anderen bietet eine repräsentative Demokratie Freiheiten genug um sich nicht bevormundet zu fühlen und Dritte erleben die Bevormundung durch eine Parteienherrschaft als spürbare Einschränkung ihrer Lebensqualität.
Größtmögliche Bedeutung hat die Entwicklung der psychologischen Freiheit. Im Gegensatz zu dem, was man gemeinhin glaubt, wird das meiste Unglück, das der Mensch erleidet, nicht durch äußere Begrenzungen verursacht, sondern durch innere. Der Überwindung psychologischer Unfreiheit kommt daher eine Schlüsselrolle zu:
Tatsächlich wurzelt alle Freiheit im absoluten Selbst. Ohne dass das wahre Selbst absolut wäre, wäre alle Freiheit Illusion. Selbstverwirklichung ist der besondere Weg, der den Einzelnen so weit befreien kann, dass sein Glück nicht mehr von den Wechselfällen der Außenwelt anhängt.
Freiheit heißt Schutz und Verschonung. Wesentlich ist der Mensch Subjekt, beiläufig ist er Objekt. Als Objekt ist er in ein Kraftfeld eingewoben, das seine Freiheit beschneidet. Als Subjekt ist er frei, darüber zu bestimmen...
Je freier er ist, desto mehr ist er er selbst. Daher ist er zur Freiheit bestimmt und es gilt, seine bestimmungsgemäße Freiheit vor Einschränkung zu schützen und sie über bisherige Begrenzungen hinweg auszubauen.
Freiheit droht auf allen Ebenen beschnitten zu werden: auf der körperlichen, der sozialen, der politischen und der psychologischen. Überall dort, wo der Mensch zum Objekt wird oder andere als bloße Objekte betrachtet, verliert er an sich selbst.
Als Körper ist der Mensch Objekt. Durch seine Körperlichkeit ist seine Freiheit grundsätzlich begrenzt. Auf körperlicher Ebene kann sie weiter eingeschränkt, geschützt oder ausgebaut werden.
Auf der politischen Ebene ist der Mensch Mitglied einer komplexen Gemeinschaft. Anonyme Kräfte und gesellschaftliche Regeln können seine Freiheit beschränken oder anerkennen.
Die bestimmungsgemäße Freiheit auf biologischer Ebene wird durch die Möglichkeiten eines gesunden Körpers definiert. Der gesunde Mensch kann stehen, liegen, gehen, lieben, arbeiten... und ein paar Sachen nebenher. Wozu ihm die Freiheit fehlt? Sich mit Albatrossen am Magnetfeld entlang auf die Île de la Prise de Possession abzusetzen und dort befreit von der Bevormundung durch andere er selbst zu sein.
Der Krankheitswert jeder Krankheit entspricht ihrer Macht, Freiheit zu beschneiden.
Gesundheit ist ein wichtiges Gut. Während fast jeder kleine Einschränkungen am eigenen Leibe erfährt, sind viele in schwerer Krankheit gefangen. Der freie Zugang aller zur medizinischen Versorgung ist eine Errungenschaft moderner Gesellschaften, die konkret mit dem Bemühen um Freiheit verwoben ist. Jede Gesellschaft, die den Zugang offenhält, hat bereits Großes geleistet.
Die Freiheit des Einzelnen trifft auf soziale und politische Hindernisse. Das muss so sein. Es liegt daran, dass auch jeder Andere wesenhaft Subjekt ist und daher nicht zum verfügbaren Objekt des Einzelnen herabgesetzt werden kann, ohne dass Freiheit verloren geht. Dass die Freiheit des Einzelnen im Feld der Gemeinschaft auf Grenzen trifft, die seinem Wesen entsprechen, heißt aber nicht, dass jede Begrenzung dort rechtens wäre. Illegitime Grenzen der Freiheit schaden sowohl auf der sozialen Ebene unmittelbarer Beziehungen als auch dann, wenn Individuen durch politische Kräfte unsachgemäß bevormundet werden.
In unmittelbaren Beziehungen treffen Personen in wechselseitigem Geben und Nehmen aufeinander. Das ist die Basis einer gesunden Interaktion. Eine Interaktion ist gesund, wenn der Austausch die Freiheit beider Akteure fördert, ihr Wesen zu entfalten, ohne die Selbstbestimmung des Anderen zu behindern.
Was in der Theorie einfach klingt, bleibt in der Praxis oft unerfüllt. Menschen neigen zu Projektion und Projektiver Identifikation; umso mehr, je psychologisch unfreier sie sind. Das führt dazu, dass sie anderen normative Erwartungen entgegenbringen und sie als Erfüllungsgehilfen des eigenen Wohlbefindens betrachten, deren Selbstbestimmung daher zu missachten ist.
Eine politische Organisation ist ein Werkzeug. Es stellt die Energie zur Verfügung, um Gefahren abzuwehren, vor denen der Mensch Angst hat. Er hat vor allem Angst, was über ihn bestimmen und seine Freiheit beschränken könnte. Dabei geht es um Gefahren, die von außerhalb der politisch organisierten Gruppe drohen, aber auch um wechselseitige Bedrohungen aus den eigenen Reihen.
Bonzo war der erste Politiker und Begründer einer Tradition. Er organisierte die Abwehr der Nachbarhorde und verpflichtete den Einzelnen zum Dienst an der Gemeinschaft. Während die Organisation zur politischen Gruppe dem Erhalt und der Ausweitung von Freiheiten dient, schränkt der Dienst für die Gruppe Freiheiten ein. Der Staat schützt nicht nur die Freiheit des Einzelnen. Er schränkt sie auch ein; und er läuft stets Gefahr, die Balance zwischen Schutz und Einschränkung zu verlieren. So auch heute. Vier Faktoren sind dabei als mächtige Ursachen erkennbar:
Sie verweben sich zu einem Komplex von Tendenzen, der das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen in einer Art bedroht, die bislang noch nicht vorgekommen ist. Vielen ist die Bedrohung nur als unbestimmtes Unbehagen bewusst; oder gar nicht. Viele wollen nicht hinsehen, weil der Eifer für den Fortschritt Eisberge im Nordatlantik lieber übersieht.
Früher hielt man Standesunterschiede, die zur schamlosen Demütigung Schwächerer führten, für derart gottgegeben, dass bei den Tätern die Schamesröte ausblieb. Seit man die Gottgegebenheit hierarchischer Ordnungen bezweifeln kann, ohne den Kopf zu riskieren, hat sich der unverblümte Standesdünkel gemeinsam mit den Kellerasseln in den Komposthaufen verkrümelt. Verrottet ist er aber noch lange nicht.
Große Koalition
In einer Frage herrscht bei Parteien von rechts bis links Einigkeit: Um zu verhindern, dass das Volk unerwünschte Antworten gibt, sollte man es in der Sache gar nicht erst befragen. Herrschaft ist bequemer, wenn man die Beherrschten entmündigt hat.
Ein modernes Glaubensbekenntnis
Wir glauben, dass uns Wachstum von allen Übeln erlösen wird. Wir sind bereit, unser Leben dem Wachstum zu widmen und alles zu tun, was Bruttosozialprodukt auf Erden erzeugt.Dafür sorgen auch die Regeln der repräsentativen Demokratie, die die Ebenbürtigkeit aller keineswegs so anerkennt, wie es dem Einzelnen als Subjekt zusteht. Stattdessen macht sie die Mehrheit zu Objekten einer etablierten Obrigkeit, die unabwählbar ist. Nur zwei oder drei handvoll Repräsentanten kann man alle vier Jahre austauschen. Diesen gefällt das Repräsentieren dann derart gut, dass ihnen der Gedanke an Fortschritt nicht in den Sinn kommt. Wäre der Gedanke so kühn, in die Köpfe der Repräsentanten vorzudringen, wäre er dort auch so unwillkommen, wie ein Bauer beim Bundespresseball im Hotel Adlon. Also bleibt er besser draußen vor.
So hat die repräsentative Demokratie im Vergleich zu den Übeln der Vergangenheit zwar für einen Qualitätssprung gesorgt, notwendige Schritte, die darüber hinausgehen, bleiben aber aus. Fast der kompletten Bevölkerung wird die Freiheit, substanziell mitzubestimmen, verweigert. Sie können nur bestimmen, wer an ihrer Stelle bestimmt. Das ist Vormundschaft. Das Mündel darf seinen Vormund wählen, die Vormundschaft abwählen darf es nicht.
Solche Verhältnisse sind überholt. Trotzdem klammert sich die repräsentative Demokratie an ihr Alleinbestimmungsrecht. Sie hantiert wie ein Zauberlehrling mit ungezügeltem Regulierungseifer in tausend Lebensbereichen herum, von denen sie immer weniger versteht.
Längst ist es überfällig, den Sachverstand unmittelbar Beteiligter einzubinden. Es gilt, mehr Mitbestimmung einzuräumen. Es gilt, die Gesellschaft als Föderation (lateinisch foedus = Bündnis, Vertrag) zu betrachten und nicht als Kommandostruktur. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Im Politbüro meint man, die Mitgliedschaft in der Regierungspartei stelle sicher, dass man besser als der Arbeiter weiß, auf welche Seite im Spind der Blaumann zu hängen hat.
Es mag sein, dass das Wort Freiheit auf den Lippen der politisch bestimmenden Kräfte liegt, über ihre Hände bestimmt aber der Hunger; der Hunger nach einem Immermehr, das man mit Händen greifen kann. Daher wurde der alte Gott des Gehorsams nicht durch den der Befreiung ersetzt, sondern durch einen Hybriden namens Wachstum. Der neue Glaube heißt Bruttosozialprodukt.
Freiheit und Wachstum
Oben haben wir gesehen: Die etymologischen Wurzeln der Freiheit reichen auch zum indogermanischen leudh = wachsen zurück; jedenfalls was das französische liberté bzw. das englische liberty betrifft. Auch wirtschaftliches Wachstum kann Freiheit fördern. Es stellt materielle Möglichkeiten zur Verfügung, die Horizonte erweitern. Wie der alte Gott des Gehorsams scheint aber auch der neue Gott des Wachstums keine anderen Götter neben sich zu dulden. Wenn man sich ihm erst einmal verschrieben hat, verdrängt seine Dynamik alles übrige in der Hintergrund; und aus dem Versprechen der Freiheit wird ein Joch des Leistungsdrucks.
Um unentwegtes Wachstum zu bewirken, gilt es, Wirtschaftsprozesse zu optimieren. Weil jüngst Optimiertes morgen schon veraltet ist, kann das Optimieren seiner Logik zufolge niemals zu Ende sein. Der Optimierungsprozess schraubt die Messlatte seines Anspruchs ständig höher.
Der Optimierung wirtschaftlicher Effektivität stehen individuelle Eigenarten so störend im Wege wie normabweichende Gurken der optimalen Ausnutzung von Transportkisten im LKW. Also werden störende Eigenarten per Verordnung aus der Welt geschafft. Die Leitlinien ihrer Verordnungen stimmt die Politik mit wirtschaftlichen Kräften ab, die global operieren. Was sich als Demokratie versteht, wird von den Kapitänen der Wachstumswirtschaft vereinnahmt.
Prozessorientierung ist eigentlich Prozessoptimierung. Bereits in der Fabrik ist der Optimierungsansatz des ökonomischen Denkens problematisch. Es mag sein, dass er den Gewinn steigert, er setzt die Mitarbeiter aber einem Anpassungsdruck an normierte Arbeitsabläufe aus, der ihre Individualität zunehmend als Störfaktor betrachtet. Wer sich nicht anpassen kann, wird von der Dynamik ausgeschieden. Wer es kann, hat sich selbst zum Vorteil des Systems zurückzunehmen.
Noch problematischer wird das prozessoptimierende Denken, wenn es das Fabrikgelände verlässt und die Gesellschaft als Ganzes anvisiert. Genau das ist gegenwärtig der Fall. Politiker etablierter Parteien stehen heute maßgeblich unter dem Einfluss wirtschaftlicher Kräfte. Sie tun, was Ihnen die Vorstände sagen... und die sagen Ihnen, dass man das Land als Wirtschaftsstandort betrachten und seine Effizienz prozessorientiert steigern sollte. Resultat dieses Denkens ist eine Flutwelle von Vorschriften, mit denen sich der Staat ins Leben der Bürger einmischt, um deren Verhalten systemkonform zu optimieren.
Normierung und Aggression
Der Mensch ist Subjekt. Er ist daher nicht als Objekt zu betrachten, ohne dass der Kern seines Wesens übergangen wird. Die Entmündigung des Einzelnen durch eine prozessoptimierte Gesellschaft ruft umso mehr Aggression hervor, je mehr die Bevormundung fortschreitet. Ein System, das Menschen zu Human Resources degradiert, wird seiner Destruktivität begegnen.
Zum derzeit herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystem gehört eine fatale Verkettung. Je mehr der Einzelne zu einem Rädchen entwertet wird, desto mehr strengt er sich an, mehr als nur Rädchen zu sein. Je unglücklicher er wird, desto mehr Mühe gibt er sich, ein Stück vom dem Kuchen zu bekommen, den das System als Schlüssel zum Glück verheißt: beruflichen Erfolg und Konsum. Der Kampf des Einzelnen um den Respekt vor seinem Wert wird zum Treibstoff für das System, das ihn entwertet.
Prozessorientierung bei der Erzeugung von Waren hat oft so viele Vorteile, dass die Beschränkung der Individualität in angemessenen Grenzen zu verkraften ist; vor allem, wenn ihre Möglichkeiten jenseits der Arbeitswelt erweitert werden. Wendet man den Ansatz aber auf Felder an, deren Qualität auf individueller Ausgestaltung und Interaktion beruht, beschädigt der Normierungsdruck genau das, was die Qualität des betreffenden Feldes ausmacht. Das trifft auf alle Bereiche zu, wo keine Waren, sondern Individuen im Fokus stehen.
Aus Kindergärtnerinnen, Lehrern, Krankenschwestern, Altenpflegern, Ärztinnen und Psychotherapeuten austauschbare Vollstrecker optimierter Verfahrensprozesse zu machen, ist nur in Grenzen möglich, ohne dass die Qualität ihrer Arbeit Schaden nimmt.
Sobald Wachstum als das beglückend Gute festgestellt ist, ist klar, was als Böses zu gelten hat: Grenzen. Grenzen sind die Hürden des Wachstums. Das gilt für Lungentumore ebenso wie für den Warenvertrieb multinationaler Konzerne. Grenzen sind aber nicht nur Hürden. Sie bieten auch Schutz; vor allem für Schwächere. Das ist ihre Kernfunktion.
Sobald im Dienste des Wachstums Grenzen fallen, fällt nicht nur Hindernis, sondern auch Schutz weg. Fehlender Schutz zieht Unsicherheit nach sich. Fehlender Schutz liefert aus. Unsicherheit ruft nach Vorkehrungen zur Beschaffung neuer Sicherheit. Sicherheit ist der zwiespältige Gegenpol zur Freiheit. Freiheiten, die man auf der einen Seite dem Wachstum verschafft, stehen Freiheiten entgegen, die man opfert, um Sicherheitsprobleme zu lösen, die der Entgrenzung entspringen. Je mehr sich der Staat blinder Globalisierung verschreibt, desto mehr Überwachung erscheint notwendig, um wachsende Sicherheitsprobleme einzudämmen. Bei jedem Terroranschlag wird über regierungstreue Medien pflichtgemäß Entsetzen kundgetan. Zugleich liefert jeder Anschlag ein neues Argument, ein Stück der alten Freiheit abzuschleifen. Freiheit ist unmodern. Sie stört die Optimierung und untergräbt die Sicherheit. Ein Stück davon müssen wir heute opfern und ein anderes Stück morgen.
Der Prozess der Entrechtung des Individuums schreitet schleichend voran. Schleichend heißt: Es wird immer nur so viel Freiheit auf einmal abgeschafft, dass sich kaum Widerstand regt. Tausend winzige Schritte überwinden eine große Distanz: die Distanz zwischen bürgerlicher Freiheit und einem übermächtigen Staat.
Vernetzung ist ein Aspekt der Entgrenzung. Die Fäden eines Netzes üben über weite Entfernungen Wirkungen aus. Sie binden ein und tragen Informationen zu. Das Zugehörigkeitsbedürfnis wird durch Vernetzung erfüllt, die Möglichkeiten, über sich selbst zu bestimmen, werden gegebenenfalls einschränkt. Nur wer die Fäden des Netzwerks in Händen hält, ist eindeutig im Vorteil. Er ist der, der alle anderen an die Leine nimmt. Vernetzung stärkt, aber sie stärkt auch das, was Freiheit beschränkt.
Gute und schlechte Nachrichten
Zuerst die gute Nachricht:
Es gibt weder Juden, Christen noch Moslems. Tatsächlich gibt es nur Menschen... und damit eigentlich keinen Grund, sich nicht zu vertragen.
Und jetzt die schlechte:
Vielen ist das Menschsein nicht genug. Sie wollen etwas Besseres als bloße Menschen sein. Daher identifizieren sie sich mit Glaubensbildern, die ihnen genau das versprechen. Weil man andere entwertet, indem man sich für etwas Besseres hält, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass die Menschheit zu Ihren Lebzeiten zu Verstand und Frieden findet.
Am besten, Sie legen einen Garten an und pflanzen eigenes Gemüse. Alles, außer man selbst zu sein, ist eingebildet.
Den Gefährdungen der Freiheit von außen - dazu zählen aus der Perspektive des Ich auch körperliche Erkrankungen - stehen Gefährdungen von innen gegenüber. Derlei Beschränkungen können bewusst erlebt werden; oder sie werden nicht als Beschränkung wahrgenommen.
Bewusst erlebte Einschränkungen der psychologischen Freiheit machen sich als psychiatrische Symptome bemerkbar.
Die meisten Einschränkungen der psychologischen Freiheit basieren auf Identifikationen, die als normal betrachtet und in der Folge nicht mehr hinterfragt werden. So wird aus dem freien Subjekt, das es selbst und nichts als es selbst ist, ein Rollenspieler, der durch die Identifikation mit einer definierten Rolle seine Freiheit selbst beschneidet. Ist die gespielte Rolle glanzvoll, verblendet sie. Trotzdem entwertet sie verdeckt. Sie degradiert den Rollenspieler zum Dienstboten eines Glanzes, der stets neu zu polieren ist. Bei anderen Rollen ist die Selbstentwertung offensichtlich.
Der mächtigste Faktor, der die psychologische Freiheit beschränkt, ist die Gleichsetzung des Ich mit der Person. Normalerweise ist die Bindung des Ich an die Rolle der Person so selbstverständlich, dass nur beharrliches Zweifeln sie lösen kann. Ist sie gelöst, ist das Selbst psychologisch befreit.
An zweiter Stelle bei der Beschränkung der psychologischen Freiheit steht - je nach Kulturkreis unterschiedlich ausgeprägt - die Identifikation mit kulturellen Traditionen. Es mag sein, dass Traditionen Zugehörigkeitsgefühle fördern, zugleich sind sie oft Vektoren grundlegender Denkverbote.
Zunächst scheint es, als genüge der Hinweis, dass Fortschritte bei der Entwicklung medizinischer Möglichkeiten biologische Gefährdungen der Freiheit bannen und man dem Fortschritt daher hoffnungsvoll entgegenblicken kann, ohne das Thema in einem übergreifenden Zusammenhang zu sehen. Das ist ein Trugschluss.
Medizinischer Fortschritt zieht vielmehr Folgen nach sich, die zu gesellschaftlichen Herausforderungen führen, die für die Menschheit neu sind. Zwei von vielen seien genannt...
Die verlängerte Lebenserwartung und die Möglichkeiten der Neonatologie führen zu einer Zunahme pflegebedürftiger Menschen, deren Versorgung sichergestellt werden muss. Das fördert einen Optimierungsdruck, der alle trifft, die Leistungen erbringen. Leistungsdruck macht unfrei. Er schränkt auch die Freiheit ein, parallel zur Leistungserbringung ein Privatleben zu führen, in dem Kinder überhaupt Platz haben. Wird das Problem nicht gelöst, bleibt der Wachstumskultur nur übrig, sich durch Zuwanderung einer anderen Kulturform selbst zu ersetzen. Ein solcher Vorgang wird nur unter Einschränkung individueller Freiheiten zu bewerkstelligen sein.
Die Entscheidungen, die zu treffen sind, haben große Tragweite. Kann man sie den Führungsetagen einer so rudimentären Demokratie wie der repräsentativen überlassen? Deren Entscheidungen hängen von Lobbyisten und den Karriereplanungen ihrer Funktionäre ab. Wollen wir uns darauf verlassen? Die Entscheidungen der Zukunft sind so komplex und bedeutsam, dass die repräsentative Demokratie damit überfordert ist. Der Verstand aller muss auf Augenhöhe eingebunden werden.
Zwei wesentliche Komponenten des zivilisatorischen Fortschritts sind Technologie und soziale Ordnung. Beide befassen sich mit dem Kernthema jedweder Zivilisation: der Befreiung des Individuums aus Unmündigkeit, Ohnmacht und der Unterwerfung unter fremdbestimmende Kräfte.
Zwei Welten
Barbarei | Zivilität |
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Barbarei hat keinen Respekt vor dem Individuum. Sie setzt auf einbindende Macht. Zivilität respektiert das Individuum. Sie bietet Begegnung an.
Sobald die Freiheit des Individuums, sich mit der physikalischen Wirklichkeit zu befassen, nicht durch Glaubensdiktate beschränkt wird, entwickelt der technologische Fortschritt eine eigenständige Dynamik. Er wird zum Selbstläufer. Grundsätzlich erweitert technologischer Fortschritt Freiräume, die ohne ihn durch physikalische und biologische Faktoren beschränkt sind.
Die zweite Komponente der Zivilisation, die Befreiung des Einzelnen aus kollektiver Bevormundung, läuft nicht als Selbstläufer parallel zum technologischen Fortschritt mit. Technologischer Fortschritt allein kann vielmehr in eine Dystopie übergehen, also in eine Gesellschaftsform, die George Orwell exemplarisch beschrieben hat. Zivilisatorischer Fortschritt als Ganzes muss daher gewagt und beschlossen werden; oder das bislang Erreichte droht mehr als verloren zu gehen.
Die individuelle Reifung, die den Menschen aus psychologisch bedingter Unmündigkeit befreit, ist vorrangig eine individuelle Aufgabe. Auch unter ungünstigen gesellschaftlichen Bedingungen gibt es viele, die diese Aufgabe meistern. Ungünstige Bedingungen sind für die Mehrheit aber ein Hemmschuh. Ursache dafür ist das Grundgesetz der Gruppendynamik.
Das führt dazu, dass Gesellschaftsformen, die die Freiheit des Individuums nicht handelnd zum Prinzip erklären, die Reifung all jener ausbremsen, die die damit verbundene Abwertung des Individuums als Introjekt verinnerlichen.
Direkte Demokratie führt daher nicht nur zu vernünftigeren politischen Entscheidungen, sie begünstigt auch die individuelle Reifung der Einzelnen. Beides, reife Individuen und vernünftige Politik sind die Säulen der Freiheit. Je mehr Mittel erfunden werden, von denen jedes einzelne die Freiheit bedrohen kann, desto mehr reife Personen sind nötig, um sie zu schützen.